Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.22/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_22/2012

Urteil vom 22. Oktober 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Kneubühler,
Gerichtsschreiber Zähndler.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Werner Meier,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, Postfach, 8090 Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, Postfach, 8090
Zürich.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2.
Kammer, vom 30. November 2011.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene türkische Staatsangehörige X.________ reiste gemäss eigenen
Angaben am 4. Oktober 2000 in die Schweiz ein und ersuchte hier erfolglos um
Asyl. Der Aufforderung zur Ausreise kam er nicht nach, sondern heiratete am 12.
September 2001 eine 1959 geborene Schweizer Bürgerin, welche am 31. Juli 1999
einen Schlaganfall erlitten hatte, seither teilweise gelähmt und auf einen
Rollstuhl angewiesen ist, eine IV-Rente und Ergänzungsleistungen bezieht und
bis im April 2010 verbeiständet war. Gestützt auf diese Beziehung erteilte ihm
das Migrationsamt des Kantons Zürich zuerst eine Aufenthaltsbewilligung und am
23. November 2006 schliesslich die Niederlassungsbewilligung.
Nachdem X.________ ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung gestellt hatte,
beauftragte das Gemeindeamt des Kantons Zürich die Stadtpolizei Zürich mit der
Überprüfung der ehelichen Gemeinschaft.
Aufgrund der Erkenntnisse dieser Überprüfung widerrief das Migrationsamt mit
Verfügung vom 24. August 2010 die Niederlassungsbewilligung von X.________. Es
begründete dies im Wesentlichen damit, die Verbindung zwischen X.________ und
seiner schweizerischen Gattin sei von Anfang an nur eine Scheinehe gewesen.

B.
Die von X.________ eingereichten Rechtsmittel gegen die Widerrufsverfügung des
Migrationsamtes wurden von der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des
Kantons Zürich (Rekursentscheid vom 11. Mai 2011) sowie vom Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich (Urteil vom 30. November 2011) abgewiesen.

C.
Mit Eingabe vom 6. Januar 2012 führt X.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht und stellt im
Wesentlichen den Antrag, es sei das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben
und vom Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung abzusehen.
Die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich sowie
das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Mit Verfügung vom 12. Januar 2012 erkannte der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde
antragsgemäss aufschiebende Wirkung zu.
Mit Verfügung vom 29. Februar 2012 lehnte das Bundesgericht das Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung mangels
prozessualer Bedürftigkeit ab.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht ausgeschlossen betreffend
ausländerrechtliche Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das
Völkerrecht einen Anspruch einräumt. Vorliegend geht es nicht um die erstmalige
Erteilung oder die Verlängerung, sondern um den Widerruf einer bereits
gewährten Bewilligung. Die Beschwerde bleibt in diesem Zusammenhang zulässig,
soweit die Bewilligung - wäre sie nicht widerrufen worden - nach wie vor
Rechtswirkungen entfalten würde. Dies ist bei der unbefristeten
Niederlassungsbewilligung der Fall (vgl. BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die
Zulässigkeit des Rechtsmittels beruht auf dem schutzwürdigen Vertrauen, dass
eine erteilte Bewilligung für die Dauer ihrer Gültigkeit fortbesteht und
grundsätzlich nicht in die entsprechende Rechtsposition eingegriffen wird (vgl.
Urteile 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 1.1; 2C_21/2007 vom 16. April 2007
E. 1.2). Auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen
Endentscheid eines oberen Gerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen
Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90 und Art. 100
Abs. 1 BGG) ist deshalb grundsätzlich einzutreten, zumal der Beschwerdeführer
als Adressat des angefochtenen Entscheids ohne Weiteres zur Beschwerdeführung
legitimiert ist (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG).

2.
Nach Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. a AuG kann die
Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn der Ausländer oder sein
Vertreter im Bewilligungsverfahren falsche Angaben macht oder wesentliche
Tatsachen verschwiegen hat. Dies gilt unter anderem für den Fall, dass sich
nachträglich Indizien ergeben, welche die Ehe, auf die sich der Ausländer für
den Erhalt der Bewilligung berufen hat, als Scheinehe oder als bloss aus
fremdenpolizeilichen Gründen aufrechterhaltene Ehe erscheinen lassen (vgl. BGE
128 II 145 E. 2.1 f. S. 151; Urteile 2C_505/2012 vom 18. Juli 2012 E. 2.1;
2C_656/2011 vom 8. Mai 2012 E. 2.1 und E. 2.2; 2C_205/2010 vom 16. Juli 2010 E.
3.1). Ob eine Scheinehe geschlossen wurde bzw. ob die Ehe bloss noch formell
besteht, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und ist bloss durch
Indizien zu erstellen (BGE 130 II 113 E. 10.2 und 10.3 S. 135 f. mit Hinweis).

