Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.128/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_128/2012

Urteil vom 29. Mai 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Erich Fischli & Partner, Erich Fischli,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV.

Gegenstand
Revision/Wiederherstellung
(Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3634/2011
vom 15. September 2011),

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 5.
Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ focht den Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung
vom 25. Mai 2011, mit welchem er verpflichet wurde, für die Zeit vom 1. Quartal
2004 bis zum 4. Quartal 2008 Mehrwertsteuern von Fr. 45'911.-- (zuzüglich
Verzugszins) zu bezahlen, am 24. Juni 2011 mit Beschwerde beim
Bundesverwaltungsgericht an. Dieses forderte ihn mit Zwischenverfügung vom 29.
Juni 2011 zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 3'800.-- bis spätestens
20. Juli 2011 auf, unter Androhung des Nichteintretens im Säumnisfall. Diese
Verfügung wurde gemäss Track & Trace-Auszug der Post mit Abholungseinladung im
Postfach des Vertreters des Beschwerdeführers avisiert, wurde indessen innert
sieben Tagen nicht abgeholt, sodass sie ans Bundesverwaltungsgericht
zurückgelangte. Dieses erachtete die Zahlungsaufforderung gestützt auf die bei
Einschreibesendungen oder Gerichtsurkunden geltende Zustellungsfiktion als
gültig eröffnet und trat mit Urteil vom 15. September 2011 mangels Leistung des
Kostenvorschusses auf die Beschwerde nicht ein.

Auf die hiegegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
trat das Bundesgericht am 17. Oktober 2011 ebenfalls nicht ein und leitete die
letztgenannte Rechtsschrift (vom 14. Oktober 2011) zwecks Behandlung als
Fristwiederherstellungsgesuch im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VwVG an das
Bundesverwaltungsgericht weiter (Urteil 2C_845/2011). Ohnehin war X.________ am
14. Oktober 2011 mit einem Begehren um Revision bzw. Wiederherstellung der
Beschwerdefrist auch an das Bundesverwaltungsgericht gelangt.

B.
Mit Urteil vom 5. Januar 2012 trat das Bundesverwaltungsgericht auf das
Revisionsgesuch nicht ein und wies das Fristwiederherstellungsgesuch ab.

C.
Mit Eingabe vom 3. Februar 2012 führt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das letztgenannte
Urteil aufzuheben und das Bundesverwaltungsgericht anzuweisen, ihm - dem
Beschwerdeführer - nochmals eine Frist zur Leistung des Kostenvorschusses
einzuräumen.

Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf
Vernehmlassung.

Mit Eingabe vom 20. April 2012 hat sich X.________ noch einmal geäussert.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1
lit. a BGG). Dieser erging im Rahmen eines Verfahrens betreffend die
Mehrwertsteuer, mithin in einer öffentlich-rechtlichen Angegenheit, die der
Beschwerde gemäss Art. 82 ff. BGG an das Bundesgericht unterliegt. Das
Bundesverwaltungsgericht hat die Sache entsprechend dem Urteil des
Bundesgerichts 2C_845/2011 vom 17. Oktober 2011 mit Recht als
Fristwiederherstellungsgesuch behandelt. Es hat dieses abgewiesen, womit das
Verfahren durch den angefochtenen Entscheid beendet wird (Art. 90 BGG). Die
Beschwerde hiegegen ist daher zulässig und der Beschwerdeführer ist zur
Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören nicht nur die
Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde
liegt, sondern auch jene über den Ablauf der vorinstanzlichen Verfahren, also
die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (vgl. Urteil 4A_210/2009 vom 7.
April 2010, E. 2). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E. 1.2.2). Im Bereich
der Beweiswürdigung steht dem Sachgericht ein erheblicher Ermessensspielraum zu
(BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur
ein, wenn das Sachgericht sein Ermessen missbraucht, insbesondere
offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder
solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 132 III 209 E. 2.1; 129 I 8 E.
2.1; 120 Ia 31 E. 4b S. 40; 118 Ia 28 E. 1b S. 30).

2.
2.1 Gemäss Art. 37 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das
Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG, SR 173.23) richtet
sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem Bundesgesetz vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), soweit das
VGG - wie hier - nichts anderes bestimmt:
Gemäss Art. 63 Abs. 4 VwVG erhebt die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder
der Instruktionsrichter vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss in der Höhe
der mutmasslichen Verfahrenskosten (Satz 1). Zu dessen Leistung ist dem
Beschwerdeführer eine angemessene Frist anzusetzen unter Androhung des
Nichteintretens (Satz 2). Ist ein Gesuchsteller - bzw. Beschwerdeführer - oder
sein Vertreter unverschuldeterweise abgehalten worden, binnen Frist zu handeln,
so wird diese wieder hergestellt, sofern er unter Angabe des Grundes innert 30
Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte
Rechtshandlung nachholt (Art. 24 Abs. 1 VwVG).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er die ihm vom
Bundesverwaltungsgericht gesetzte Frist zur Zahlung des Kostenvorschusses (vgl.
vorne lit. A) verpasst hat. Mithin gilt es hier zu prüfen, ob das
Nichteinhalten dieser Frist im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VwVG
"unverschuldeterweise" geschah.

