Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.11/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_11/2012

Urteil vom 25. April 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Seiler,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Werner Ritter,

gegen

Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg, Pflanzenschutzdienst, 8268
Salenstein,
Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons Thurgau,
Verwaltungsgebäude, 8510 Frauenfeld,
Regierungsrat des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld,

Gegenstand
Feuerbrandbefall / Pflanzenschutz,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung II, vom
17. November 2011.

Sachverhalt:

A.
Am 2. Februar 2011 ordnete der Pflanzenschutzdienst des Bildungs- und
Beratungszentrums Arenenberg an, dass bis zum 5. März 2011 vier grosse
Birnbäume auf dem Grundstück von X.________ in der Gemeinde Erlen wegen
Feuerbrandbefalls zu roden und vorschriftsgemäss zu vernichten seien, unter
Androhung der Ersatzvornahme durch Dritte für den Unterlassungsfall. Hiegegen
wehrte sich X.________ durch alle kantonalen Instanzen und schliesslich, am 6.
April 2011, auch mit einer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

B.
Mit Zwischenverfügung vom 15. April 2011 lehnte es das Bundesverwaltungsgericht
ab, die vom Regierungsrat des Kantons Thurgau in dieser Beschwerdesache
entzogene aufschiebende Wirkung wieder herzustellen. Auf die dagegen erhobene
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten trat das Bundesgericht mit
Urteil vom 20. Mai 2011 nicht ein (Verfahren 2C_411/2011).

Die vier Bäume wurden am 18. Mai 2011 gefällt.

C.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht X.________ das rechtliche Gehör gewährt
hatte, schrieb es mit Verfügung vom 17. November 2011 das mit der Eingabe vom
6. April 2011 angehobene Beschwerdeverfahren als gegenstandslos geworden ab
(Ziff. 1), auferlegte X.________ die Verfahrenskosten von insgesamt Fr.
1'200.-- (Ziff. 2) und lehnte es ab, eine Parteientschädigung auszurichten
(Ziff. 3). Es erwog im Wesentlichen, das Rechtsschutzinteresse von X.________
an der Behandlung seiner Beschwerde sei dahingefallen, und die Voraussetzungen
für den Verzicht auf ein aktuelles und praktisches Interesse an der Beurteilung
der Streitsache seien nicht gegeben.

D.
Mit Eingabe vom 3. Januar 2012 führt X.________ Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, den
Abschreibungsentscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2011
aufzuheben (Ziff. 1) und die Angelegenheit zum Entscheid in der Sache an dieses
zurückzuweisen (Ziff. 2). Eventuell sei festzustellen, dass die Rodung der vier
Bäume zu Unrecht erfolgt sei und der Beschwerdeführer Anspruch auf
vollumfänglichen Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens habe (Ziff. 3).

Das Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg, das Departement für Inneres und
Volkswirtschaft und die Staatskanzlei (für den Regierungsrat) des Kantons
Thurgau beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht
verzichtet auf Vernehmlassung, ebenso das Bundesamt für Landwirtschaft.

Erwägungen:

1.
1.1 Dem angefochtenen verfahrensabschliessenden (Art. 90 BGG)
Abschreibungsentscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG
in Verbindung mit Art. 31 VGG und Art. 166 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 29.
April 1998 über die Landwirtschaft, LwG, [SR 910.1]) liegt eine Streitsache in
einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) zu Grunde, die
unter keinen Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG fällt. Das Rechtsmittel der
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten steht damit offen (BGE 137
I 296, nicht publ. E. 1.1), und der Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert
(Art. 89 BGG).

1.2 Die Rechtsbegehren Ziff. 1 und 2 der Beschwerde (vorne lit. D) beziehen
sich zwar auf den gesamten Abschreibungsentscheid einschliesslich der
Kostenregelung (vgl. Ziff. 2 und 3 des Urteilsdispositivs, vorne lit. C).
Diesbezüglich enthält die Beschwerde aber keine Begründung, so dass insoweit
darauf nicht einzutreten ist (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).