3.
Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Entscheid aus, im Rahmen der
Überprüfung der ehelichen Gemeinschaft sei insbesondere die schweizerische
Ehefrau des Beschwerdeführers einvernommen worden. Diese habe ausgesagt, es
habe sich bei der Heirat um einen "Deal" gehandelt. Die Ehefrau habe zudem
angegeben, es sei ihr zur Zeit der Eheschliessung nicht gut gegangen und sie
habe auch Mitleid mit dem Beschwerdeführer empfunden: Dieser habe als
Asylsuchender Probleme mit dem Aufenthaltsrecht gehabt und sei doch dringend
auf eine spezialärztliche Behandlung angewiesen gewesen. Auch der
Beschwerdeführer erwähne in seiner Eingabe, dass mit der Heirat beiden geholfen
gewesen sei: Er habe in der Schweiz bleiben können und der Ehefrau sei das
Pflegeheim erspart geblieben. Aufgrund dieser Angaben der Ehegatten sowie
aufgrund des Umstands, dass der Beschwerdeführer ohne die Eheschliessung als
abgewiesener Asylbewerber die Schweiz hätte verlassen müssen, qualifizierte das
Verwaltungsgericht die Beziehung als Scheinehe und es sah den Widerrufsgrund
von Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. a AuG als erfüllt an, zumal der
Beschwerdeführer dies bei seinen Gesuchen um Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung sowie bei seinem Gesuch um Erteilung der
Niederlassungsbewilligung verschwiegen habe.

4.
Der Beschwerdeführer bestreitet demgegenüber, dass die Eheschliessung einzig
ehefremden Zwecken gedient habe. Zwar sei mit der Heirat tatsächlich beiden
Gatten geholfen gewesen, doch würden diese Interessen weitergehende Gefühle
nicht ausschliessen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine derartige
Symbiose ausländerrechtlich als missbräuchlich erscheine: Verbindungen, die mit
einem sozialen Aufstieg einhergingen, seien schliesslich seit Jahrtausenden
akzeptiert. Im Übrigen werde die eheliche Verbindung schon durch die Tatsache
legitimiert, dass er der Ehefrau bei allen Handreichungen, Besorgungen, etc.
zuverlässig helfe. Zwar sei es richtig, dass er seine Ehefrau vor einer
zwischenzeitlichen Trennung nicht mehr gleich aufmerksam behandelt habe wie
anfänglich; heute sei dies jedoch wieder anders. Schliesslich sei darauf
hinzuweisen, dass er mit seiner Ehefrau auch eine langjährige intime Beziehung
gepflegt habe.

5.
Dass sich der Beschwerdeführer vor der Eheschliessung aufgrund seines
rechtskräftig abgewiesenen Asylgesuchs mit der Wegweisung konfrontiert sah, hat
das Verwaltungsgericht zu Recht als Indiz für das Bestehen einer Scheinehe
gewertet (BGE 122 II 289 E. 2b S. 295). Ebenso durfte es aufgrund der Aussagen
beider Ehegatten davon ausgehen, dass die aufenthaltsrechtliche Situation des
Beschwerdeführers massgeblich zum Entschluss zur Eheschliessung beigetragen
hat, was dieser denn auch nicht bestreitet.
Jedoch liegt eine Scheinehe nicht bereits dann vor, wenn ausländerrechtliche
Motive für den Eheschluss mitentscheidend waren. Erforderlich ist zusätzlich,
dass der Wille zur Führung einer Lebensgemeinschaft - zumindest bei einem
Ehepartner - von Anfang an nicht gegeben ist (vgl. BGE 121 II 97 E. 3b S. 101
f.; Urteile 2C_914/2010 vom 29. August 2011 E. 2.4; 2C_244/2010 vom 15.
November 2010 E. 2.3). Die im vorliegenden Fall durchaus naheliegenden
ausländerrechtlichen Motive für den Eheschluss schliessen mit anderen Worten
nicht aus, dass trotzdem eine Lebensgemeinschaft gewollt ist und tatsächlich
gelebt wird. Die Vorinstanz hätte deshalb nicht einzig aus den mutmasslichen
Gründen des Beschwerdeführers für das Eingehen der Ehe auf eine Scheinehe
schliessen dürfen. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet.
Immerhin kann festgestellt werden, dass das Migrationsamt und auch die
Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich eine umfassendere
Betrachtung der Gesamtumstände vorgenommen und namentlich den Abläufen beim
Kennenlernen der Ehegatten, der Ausgestaltung des Alltags sowie generell der
Intensität der Beziehung der Eheleute Beachtung geschenkt hatten. Die
ergänzende Berücksichtigung der diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellungen des
Amtes und der Direktion ist dem Bundesgericht aber grundsätzlich verwehrt, legt
es doch in der Regel seinem Urteil ausschliesslich den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG); diesen kann das
Bundesgericht nur dann von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sind oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2
BGG), was hier nicht der Fall ist. Aus diesem Grund rechtfertigt es sich, die
Angelegenheit zur neuerlichen Beurteilung und Begründung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind keine Gerichtskosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben.
Die Sache wird im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten sowie dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 2. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Oktober 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Zähndler