2.2 Nach Art. 20 Abs. 2bis VwVG und der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur
Briefkasten- und Postfachzustellung gilt die Fiktion, dass eine eingeschriebene
Sendung spätestens am letzten Tag einer Frist von sieben Tagen ab Eingang bei
der Poststelle am Ort des Empfängers als zugestellt zu betrachten ist, sofern
tatsächlich ein erfolgloser (Briefkasten- oder Postfach-)Zustellungsversuch
(mit entsprechender Abholungseinladung) unternommen wurde und der Adressat mit
der fraglichen Zustellung rechnen musste (so genannte "Zustellfiktion", vgl.
BGE 134 V 49 E. 4 mit Hinweisen; vgl. gleichlautend mit Art. 20 Abs. 2bis VwVG
auch Art. 44 Abs. 2 BGG).

Die Beweislast für die Zustellung von Verfügungen und Entscheiden trägt die
Behörde. Sie hat auf geeignete Art den Beweis dafür zu erbringen, dass und wann
die Zustellung erfolgt ist (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.2) bzw. dass der erste -
erfolglose - Zustellungsversuch tatsächlich stattgefunden hat (Urteil 2C_780/
2010 vom 21. März 2011, E. 2.3 und 2.4).
Entgegen dieser allgemeinen Beweislastverteilung gilt bei eingeschriebenen
Sendungen eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den
Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten des Empfängers gelegt hat und das
Zustellungsdatum korrekt registriert wurde. Dies gilt namentlich auch dann,
wenn die Sendung im elektronischen Suchsystem "Track & Trace" der Post erfasst
ist, mit welchem es möglich ist, die Sendung bis zum Empfangsbereich des
Empfängers zu verfolgen (Urteil 2C_570/2011 vom 24. Januar 2012, E. 4.2). Es
findet also in diesem Fall hinsichtlich der Ausstellung der Abholungseinladung
insofern eine Umkehr der Beweislast in dem Sinn statt, als im Fall der
Beweislosigkeit zuungunsten des Empfängers zu entscheiden ist, der den Erhalt
der Abholungseinladung bestreitet (Urteil 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009 E. 3.2).
Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden (Urteil 5A_98/
2011 vom 3. März 2011, E. 2.3). Sie gilt so lange, als der Empfänger nicht den
Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung
erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache
ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden (Urteile
2C_780/2010 vom 21. März 2011, E. 2.4, 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009, E. 3.2 und
4.1). Die immer bestehende theoretische Möglichkeit eines Fehlers bei der
Poststelle genügt aber nicht, um die Vermutung zu widerlegen, solange nicht
konkrete Anzeichen für einen derartigen Fehler vorhanden sind (vgl. Urteil 2C_
38/2009, E. 5.3).

2.3 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Wesentlichen erwogen, die vom
Beschwerdeführer zum Zweck der Fristwiederherstellung eingereichten Akten
vermöchten den Gegenbeweis (zur ordnungsgemässen Zustellung der
Kostenvorschussverfügung) nicht zu erbringen. Jedenfalls gelinge es dem
Beschwerdeführer nicht, damit nachzuweisen, dass in der Poststelle Glarus vor
dem 1. Juli 2011 verschiedentlich Irrtümer bei der Verteilung von
Abholungseinladungen in die Postfächer vorgekommen wären. Auch durch die Notiz
über ein Gespräch mit einer Angestellten der Poststelle Glarus, wonach es sich
"auch um einen Fehler der Poststelle handeln" könnte, würden keine besonderen
Umstände dokumentiert, die für die Pflichtwidrigkeit eines Postangestellten bei
der Verteilung der Abholungseinladung im vorliegenden Fall sprächen. Es sei
damit davon auszugehen, dass die Abholungseinladung ordnungsgemäss ins Postfach
gelegt worden sei, womit kein unverschuldeter Hinderungsgrund bestanden habe,
welcher kausal für die prozessuale Säumnis zur Bezahlung des Kostenvorschusses
gewesen wäre.

2.4 Der von der Vorinstanz aus der genannten Vermutung (E. 2.2.) gezogene
Schluss, der Gegenbeweis zur ordnungsgemässen Zustellung sei nicht erbracht,
stellt Beweiswürdigung dar (vgl. Urteil 5A_98/2011 vom 3. März 2011, E. 2.3).
Dem Beschwerdeführer, der in seiner Eingabe im Wesentlichen den vor dem
Bundesverwaltungsgericht eingenommenen Standpunkt wiederholt, gelingt es nicht,
die diesbezügliche Argumentation der Vorinstanz als willkürlich erscheinen zu
lassen (vgl. vorne E. 1.2). Soweit er darüber hinaus geltend macht, es wäre
"fair und rechtsstaatlich korrekt" gewesen, wenn das Bundesverwaltungsgericht
ihm eine kurze Nachfrist (zur Zahlung des Kostenvorschusses) angesetzt hätte,
verkennt er, dass die Regelung von Art. 63 Abs. 4 VwVG eine solche nicht
vorsieht, was weder gegen das Verbot des überspitzten Formalismus noch gegen
den Verhältnismässigkeitsgrundsatz oder gegen das Gebot verfassungskonformer
Auslegung verstösst (vgl. Urteil 2C_703/2009 vom 21. September 2010, E. 4.4.2).

3.
Die Beschwerde ist damit als unbegründet abzuweisen.

Diesem Ausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65 f. BGG). Es sind keine
Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Eidgenössischen Steuerverwaltung
und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Mai 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein