Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.191/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_191/2012

Urteil vom 22. Juni 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
Gerichtsschreiber Winiger.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Biedermann,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn, vertr. durch Migration und
Schweizer Ausweise, Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.

Gegenstand
Familiennachzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
18. Januar 2012.

Erwägungen:

1.
1.1 Der serbische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit X.________
(geb. 1967) war von 1994 bis 1997 in Serbien mit einer Landsfrau verheiratet.
Im März 1994 kam die gemeinsame Tochter A.________ zur Welt. Im Rahmen der 1997
erfolgten Scheidung wurde das Sorgerecht dem Vater zugeteilt.
X.________ reiste am 5. Mai 1997 zum ersten Mal in die Schweiz ein. Nachdem
sein Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen wurde, galt er seit dem 4. September
1998 als verschwunden. Am 4. Januar 2000 stellte X.________ erneut ein
Asylgesuch. Er führte dazu aus, er habe sich von September 1998 bis Dezember
1999 in Albanien aufgehalten, da er nicht nach Serbien habe reisen können.
Seine Tochter A.________ habe bei seinen Eltern in Serbien gewohnt. Nach
rechtskräftiger Abweisung des Asylgesuchs galt X.________ seit dem 22. August
2001 wieder als verschwunden. Am 10. Dezember 2007 reiste X.________ erneut
illegal in die Schweiz ein und heiratete am 27. Februar 2008 die in der Schweiz
niederlassungsberechtigte serbische Staatsangehörige Y.________ (geb. 1969).
Mit Verfügung vom 2. Juni 2008 wurde X.________ im Rahmen des Familiennachzugs
die Aufenthaltsbewilligung erteilt. Im Dezember 2008 kam die gemeinsame Tochter
B.________ zur Welt.

1.2 Am 31. Dezember 2009 reiste die Tochter aus erster Ehe, A.________, in die
Schweiz ein. Am 15. Januar 2010 reichte X.________ ein Gesuch um
Familiennachzug mit dem Zweck "Zusammenleben von Vater und Kind" ein. Nach
Gewährung des rechtlichen Gehörs wies die Migrationsbehörde des Kantons
Solothurn mit Verfügung vom 11. August 2011 das Gesuch um Familiennachzug ab
und ordnete an, A.________ habe die Schweiz bis 19. September 2011 zu
verlassen. Mit Urteil vom 18. Januar 2012 wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn die dagegen erhobene Beschwerde ab und ordnete an, A.________
habe die Schweiz bis 29. Februar 2012 zu verlassen.

1.3 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 27. Februar
2012 beantragt X.________, der Familiennachzug von A.________ sei zu
bewilligen, eventualiter seien die Akten zur Neubeurteilung an die
Migrationsbehörde zurückzuweisen.

1.4 Mit Verfügung vom 1. März 2012 hat der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde
antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Auf die Anordnung eines
Schriftenwechsels wurde verzichtet.

2.
2.1 Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Ausländerrechts
ausgeschlossen, wenn um eine Bewilligung ersucht wird, auf die weder das
Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

2.2 Der Beschwerdeführer verfügt als Ausländer über eine
Aufenthaltsbewilligung, nicht jedoch über eine Niederlassungsbewilligung. Daher
kann er sich für den Nachzug seiner Tochter aus erster Ehe nicht auf Art. 43
Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer
(Ausländergesetz, AuG; SR 142.20) stützen. Ebenso wenig kommt ein Anspruch nach
Art. 43 AuG in Bezug auf seine jetzige Ehefrau, die über die
Niederlassungsbewilligung verfügt, in Betracht, denn sie ist nicht die Mutter
der Tochter (vgl. zu Stiefkindern bzw. Stiefeltern Urteil 2C_537/2009 vom 31.
März 2010 E. 2.2.2). Der Beschwerdeführer kann sich nach dem internen
Ausländerrecht somit nur auf Art. 44 AuG stützen, der den Nachzug durch
Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung regelt. Diese Bestimmung räumt ihm aber,
anders als Art. 42 und 43 AuG, keinen Nachzugsanspruch im Sinne von Art. 83
lit. c Ziff. 2 BGG ein (BGE 137 I 284 E. 1.2 S. 287 mit Hinweisen).

2.3 Auch der Niederlassungs- und Konsularvertrag zwischen der Schweiz und
Serbien vom 16. Februar 1888 (SR 0.142.118.181) verschafft keinen
Bewilligungsanspruch für die Familienangehörigen (Urteil 2C_205/2011 vom 3.
Oktober 2011 E. 1 mit Hinweisen).

