Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.399/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 1/2}
2C_399/2012

Urteil vom 8. Juni 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
Bundesrichter Seiler,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiber Kocher.

Verfahrensbeteiligte
Kantonsspital Baden AG, 5405 Baden, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Alexander Rey und Prof. Dr. Andreas Binder, Rechtsanwälte,

gegen

Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5001 Aarau.

Gegenstand
Spitalliste 2012,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 4.
Kammer, vom 29. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 7. September 2011 beschloss der Regierungsrat des Kantons Aargau die
Spitalliste des Kantons Aargau und setzte sie per 1. Januar 2012 in Kraft.
Dagegen erhob die Kantonsspital Baden AG am 10. Oktober 2011 einerseits
Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und andererseits beim
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Dieses trat mit Urteil vom 29. Februar
2012 auf die bei ihm eingereichte Beschwerde nicht ein.

B.
Die Kantonsspital Baden AG erhebt mit Eingabe vom 3. Mai 2012 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und das Verwaltungsgericht sei anzuweisen, auf die in
der Beschwerde vom 10. Oktober 2011 erhobenen Rügen einzutreten. Zugleich
stellt sie den Antrag, das Verfahren sei zu sistieren bis zum Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Gegen Beschlüsse der Kantonsregierungen über die Spitalplanung kann Beschwerde
beim Bundesverwaltungsgericht geführt werden (Art. 53 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 des
Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10];
Art. 33 lit. i des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das
Bundesverwaltungsgericht [VGG; SR 173.32]). Dessen Entscheid ist endgültig,
denn nach Art. 83 lit. r BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht nicht zulässig gegen Entscheide auf dem
Gebiet der Krankenversicherung, die das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf
Art. 34 VGG getroffen hat. Art. 34 VGG in der ursprünglichen Fassung (AS 2006
2197) entsprach dem heutigen Art. 53 Abs. 1 KVG; mit der Änderung des KVG vom
21. Dezember 2007 (in Kraft ab 1. Januar 2009; AS 2008 2049) wurde Art. 34 VGG
aufgehoben und durch Art. 53 Abs. 1 KVG in der heutigen Fassung ersetzt, sodass
sich der Verweis in Art. 83 lit. r BGG heute auf Art. 53 Abs. 1 KVG bezieht
(Urteile 2C_104/2012 vom 25. April 2012 E. 1.3, 2C_825/2012 vom 25. April 2012
E. 1.2.4; THOMAS HÄBERLI, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Kommentar
zum BGG, 2. Aufl., 2011, N. 271a und 272 zu Art. 83 BGG).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin verkennt diese Rechtslage nicht. Sie bringt jedoch
vor, das Bundesverwaltungsgericht prüfe den Entscheid des Regierungsrates
gemäss Art. 49 VwVG nur auf seine Übereinstimmung mit dem Bundesrecht. Der
Kanton Aargau habe jedoch für das Verfahren der Spitalplanung eine spezielle
gesetzliche Regelung geschaffen, welche beim Entscheid des Regierungsrates
verletzt worden sei, was sie in den von ihr erhobenen Beschwerden gerügt habe.
Sofern das Bundesverwaltungsgericht diese kantonalrechtlichen Fragen nicht
prüfe, wäre Art. 29a BV verletzt, wenn auch das kantonale Verwaltungsgericht
diese Fragen nicht materiell prüfe.

2.2 Nach Art. 29a BV (in Kraft seit 1. Januar 2007) hat jedermann bei
Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde.
Bund und Kantone können durch Gesetz die richterliche Beurteilung in
Ausnahmefällen ausschliessen.

2.3 Nach der bis Ende 2006 geltenden Regelung waren die Entscheide der
Kantonsregierungen über die Spitalliste beim Bundesrat anfechtbar (Art. 53 Abs.
1 KVG in der ursprünglichen Fassung). Dessen Entscheid war nicht gerichtlich
anfechtbar (BGE 126 V 172 E. 5 S. 178 ff.; 132 V 6 E. 1 S. 8 f.; GEBHARD
EUGSTER, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl.,
2007, S. 656; THOMAS MATTIG, Grenzen der Spitalplanung aus
verfassungsrechtlicher Sicht, 2003, S. 141 f.). Das entspricht dem Umstand,
dass der Entscheid, ob ein Spital in die Spitalliste aufzunehmen sei, ein
primär politischer Entscheid ist (BGE 132 V 6 E. 2.4.1 S. 12).

2.4 Im Rahmen der auf den 1. Januar 2007 in Kraft gesetzten Justizreform sollte
einerseits die allgemeine Rechtsweggarantie verankert (Art. 29a BV),
andererseits auch der Bundesrat von Rechtspflegeaufgaben entlastet werden (vgl.
Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I
491). Dementsprechend wurde die Zuständigkeit zur Beurteilung von Beschwerden
betreffend die Spitalliste dem Bundesverwaltungsgericht übertragen, was zwar
atypisch ist, aber mit dem Anliegen begründet wurde, das Rechtsschutzbedürfnis
in diesem Bereich müsse auf eidgenössischer Ebene befriedigt werden.
Demgegenüber wurde eine Weiterzugsmöglichkeit an das Bundesgericht
ausgeschlossen mit der Begründung, dies komme aus Gründen der Überlastung des
Bundesgerichts nicht in Frage. Eine solche Weiterzugsmöglichkeit bestehe auch
bisher nicht; sie neu einzuführen käme einer Verlängerung des Instanzenzugs
gleich, was aber zu vermeiden sei, da diese Streitigkeiten möglichst rasch
rechtskräftig entschieden sein sollten (BBl 2001 4391). Dieses Bedürfnis nach
rascher Erledigung kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass Art. 53 Abs. 2 KVG
mehrere Verfahrensvorschriften enthält, die auf eine rasche Erledigung
abzielen. Der Bundesgesetzgeber wollte somit bewusst einerseits den
gerichtlichen Rechtsschutz im Bereich der Spitallisten einer eidgenössischen
und nicht einer kantonalen Behörde anheimstellen. Andererseits wollte er den
Weiterzug an das Bundesgericht ausschliessen, u.a. auch, um eine rasche
Erledigung solcher Streitigkeiten zu ermöglichen. Zu dieser Zielsetzung stünde
es in offensichtlichem Widerspruch, wenn die Kantone neben dem
Bundesverwaltungsgericht eine kantonale Rechtsmittelinstanz einsetzen würden,
deren Entscheide dann ans Bundesgericht weitergezogen werden könnten. Hinzu
käme, dass diese beiden parallelen Rechtsmittelwege zu widersprüchlichen
Ergebnissen führen könnten, ohne dass ein Mechanismus vorgesehen wäre, um dies
zu vermeiden.

