Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.282/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_282/2012

Urteil vom 31. Juli 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Zähndler.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Sararard Arquint,
Beschwerdeführer,

gegen

Migrationsamt des Kantons St. Gallen,
St. Leonhard-Strasse 40, 9001 St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement
des Kantons St. Gallen,
Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
14. Februar 2012.

Erwägungen:

1.
1.1 Der 1986 geborene mazedonische Staatsangehörige X.________ reiste am 11.
November 1990 erstmals im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein,
kehrte jedoch zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern bereits nach
wenigen Monaten wieder in seine Heimat zurück. Am 4. Februar 2000 reiste er
erneut in die Schweiz ein und erhielt hier eine Niederlassungsbewilligung.

1.2 Das Verhalten von X.________ in der Schweiz gab Anlass zu schweren Klagen:
Nebst zahlreichen Verurteilungen wegen Strassenverkehrsdelikten sowie je einer
Verurteilung wegen eines geringfügigen Vermögensdeliktes (Sachbeschädigung) und
Widerhandlung gegen das Transportgesetz ergingen insbesondere die folgenden
Straferkenntnisse:
Mit Urteil des Bezirksgerichts A.________ vom 11. Juni 2008 wurde X.________
wegen mehrfachem Raub, Betrug, mehrfachem Diebstahl, mehrfacher
Sachbeschädigung, mehrfachem Hausfriedensbruch, Urkundenfälschung,
Nichtanzeigen eines Fundes, Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie wegen
verschiedenen Strassenverkehrsdelikten schuldig gesprochen: Er wurde deswegen
zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren (sowie zu einer Busse von Fr.
500.--) verurteilt. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte diese Strafe
mit Urteil vom 27. April 2009.
Am 5. Juli 2011 wurde er sodann vom Bezirksgericht B.________ wegen gewerbs-
und bandenmässigem Diebstahl, einfachem Raubversuch, mehrfacher und
qualifizierter Sachbeschädigung sowie dem Versuch hierzu, mehrfachem
Hausfriedensbruch und Versuch hierzu, Brandstiftung, mehrfacher
Gewässerverschmutzung sowie wegen verschiedenen Strassenverkehrsdelikten
schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten, teilweise als
Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts A.________ vom 11. Juni 2008
verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer bereits
begonnenen stationären Massnahme aufgeschoben.

1.3 Mit Verfügung vom 9. August 2010 widerrief das Migrationsamt des Kantons
St. Gallen die Niederlassungsbewilligung von X.________ unter Hinweis auf
dessen Delinquenz. Die von X.________ hiergegen erhobenen kantonalen
Rechtsmittel wurden vom Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St.
Gallen (Rekursentscheid vom 14. April 2011) und vom Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen (Urteil vom 14. Februar 2012) abgewiesen. Im Verfahren vor
dem Verwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer überdies die unentgeltliche
Prozessführung wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels verweigert, was das
Bundesgericht mit Urteil 2C_484/2011 vom 23. August 2011 bestätigt hat.

2.
Die von X.________ beim Bundesgericht eingereichte Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
vom 14. Februar 2012 erweist sich als offensichtlich unbegründet und kann
deshalb ohne Weiterungen im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG
(summarische Begründung / Verweis auf den angefochtenen Entscheid) erledigt
werden:

2.1 Der Beschwerdeführer sieht sein Recht auf ein unabhängiges Gericht (Art. 30
Abs. 1 BV) dadurch verletzt, dass der Präsident des Verwaltungsgerichts des
Kantons St. Gallen nicht nur beim Sachurteil vom 14. Februar 2012 mitgewirkt
hat, sondern mit verfahrensleitender Verfügung vom 4. Mai 2011 auch das Gesuch
um unentgeltliche Prozessführung wegen Aussichtslosigkeit abgelehnt hatte,
weshalb er in unzulässiger Weise vorbefasst sei. Indessen verkennt der
Beschwerdeführer, dass eine Prima-Facie-Prüfung der Prozessaussichten im Rahmen
der Bewilligung bzw. Verweigerung der unentgeltlichen Prozessführung gemäss
ständiger Rechtssprechung für sich alleine keine unzulässige Vorbefassung
begründet (BGE 131 I 113 E. 3.7 S. 120 ff.; Urteil 2C_685/2011 vom 18.
September 2011 E. 5.1; vgl. auch für das Bundesgericht Art. 34 Abs. 2 BGG).
Vielmehr müssten zur Annahme der Voreingenommenheit des betreffenden Richters
weitere Gründe hinzutreten; solche sind im vorliegenden Fall jedoch weder
ersichtlich noch werden sie vom Beschwerdeführer behauptet.