1.3 Nicht einzutreten ist auch auf das Rechtsbegehren Ziff. 3: Ein allfälliges
Schadenersatzbegehren wegen willkürlichen Entzugs bzw. willkürlicher
Nichtwiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde (gestützt
auf Art. 55 Abs. 4 VwVG) wäre in einem separaten Staatshaftungsbegehren geltend
zu machen (HANSJÖRG SEILER, in: Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das
Verwaltungsverfahren, Zürich 2009, Rz. 177 - 178 zu Art. 55). Ebenso wenig ist
bereits über ein allfälliges Abfindungsbegehren gestützt auf Art. 156 LwG
entschieden worden.

2.
2.1 Das Bundesverwaltungsgericht beurteilte die Eingabe des Beschwerdeführers
vom 6. April 2011 (vorne lit. A) in einem Zeitpunkt, als die vier
Hochstamm-Birnbäume bereits gefällt waren (vorne lit. B).

Zur Beschwerde ist gemäss Art. 48 Abs. 1 VwVG berechtigt, wer vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme
erhalten hat (lit. a), durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist
(lit. b), und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat
(lit. c). Dieses Interesse muss im Allgemeinen nicht bloss bei Einreichung der
Beschwerde, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung bestehen (BGE 128
II 34 E. 1b). Es fehlt, wenn die dem Rechtssstreit zu Grunde liegende Sache
untergegangen ist (vgl. S. 5 des angefochtenen Entscheides, mit Hinweisen).

Vorliegend ist unbestritten, dass das Streitobjekt im Zeitpunkt des
angefochtenen Entscheides nicht mehr bestand und damit das aktuelle
schutzwürdige Interesse (Art. 48 Abs. 1 lit. c VwVG) dahingefallen ist.

2.2 Nach der Rechtsprechung kann das Gericht ausnahmsweise auf das Erfordernis
des aktuellen praktischen Interesses verzichten, namentlich wenn sich die mit
der Beschwerde aufgeworfenen Fragen jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen
Umständen wieder stellen könnten, an ihrer Beantwortung wegen ihrer
grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und
eine rechtzeitige (bundes-)gerichtliche Prüfung im Einzelfall kaum je möglich
wäre (vgl. BGE 137 IV 230 E. 1; 137 I 120 E. 2.2.). Das Gericht hat dabei ein
gewisses (prozessuales) Ermessen. Dieser ausnahmsweise Verzicht auf das
aktuelle praktische Interesse dient dem allgemeinen Interesse an richterlicher
Klärung, nicht dem Interesse des Einzelnen, im konkreten Fall noch eine
gerichtliche Beurteilung zu erhalten, die ihm aufgrund des Wegfalls des
aktuellen Interesses doch nichts mehr nützen würde. Anderes gilt nur, wenn es
um die Feststellung der Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 bzw. Ziff. 4 EMRK geht
(Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf unverzügliche Vorführung vor einen
Richter/Anspruch auf gerichtliche Beurteilung des Freiheitsentzugs innerhalb
kurzer Frist), weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in solchen
Fällen trotz Fehlens eines aktuellen Rechtsschutzinteresses eine materielle
Beurteilung vornimmt (selbst wenn sich das Bundesgericht nicht dazu geäussert
hat, vgl. Urteil des EGMR 4691/06 vom 2. Dezember 2010 i. S. Jusic gegen
Schweiz sowie BGE 137 I 296 E. 4.3 bzw. BGE 136 I 274 E 1.3). In solchen Fällen
- zumal entsprechende Feststellungen als Grundlage für konventionsrechtliche
Entschädigungsbegehren (vgl. Art. 5 Ziff. 3-5 EMRK, BGE 137 I 296 E. 6 S. 303)
dienen würden - müsste auch die Vorinstanz eine materielle Beurteilung
vornehmen und dürfte die Sache nicht als gegenstandslos geworden abschreiben
(Art. 111 Abs. 3 BGG; BGE 137 I 296 E. 4.1 S. 299).

2.3 Ein solcher Fall nach Art. 5 EMRK steht nicht zur Diskussion, ebenso wenig
ein Entscheid als unmittelbare Grundlage für eine Entschädigung: Eine solche
nach Art. 55 Abs. 4 VwVG setzt willkürliche Nichtwiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung voraus; die blosse allfällige Feststellung, die
Beseitigungsverfügung vom 2. Februar 2011 betreffend die vier
Hochstamm-Birnbäume wäre unrechtmässig gewesen, hilft dem Beschwerdeführer mit
Bezug auf die Entschädigung nichts (vgl. auch vorne E. 1.3). Eine Abfindung
nach Art. 156 LWG für Schäden infolge behördlicher Abwehrmassnahmen oder durch
Desinfektion wird im Übrigen auch dann nach Billigkeit ausbezahlt, wenn die der
betreffenden Massnahme zugrunde liegende Verfügung rechtmässig ist.

2.4 Das Bundesverwaltungsgericht hat dargelegt, dass es sich bereits in
mehreren Urteilen mit der Frage des Feuerbrandbefalls von Obstbäumen
auseinander gesetzt hat. Dies wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
Insoweit also ist eine gerichtliche Klärung der Frage erfolgt. Namentlich hat
sich die Vorinstanz in ihrem Urteil B_7373/2007 vom 30. April 2008 (BVGE 2008/
32) bereits auf das von ihr angeordnete Gutachten Bächtiger/Boos gestützt (auf
welches sich der Beschwerdeführer auch im vorliegenden Verfahren beruft), und
ausführlich dargelegt, unter welchen Umständen eine Rodung/Beseitigung von
Feuerbrand befallener Bäume zulässig bzw. unzulässig ist (E. 8 des genannten
Entscheides).

2.5 In der hier zu beurteilenden Beschwerdesache wird im Wesentlichen
vorgetragen, die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheid BVGE 2008/32
selber aufgestellen Kriterien hätten in casu gegen die Beseitigung der vier
Hochstamm-Birnbäume gesprochen. Dies begründet aber nicht ein grundsätzliches
Interesse an der erneuten Beurteilung der Sache in allgemeiner Hinsicht, auch
dann nicht, wenn der streitige Rodungsentscheid von den gerichtlichen
Präjudizien abweichen sollte. Der blosse Umstand, dass eine materielle
Beurteilung der Angelegenheit trotz Beseitigung der Bäume im konkreten Fall
allenfalls immer noch möglich wäre, bedeutet nicht, dass sie zwingend auch
erfolgen müsste. Auch soweit der Beschwerdeführer in allgemeiner Weise die
Bekämpfungsstrategie bei Feuerbrand in Frage stellt, bestand kein Anlass für
das Bundesverwaltungsgericht, nach seinem erst vor kurzem ergangenen BVGE 2008/
32 eine neue Grundsatzentscheidung zu treffen.

2.6 Es mag zutreffen, dass eine gerichtliche Beurteilung einer Rodungsverfügung
wegen Feuerbrandbefalls oft nicht möglich ist, weil die kantonalen
Vollzugsbehörden solchen Verfügungen regelmässig die aufschiebende Wirkung
entziehen. Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil BVGE 2008/
32 bewiesen, dass es gegebenenfalls selber aufschiebende Wirkung erteilt bzw.
wieder herstellt und dann eine materielle Beurteilung vornimmt. Der Einwand,
der Entzug der aufschiebenden Wirkung dürfe nicht - wie vorliegend geschehen -
als Korrektiv für eine Verfahrensverschleppung eingesetzt werden, dringt sodann
nicht durch: Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner
Zwischenverfügung vom 15. April 2011 (vorne lit. B) sehr sorgfältig und
ausführlich, unter Berücksichtigung des Gutachtens Bächtiger/Boos und von BVGE
2008/32 begründet, weshalb es die aufschiebende Wirkung nicht wieder
herstellte. Insofern besteht in allgemeiner Weise eine wirksame (potentielle)
gerichtliche Überprüfung solcher Rodungs- bzw. Beseitigungsverfügungen und im
konkreten Fall doch eine zumindest vorläufige gerichtliche Beurteilung.

2.7 Insgesamt war das Bundesverwaltungsgericht bei dieser Sachlage und aufgrund
des ihm in solchen Fragen zuzugestehenden prozessualen Spielraums (vorne E.
2.2) nicht verpflichtet, die Beschwerde vom 6. April 2011 trotz Hinfalls des
aktuellen Rechtsschutzinteresses materiell zu behandeln.

3.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 65/66 BGG). Parteientschädigungen sind
nicht auszurichten (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bildungs- und Beratungszentrum
Arenenberg, dem Departement für Inneres und Volkswirtschaft und dem
Regierungsrat des Kantons Thurgau, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung II,
und dem Bundesamt für Landwirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. April 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein