Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.295/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_295/2012

Urteil vom 5. September 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Hänni.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.

Gegenstand
Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4.
Kammer, vom 22. Februar 2012.

Erwägungen:

1.
1.1 X.________ (geboren 1972) stammt aus dem Kosovo. Sie reiste im August 2009
in die Schweiz ein und heiratete am 17. Oktober 2009 Y.________, Schweizer
Bürger kosovarischer Abstammung. X.________ erhielt eine Aufenthaltsbewilligung
zum Verbleib bei ihrem Gatten.
Am 8. April 2010 erstattete X.________ Anzeige gegen ihren Ehemann und warf
diesem vor, sie mit der flachen Hand und mit der Faust ins Gesicht geschlagen
zu haben. Die Stadtpolizei Zürich verfügte in der Folge gegen Y.________ ein
Kontaktverbot; X.________ hielt sich anschliessend für zwei Monate in einem
Frauenhaus auf. Mit Verfügung vom 30. Juni 2010 bestrafte das Stadtrichteramt
Zürich Y.________ wegen Tätlichkeiten mit einer Busse von Fr. 300.--. Das
eheliche Zusammenleben wurde nicht mehr aufgenommen.

1.2 Mit Verfügung vom 6. Oktober 2010 widerrief das Migrationsamt die
Aufenthaltsbewilligung von X.________. Einen hiergegen gerichteten Rekurs wies
die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 13. Oktober 2011 ab; die dagegen
erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich blieb ohne
Erfolg.

1.3 Mit Beschwerde vom 26. März 2012 beantragt X.________, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 22. Februar 2012 aufzuheben; ihr sei eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen resp. diese sei ihr zu verlängern.
Eventualiter sei ihre Ausreisefrist neu auf den 31. Dezember 2012 festzulegen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat darauf verzichtet, sich vernehmen
zu lassen. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und das Bundesamt für
Migration beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
Mit Verfügung vom 30. März 2012 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

2.
Ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern haben unter Vorbehalt von Art. 51
Abs. 1 AuG (SR 142.20) Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihrem Partner zusammenwohnen (Art. 42 Abs.
1 AuG). Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven
Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert
und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat
(Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG; BGE 136 II 113 E. 3.3.3). Eine (relevante)
Ehegemeinschaft liegt vor, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt
wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht. Dabei ist im Wesentlichen auf die
Dauer der nach aussen wahrnehmbaren ehelichen Wohngemeinschaft abzustellen (BGE
137 II 345 E. 3.1.2 f. S. 347). Die Beschwerdeführerin und ihr Gatte haben sich
gemäss den Angaben des Ehemanns im Januar 2010 bzw. - gemäss den Angaben der
Gattin - Anfang April 2010 getrennt. Ihre Ehegemeinschaft in der Schweiz hat
damit nicht drei Jahre, sondern lediglich 3 bis maximal 6 Monate gedauert,
weshalb Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG keine Anwendung findet.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Unrecht auf einen Härtefall im Sinne
von Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AuG. Danach besteht der
Bewilligungsanspruch fort, wenn "wichtige persönliche Gründe" einen weiteren
Aufenthalt der betroffenen Person in der Schweiz "erforderlich" machen. Nach
Art. 50 Abs. 2 AuG und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 136 II 1 E.
5 S. 3 ff.) kann dies namentlich der Fall sein, wenn die ausländische Person
mit abgeleitetem Aufenthaltsrecht Opfer ehelicher Gewalt geworden ist oder wenn
ihre soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint.
Dabei ist etwa an geschiedene Frauen (mit Kindern) zu denken, welche in ein
patriarchalisches Gesellschaftssystem zurückkehren und dort wegen ihres Status
als Geschiedene mit Diskriminierungen oder Ächtungen rechnen müssen. Mögliche
weitere Anwendungsfälle bilden (gescheiterte) unter Zwang eingegangene Ehen
oder solche im Zusammenhang mit Menschenhandel (BGE 137 II 345 E. 3.2.2).
Sowohl die eheliche Gewalt als auch die starke Gefährdung der sozialen
Wiedereingliederung im Herkunftsland können ihrem Ausmass und den
Gesamtumständen entsprechend bei der Beurteilung je für sich allein bereits
einen wichtigen persönlichen Grund darstellen, sodass die beiden Elemente nicht
kumulativ zu verstehen sind (BGE 136 II 1 E. 5.3 S. 4). Dies schliesst indessen
nicht aus, im Einzelfall beide Elemente zu berücksichtigen und den Härtefall
auch zu bejahen, wenn diese je für sich selber hierzu nicht genügen würden,
ihre Kombination aber wertungsmässig einem wichtigen persönlichen Grund im
Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG gleichkommt (vgl. Urteil 2C_821/2011 22.
Juni 2012 E. 3.2.2, zur Publikation vorgesehen).

3.2 Häusliche Gewalt im Sinne der ein Aufenthaltsrecht begründenden
Rechtsprechung bedeutet systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und
Kontrolle auszuüben und nicht eine einmalige Ohrfeige oder eine verbale
Beschimpfung im Verlauf eines eskalierenden Streits (vgl. BGE 136 II 1 E. 5 S.
3 ff. mit Hinweisen; Urteil 2C_803/2010 vom 14. Juni 2011 E. 2.3.2; 2C_590/2010
vom 29. November 2010 E. 2.5.2 f). Bei den Feststellungen des entsprechenden
Sachverhalts trifft die ausländische Person eine weitreichende
Mitwirkungspflicht (Urteil 2C_821/2011 22. Juni 2012 E. 3.2.2 f., zur
Publikation vorgesehen; vgl. zur Mitwirkungspflicht auch 126 II 335 E. 2b/cc S.
342; 124 II 361 E. 2b S. 365).
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin ist vom Stadtrichteramt Zürich für eine
Tätlichkeit bestraft worden; die Beschwerdeführerin unterlässt es jedoch, durch
Beweismittel oder Sachverhaltsrügen darzutun, inwiefern sie Opfer ehelicher
Gewalt im Sinne der ein Aufenthaltsrecht begründenden Rechtsprechung zu Art. 50
Abs. 2 AuG geworden wäre. Da entsprechende Rügen fehlen, ist das Bundesgericht
an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, die von einem
punktuellen Vorfall nach zerrütteter Ehe ausgeht. Entgegen der Vorbringen der
Beschwerdeführerin hat das Verwaltungsgericht dabei nicht einseitig die
Aussagen des strafrechtlich verurteilten Ehemannes berücksichtigt, sondern hat
sich für die Würdigung der Situation auf die Darstellung der Beschwerdeführerin
gestützt, wonach sich die Tätlichkeit durch den Ehemann nach ihrer Weigerung
ereignet habe, die Scheidungspapiere zu unterzeichnen. Die Vorinstanz ist nach
diesen Aussagen in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass es sich beim
angeführten Vorfall um ein einmaliges Ereignis im Streit nach einer bereits
zerrütteten Ehe handelt (vgl. BGE 136 II 1 E. 5 S. 3 ff.; Urteile 2C_803/2010
vom 14. Juni 2011 E. 2.3.2; 2C_590/2010 vom 29. November 2010 E. 2.5.2 f. und
2C_540/2009 vom 26. Februar 2010 E. 2.2 - 2.4).
3.3
3.3.1 Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin ist auch nicht
ersichtlich, inwiefern die Rückkehr in den Kosovo sie vor besondere Probleme
stellen würde, die in einem hinreichend engen Zusammenhang zur
anspruchsbegründenden Ehe und dem damit verbundenen bisherigen (bewilligten)
Aufenthalt in der Schweiz stünden (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S. 350): Bei
der Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG ist entscheidend, ob die
persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung der betroffenen
ausländischen Person bei einer Rückkehr in ihre Heimat als stark gefährdet zu
gelten hätte und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre und von ihr
vorgezogen würde (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S. 350 und die Urteile 2C_489/
2011 vom 16. Juni 2011 E. 2.2 sowie 2C_216/2009 vom 20. August 2009 E. 3). Ein
persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der gesamten Umstände eine
erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben
voraus, die mit der Lebenssituation nach dem Dahinfallen der gestützt auf Art.
42 Abs. 1 AuG abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sein muss (vgl.
BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S. 350; Urteile 2C_428/2012 vom 18. Mai 2012 E. 2.2.1
2C_781/2010 vom 16. Februar 2011 E. 2.2). Wurden keine engen Beziehungen zur
Schweiz geknüpft und war der Aufenthalt im Land nur von kurzer Dauer, besteht
praxisgemäss auch dann kein Anspruch auf einen weiteren Verbleib, wenn die