2.2 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG kann die
Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu
einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als "längerfristig"
gilt jede Freiheitsstrafe, deren Dauer ein Jahr überschreitet (BGE 135 II 377
E. 4.2 und E. 4.5 S. 379 ff.). Dieses Erfordernis ist hier offensichtlich
erfüllt.

2.3 Der Beschwerdeführer beruft sich im Wesentlichen darauf, dass der
angeordnete Bewilligungswiderruf aufgrund seiner Lebensumstände
unverhältnismässig sei. Die erhobene Rüge geht jedoch ins Leere: Richtig ist
wohl, dass ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung aufgrund der gesamten
Umstände des Einzelfalls verhältnismässig sein muss. Dies hat das
Verwaltungsgericht aber nicht verkannt, sondern es hat die hier massgebenden
öffentlichen Interessen an einer Ausreise des Beschwerdeführers und dessen
private Interessen an einem Verbleib in der Schweiz sachgerecht gewürdigt und
es für zumutbar erachtet, dass der Beschwerdeführer in seine Heimat
zurückkehrt.

2.4 Diese Schlussfolgerung der Vorinstanz ist weder im Lichte des
Ausländergesetzes zu beanstanden noch ist darin eine Verletzung von Art. 8 EMRK
zu erkennen, soweit sich der Beschwerdeführer denn überhaupt auf diese
Bestimmung berufen kann:
Die zahlreichen Verurteilungen sowie die hierfür ausgesprochenen
Freiheitsstrafen von insgesamt über fünfeinhalb Jahren, woran der teilweise
Freispruch im Urteil vom 5. Juli 2011 nichts ändert, lassen auf ein sehr
schweres Verschulden und auf eine erhebliche kriminelle Energie schliessen. Im
bereits erwähnten Urteil 2C_484/2011 vom 23. August 2011 E. 3.2 hielt das
Bundesgericht unter Hinweis auf das Strafurteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 27. April 2009 fest, dass der Beschwerdeführer seine Raubopfer -
durchwegs ältere Personen - massiv bedroht und durch eine Waffe eingeschüchtert
hat. Auch hatte er physische Gewalt gegen sie angewendet und auf deren
teilweisen Widerstand mit erhöhter Gewalt reagiert. Durch eine derartige
Delinquenz demonstrierte er eine ausgeprägte Geringschätzung der
schweizerischen Rechtsordnung, was ein Verbleiben in der Schweiz grundsätzlich
ausschliesst. In jedem Fall durften die Vorinstanzen aber von einem gewichtigen
öffentlichen Interesse am Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung ausgehen,
welches dem Wunsch des Beschwerdeführers, in der Schweiz bleiben zu können,
vorgeht: Zwar hält sich der Beschwerdeführer seit rund zwölf Jahren in der
Schweiz auf. Er lebte aber die ersten knapp vierzehn Jahre in seinem
Herkunftsland und verkehrte auch noch in der Schweiz mit Landsleuten. Es
handelt sich bei ihm nicht um einen sog. Ausländer der zweiten Generation.
Sodann ist er ledig und kinderlos und angesichts seines Alters und
Gesundheitszustands ist er auch nicht auf seine in der Schweiz wohnhaften
Eltern angewiesen, welche ihn im Übrigen nicht vom wiederholten Begehen von
Straftaten abhalten konnten.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers durfte die Vorinstanz auch
willkürfrei auf eine mangelhafte Integration schliessen, zumal seine
Arbeitsverträge nach jeweils kurzer Zeit wieder aufgelöst wurden, gegen ihn
offene Verlustscheine und Betreibungen in Höhe von rund Fr. 50'000.-- bestehen
und er trotz günstiger familiärer Verhältnisse erheblich delinquierte.

