Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.331/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_331/2012

Urteil vom 29. Oktober 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiber Egli.

Verfahrensbeteiligte
1. X.________,
vertreten durch seine Mutter, Y.________,
2. Z.________,
beide vertreten durch Fürsprecher Peter Huber,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern,
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, Beschwerdedienst.

Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12.
März 2012.

Erwägungen:

1.
Z.________ (geb. 1972), Staatsangehöriger von Gambia, reiste am 21. März 2000
in die Schweiz ein und stellte unter falscher Identität ein Asylgesuch, auf das
nicht eingetreten wurde. Ab Dezember 2002 galt er als untergetaucht. Am 21.
November 2004 reiste Z.________ zur Vorbereitung der Eheschliessung erneut in
die Schweiz ein und heiratete am 11. Januar 2005 eine Schweizer Bürgerin. In
der Folge erhielt er eine zuletzt bis zum 27. Oktober 2009 verlängerte
Aufenthaltsbewilligung. Am 1. Juni 2009 hoben die Eheleute den gemeinsamen
Haushalt auf. In den Jahren 2005 bis 2011 wurde Z.________ insgesamt elfmal zu
geringen Strafen verurteilt, hauptsächlich wegen Verstössen gegen das
Betäubungsmittelgesetz (Besitz und Konsum von Marihuana). Z.________ bezieht
Sozialhilfe.
Mit Verfügung vom 26. Januar 2011 verweigerte das Amt für Migration und
Personenstand des Kantons Bern die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von
Z.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. Hiergegen erhob er Beschwerde bei
der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern und anerkannte während
dieses Beschwerdeverfahrens am 14. März 2011 die Vaterschaft gegenüber seinem
Sohn X.________ (geb. 2003), der die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt. Die
Beschwerde wurde am 3. November 2011 abgewiesen. Das dagegen erhobene
Rechtsmittel von Z.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 12.
März 2012 ab.
Vor Bundesgericht beantragen Z.________ und X.________, das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12. März 2012 aufzuheben und die erste
Instanz anzuweisen, die Aufenthaltsbewilligung von Z.________ zu verlängern.
Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu
ergänzender Abklärung und neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Am 19. April 2012 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde aufschiebende
Wirkung zuerkannt. Innert Frist reichten die Beschwerdeführer am 30. April 2012
eine Beschwerdeergänzung ein. Es wurde ein Schriftenwechsel durchgeführt.

2.
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet, soweit sie
überhaupt den gesetzlichen Begründungs- und Rügeanforderungen genügt; sie kann
ohne Weiterungen mit summarischer Begründung im vereinfachten Verfahren nach
Art. 109 BGG erledigt werden.

2.1 Die Beschwerdeführer machen in vertretbarer Weise eine Verletzung von Art.
8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV geltend; die Beschwerde ist insoweit
zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; vgl. BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f.; 135
II 1 E. 1.2 S. 4 ff.). Der Beschwerdeführer 2 rügt darüber hinaus eine
Verletzung von Art. 50 AuG (SR 142.20), worauf mit Bezug auf Art. 50 Abs. 1
lit. a AuG einzutreten ist, da die Ehegemeinschaft mehr als drei Jahre gedauert
hat, während ein nachehelicher ausländerrechtlicher Härtefall (Art. 50 Abs. 1
lit. b AuG) mit Bezug auf das nicht eheliche Kind nicht ersichtlich ist und
auch anderweitig in der Beschwerde nicht dargetan wird (Urteil 2C_536/2012 vom
18. September 2012 E. 1.2).

