Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.1144/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_1144/2012

Urteil vom 13. Mai 2013
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Winiger.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. A.________,
3. B.________,
4. C.________,
Beschwerdeführer,
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin Antonia Kerland,

gegen

Migrationsamt des Kantons St. Gallen,
St. Leonhard-Strasse 40, 9001 St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 32,
9001 St. Gallen.

Gegenstand
Familiennachzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
15. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________, türkischer Staatsangehöriger, geboren am 5. Mai 1973, heiratete
am 29. Juni 2001 die Schweizer Bürgerin Y.________ und erhielt in der Folge
eine Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennachzugs, die indessen im
Jahre 2006 nicht mehr verlängert wurde. Am 2. März 2007 wurde die Ehe von
X.________ und Y.________ geschieden, worauf X.________ am 11. April 2007 die
in der Schweiz niedergelassene portugiesische Staatsangehörige Z.________,
geboren am 19. Dezember 1963, heiratete und in der Folge eine
Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA erhielt.
A.b Am 29. November 2010 stellten X.________ und Z.________ das Gesuch um
Familiennachzug der in der Türkei lebenden Kinder von X.________, A.________
(geboren am 10. Dezember 1993), B.________ (geboren am 23. Januar 1996) und
C.________ (geboren am 4. Mai 1997). Das Migrationsamt des Kantons St. Gallen
wies das Gesuch am 23. September 2011 ab.

B.
X.________, A.________, B.________ und C.________ erhoben dagegen erfolglos
Rekurs an das Sicherheits- und Justizdepartement (Entscheid vom 20. März 2012)
und an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (Urteil vom 15. Oktober
2012).

C.
X.________, A.________, B.________ und C.________ erheben mit Eingabe vom 19.
November 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht. Sie beantragen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei
aufzuheben und es sei das Migrationsamt anzuweisen, den Kindern A.________,
B.________ und C.________ eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Vater
und dessen Ehefrau zu erteilen.
Das Sicherheits- und Justizdepartement und das Verwaltungsgericht St. Gallen
sowie das Bundesamt für Migration beantragen Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerdeführer berufen sich in vertretbarer Weise auf einen
Bewilligungsanspruch gemäss dem Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR
0.142.112.681), so dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid zulässig ist
(Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2, Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90
BGG); ob der Anspruch effektiv besteht, ist Sache der materiellen Beurteilung (
BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179).

1.2 Das Bundesgericht prüft frei die Anwendung von Bundesrecht mit Einschluss
des Verfassungs- und Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat; es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs.
1 und 2 BGG). Entsprechende Mängel müssen in der Beschwerde entsprechend gerügt
werden; rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ist nicht zu
hören (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246).

1.3 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführer reichen einige Noven ein und
begründen dies damit, diese seien dadurch veranlasst, dass die Vorinstanz das
rechtliche Gehör verletzt habe. Ob dies die Noven rechtfertigt, kann mit Blick
auf das Folgende offen bleiben.

2.
2.1 Vorinstanz und Beschwerdeführer gehen übereinstimmend von der mit BGE 136
II 65 begründeten bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus, wonach auch
Stiefkinder mit Drittstaatsangehörigkeit eines EU-Angehörigen in den
Anwendungsbereich von Art. 3 Anhang I FZA fallen. Vorausgesetzt ist, dass der
EU-Angehörige, um dessen Personenfreizügigkeit es letztlich geht, mit dem
Nachzug der Stiefkinder einverstanden ist, da dieser sonst gar nicht der
Gewährleistung des Freizügigkeitsrechts dient. Weiter sind familienrechtliche
Scheinbeziehungen vom Nachzugsrecht auszuschliessen. In diesem Sinne ist zu
verlangen, dass bereits vor der Familienvereinigung ein (soziales)
Familienleben tatsächlich bestanden hat, wobei die Angehörigen freilich nicht
zusammengewohnt, wohl aber ihre Beziehung mit minimaler Intensität gelebt haben
müssen. Bei Minderjährigen hat der nachziehende Ehegatte sodann die
zivilrechtliche Verantwortung für das Kind zu tragen, d.h. er muss entweder
über das Sorgerecht oder bei geteiltem Sorgerecht über das Einverständnis des
anderen Elternteils verfügen. Damit die nachzuziehenden Angehörigen bei der
freizügigkeitsberechtigten Person Wohnung nehmen können, hat dafür auch eine
Wohnung vorhanden zu sein, die den für Inländer geltenden normalen
Anforderungen entspricht (Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA). Zu beachten ist überdies
der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gemäss Art. 5
Anhang I FZA. Schliesslich darf der Nachzugsentscheid der Eltern nicht in
offensichtlichem Widerspruch zum Kindeswohl stehen (BGE 136 II 65 E. 5.2 S. 76
f.; 136 II 177 E. 3.2.3 S. 186).