2.5 Aus all diesen Überlegungen ergibt sich, dass Art. 53 KVG i.V.m. Art. 83
lit. r BGG den Rechtsmittelweg gegenüber kantonalen Spitallistenbeschlüssen
abschliessend regelt. Hat der Bundesgesetzgeber einen Bereich abschliessend
geregelt, wird eine Rechtsetzung durch die Kantone insoweit ausgeschlossen.
Eine trotzdem erlassene kantonale Regelung wäre bundesrechtswidrig (Grundsatz
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV; BGE 137 I
31 E. 4.1 S. 41; 136 I 220 E. 6.1 S. 224). Eine kantonale Regelung, die gegen
Entscheide über die Spitalliste parallel zur bundesrechtlich vorgesehenen
Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eine Rechtsmittelmöglichkeit an ein
kantonales Gericht vorsähe, wäre somit bundesrechtswidrig.

2.6 Daran ändert auch nichts, wenn der Kanton ergänzende materielle oder
verfahrensrechtliche Regelungen über die Spitalliste oder die Spitalplanung
erlassen hat. Schon unter früherem Recht war die Spitalplanung im Rahmen der
bundesrechtlichen Vorgaben kantonalrechtlich geregelt (BGE 125 V 448 E. 3b S.
453 f.). Trotzdem galt gegen Spitallistenentscheide der Rechtsmittelweg an den
Bundesrat (vorne E. 2.3), wodurch alle anderen Rechtsmittel ausgeschlossen
wurden, mit Einschluss der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG;
vgl. Urteil 2P.5/2000 vom 15. August 2000 E. 1a, in: Pra 2001 Nr. 24). Mit der
Justizreform wurde die Zuständigkeit des Bundesrates durch diejenige des
Bundesverwaltungsgerichts ersetzt, aber sonst nichts geändert (TOMAS POLEDNA/
PHILIPP DO CANTO, Gesundheitswesen und Vergaberecht - Von der öffentlichen
Aufgabe zum öffentlichen Auftrag, in: Poledna/Jacobs [Hrsg.], Gesundheitswesen
im wettbewerblichen Umfeld, 2010, S. 71 ff., 105). Anfechtungsgegenstand bleibt
der Spitallistenentscheid, selbst wenn dabei nebst Bundesrecht auch kantonales
Recht zu beachten ist. Alle sich stellenden Rechtsfragen sind im
spezialgesetzlich vorgesehenen Verfahren der Anfechtung der Spitalliste vom
Bundesverwaltungsgericht zu prüfen (POLEDNA/DO CANTO, a.a.O., S. 107).

2.7 Es trifft zu, dass das Bundesverwaltungsgericht die Anwendung kantonalen
Rechts nicht überprüft bzw. bloss daraufhin, ob dadurch Bundesrecht verletzt
wird (Art. 49 lit. a VwVG i.V.m. Art. 37 VGG), wozu auch die willkürliche
Anwendung kantonalen Rechts gehört (OLIVER ZIBUNG/ELIAS HOSTETTLER, in:
Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar zum VwVG, 2009, N. 10 zu Art.
49 VwVG; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des
Bundes, 2. Aufl., 1998, S. 222 f. N. 622; BGE 120 Ib 379 E. 1b S. 381 f.; 118
Ib 381 E. 2b/dd S. 393; Urteil 1A.204/2001 vom 22. Februar 2002 E. 5). Eine
freie Überprüfung kantonalen Rechts durch ein Gericht findet insoweit nicht
statt. Es handelt sich dabei um eine bundesgesetzliche Ausnahme von der
Rechtsweggarantie, wie sie in Art. 29a BV ausdrücklich vorbehalten ist. Anders
verhält es sich mit einem kantonalen Erlass, der die Bedingungen enthält, damit
eine Gesundheitseinrichtung überhaupt auf die Spitalliste kommen kann (vgl.
z.B. Urteil 2C_825/2011 vom 25. April 2012 E. 1.2, betreffend den Kanton
Neuenburg). Ein solcher unterliegt der abstrakten Normenkontrolle durch das
Bundesgericht (Art. 82 lit. b BGG). Der Ausnahmekatalog im Sinne von Art. 83
BGG, der bloss auf Entscheide Anwendung findet, ist nicht zu berücksichtigen
(Urteil 2C_825/2011 vom 25. April 2012 E. 1.2.4).

2.8 Das kantonale Gericht ist somit zu Recht auf die Beschwerde nicht
eingetreten. Es besteht daher auch kein Anlass, das Verfahren bis zum Entscheid
des Bundesverwaltungsgerichts zu sistieren.

3.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Die Beschwerdeführerin trägt
die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem
obsiegenden Kanton Aargau ist keine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 4. Kammer, sowie dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juni 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Kocher