betroffene ausländische Person hier nicht straffällig geworden ist, gearbeitet
hat und sich inzwischen auch in der am Wohnort gesprochenen Landessprache
verständigen kann (vgl. Urteil 2C_428/2012 vom 18. Mai 2012 E. 2.2.1).
3.3.2 Die Beschwerdeführerin hält sich erst seit rund drei Jahren im Land auf
und lebte hier nur während maximal 6 Monaten mit ihrem Gatten zusammen. Zwar
ist sie weder strafrechtlich verurteilt worden noch verschuldet und hier
arbeitstätig, doch bestehen aufgrund des verbindlich festgestellten
Sachverhalts, dessen Richtigkeit sie nur appellatorisch und damit nicht
rechtsgenügend kritisiert (vgl. Art. 105 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II
249 E. 1.4.3), keine weiteren Hinweise, wonach ihre Wiedereingliederung in der
Heimat ernstlich gefährdet erschiene. Die Situation als geschiedene Frau dürfte
die Beschwerdeführerin im Kosovo zwar vor Probleme stellen, doch scheint - wie
die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - die Behauptung wenig glaubwürdig und
ist jedenfalls unbewiesen geblieben, sie würde von ihren Brüdern und ihrer
Schwester bei einer Rückkehr in ihr Heimatland verstossen und überhaupt nicht
mehr unterstützt, nachdem die entsprechenden verwandtschaftlichen Pflichten im
Kosovo stark ausgeprägt sind (vgl. BGE 137 II 305 E. 4.2 S. 311). Den
Ausführungen der Beschwerdeführerin lässt sich zudem entnehmen, dass sie zu
ihren Brüdern nach wie vor Kontakt unterhält.
3.3.3 Die gut ausgebildete Beschwerdeführerin ist gemäss den unbestrittenen
Feststellungen der Vorinstanz erst mit 37 Jahren in die Schweiz gekommen und
hat den Grossteil ihres Lebens und insbesondere die Schulzeit und die kulturell
prägenden Jugendjahre in der Heimat verbracht, wo sie - wie die Vorinstanz
willkürfrei und unter Wahrung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes annehmen
durfte - eine ihrer hiesigen Tätigkeit entsprechende Stelle finden und sich
auch sozial wieder integrieren kann, sodass ihre Rückkehr zumutbar erscheint.
Demzufolge ist in Gesamtwürdigung der Umstände davon auszugehen, dass bei der
Beschwerdeführerin kein Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
vorliegt.

4.
Was den Eventualantrag zur Festlegung einer neuen Ausreisefrist angeht, so
betrifft dieser das Wegweisungsverfahren. Fragen zum Wegweisungsentscheid sind
nicht mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten anfechtbar
(vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG). Der entsprechende Antrag kann auch nicht im
Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde entgegengenommen werden, da die
Beschwerdeführerin keine diesbezüglich zulässigen Rügen erhebt (vgl. BGE 137 II
305 E. 1 S. 307 f.). Es ist Sache des kantonalen Migrationsamts, der
Beschwerdeführerin eine neue Ausreisefrist anzusetzen.

5.
Da die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zu gelten hat, kann sie im
vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer Begründung
abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Ergänzend wird auf die
Ausführungen im angefochtenen Urteil sowie auf die Ausführungen im Entscheid
der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 13. Oktober 2011 verwiesen
(Art. 109 Abs. 3 BGG).

6.
Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die Kosten für das bundesgerichtliche
Verfahren zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Entschädigungen
geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 4. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 5. September 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Die Gerichtsschreiberin: Hänni