2.5 Soweit der Beschwerdeführer darauf hinweist, dass er seit dem Jahr 2008
keine Straftaten mehr verübt habe, weshalb ihm eine günstige Deliktsprognose zu
stellen sei, gehen seine Ausführungen ins Leere:
Der Rückfallgefahr bzw. der Wahrscheinlichkeit eines künftigen Wohlverhaltens
kommt ausserhalb des Anwendungsbereichs des Abkommens vom 21. Juni 1999
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
(Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) keine zentrale Bedeutung zu
(vgl. BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20; 130 II 176 E. 4.2 S. 185; 125 II 105 E. 2c S.
110; jeweils mit Hinweisen); insbesondere dürfen bei ausländischen Personen,
welche sich wie der Beschwerdeführer nicht auf das Freizügigkeitsabkommen
berufen können, im Rahmen der Interessenabwägung auch generalpräventive
Gesichtspunkte berücksichtigt werden (Urteil 2C_948/2011 vom 11. Juli 2012 E.
3.4.2 mit Hinweis). Zudem wird vom Bundesgericht bei schwerer Delinquenz eine
strenge Praxis verfolgt (BGE 125 II 521 E. 4a/aa S. 526 f.; 122 II 433 E. 2c S.
436 f.): Selbst ein geringes Rückfallrisiko muss diesfalls nicht hingenommen
werden. Das Bundesgericht gelangte deshalb im bereits erwähnten, den
Beschwerdeführer betreffenden Urteil 2C_484/2011 vom 23. August 2011 E. 3.2 zum
Schluss, dass es vorliegend nicht in entscheidender Weise darauf ankomme, ob
und in welchem Masse eine Rückfallgefahr besteht.
Angesichts der beschränkten Relevanz der Rückfallgefahr war das
Verwaltungsgericht auch nicht verpflichtet, beim zuständigen Massnahmenzentrum
einen aktuellen Bericht einzuholen, wie dies der Beschwerdeführer beantragt
hatte. Ohne den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zu
verletzen, durfte das Gericht vielmehr in antizipierter Beweiswürdigung
annehmen, dass seine Überzeugung durch diese Beweiserhebung nicht geändert
würde (vgl. BGE 131 I 153 E. 3 S. 157 f.; 130 II 425 E. 2.1 S. 428 f.; 124 I
208 E. 4a S. 211; je mit Hinweisen).
Nichtsdestotrotz ist aber festzustellen, dass beim Beschwerdeführer von einer
günstigen Prognose ohnehin keine Rede sein kann: Wie sich aus den Akten,
insbesondere aus den Strafurteilen ergibt, delinquierte der Beschwerdeführer
trotz bereits anhängigen Strafverfahren, ausgestandener Untersuchungshaft und
erstinstanzlicher Verurteilung unbeeindruckt weiter. Vom Beschwerdeführer
entsteht daher das Bild eines uneinsichtigen Gewohnheitsdelinquenten, dessen
weiterer Verbleib im Land mit den Sicherheitsinteressen der hiesigen
Wohnbevölkerung nicht zu vereinbaren ist. Seine Deliktsfreiheit in jüngster
Vergangenheit ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass er sich vom 28.
Juli 2009 bis zum 25. Februar 2012 im Massnahmenvollzug befand. Unbehelflich
ist es auch, wenn der Beschwerdeführer seine gute Führung im Massnahmenvollzug
behauptet und bereits aus diesem Umstand auf eine Verbesserung seiner
Deliktsprognose schliesst: Angesichts der vergleichsweise engmaschigen
Betreuung und intensiven Kontrolle in einer solchen Anstalt wird ein tadelloses
Verhalten des Beschwerdeführers dort allgemein erwartet und es besitzt dieses
keine signifikante Aussagekraft bezüglich der Rückfallgefahr in Freiheit (vgl.
für den Strafvollzug: BGE 114 Ib 1 E. 3b f. S. 4 f.).

2.6 Abwegig ist es schliesslich, wenn der Beschwerdeführer behauptet, die gegen
ihn verfügte fremdenpolizeiliche Massnahme stelle eine versteckte zusätzliche
Bestrafung dar, wodurch der Grundsatz "ne bis in idem" verletzt werde: In
konstanter Rechtsprechung und in Berücksichtigung der Praxis des EGMR geht das
Bundesgericht davon aus, dass Administrativmassnahmen der hier vorliegenden
Art, welche als Folge von strafrechtlichen Verurteilungen verfügt werden, nicht
Strafcharakter haben und folglich keine unzulässige Doppelbestrafung darstellen
(Urteil 2C_19/2011 vom 27. September 2011 E. 3 mit Hinweisen).

3.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten abzuweisen. Dem Ausgang des Verfahrens folgend, hat der
Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Da die vorliegende Eingabe von vornherein als aussichtslos zu gelten hatte, ist
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ebenfalls
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten sowie dem Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. Juli 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Zähndler