2.4 Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, kann er sich für den
Nachzug seiner Tochter allerdings auf den Schutz des Familienlebens nach Art.
13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK berufen. Denn durch das Zusammenleben mit der
niedergelassenen Ehefrau hat er selber einen Anspruch auf Verlängerung seiner
Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 43 Abs. 1 AuG und damit ein gefestigtes
Aufenthaltsrecht. Zudem macht er eine intakte und tatsächlich gelebte Beziehung
zu seiner Tochter geltend. Insoweit wäre daher auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
grundsätzlich einzutreten (vgl. BGE 137 I 284 E. 1.3 S. 287 mit Hinweisen).
Allerdings gilt es hier noch Folgendes zu beachten: Der Beschwerdeführer hat am
15. Januar 2010 ersucht, seine zu diesem Zeitpunkt rund 16-jährige Tochter in
die Schweiz nachziehen zu können. Hierauf bestand wie soeben erwähnt kein
Anspruch gestützt auf das interne Ausländerrecht. Ein solcher Anspruch ergibt
sich heute indessen auch nicht mehr aus Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK, da die
nachzuziehende Tochter inzwischen (am 26. März 2012) volljährig geworden ist
und zwischen ihr und ihrem Vater kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
besteht bzw. ein solches nicht substantiiert geltend gemacht worden ist. Anders
als in Bezug auf Art. 42 ff. AuG ist gemäss einer konstanten Praxis in Bezug
auf Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK das Alter im heutigen Zeitpunkt (und nicht das
Alter im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs) massgebend für den Entscheid
über den materiell-rechtlichen Anspruch auf Familiennachzug sowie für die Frage
der Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten,
welche diesen Anspruch voraussetzt (BGE 136 II 497 E. 3.2 S. 500; 129 II 11 E.
2 S. 13; 120 Ib 257 E. 1f S. 262; Urteile 2C_205/2011 vom 3. Oktober 2011 E. 1;
2C_606/2009 vom 17. März 2010 E. 1). Damit erweist sich die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mangels eines Rechtsanspruchs als
unzulässig.

3.
3.1 Nachdem der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf den beantragten
Familiennachzug hat, fehlt es ihm auch an einem rechtlich geschützten
Interesse, um im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff.
BGG) an das Bundesgericht gelangen zu können. Allerdings kann mit diesem
Rechtsmittel unabhängig von einem Bewilligungsanspruch eine Verletzung von
Parteirechten gerügt werden, deren Missachtung einer formellen
Rechtsverweigerung gleichkommt (sog. "Star"-Praxis: BGE 137 II 305 E. 2 mit
Hinweisen).

3.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör: Die im angefochtenen Urteil erwähnte "Einschätzung" des Kantonsarztes
vom 1. April 2010 (vgl. angefochtenes Urteil Ziff. 4b) sei dem Beschwerdeführer
vor Eröffnung des Urteils nicht bekannt gewesen. Hätte der Beschwerdeführer von
diesem Dokument Kenntnis gehabt, so hätte er einen ausführlichen Bericht über
den Gesundheitszustand seiner Eltern erwirken können.
Die Vorinstanz hat dazu im angefochtenen Entscheid ausgeführt, es handle sich
gemäss "Einschätzung" des Kantonsarztes vom 1. April 2010 bei dem - in einer
von einem Gerichtsdolmetscher übersetzten Bestätigung des serbischen
Krankenhauses - beschriebenen Leiden des Vaters um einen Herzinfarkt mit
Herzinsuffizienz.

3.3 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers ist hier nicht
ersichtlich: Einerseits bildet die von ihm erwähnte "Einschätzung" Bestandteil
der Verfahrensakten; er bringt jedoch nicht vor, er habe keine Akteneinsicht
nehmen können bzw. die "Einschätzung" habe sich nicht in den Verfahrensakten
befunden. Er macht bloss geltend, im Schreiben des Migrationsamtes vom 12.
April 2010 sei die "Einschätzung" nicht erwähnt worden; mit diesem Schreiben
hat aber die Migrationsbehörde nur festgehalten, die Tochter des
Beschwerdeführers müsse den Entscheid im Ausland abwarten. Diesem Schreiben ist
kein Gesuch um Akteneinsicht vorausgegangen. Andererseits handelt es sich bei
der zitierten "Einschätzung" ohnehin bloss um eine drei Zeilen umfassende
Übersetzung von lateinischen Ausdrücken in der Originalbestätigung des
serbischen Krankenhauses, welche dem Beschwerdeführer bekannt war, da er sie
selber eingereicht hat. Bei diesem Ergebnis kann offen gelassen werden, ob der
Gesundheitszustand des Vaters des Beschwerdeführers angesichts anderer
Betreuungsmöglichkeiten für die Tochter überhaupt eine entscheidwesentliche
Tatsache darstellt.
Im Vorgehen der Vorinstanz kann damit weder eine formelle Rechtsverweigerung
noch eine Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör
erblickt werden. Somit ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann.

4.
Nach dem Gesagten ist auf die Eingabe als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nicht einzutreten. Als subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist sie
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Der unterliegende Beschwerdeführer wird dementsprechend kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (vgl. Art. 68
Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Eingabe wird als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
nicht eingetreten. Als subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird sie abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement des Innern des Kantons
Solothurn, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn sowie dem Bundesamt für
Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Juni 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Winiger