2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, der Beschwerdeführer 1 habe seine Kinder erst
im Jahr 2010 formell anerkannt und sich das Sorgerecht übertragen lassen, als
diese bereits 17, 14 bzw. 13 Jahre alt gewesen seien. Aus den Akten hätten sich
bis zur Stellung des Familiennachzugsbegehrens keine Anhaltspunkte ergeben,
wonach der Beschwerdeführer 1 Kinder haben könnte. Es gebe auch keine Hinweise
darauf, dass er sich vorher darum bemüht habe, die Vaterschaft anzuerkennen und
sich die elterliche Sorge übertragen zu lassen, um die Kinder in die Schweiz
nachziehen zu können. Auch bei früheren Befragungen habe der Beschwerdeführer 1
nie Kinder erwähnt. Der Beschwerdeführer habe auch seine Behauptung, er habe
die Kinder in der Türkei regelmässig besucht und komme seit seiner Einreise in
die Schweiz für deren Unterhalt auf, nicht näher begründet; aus den Akten
ergäben sich dafür keine Hinweise. Aktenkundig sei hingegen, dass er die Kinder
erst im Jahre 2010 im Hinblick auf das Familiennachzugsgesuch anerkannt und
sich das Sorgerecht habe übertragen lassen. Die gesamten Umstände liessen nicht
darauf schliessen, dass zwischen dem Beschwerdeführer 1 und den
Beschwerdeführern 2-4 eine tatsächlich gelebte familiäre Beziehung bestehe und
das Gesuch gestellt worden sei, um in der Schweiz ein intensives Familienleben
führen zu können; das erscheine auch deshalb nicht glaubhaft, weil sich die
Betreuungssituation offenbar schon 2006 geändert habe und seit August 2007 die
Möglichkeit bestanden hätte, gestützt auf das FZA ein Familiennachzugsgesuch zu
stellen; es sei eher davon auszugehen, dass der Nachzug der Beschwerdeführer
2-4 dazu dienen soll, ihnen in der Schweiz zu besseren Berufs- und
Lebenschancen zu verhelfen. Zudem sei offen, ob die Ehefrau des
Beschwerdeführers 1 mit dem Nachzug nach wie vor einverstanden sei; bei den
Akten liege nur eine im Rahmen des Gesuchsverfahrens eingereichte undatierte
Erklärung der Ehefrau, aber diese habe am Rekurs- und Beschwerdeverfahren nicht
teilgenommen. Insgesamt sei aufgrund der Umstände anzunehmen, das Verfahren sei
in rechtsmissbräuchlicher Weise eingeleitet worden.

3.
3.1 Die Beschwerdeführer bestätigen, dass die Kinder nach der Ausreise des
Beschwerdeführers 1 in die Schweiz zunächst bei ihrer Mutter, dann beim Bruder
des Beschwerdeführers 1 und ab 2006 bei dessen Mutter (also ihrer Grossmutter)
lebten und erst im Jahre 2010 das Sorgerecht auf den Vater übertragen wurde und
dieser ein Familiennachzugsbegehren stellte. Sie stellen auch nicht in Frage,
dass der Beschwerdeführer 1 gegenüber den schweizerischen Behörden vorher seine
Kinder nie erwähnt hatte.

3.2 Die Beschwerdeführer rügen hingegen eine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör und eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung:
Migrationsamt und Departement hätten keine Zweifel am Bestand einer tatsächlich
gelebten Beziehung geäussert, weshalb für sie kein Anlass bestanden habe, diese
vor Verwaltungsgericht näher zu belegen. Zudem hätten sie für den Fall, dass
solche Zweifel bestünden, eine Anhörung der Kinder beantragt, worauf die
Vorinstanz nicht eingegangen sei. Hätte die Vorinstanz trotzdem noch Zweifel am
Bestand einer gelebten familiären Beziehung gehabt, hätte sie weitere Belege
einfordern müssen. Sodann sei die Feststellung der Vorinstanz offensichtlich
unrichtig, wonach sich aus den Akten keine Anhaltspunkte auf regelmässige
familiäre Besuche in der Türkei und Zahlungsüberweisungen an die Kinder fänden;
dies habe der Beschwerdeführer 1 vielmehr mit Schreiben vom 4. Mai 2011 an das
Migrationsamt belegt.

3.3 Dass die unteren Instanzen keine Zweifel am Bestehen einer tatsächlichen
Familienbeziehung geäussert hätten, trifft nicht zu: Sie haben sich auf
Rechtsmissbrauch bezogen, was weitgehend mit der Frage zusammenfällt, ob die
familiäre Beziehung bisher bereits gelebt worden ist (BGE 137 I 284 E. 2.3.1 S.
290; 136 II 497 E. 4.3 S. 507). Zudem hat bereits das Migrationsamt in seinem
Schreiben vom 15. April 2011, womit das rechtliche Gehör zur beabsichtigen
Verweigerung der Bewilligung gewährt wurde, ausgeführt, der Beschwerdeführer 1
habe die Kinder erst im Februar 2010 anerkannt, und gemäss Sorgerechtsurteil
seien die Kinder einzig aus wirtschaftlichen Gründen dem Vater zugesprochen
worden; es stehe daher eindeutig nicht die Familienzusammenführung im
Vordergrund. Die Beschwerdeführer äusserten sich denn auch in ihrem Schreiben
vom 4. Mai 2011 zum Vorwurf, es stehe nicht die Familienzusammenführung im
Vordergrund. Das Sicherheits- und Justizdepartement hat im Rekursentscheid vom
20. März 2012 erwogen, der Beschwerdeführer 1 habe seit Jahren darauf
verzichtet, mit den Kindern in einer Familiengemeinschaft zu leben und bringe
keine triftigen Gründe vor, warum er erst ein Familiennachzugsgesuch gestellt
habe, als die Kinder 17, 14 und 12 ½ Jahre alt gewesen seien; es erscheine bei
dieser Sachlage und nach jahrelanger Trennung nicht glaubhaft, dass ein
familiäres Zusammenleben ein echtes Anliegen sein soll; die geltend gemachten
regelmässigen Kontakte und die finanzielle Unterstützung vermöchten das
alltägliche Zusammenleben als Familie nicht zu ersetzen. Schon die
Verwaltungsinstanzen haben somit wesentlich darauf abgestellt, dass es ihres
Erachtens in Wirklichkeit gar nicht um die Fortführung eines tatsächlich
gelebten Familienlebens gehe. Die Beschwerdeführer haben denn auch in ihrer
Beschwerde an das Verwaltungsgericht geltend gemacht, es bestehe eine intakte
Beziehung zu den Kindern; diese sei aufgrund der regelmässigen Kontakte zu
seinen Kinder ohne Weiteres gegeben.

3.4 Zutreffend ist hingegen die Kritik der Beschwerdeführer an der
vorinstanzlichen Aussage, es ergäben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte,
die auf regelmässige familiäre Besuche in der Türkei und auf
Zahlungsüberweisungen schliessen lassen könnten. Mit Brief vom 4. Mai 2011 an
das Migrationsamt haben die Beschwerdeführer Kopien von Bankauszügen und dem
Pass des Beschwerdeführers 1 eingereicht; danach hat dieser in den Jahren 2002
bis 2011 insgesamt rund Fr. 25'000.-- an D.________ bzw. E.________ in der
Türkei (offenbar dessen Bruder bzw. Mutter) überwiesen und ist er einige Male
in die Türkei gereist. Es ergeben sich damit entgegen der Auffassung der
Vorinstanz durchaus gewisse Anhaltspunkte für Zahlungsüberweisungen und
familiäre Besuche.

4.
4.1 In Bezug auf die rechtliche Würdigung bringen die Beschwerdeführer vor,
Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA sehe im Unterschied zu Art. 47 AuG keine Fristen für
den Familiennachzug vor und setze auch keine triftigen Gründe für einen solchen
voraus. Es sei nicht rechtsmissbräuchlich, ein Nachzugsgesuch erst kurz vor dem
Ablauf des 21. Lebensjahrs der Kinder zu stellen. Die Weisungen des Bundesamts
für Migration, die in einem solchen Fall von der Vermutung eines
rechtsmissbräuchlichen Vorgehens ausgingen, stünden im Widerspruch zum FZA.

