Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.175/2012
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_175/2012

Urteil vom 4. Oktober 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
nebenamtlicher Bundesrichter Camenzind,
Gerichtsschreiber Winiger.

Verfahrensbeteiligte
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch SwissInterTax AG.

Gegenstand
Mehrwertsteuer (1. Semester 2002 - 2. Semester 2004; "Verkauf über die Gasse"),

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 23.
Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ (im Folgenden: der Steuerpflichtige) betreibt in der Rechtsform
einer Einzelfirma in Zürich einen Verpflegungskiosk. Er bietet Sandwiches,
Backwaren sowie diverse kalte und warme Getränke an und ist im Register der
Eidgenössischen Steuerverwaltung (im Folgenden: ESTV) für
Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen. Die ESTV erteilte ihm am 15. Januar 2001
die Bewilligung, nach der Saldosteuersatzmethode für "Cafetier,
Verpflegungskioske" mit einem Satz von 0,6 % abzurechnen.
In der Folge gelangte der Treuhänder des Steuerpflichtigen am 11. Juni 2001 mit
einer schriftlichen Anfrage an die ESTV und erkundigte sich, ob auch nach einem
Umbau des kleinen Gebäudes mit dem Saldosteuersatz abgerechnet werden dürfe,
wenn die Stadt Zürich als Eigentümerin damit einige Sitzgelegenheiten schaffe,
die auch von Kunden des Verpflegungskiosks genutzt werden könnten. Aufgrund der
telefonisch erteilten Antwort hielt der Treuhänder in einer Aktennotiz fest,
dass dies seiner Einschätzung nach weiterhin möglich sei. In der Folge
errichtete die Stadt Zürich drei Stehtische mit neun bis zwölf Plätzen sowie
acht Tische mit 24 Sitzplätzen.

B.
Im April 2005 erfolgte durch die ESTV vor Ort eine Steuerkontrolle. Diese
ergab, dass spätestens ab dem 1. Mai 2002 Konsumationseinrichtungen bestanden,
womit die Vorgaben für einen gastgewerblichen Betrieb mit
Konsumationsmöglichkeiten erfüllt waren. Deshalb widerrief die ESTV die
Bewilligung zur Anwendung des Saldosteuersatzes für Take-away ohne
Konsumationsmöglichkeit für den Steuerzeitraum vom 1. Mai 2002 bis zum 31.
Dezember 2004. Gleichzeitig erliess die ESTV eine Ergänzungsabrechnung und
forderte damit total geschuldete Steuern im Betrag von Fr. 102'849.25 nach. Sie
ging aufgrund ihrer Prüfung davon aus, dass der Steuerpflichtige keine
organisatorische Trennung zwischen den gastgewerblichen Leistungen und dem
"Verkauf über die Gasse" (Take-away) vorgenommen habe.
Nachdem der Steuerpflichtige einen anfechtbaren Entscheid verlangt hatte, hielt
die ESTV mit Verfügung vom 14. Februar 2006 fest, dass sie vom
Steuerpflichtigen zu Recht für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. Dezember 2004
Fr. 102'849.25 Mehrwertsteuer (zuzüglich Verzugszins) nachgefordert habe. Gegen
diesen Entscheid erhob der Steuerpflichtige am 16. März 2006 Einsprache, welche
von der ESTV mit Einspracheentscheid vom 26. Januar 2011 abgewiesen wurde.

C.
Hiergegen gelangte der Steuerpflichtige mit Beschwerde vom 28. Februar 2011 an
das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des
Einspracheentscheides bzw. die nachträgliche Erhebung von Mehrwertsteuern im
Umfange von Fr. 21'000.--. Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerde
mit Urteil vom 23. Januar 2012 im Sinne der Erwägungen gut, hob den
Einspracheentscheid vom 26. Januar 2011 auf und wies die Sache zur Fällung
eines neuen Entscheides an die ESTV zurück. Das Gericht kam zum Schluss, es
müsse hier eine Ermessenstaxation vorgenommen werden, um die verschiedenen
Umsätze zu ermitteln. Es sei nicht zulässig, für alle Umsätze den (höheren)
Normalsatz zu belasten.

D.
Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts führt die ESTV mit Eingabe vom
20. Februar 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie
beantragt, das angefochtene Urteil vom 23. Januar 2012 sei aufzuheben und der
Einspracheentscheid der ESTV vom 26. Januar 2011 zu bestätigen.
Während das Bundesverwaltungsgericht auf eine Stellungnahme verzichtet,
beantragt der Steuerpflichtige die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit (Art. 29 Abs. 1 BGG) bzw. die
Zulässigkeit des Rechtsmittels von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE
137 III 417 E. 1).

1.2 Gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der
Mehrwertsteuer ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an
das Bundesgericht gegeben (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. a
BGG). Die ESTV ist zur vorliegenden Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit.
d BGG).

1.3 In der Sache selbst ist im bundesgerichtlichen Verfahren die Frage
strittig, ob hier - wie die Vorinstanz angenommen hat - eine Ermessenstaxation
vorzunehmen sei oder ob im Sinne der ESTV auf allen vom Steuerpflichtigen im
fraglichen Zeitraum erbrachten Leistungen der Normalsatz anzuwenden sei. Mit
der Gutheissung der Beschwerde und der Rückweisung der Sache hätte die ESTV
weitere Berechnungen bzw. ergänzende Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen. Die
Aufgabe reicht über eine blosse, rein technische Umsetzung der
oberinstanzlichen Anordnungen hinaus. Der Rückweisungsentscheid stellt sich
nicht als (Quasi)-Endentscheid, sondern als Zwischenentscheid im Sinne von Art.
93 BGG dar (Urteile 2C_835/2011 vom 4. Juni 2012 E. 1.3; 2C_705/2011 vom 26.
April 2012 E. 1.3; 2C_645/2011 vom 12. März 2012 E. 1.3.1). Die Anfechtbarkeit
des selbständig eröffneten Zwischenentscheides ergibt sich daraus, dass der
Rückweisungsentscheid die ESTV zu einer aus ihrer Optik unrichtigen
Ermessenseinschätzung zwingen kann. Diese könnte sie aller Voraussicht nach
nicht mehr anfechten, was praxisgemäss einem nicht wieder gutzumachenden
Nachteil rechtlicher Natur gleichkommt (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 128; 133 II
409 E. 1.2 S. 412; 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Damit sind die Voraussetzungen
gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt und ist das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2012 selbständig anfechtbar. Die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben unter Vorbehalt des Nachfolgenden zu
keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ist somit grundsätzlich einzutreten.

1.4 Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG
geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde
vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es
kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz
abweichenden Begründung abweisen. Trotz Rechtsanwendung von Amtes wegen prüft
es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde
(Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), an sich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1
S. 389; 134 III 102 E. 1.1 S. 104; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Die Verletzung
von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht untersucht es in
jedem Fall nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.5 Im Streit liegt die Ermittlung der steuerbaren Umsätze, die der
Steuerpflichtige in den Jahren 2002 bis 2004 mit seinem Verpflegungskiosk
erzielt hat. Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die
Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) in Kraft getreten. Gemäss Art. 112 Abs. 1
MWSTG sind jedoch die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen - namentlich jene
gemäss dem Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG;
AS 2000 1300) - mit hier nicht interessierenden Ausnahmen weiterhin auf alle
während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen
Rechtsverhältnisse anwendbar; somit erfolgt die materielle Beurteilung im
vorliegenden Fall noch nach den Bestimmungen des aMWSTG. Demgegenüber ist
verfahrensrechtlich das neue Recht gemäss Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche
im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängigen Verfahren anwendbar (Urteil 2C_399/
2011 vom 13. April 2012 E. 1.4, zur Publikation vorgesehen).

2.
2.1 Gemäss Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG werden Lieferungen und der
Eigenverbrauch von Ess- und Trinkwaren mit Ausnahme von alkoholischen Getränken
zum reduzierten Satz von 2,4 % besteuert. Dies gilt jedoch nicht für Ess- und
Trinkwaren, wenn die steuerpflichtige Person sie beim Kunden zubereitet bzw.
serviert oder wenn sie für deren Konsum an Ort und Stelle besondere
Vorrichtungen bereithält. In diesem Falle gilt der Normalsatz von 7,6 % (Art.
36 Abs. 3 aMWSTG in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG). Zum
reduzierten Steuersatz abgerechnet werden dagegen Ess- und Trinkwaren die zum
Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind und wenn hierfür geeignete
organisatorische Massnahmen getroffen worden sind (Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff.
2 aMWSTG).
An dieser Rechtslage hat sich im Übrigen auch mit Inkrafttreten des neuen MWSTG
nichts geändert (vgl. Art. 25 Abs. 1 sowie Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 2 bzw.
Abs. 3 MWSTG).

2.2 Die Praxis der ESTV sowie Lehre und Rechtsprechung zeigen, dass die
Abgrenzung der privilegiert besteuerten sog. Take-away-Leistungen von den
ordentlich zu besteuernden Leistungen nicht immer einfach ist (vgl. dazu die
detaillierte Regelung in der Branchenbroschüre Nr. 08 der ESTV, Hotel- und
Gastgewerbe [610.540-08], insb. Ziffer 1.3.2 ff.). Die Praxis der ESTV geht
davon aus, dass die Anwendung des reduzierten Satzes nur bei Einhaltung der
dort aufgeführten strengen Anforderungen möglich ist (vgl. auch MOLLARD/
OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Traité TVA, 2009, S. 641 ff.; MARTIN KOCHER, in:
mwst.com, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2000, N. 14 ff.
insb. N. 27 zu Art. 36 aMWSTG).
Für das neue MWSTG wurden zwar verschiedene Begriffe in Art. 53 bis 56 der
Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTGV; SR 641.201) detailliert
geregelt, so etwa "Besondere Konsumvorrichtungen an Ort und Stelle" (Art. 54
MWSTGV), "Zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmte Nahrungsmittel" (Art.
55 MWSTGV) oder "Geeignete organisatorische Massnahme" (Art. 56 MWSTGV). Die
Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen jedoch weiterhin (vgl. CAMENZIND/HONAUER/
VALLENDER/JUNG/PROBST, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 3. Aufl.
2012, Rz 1557).

2.3 Das Bundesgericht hat sich bereits verschiedentlich mit Abgrenzungsfragen
im Zusammenhang mit Take-away-Leistungen bzw. dem sog. "Verkauf über die Gasse"
befasst. In BGE 123 II 16 E. 6f S. 29 hat es festgehalten, dass das vom
Verordnungsgeber in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 zweites Lemma der alten
Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22. Juni 1994 (aMWSTV; AS 1994 1464)
gewählte Unterscheidungsmerkmal - das Bereitstellen von besonderen
Vorrichtungen zum Konsum an Ort und Stelle - für die Anwendung des ordentlichen
Steuersatzes für gastgewerbliche Leistungen sachgerecht und zweckmässig ist.
Diese Praxis wurde mit den Urteilen 2A.68/2003 vom 31. August 2004 E. 3.3 sowie
2C_662/2007 vom 23. Juli 2008 E. 2 bestätigt.

3.
3.1 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Betrieb des
Steuerpflichtigen in der fraglichen Zeit über verschiedene
Konsumationseinrichtungen (Tische und Stühle) verfügte. Gemäss Art. 36 Abs. 1
lit. a Ziff. 2 aMWSTG hatte dies für vor Ort konsumierte Leistungen eine
Besteuerung als gastgewerbliche Leistungen zur Folge und führte für solche
Leistungen zur Anwendung des Normalsatzes. Unbestritten ist auch, dass für Ess-
und Trinkwaren die zum Mitnehmen bestimmt waren (Take-away-Leistungen), in dem
hier zu beurteilenden Zeitraum keine organisatorischen Massnahmen getroffen
wurden, die eine Anwendung des reduzierten Steuersatzes im Sinne von Art. 36
Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG gerechtfertigt hätte.
Umstritten ist die Frage, ob das Nichteinhalten der für die Anwendung des
reduzierten Satzes erforderlichen Voraussetzungen ("das Treffen von geeigneten
organisatorischen Massnahmen") gemäss den Ausführungen der Vorinstanz zu einer
Ermessenstaxation führt, oder ob die Anwendung des reduzierten Steuersatzes
untrennbar mit dem Bestehen von organisatorischen Massnahmen zusammenhängt.
Letzteres hätte zur Folge, dass bei Fehlen von solchen organisatorischen
Massnahmen, keine Ermessenstaxation vorzunehmen ist, sondern zwingend für alle
erbrachten Leistungen der Normalsatz angewendet wird, wie dies die ESTV
verlangt.

3.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach
der wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente. Abzustellen ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte
der Norm und ihren Zweck sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit
anderen Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von
Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und hat nur dann
allein auf den Wortlaut abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich
richtige Lösung ergab. Sind mehrere Interpretationen denkbar, soll jene gewählt
werden, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten berücksichtigt (
BGE 138 II 107 E. 5.2 S. 107 f.; 137 II 164 E. 4.1 S. 170; 135 II 416 E. 2.2 S.
418). Im Übrigen ist zu beachten, dass Ausnahmevorschriften weder extensiv noch
restriktiv, sondern nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen im Rahmen der
allgemeinen Regeln "richtig" auszulegen sind (BGE 138 II 251 E. 2.3.3 mit
Hinweis).
3.2.1 Dem Wortlaut von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG ist zu entnehmen,
dass für Ess- und Trinkwaren (ausgenommen alkoholische Getränke) grundsätzlich
der reduzierte Satz zur Anwendung kommt (1. Halbsatz des ersten Satzes von
Ziff. 2). Der reduzierte Steuersatz gilt im Sinne einer Ausnahme aber nicht für
Ess- und Trinkwaren, die im Rahmen von gastgewerblichen Leistungen abgegeben
werden (2. Halbsatz des ersten Satzes von Ziff. 2). Als gastgewerbliche
Leistung gilt dabei die Abgabe von Ess- und Trinkwaren, wenn die
steuerpflichtige Person sie beim Kunden zubereitet bzw. serviert oder wenn sie
für deren Konsum an Ort und Stelle besondere Vorrichtungen bereit hält (1.
Halbsatz des zweiten Satzes von Ziff. 2). Sind vor Ort Stühle, Bänke bzw.
Tische, Theken usw. vorhanden, handelt es sich um solche besonderen
Vorrichtungen, was grundsätzlich zu einer gastgewerblichen Leistung führt, für
welche - wie im 1. Satz gesagt - der reduzierte Steuersatz nicht gilt. Der 2.
Halbsatz des zweiten Satzes von Ziff. 2 hält sodann fest, dass der reduzierte
Steuersatz Anwendung findet, wenn die Ess- und Trinkwaren zum Mitnehmen oder
zur Auslieferung bestimmt und wenn hiefür geeignete organisatorische Massnahmen
getroffen worden sind. Damit wird eine Ausnahme von der Ausnahme für
gastgewerbliche Leistungen stipuliert und festgelegt, dass beim sog.
Take-away-Geschäft im Ergebnis dennoch der reduzierte Satz zur Anwendung kommt.
Gemäss dem Wortlaut der für das Take-away-Geschäft in Art. 36 Abs. 1 lit. a
Ziff. 2 aMWSTG formulierten Bestimmung sind damit zwei Bedingungen verbunden:
Verlangt wird, dass es sich a) um Ess- und Trinkwaren handelt, die zum
Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind und dass b) hierfür geeignete
organisatorische Massnahmen getroffen werden. Dabei bezieht sich "hierfür"
sprachlich auf das "Mitnehmen und die Auslieferung von Ess- und Trinkwaren".
Der Beschwerdegegner weist deshalb darauf hin, aus dem reinen Wortlaut der
Bestimmung könne geschlossen werden, dass beim Vorliegen von geeigneten
organisatorischen Massnahmen die "hierfür", d.h. deshalb getroffen werden, um
das Mitnehmen oder die Auslieferung sicherzustellen, (wie z.B. das Bereithalten
von Papiertüten, Kartonbehältnissen oder Servietten), der reduzierte Steuersatz
zur Anwendung kommen müsste.
3.2.2 Betrachtet man aber die Entstehungsgeschichte dieser Norm, so steht fest,
dass eine solche Auslegung nicht Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist.
3.2.2.1 Ausgehend von der zu Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 zweites Lemma aMWSTV
entwickelten Praxis der ESTV (vgl. dazu die Wegleitung 1997 für
Mehrwertsteuerpflichtige, Rz. 213 ff. sowie die Branchenbroschüre Nr. 10 für
das Gastgewerbe, Rz 2.37) stand unter dem Regime der aMWSTV fest, dass der
reduzierte Satz nur dann zur Anwendung kommen sollte, wenn der "Verkauf über
die Gasse" in räumlich und organisatorisch abgetrennten Verkaufsräumlichkeiten
erfolgte. Demgegenüber lag z.B. beim Verkauf von Esswaren und alkoholfreien
Getränken am Buffet eines Restaurants immer eine zum Normalsatz steuerbare
gastgewerbliche Leistung vor (vgl. Branchenbroschüre Nr. 10 für das
Gastgewerbe, Rz. 2.37).