2.2 Auf die Eingabe ist mangels Beschwerdebefugnis nicht einzutreten, soweit
erstmals vor Bundesgericht (auch) im Namen des Kindes (Beschwerdeführer 1)
Beschwerde erhoben wird: Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ist nur befugt, wer bereits vor der Vorinstanz am Verfahren
beteiligt war oder dort unverschuldet nicht teilnehmen konnte (Art. 89 Abs. 1
lit. a BGG [formelle Beschwer]; BGE 133 II 181 E. 3.2 S. 187 mit Hinweisen).
Vorliegend haben die Eltern in Kenntnis des laufenden Verfahrens darauf
verzichtet, sich um einen Verfahrenseinbezug des Beschwerdeführers 1 vor der
Vorinstanz zu bemühen. Damit haben sie es unterlassen, im vorinstanzlichen
Verfahren zu intervenieren, obwohl ihnen dies bei der gebotenen Aufmerksamkeit
möglich gewesen wäre (BGE 138 V 161 E. 2.5.1 S. 165 f.; HANSJÖRG SEILER, in:
Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 13 zu Art. 89 BGG).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer war die Vorinstanz gestützt auf
Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des
Kindes (UNO-Kinderrechtskonvention, UNO-KRK; SR 0.107) nicht verpflichtet, das
Kind von Amtes wegen zur Beteiligung am Verfahren aufzufordern oder das Kind
von Amtes wegen persönlich anzuhören. Der justiziable Anhörungsanspruch nach
Art. 12 Abs. 2 UNO-KRK wurde vielmehr dadurch gewahrt, dass das vorinstanzliche
Verfahren den Eltern genügend Möglichkeit bot, die Kindesinteressen angemessen
in das Verfahren einzubringen, und der Standpunkt des Kindes auch tatsächlich
in das Verfahren einfloss (Urteile 2C_247/2012 vom 2. August 2012 E. 3.2 mit
Hinweisen; 2C_372/2008 vom 25. September 2008 E. 2; 2D_21/2007 vom 9. August
2007 E. 4.2; BGE 124 II 361 E. 3c S. 368): Der anwaltlich vertretene Vater
(Beschwerdeführer 2) hat sich in seiner vorinstanzlichen Beschwerdeschrift zu
den Kindesinteressen geäussert und zusätzlich ein Schreiben der Mutter als
gesetzlicher Vertreterin des Beschwerdeführers 1 eingereicht; eine persönliche
Anhörung des Kindes wurde nicht beantragt. Die von den Beschwerdeführern
vorgebrachten Elemente der Offizial- und Untersuchungsmaxime mögen zwar
geeignet sein, eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu fördern. Doch es
handelt sich hierbei um Fragen der optimalen Verfahrensausgestaltung, die in
erster Linie vom Gesetzgeber zu beantworten sind (vgl. JOHANNES REICH, "Schutz
der Kinder und Jugendlichen" als rechtsnormatives und expressives
Verfassungsrecht, ZSR 131/2012 S. 363 ff., 377 ff.).
Inwiefern aus Art. 13 EMRK weitergehende Ansprüche fliessen sollen, wird von
den Beschwerdeführern nicht näher ausgeführt (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137
II 305 E. 3.3 S. 310 f.) und ist nach dem eben Ausgeführten auch nicht
ersichtlich (vgl. dazu z.B. Urteil des EGMR Nada gegen die Schweiz vom 12.
September 2012, §§ 207 f.).

2.3 In materieller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer 2 eine Verletzung von
Art. 8 EMRK, Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 50 AuG. Allerdings erschöpft sich die
Beschwerdeschrift über weite Strecken in appellatorischer Kritik am
vorinstanzlichen Verfahren, worauf gestützt auf Art. 42 Abs. 2 BGG nicht
einzutreten ist (BGE 134 II 244 E. 2.1-2.3 S. 245 ff.). Materiellrechtlich ist
auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids abzustellen;
nachträglich eingetretene Tatsachen und Beweismittel ("echte Noven") bleiben
damit unberücksichtigt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.;
BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 26 zu Art. 99 BGG). Soweit
der Beschwerdeführer 2 schliesslich seine Replik zur Beschwerdeergänzung
verwendet, sind seine Ausführungen ebenfalls nicht zu berücksichtigen (BGE 132
I 42 E. 3.3.4 S. 47).
Die Vorinstanz hat einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung
gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG zu Recht verneint. Besonders mit Blick
auf die fortgesetzte Betäubungsmitteldelinquenz und die Sozialhilfeabhängigkeit
des Beschwerdeführers 2 kann nicht von einer "erfolgreichen Integration" im
Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG gesprochen werden (Urteile 2C_704/2012 vom
23. Juli 2012 E. 4.3; 2C_668/2011 vom 23. Juli 2012 E. 3.2.1; 2C_329/2012 vom
29. Juni 2012 E. 2.2; je mit Hinweisen). Was der Beschwerdeführer 2 dagegen
vorbringt, ist unbehelflich, will er doch seine Straftaten in appellatorischer
Kritik dadurch "relativiert" sehen, dass er die von ihm als
"Fehlverurteilungen" bezeichneten rechtskräftigen Strafentscheide auf ein
diskriminierendes Verhalten der staatlichen Behörden zurückführt.
Aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV kann der Beschwerdeführer 2 ebenfalls
keinen Anspruch ableiten: Gestützt auf diese Normen hat der nicht sorge- bzw.
obhutsberechtigte Ausländer ausnahmsweise dann einen Anspruch auf Erteilung
einer Aufenthaltsbewilligung, wenn zwischen ihm und seinem Kind in
wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung besteht,
die - würde eine Bewilligung verweigert - wegen der Distanz zwischen der
Schweiz und dem Land, in das der Ausländer vermutlich auszureisen hätte,
praktisch nicht aufrechterhalten werden könnte. Zudem muss sich der Ausländer
tadellos verhalten haben (Urteil 2C_336/2012 vom 3. August 2012 E. 3.2 mit
Hinweisen). Die Vorinstanz hat zu Recht und in tatsächlicher Hinsicht für das
Bundesgericht verbindlich entschieden, dass weder in wirtschaftlicher noch in
affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung vorliegt. Namentlich
anerkannte der Beschwerdeführer 2 seinen damals knapp achtjährigen Sohn erst,
nachdem die Wegweisung aus der Schweiz erstinstanzlich verfügt worden war. In
all den Jahren zuvor bestand kein nennenswerter Kontakt zwischen Vater und
Sohn. Die Entfernungsmassnahme griff somit nicht in ein intaktes und
tatsächlich gelebtes Familienleben ein. Die Vorinstanz hat durchaus gewürdigt,
dass sich der Beschwerdeführer 2 nach der Kindesanerkennung um den Aufbau einer
Vater-Sohn-Beziehung bemühte. Doch innerhalb eines Jahres zwischen
Kindesanerkennung und vorinstanzlichem Entscheid konnte sich keine besonders
enge Vater-Sohn-Beziehung entwickeln. Inwiefern die diesbezüglichen
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sein
sollen (Art. 105 Abs. 2 BGG), zeigt der Beschwerdeführer 2 nicht auf. Wenn er
sich nun erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren einlässlich zum
Vater-Sohn-Verhältnis äussert und zahlreiche neue Beweismittel auflegt, so
erfolgt dies verspätet (Art. 99 Abs. 1 BGG). Offen lassen konnte die
Vorinstanz, ob der Anspruch nicht auch deswegen entfällt, weil sich der
Beschwerdeführer 2 nicht "tadellos" verhalten hat, wobei vorliegend vor allem
das fortwährende kriminelle Verhalten negativ ins Gewicht fällt.
Der angefochtene Entscheid verletzt nach dem Gesagten weder Art. 50 AuG noch
Art. 8 EMRK oder Art. 13 Abs. 1 BV. Für alles Weitere kann auf die Ausführungen
im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer 2
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG), wobei seiner finanziellen Lage bei der
Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen ist (Art. 65 Abs. 2 BGG). Auf
die Zusprechung einer Parteientschädigung besteht kein Anspruch (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer 2 auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Oktober 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Egli