Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.396/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_396/2012

Urteil vom 23. November 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Bevölkerungsschutz,
Sport und Militär des Kantons Bern,
Papiermühlestrasse 17, Postfach, 3000 Bern 22,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Wehrpflichtersatz 2008,

Beschwerde gegen das Urteil der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom 4.
April 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde am 8. Oktober 2004 für den Militärdienst als untauglich
erklärt. Seine Behinderung wurde dabei als nicht erheblich eingestuft.

B.
Mit Verfügung vom 12. Februar 2010 veranlagte das Amt für Bevölkerungsschutz,
Sport und Militär des Kantons Bern X.________ pro 2008 mit einer
Wehrpflichtersatzabgabe in der Höhe von Fr. 254.45 (inkl. Verzugszins).
X.________ machte mit Einsprache geltend, die Ersatzabgabe diskriminiere ihn
gegenüber Personen mit einer Behinderung von über 40 Prozent, gegenüber
Personen, die den Militärdienst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten,
sowie gegenüber Frauen und verstosse gegen die Europäische Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR
0.101). Das Amt für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär des Kantons Bern wies
die Einsprache mit Entscheid vom 21. April 2010 ab und trat mit Verfügung
gleichen Datums auf ein von X.________ sinngemäss gestelltes Revisionsgesuch
betreffend Rückzahlung aller bezahlten Ersatzabgaben nicht ein. Die dagegen
erhobene Beschwerde wies die Steuerrekurskommission des Kantons Bern mit
Entscheid vom 4. April 2012 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, die Verfügung
vom 12. Februar 2010 des Amts für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär des
Kantons Bern sowie das Urteil der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom
4. April 2012 aufzuheben und festzustellen, dass die Erhebung des
Militärpflichtersatzes in seinem Fall zu einer ungerechtfertigten
Diskriminierung führe und darauf zu verzichten sei. Auf seine Begründung ist in
den Entscheiderwägungen einzugehen.
Die Steuerrekurskommission des Kantons Bern und die Eidgenössische
Steuerverwaltung, Wehrpflichtersatzabgabe, beantragen die Abweisung der
Beschwerde. Das Amt für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär des Kantons Bern
hat sich nicht fristgerecht geäussert. X.________ nimmt mit Eingabe vom 24.
August 2012 zur Vernehmlassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung Stellung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde ist innert der gesetzlichen Frist (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG)
eingereicht worden und betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts im
Sinn von Art. 82 lit. a BGG. Der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. i BGG ist
vorliegend nicht anwendbar, da Streitigkeiten bezüglich Wehrpflichtersatz von
dieser Bestimmung nicht erfasst sind (vgl. Art. 31 Abs. 3 des Bundesgesetzes
vom 12. Juni 1959 über die Wehrpflichtersatzabgabe [WPEG; SR 661]). Kantonale
Rekursbehörde ist die Steuerrekurskommission des Kantons Bern (Art. 2 der
Verordnung des Kantons Bern vom 28. Januar 2004 betreffend den Vollzug des
Bundesgesetzes über die Wehrpflichtersatzabgabe [BWPEV; BSG 668.61]); deren
Entscheid kann gemäss Art. 31 Abs. 3 WEPG beim Bundesgericht angefochten
werden. Die Steuerrekurskommission des Kantons Bern ist somit eine letzte
kantonale Instanz im Sinn von Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG (vgl. auch Urteil
2C_221/2009 vom 21. Januar 2010 E. 1.2).
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
grundsätzlich zulässig. Soweit damit die Aufhebung der Verfügung des Amtes für
Bevölkerungsschutz, Sport und Militär des Kantons Bern verlangt wird, kann
darauf nicht eingetreten werden (Devolutiveffekt; vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d
BGG; BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit Hinweis).

1.2 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
namentlich eine Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonalen
verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 95 BGG). Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten, insbesondere des
Willkürverbots, gilt zudem eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG;
vgl. BGE 136 I 229 E. 4.1 S. 235 mit Hinweisen). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105
Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf
einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Erhebung der
Wehrpflichtersatzabgabe führe in seinem Fall zu einer Diskriminierung gegenüber
den Personen, welche einen zivilen Ersatzdienst leisten können, gegenüber
Personen mit einer Behinderung von über 40 Prozent sowie gegenüber Personen
weiblichen Geschlechts. Er rügt eine Verletzung von Art. 8 BV sowie von Art. 14
EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK.

2.2 Art. 8 Abs. 1 BV stellt den allgemeinen Gleichheitssatz auf. Nach Art. 8
Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich wegen der Herkunft, der
Rasse oder des Geschlechts oder wegen einer körperlichen, geistigen oder
psychischen Behinderung. Art. 8 Abs. 3 erster Satz BV statuiert die
Gleichberechtigung von Mann und Frau. Zudem gilt nach dem zweiten Satz von Art.
8 Abs. 3 BV ein Gleichstellungsgebot.
Die Bundesverfassung sieht eine allgemeine Pflicht zur Leistung von
Militärdienst nur für Männer vor (Art. 59 Abs. 1 BV). Für Frauen ist der
Militärdienst freiwillig (Art. 59 Abs. 3 BV).

2.3 Art. 14 EMRK enthält - wie Art. 8 BV - ein Diskriminierungsverbot.
Untersagt ist nach dieser Vorschrift die Diskriminierung u.a. wegen des
Geschlechts, der Geburt oder eines sonstigen Status. Art. 14 EMRK gilt nicht
wie Art. 8 Abs. 1 BV umfassend, sondern setzt die Anwendbarkeit eines anderen
durch die Konvention garantierten Grundrechts voraus (vgl. BGE 134 I 257 E. 3
S. 260; 130 II 137 E. 4.2 S. 146).

3.
Soweit der Beschwerdeführer eine Diskriminierung gegenüber Personen weiblichen
Geschlechts geltend macht, erfüllt seine Beschwerde mangels jeglicher
Begründung die Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (vgl. im Übrigen
Urteil 2C_221/2009 vom 21. Januar 2011).
Zu prüfen bleibt dagegen die behauptete Diskriminierung gegenüber Personen,
welche einen zivilen Ersatzdienst leisten können, sowie gegenüber Personen mit
einer Behinderung von über 40 Prozent.

4.
4.1 Schweizer Bürger, die ihre Wehrpflicht nicht oder nur teilweise durch
persönliche Dienstleistung im Militär oder im zivilen Ersatzdienst
(Zivildienst) erfüllen, haben einen Ersatz in Geld zu leisten (Art. 59 Abs. 3
BV). Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a WPEG sind diejenigen Wehrpflichtigen
ersatzpflichtig, die im Ersatzjahr, das dem Kalenderjahr entspricht, während
mehr als sechs Monaten nicht in einer Formation der Armee eingeteilt sind und
nicht der Zivildienstpflicht unterstehen.
Gemäss Art. 11 WPEG wird die Ersatzabgabe nach der Gesetzgebung über die
direkte Bundessteuer auf dem gesamten Reineinkommen erhoben, das der
Ersatzpflichtige im In- und Ausland erzielt. Die Ersatzabgabe beträgt drei
Franken je 100 Franken des taxpflichtigen Einkommens, mindestens aber 200
Franken (Art. 13 Abs. 1 WPEG in der für die Jahre 2006 bis 2009 massgeblichen
Fassung vom 4. Oktober 2002 [AS 2003 3707]) bzw. seit dem Jahr 2010 mindestens
400 Franken (Art. 13 Abs. 1 WPEG). Ist der Ersatzpflichtige im Zivilschutz
eingeteilt, so ermässigt sich die Ersatzabgabe für jeden Tag Schutzdienst, den
er im Ersatzjahr geleistet hat, um 4 Prozent (Art. 5a der Verordnung vom 30.
August 1995 über die Wehrpflichtersatzabgabe [WPEV; SR 661.1]).

4.2 Der Beschwerdeführer wurde aus gesundheitlichen Gründen für
militärdienstuntauglich erklärt. Er kann daher weder Militär- noch Zivildienst
leisten. Er ist jedoch tauglich, um zivilen Schutzdienst zu leisten und wurde
in die Reserve des Zivilschutzes eingeteilt.

4.3 Der EGMR hat im Urteil Glor gegen Schweiz vom 30. April 2009 (13444/04)
festgestellt, im Licht des Zwecks und des Effekts der
Militärpflichtersatzabgabe erweise sich die von den Schweizer Behörden
vorgenommene Unterscheidung insbesondere zwischen abgabebefreiten und
abgabepflichtigen militärdienstuntauglichen Personen als diskriminierend und
verletze Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK (a.a.O. § 97 f.). Wesentlich war dabei für
den EGMR u.a., dass der damalige Beschwerdeführer stets erklärte, er sei
bereit, Militärdienst zu leisten, dazu von den zuständigen Instanzen jedoch als
untauglich erklärt wurde (vgl. a.a.O. § 94). Der EGMR erblickte die
Diskriminierung insbesondere darin, dass der damalige Beschwerdeführer zwar
infolge einer Behinderung als militärdienstuntauglich erklärt, aber - anders
als andere, schwerer behinderte Personen - nicht von der Ersatzpflicht befreit
wurde, weil seine Behinderung nicht als erheblich eingestuft wurde. Im Weiteren
hatte das Gericht Anstoss daran genommen, dass dem Beschwerdeführer, welcher
immer bereit gewesen sei, Militärdienst zu leisten, keine
Ersatzdienstmöglichkeit offengestanden habe.
4.3.1 Der vorliegende Fall liegt in mehrfacher Hinsicht anders.
Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer hätte gegen den
Entscheid, mit dem er als militärdienstuntauglich erklärt und seine Behinderung
als nicht erheblich eingestuft wurde, Beschwerde erheben können, was er
unterlassen habe. Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht, sondern macht
geltend, er sei zum Zeitpunkt der Aushebung sehr jung gewesen und habe kein
Wissen darüber gehabt, dass eine solche Beschwerde möglich sei. Zudem sei es
ihm zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen abzuschätzen, welche Folgen die
Untauglichkeit für ihn später einmal haben würde. Diese Unkenntnis vermag
jedoch nichts daran zu ändern, dass er nicht - weder unmittelbar nach dem
Entscheid der Untersuchungskommission noch zu einem späteren Zeitpunkt -
dargetan hat, er wolle Militärdienst leisten.
Im Weiteren liegt ein grundlegender Unterschied darin, dass der
Wehrpflichtersatzabgabepflichtige im zitierten EGMR-Urteil (vgl. E. 4.3) sowohl
militärdienst- wie auch zivilschutzdienstuntauglich war und ihm mithin jegliche
Möglichkeit genommen war, eine Dienstleistung in anderer als militärischer Form
zu erfüllen (ziviler Ersatzdienst, Zivilschutzdienst). Demgegenüber wurde der
Beschwerdegegner im ihn betreffenden Entscheid der Armee zwar als untauglich im
Hinblick auf den Militärdienst erklärt, jedoch als tauglich im Hinblick auf das
Leisten von Zivilschutzdienst beurteilt. Wie erwähnt kann gemäss Art. 5a WPEV
mit der Leistung von Schutzdienst die Ersatzabgabe um 4 Prozent pro Tag
ermässigt werden, d.h. bei Leistung von 25 Tagen Schutzdienst entfällt die
Ersatzabgabe vollständig. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei wohl
zivilschutzpflichtig gewesen, jedoch bloss in die Reserve eingeteilt worden,
was ihm verunmöglicht habe, den zu bezahlenden Betrag durch Leistung von
Zivilschutztagen zu verringern. Massgebend ist jedoch, dass er nicht dartut,
sich darum bemüht zu haben, effektiv Zivilschutz leisten zu können. Sein
Vorbringen in der Eingabe vom 24. August 2012, wonach er anlässlich einer nicht
zu verhindernden Dienstverschiebung mitgeteilt habe, die Kursinhalte würden ihn
interessieren, vermag ein derartiges Bemühen nicht zu belegen. Er legt denn
auch trotz dieses Hinweises nicht dar, dass er sich bemüht hätte, den
verschobenen Dienst zu absolvieren. Solange der Betroffene nicht wenigstens
durch Gesuchseinreichung ein grundsätzliches Interesse an der Erbringung einer
derartigen Dienstleistung zu erkennen gibt, durch welche er es in der Hand
hätte, die geschuldete Wehrpflichtersatzabgabe massgeblich zu senken, kann die
Erhebung der Abgabe nicht als diskriminierend qualifiziert werden.
4.3.2 Hatte nach dem Gesagten der Beschwerdeführer bereits im Grundsatz die
Möglichkeit, seine Dienstpflicht real - durch Erbringung des
Zivilschutzdienstes - zu erfüllen und so die geschuldete
Wehrpflichtersatzabgabe massgeblich zu senken, bestand - solange er von dieser
Möglichkeit keinen Gebrauch machte - im Unterschied zu dem im EGMR-Urteil Glor
beurteilten Sachverhalt auch keine Veranlassung, ihn von der Abgabepflicht
auszunehmen. Der Beschwerdeführer zeigt im Übrigen nicht auf, inwieweit sich
daraus die von ihm behauptete Diskriminierung gegenüber Personen ergibt, welche
aus Gewissensgründen einen längeren Zivildienst leisten, oder gegenüber
Personen mit einer Behinderung von über 40 Prozent.

5.
Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. Bei diesem Ausgang sind die
Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 65 und 66 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, der Steuerrekurskommission des
Kantons Bern und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. November 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Die Gerichtsschreiberin: Genner