3.2.2.2 Diese Praxis wurde unter dem Regime des aMWSTG fortgesetzt. Die vom
Gesetzgeber vorgenommene Präzisierung in Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG
wird von der ESTV so verstanden, dass der reduzierte Steuersatz bei
Take-away-Lieferungen nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn geeignete
organisatorische Massnahmen zum Nachweis eines "Verkaufs über die Gasse"
getroffen wurden. Konkret geht die ESTV davon aus, dass beim "Verkauf über die
Gasse" durch gastgewerbliche Betriebe mit Konsumationseinrichtungen geeignete
organisatorische Massnahmen zur Abgrenzung der Verkäufe von den
gastgewerblichen Tätigkeiten vorliegen müssen (z.B. getrennte Kassen oder
Kasse, die eine Aufteilung der verschiedenen Umsätze erlaubt) und dass aufgrund
von Indizien nur gewisse Leistungen hierfür in Frage kommen (vgl. dazu
Wegleitung 2001 zur Mehrwertsteuer, Rz. 129 ff. und Branchenbroschüre Nr. 08
der ESTV, a.a.O., Rz 1.3 zweites Lemma sowie Rz. 1.3.2.1 und 1.3.2.2).
3.2.2.3 Aus den Materialien zum aMWSTG ergibt sich, dass die neu im Gesetz
eingefügte Formulierung "sind hierfür geeignete organisatorische Massnahmen
getroffen worden" primär bezweckte, ein Kriterium zu finden, das zur Abgrenzung
gegenüber der ohne Serviceleistungen erbrachten Lieferungen diente.
Entscheidendes Kriterium für gastgewerbliche Leistungen ist der Service (vgl.
dazu den Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom
28. August 1996 zur Parlamentarischen Initiative Dettling, BBl 1996 773 zu Art.
34 Ziff. 1). Als Abgrenzungskriterium ist der Servicebegriff aber nur
beschränkt tauglich. Aus diesem Grunde sollte der ESTV mit der oben zitierten
Formulierung - im Einklang mit BGE 123 II 16 - ermöglicht werden, für gemischte
Betriebe, die sowohl Take-away-Leistungen als auch gastgewerbliche Leistungen
vor Ort erbringen, praktikable Abgrenzungen vornehmen zu können (vgl. Votum
Speck, AB 1999 N 340 f; Voten Brändli, Merz und Bundesrat Villiger, AB 1998 S
985 ff.). Die Votanten waren sich dabei einig, dass die "geeigneten
organisatorischen Massnahmen" wirksame Kontrollen ermöglichen sollen und damit
die Steuerpflichtigen in die Lage versetzt werden, die verschiedenen
Steuersätze sauber auseinanderzuhalten und damit auch die Steuer korrekt
abzurechnen.
3.2.3 Weder dem Gesetzeswortlaut noch den Materialien kann jedoch entnommen
werden, welche Rechtsfolgen sich für die nicht vor Ort konsumierten Leistungen
ergeben, wenn der Steuerpflichtige die für die Abgrenzung der zum Mitnehmen
bestimmten zu den an Ort und Stelle konsumierten Trink- und Esswaren
vorgesehenen organisatorischen Massnahmen nicht vornimmt. Würde man der
Auffassung der ESTV folgen und die organisatorischen Massnahmen als
konstitutives Element für die Unterstellung unter den Normal- bzw. den
reduzierten Satz betrachten, so widerspräche dies vorab dem Aufbau der
Bestimmung von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG. Diese geht nämlich davon
aus, dass für Ess- und Trinkwaren (ohne alkoholische Getränke) grundsätzlich
der reduzierte Steuersatz gilt (1. Halbsatz des ersten Satzes) und dass dies
folgerichtig auch für Ess- und Trinkwaren zu gelten hat, die zur Mitnahme oder
Auslieferung bestimmt sind (2. Halbsatz des zweiten Satzes).
Überdies hätte die Auffassung der ESTV zur Folge, dass alle Leistungen durch
die vor Ort konsumierten Umsätze zum Normalsatz miterfasst und damit im
Ergebnis sämtliche Leistungen, die von einem Take-away-Stand abgegeben werden,
mit dem Normalsatz besteuert würden. Eine solche Auslegung, wie sie von der
ESTV verlangt wird, widerspricht damit aber Sinn und Zweck der Gesetzgebung,
die eine bewusste Unterscheidung zwischen Leistungen getroffen hat, die zum
Normal- bzw. zu einem reduzierten Satz besteuert werden.
Im Übrigen wäre die Auffassung der ESTV auch nicht mit dem in Art. 8 BV
enthaltenen Rechtsgleichheitsgebot zu vereinbaren, weil im Falle fehlender
organisatorischer Massnahmen mit der Besteuerung sämtlicher
Take-away-Leistungen zum Normalsatz eine Unterscheidung getroffen wird, die zu
einer Ungleichbehandlung gegenüber den nicht im Zusammenhang mit
Take-away-Lieferungen abgegebenen Ess- und Trinkwaren führt (vgl. BGE 136 II
457 E. 7 S. 468 f.; 135 V 361 E. 5.4.1 S. 369 f.).

4.
4.1 Das Bundesgericht hat für einen Fall, der noch Art. 27 aMWSTV betraf,
ausgeführt, dass bei Hauslieferungen von Pizzas eine Ermessenstaxation
vorzunehmen ist und die Anwendung des ermässigten Steuersatzes auf einem Teil
des Umsatzes verweigert werden kann, wenn der Steuerpflichtige nicht genügend
nachweist, dass es sich um Hauslieferungen handelt (BGE 123 II 16 E. 9c S. 34
f.). In einem anderen Fall, der eine ähnliche Frage betraf, nämlich die
Abgrenzung von steuerbaren zu von der Besteuerung ausgenommenen Leistungen, hat
das Bundesgericht entschieden, dass keine Schätzung vorzunehmen sei, sondern
gewisse Leistungen zu fakturieren seien (BGE 126 II 443 E. 5 S. 450).

4.2 Die Vornahme einer Ermessenstaxation für Fälle, bei denen kein genügender
Nachweis für die Anteile der zum Normalsatz und zum reduzierten Satz
steuerbaren Leistungen gegeben ist, erscheint auch im vorliegenden Fall als
sachgerecht, weil damit eine ungerechtfertigte Mehrbelastung für Leistungen,
die dem reduzierten Satz unterliegen, vermieden werden kann.
Dies hat auch die ESTV in der Zwischenzeit offenbar erkannt und mit der
Praxisänderung, welche zwar erst ab dem 1. Juli 2005 Gültigkeit hat (vgl.
Praxisänderung der ESTV ab 1. Juli 2005, Ziff. 2.10) festgestellt, dass
gemischte Betriebe sowie Imbissbars oder -stände ihre zum Normalsatz
steuerbaren gastgewerblichen Leistungen mit einer Pauschale abrechnen dürfen,
sofern sie über nicht mehr als 20 Sitz- oder Stehplätze verfügen. Die übrigen
Verkäufe von Ess- und Trinkwaren "über die Gasse" unterliegen dabei dem
reduzierten Steuersatz, auch wenn die erwähnten organisatorischen Massnahmen
(inkl. Abgabe eines Kassenzettels) nicht durchgeführt wurden. Damit wird von
der ESTV - wenn auch nur für Betriebe, welche über nicht mehr als 20 Sitz- oder
Stehplätze verfügen - anerkannt, dass das Treffen von geeigneten
organisatorischen Massnahmen keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung
des reduzierten Steuersatzes für die übrigen "Verkäufe über die Gasse" ist.

4.3 Daraus ergibt sich zusammenfassend Folgendes: Aufgrund einer sachgerechten
Auslegung von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG ist davon auszugehen, dass
bei Ess- und Trinkwaren, die zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind,
geeignete organisatorische Massnahmen getroffen werden müssen, damit diese von
den vor Ort konsumierten Leistungen unterschieden werden können. Fehlt es an
solchen organisatorischen Massnahmen, so führt dies nicht automatisch zur
Anwendung des Normalsatzes für alle Leistungen. Vielmehr muss im Rahmen einer
Ermessenstaxation eine Aufteilung der Umsätze in solche, welche zum Normalsatz
und solche, welche zum reduzierten Satz zu besteuern sind, vorgenommen werden.
Dies erscheint in jedem Falle dann als richtig, wenn - wie hier - feststeht,
dass tatsächlich Leistungen zum reduzierten Satz erbracht worden sind. Zudem
darf auf den Kassenzetteln gegenüber den Leistungsempfängern nicht der höhere
Normalsatz ausgewiesen worden sein, was nach dem Grundsatz "fakturierte Steuer
gleich geschuldete Steuer" eine Anwendung des reduzierten Satzes verunmöglichen
würde. Hier liegen jedoch keine Hinweise vor, dass dies im vorliegenden Falle
so gewesen sein könnte.

5.
Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Dem
Verfahrensausgang entsprechend sind die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens der Beschwerdeführerin, die Vermögensinteressen wahrnimmt,
aufzuerlegen (Art. 65 f. BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner zudem eine
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht,
Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Oktober 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Winiger