Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.361/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_361/2012

Urteil vom 19. September 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
Gerichtsschreiber Winiger.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld,

gegen

Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Hasler,
Beschwerdegegner,

Departement für Finanzen und Soziales
des Kantons Thurgau,
Schlossmühlestrasse 9, 8510 Frauenfeld.

Gegenstand
Entbindung vom Berufsgeheimnis,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
15. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ unterzog sich am 6. Januar 2003 im Rahmen der Behandlung eines
Prostatakarzinoms einer Operation am Spital A.________. Zu diesem Zeitpunkt war
Dr. med. Y.________ als Oberarzt im Spital A.________ tätig und an der
Operation sowie der Vor- und Nachbehandlung beteiligt.

Am 8. März 2010 erhob X.________ gestützt auf zürcherisches Haftungsrecht Klage
gegen den Zweckverband "Spitalverband A.________". Er wirft den beteiligten
Ärzten Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Operation vom 6. Januar 2003
vor. Das angerufene Bezirksgericht Dietikon beschränkte zunächst das
Prozessthema auf die Frage der Verjährung/Verwirkung und wies mit Urteil vom
26. Oktober 2011 die Klage infolge Verjährung des Anspruchs ab. Das Urteil ist
noch nicht in Rechtskraft erwachsen.

B.
Am 25. August 2011 hatte Dr. med. Y.________ zuvor beim Departement für
Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau (DFS) ein Gesuch um Entbindung von
der ärztlichen Schweigepflicht gestellt. Er begründete dieses mit der hängigen
Klage. Da er gegenwärtig Chefarzt der urologischen Klinik des Kantonsspitals
B.________ sei, wende er sich mit seinem Gesuch an die Behörden des Kantons
Thurgau. Mit Entscheid vom 29. September 2011 hiess das DFS das Gesuch um
Entbindung vom Berufsgeheimnis betreffend X.________ "im Sinne der Erwägungen"
gut. Dagegen erhob X.________ Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau und machte geltend, "mangels Zuständigkeit" sei auf das Gesuch von Dr.
med. Y.________ nicht einzutreten. Mit Urteil vom 15. Februar 2012 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde ab.

C.
Mit Eingabe vom 23. April 2012 erhebt X.________ Beschwerde an das
Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

Das Departement für Finanzen und Soziales sowie das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdegegner
beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Mit Verfügung vom 29. Mai 2012 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende
Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
1.1 Die fristgerecht eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ist gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des
Verwaltungsgerichts grundsätzlich zulässig (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. d und Abs. 2, Art. 90 und Art. 100 BGG). Es ist kein Ausschlussgrund nach
Art. 83 BGG gegeben.

1.2 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen
oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen
Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen
Aufhebung oder Änderung besitzt (Art. 89 Abs. 1 BGG).

Der Beschwerdeführer führt als Hauptargument an, der Kanton Thurgau habe eine
"Kompetenzanmassung" vorgenommen: Nicht der Kanton Thurgau, sondern die
Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich sei zuständig für die Entbindung des
Beschwerdegegners vom Berufsgeheimnis. Der Beschwerdeführer übersieht dabei,
dass die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich mit Schreiben vom 2. September
2011 den Beschwerdegegner von der ärztlichen Schweigepflicht in Bezug auf den
vorliegenden Fall entbunden hat. Damit ist mangels Rechtsschutzinteresse
insoweit nicht auf die Beschwerde einzutreten, als damit geltend gemacht wird,
die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich sei für die beantragte Entbindung
zuständig (vgl. Urteil 2C_57/2010 vom 4. Dezember 2010 E. 1).

1.3 Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da
die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art.
107 Abs. 2 BGG), darf sich die Beschwerde grundsätzlich nicht darauf
beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu beantragen, sondern
muss einen Antrag in der Sache stellen (BGE 134 III 379 E. 1.3 S. 383; 133 III
489 E. 3.1 S. 489 f.; s. allerdings auch BGE 133 II 409 E. 1.4.1 S. 414 f.).
Der Beschwerdeführer stellt einen rein kassatorischen Antrag. Aus der
Begründung der Beschwerde, die zur Interpretation des Rechtsbegehrens
beigezogen werden kann, ist jedoch ersichtlich, dass es ihm darum geht, zu
prüfen, ob der Kanton Thurgau den Beschwerdegegner zu Recht von der ärztlichen
Schweigepflicht entbunden hat. Die Beschwerde erweist sich damit auch unter
diesem Gesichtspunkt als zulässig (vgl. BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317).

2.
2.1 Welche Behörde für die Entbindung vom Amtsgeheimnis zuständig ist, ergibt
sich aus dem in der Sache anwendbaren Bundesrecht bzw. kantonalen oder
kommunalen Recht (vgl. Urteil 6P.22/2007 vom 21. August 2007 E. 5.10.2.3.1 mit
Hinweisen). Auch nach Beendigung eines Amtsverhältnisses bleibt zwar
grundsätzlich die bisherige Aufsichtsbehörde für die Entbindung vom
Amtsgeheimnis zuständig (vgl. BGE 123 IV 75 E. 1c S. 76). Die Thurgauer
Behörden haben sich hier jedoch gestützt auf kantonales Recht (§ 18 des
Gesetzes [des Kantons Thurgau] über das Gesundheitswesen vom 15. Juni 1985
[Gesundheitsgesetz; RB 810.1]) auf die Verschwiegenheitspflicht berufen und
sich als kantonal zuständige Behörde für die Entbindung vom Berufsgeheimnis
betrachtet.

2.2 Mit der Beschwerde beim Bundesgericht kann die Verletzung von Bundesrecht
und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und lit. b BGG). Die Verletzung
kantonalen Rechts ist hingegen vor Bundesgericht - abgesehen von den Fällen
gemäss Art. 95 lit. c-e BGG - kein selbstständiger Rügegrund, sondern kann nur
daraufhin überprüft werden, ob damit Bundesrecht verletzt wird, wozu namentlich
auch eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts gehört (vgl. BGE 138 I 143
E. 2 S. 149 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von
Grundrechten (mit Einschluss des Willkürverbots) und von kantonalem und
interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Da die
qualifizierte Rügepflicht hier nicht eingehalten ist, besteht kein Anlass, sich
näher mit den kantonalen Vorschriften über das Berufsgeheimnis
auseinanderzusetzen.

Dies gilt umso mehr, als auch eine Entbindungserklärung des Kantons Zürich
vorliegt (vgl. E. 1.2 hiervor), da der Beschwerdegegner in beiden Kantonen ein
entsprechendes Gesuch gestellt hat. Entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers führt eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs im
Rahmen der Entbindung im Kanton Zürich auch nicht automatisch zur Nichtigkeit
der Entbindungserklärung.

2.3 Als Spitalarzt fällt der Beschwerdegegner in den Anwendungsbereich von Art.
321 StGB (Verletzung des Berufsgeheimnisses; vgl. TRECHSEL ET AL.,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2008, Art. 321 N. 9). Ob hier zusätzlich auch
- wie der Beschwerdeführer ausführt - Art. 320 StGB (Verletzung des
Amtsgeheimnisses) eine Rolle spielt, ist nicht weiter entscheidend, bildet doch
Beschwerdegegenstand bloss die Entbindung vom Berufsgeheimnis wie sie der
Kanton Thurgau am 29. September 2011 verfügt hat. Eine Entbindung ist in beiden
Fällen möglich (vgl. Art. 320 Ziff. 2 bzw. Art. 321 Ziff. 2 StGB).

2.4 Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern der angefochtene Entscheid
bundesrechtswidrig sein soll: Der Beschwerdegegner hat ein legitimes Interesse
daran, sich bereits im Prozess gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber gegen
spätere Regressforderungen abzusichern. Im Gegenzug erscheinen die
Geheimhaltungsinteressen des Beschwerdeführers eher gering. Insgesamt beruht
die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten an der Geheimhaltungspflicht
und den Interessen des Arztes daran, seine Verfahrensrechte in einem
Haftungsprozess genügend wahrzunehmen, auf nachvollziehbaren Überlegungen (vgl.
angefochtener Entscheid E. 3). Daran vermag auch der Umstand, dass die
Vorinstanz im angefochtenen Entscheid auf die Regelung der Streitverkündung
gemäss ZPO (SR 272) Bezug genommen hat, obwohl es vorliegend um ein
Staatshaftungsverfahren geht, nichts zu ändern. Ebenso wenig kann der
Beschwerdeführer daraus, dass das Haftpflichtverfahren zur Zeit auf die
Verjährungsfrage beschränkt ist, etwas zu seinen Gunsten ableiten: Die
Entbindung erfolgte "im Sinne der Erwägungen", d.h. im Hinblick auf eine
allfällige materielle Fortsetzung des Haftpflichtverfahrens; die Entbindung
würde somit gegenstandslos, wenn die Verjährung der Ansprüche des
Beschwerdeführers rechtskräftig bejaht werden sollte.

2.5 Die Entbindung des Beschwerdegegners vom Berufsgeheimnis lässt sich auch
unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht beanstanden (vgl. Urteil
2P.206/1999 vom 19. Juli 1999 E. 3c mit Hinweisen). Insbesondere vermögen die
Rügen, Art. 13, 30 und 36 BV seien verletzt, die Begründungsanforderungen von
Art. 106 Abs. 2 BGG (vgl. E. 2.2 hievor) nicht ansatzweise zu erfüllen.

Für alles Weitere kann ergänzend auf die Ausführungen im Urteil des
Verwaltungsgerichts verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.
Die Beschwerde erweist sich nach dem Dargelegten als offensichtlich unbegründet
und ist daher im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer
Begründung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Diesem Ausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65 f. BGG). Zudem schuldet er
dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. September 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Winiger