4.2 Diese Kritik geht insofern ins Leere, als die Vorinstanz nicht davon
ausgegangen ist, es liege grundsätzlich Rechtsmissbrauch vor, wenn ein
Familiennachzugsgesuch erst nachträglich gestellt wird. Sie ist vielmehr im
konkreten Fall unter Würdigung der Umstände zum Ergebnis gekommen, die Berufung
auf das FZA sei rechtsmissbräuchlich. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist
die missbräuchliche Berufung auf die Normen des Unionsrechts nicht gestattet
und die nationalen Gerichte sind befugt, in jedem Einzelfall dem
missbräuchlichen Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver
Kriterien Rechnung zu tragen, um die Berufung auf das einschlägige Unionsrecht
zu verwehren, wobei die Ziele der fraglichen unionsrechtlichen Bestimmungen zu
beachten sind (Urteil des EuGH vom 21. Juli 2011 C-186/10 Oguz Randnr. 25 mit
Hinweisen). Dasselbe gilt im Rahmen des FZA und insbesondere für die
Bestimmungen über den Familiennachzug: Diese haben zum Ziel, das tatsächlich
gelebte Familienleben der Bürger der Staatsvertragsparteien zu ermöglichen;
geht es in Wirklichkeit nicht um diesen Zweck, ist eine Beschränkung des
Nachzugs nicht geeignet, die im FZA verankerte Personenfreizügigkeit
massgeblich zu beeinträchtigen (BGE 136 II 177 E. 3.2.3 S. 186). Im Urteil
2C_195/2011 vom 17. Oktober 2011 E. 4.3 hat das Bundesgericht den
Familiennachzug eines Stiefkindes verweigert, das im Zeitpunkt des Gesuchs
19jährig war und bisher bei seiner Grossmutter in Kongo gelebt hatte, weil
nicht glaubhaft gemacht worden war, dass eine Beziehung mit der in der Schweiz
lebenden Mutter aufrechterhalten worden war; dass die Mutter finanzielle
Beiträge an den Unterhalt des Kindes überwiesen hatte, genügte nicht. Auch
gemäss BGE 137 I 284 E. 2.8 S. 295 (im Rahmen eines Familiennachzugsgesuchs,
das innert der Fristen von Art. 47 AuG gestellt wurde) genügt es nicht, wenn
der in der Schweiz lebende Elternteil zum Unterhalt der im Ausland lebenden
Kinder finanziell beigetragen und regelmässige telefonische Kontakte hatte.

4.3 Im konkreten Fall sprechen zwar einige der von der Vorinstanz genannten
Gründe dafür, dass es in Wirklichkeit nicht um die Weiterführung bzw.
Ermöglichung einer gelebten Familienbeziehung geht; sie schliessen eine solche
aber auch nicht aus. Die beim Migrationsamt eingereichten Unterlagen (vgl. E.
3.4 hiervor) liefern zwar gewisse Anhaltspunkte, vermögen für sich alleine eine
hinreichende Beziehung aber nicht zu belegen. Es ist auch nicht klar, ob die
überwiesenen Gelder (ausschliesslich oder primär) für den Unterhalt der Kinder
bestimmt waren, zumal die Zahlungen unregelmässig erfolgten; näher zu prüfen
wäre, ob die nicht unerheblichen Geldzahlungen ausreichten, um - für türkische
Verhältnisse - ein tatsächliches soziales Familienleben zu begründen (vgl. E.
4.2 hiervor). Sodann belegen die Stempel im Pass zwar Reisen des
Beschwerdeführers 1 in die Türkei, weshalb es prima vista plausibel scheint,
dass er dort eine gewisse Zeit mit seinen Kindern verbracht hat; damit ist aber
der Nachweis eines in der Türkei gelebten sozialen Familienlebens noch nicht
erbracht.

Immerhin sind aber diese Unterlagen, die von der Vorinstanz zu Unrecht gar
nicht gewürdigt wurden, Anhaltspunkte für das Bestehen eines tatsächlichen
Familienlebens. Zudem hatten die Beschwerdeführer vor der Vorinstanz weitere
Beweisanträge gestellt, um das Familienleben nachzuweisen. Wenn die Vorinstanz
angesichts dieser von den Beschwerdeführern eingereichten Unterlagen und
geltend gemachten Umstände Zweifel an der gelebten familiären Beziehung hatte,
so hätte sie die von den Beschwerdeführern beantragten oder (im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes) andere zweckdienliche Beweismassnahmen (insbesondere
eine Befragung des Beschwerdeführers 1 und dessen Ehefrau) durchführen müssen.
Es kann nicht Sache des Bundesgerichts sein, dies nachzuholen, zumal auch die
vor Bundesgericht eingereichten Noven zwar neue Anhaltspunkte liefern, aber ein
vorbestandenes Familienleben auch nicht hinreichend zu belegen vermögen. Die
Sache ist daher zur Vervollständigung des Sachverhalts und zur beförderlichen
Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

5.
Die Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt praxisgemäss als
Obsiegen der beschwerdeführenden Partei (BGE 137 V 210 E. 7 S. 271; Urteil
2C_60/2011 vom 12. Mai 2011 E. 2.4). Es sind daher keine Gerichtskosten zu
erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführern
für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art.
68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
St. Gallen vom 15. Oktober 2012 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Migrationsamt des Kantons St.
Gallen, dem Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, dem
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Mai 2013
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Winiger

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