Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.112/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_112/2012

Urteil vom 23. Juli 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Dubs.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi,

gegen

Bundesamt für Migration, Quellenweg 6, 3003 Bern,

Gegenstand
Verweigerung der Zustimmung zur Verlängerung der kantonalen
Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom
22. Dezember 2011.

Erwägungen:

1.
1.1 Die äthiopische Staatsangehörige X.________ (geb. 1983) reiste am 31.
Oktober 2003 in die Schweiz ein und ersuchte erfolglos um Asyl. Die bis zum 15.
Oktober 2004 angesetzte Frist zur Ausreise liess sie ungenutzt ablaufen. Am 30.
September/1. Oktober 2005 wurde X.________ in Basel anlässlich einer im
Prostitutionsmilieu durchgeführten Kontrolle angehalten und in der Folge wurde
die Verhängung einer Fernhaltemassnahme geprüft.
Am 8. Dezember 2005 verheiratete sich X.________ mit dem Schweizer Bürger
A.________ (geb. 1973), worauf ihr am 10. Juli 2006 im Kanton Basel-Landschaft
eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Ehemann bis zum 7. Dezember 2006,
in der Folge verlängert bis zum 7. Dezember 2007, erteilt wurde. Seit Mai 2006
haben die Ehegatten getrennte Wohnsitze.

1.2 Am 16. Januar 2008 unterbreitete die kantonale Migrationsbehörde X.________
im Hinblick auf eine eventuelle Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung
und Wegweisung schriftliche Fragen und nahm weitere Abklärungen vor.
Im Frühjahr 2008 reichte der Ehemann eine Scheidungsklage ein, welche er am 12.
Juni 2008 wieder zurückzog. Am 8. Juli 2008 reichte er unter Hinweis darauf,
dass X.________ sich einer Wiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens sowie
überhaupt jeglicher Kontaktaufnahme verweigere, erneut eine Scheidungsklage
ein, welche er am 10. Dezember 2008 wieder zurückzog. Am 30. Januar 2009
verlängerte die kantonale Migrationsbehörde die Aufenthaltsbewilligung von
X.________ erneut (bis zum 7. Dezember 2009).

1.3 Am 12. November 2009 ersuchte X.________ die kantonale Migrationsbehörde um
weitere Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung. Die kantonale Behörde
erachtete die hierfür erforderlichen Voraussetzungen als erfüllt und ersuchte
das Bundesamt für Migration (BFM) um Zustimmung zur beabsichtigten
Verlängerung.
Mit Verfügung vom 25. Februar 2010 verweigerte das BFM die Zustimmung zur
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, ordnete die Wegweisung von X.________
an und räumte dieser eine Ausreisefrist von 8 Wochen ab Eintritt der
Rechtskraft dieser Verfügung ein. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Dezember 2011 ab.

1.4 Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. Februar
2012 beantragt X.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben
und das Bundesamt für Migration anzuweisen, die Zustimmung zur Verlängerung der
kantonalen Aufenthaltsbewilligung zu erteilen; eventualiter sei festzustellen,
dass der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig oder zumindest nicht zumutbar
sei. Zudem ersucht sie um Befreiung von den Gerichtskosten und um
unentgeltliche Verbeiständung.
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und das
Bundesamt für Migration schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

2.
2.1 Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit die Beschwerdeführerin
unabhängig vom Ergebnis des Entscheides über den Aufenthaltsanspruch die
Wegweisung anficht (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG). Im Übrigen ist die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offensichtlich unbegründet und ist im
vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.

2.2 Die Beschwerdeführerin legt nicht - auf jeden Fall nicht in
rechtsgenüglicher Weise - dar, dass die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen. Das Bundesgericht legt daher
seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art.
105 Abs. 1 BGG).

2.3 Die Beschwerdeführerin macht einen Anspruch auf Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG i.V.m. Art. 50 Abs. 2 AuG
geltend. Danach besteht nach Auflösung der Ehe - unabhängig von der Dauer der
Ehegemeinschaft - ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz
erforderlich machen. Wichtige persönliche Gründe können namentlich vorliegen,
wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt wurde und die
soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50
Abs. 2 AuG).
2.3.1 Die Vorinstanz hat die gesetzliche Regelung und die bundesgerichtliche
Rechtsprechung dazu zutreffend dargelegt. Es kann auf ihre Ausführungen
verwiesen werden (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG).
2.3.2 Die Vorinstanz hat sodann die Situation der Beschwerdeführerin sorgfältig
und umfassend geprüft und ist aufgrund ihrer - für das Bundesgericht
verbindlichen (vgl. E. 2.2 vorstehend) - Sachverhaltsfeststellungen zum Schluss
gekommen, es lägen keine wichtigen Gründe im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b
i.V.m. Abs. 2 AuG vor.
Betreffend die von der Beschwerdeführerin behauptete eheliche Gewalt hielt die
Vorinstanz einerseits fest, deren Vorbringen würden sich als äusserst vage und
unsubstanziiert erweisen. Es finde sich ein einziger Hinweis, wonach der
Ehemann die Beschwerdeführerin im Rahmen einer Meinungsverschiedenheit einmal
"geschubst" haben solle, womit die Schwelle zur ehelichen Gewalt jedoch nicht
als überschritten erachtet werden könne. Ansonsten würden keinerlei objektive
Anhaltspunkte hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin behaupteten ehelichen
Gewalt vorliegen. Andererseits führte die Vorinstanz aus, die behauptete
eheliche Gewalt wäre auf jeden Fall unbeachtlich, da diese ohnehin erst nach
bereits erfolgter Auflösung der Ehegemeinschaft stattgefunden hätte. Die
Vorinstanz untersuchte im Weiteren, welche Bedeutung der psychischen Erkrankung
des Ehemannes zukomme. Sie kam zum Schluss, es sei nicht plausibel, dass die
Beschwerdeführerin davon zum Zeitpunkt des Eheschlusses keine Kenntnis gehabt
haben soll, zumal der Ehemann aufgrund dieser Gesundheitsstörung ohne
Erwerbstätigkeit bzw. arbeitsunfähig gewesen sei und eine Rente erhalten habe.
Es hätten ihr die Schwierigkeiten, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus
einer solchen Verbindung bzw. im ehelichen Zusammenleben mit einem psychisch
kranken Ehemann ergeben würden, von Anfang an bewusst sein müssen. In der
nachmaligen Entwicklung ihrer Ehegemeinschaft habe sich insofern höchstens ein
von Beginn weg voraussehbares "Risiko" realisiert. Sei die Beschwerdeführerin
mit dem Abschluss der Ehe dieses "Risiko" jedoch bewusst eingegangen,
rechtfertige sich ihre Privilegierung in der Form einer Zuerkennung eines
Anspruchs auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung nicht.
Vor dem Hintergrund des rechtswidrigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in
der Schweiz, als sie ihren Ehemann kennenlernte, der äusserst kurzen
Bekanntschaftsdauer vor der Eheschliessung, der Krankheit des Ehemannes, welche
ihr bekannt gewesen sein musste, sowie der Auflösung der Ehegemeinschaft
bereits wenige Monate später, wobei zu jenem Zeitpunkt nicht von ehelicher
Gewalt die Rede gewesen wäre, schloss die Vorinstanz zusammenfassend, dass die
ehespezifischen Umstände keine wichtigen persönlichen Gründe im Sinne von Art.
50 Abs. 1 lit. b AuG darzustellen vermöchten, welche den weiteren Aufenthalt
der Beschwerdeführerin in der Schweiz gebieten würden.
Die Vorinstanz hat sodann auch die persönlichen Verhältnisse der
Beschwerdeführerin und ihre persönliche Interessenlage sorgfältig und umfassend
geprüft und dabei unter anderem auf die Abklärungen im Asylverfahren verwiesen,
in welchem die Angaben der Beschwerdeführerin durchwegs als unglaubhaft
beurteilt wurden. Sie führte aus, nachdem in der Beschwerdeschrift keine
substanziierten Vorbringen gemacht würden, die plausibel erscheinen liessen,
dass sich die konkreten Lebensumstände für die erst 28-jährige, kinderlose und
sich in guter physischer Verfassung befindende Beschwerdeführerin - trotz den
dargelegten günstigen Rahmenbedingungen - tatsächlich schwierig darstellen
würden, sei nicht davon auszugehen, dass ihre soziale Wiedereingliederung in
Addis Abeba mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wären. Dabei dürften ihr
auch die in der Schweiz erworbenen Deutschkenntnisse nebst ihrer soliden, vor
Ort genossenen Schulbildung auf dem dortigen Arbeitsmarkt zugutekommen.
Schliesslich hielt die Vorinstanz fest, auch die übrigen Aspekte bzw. die
weiteren Umstände des vorliegenden Falles vermöchten keinen wichtigen
persönlichen Grund nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG zu begründen.
2.3.3 Die vorinstanzlichen Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Die
Beschwerdeführerin wiederholt zwar ihre bereits vor der Vorinstanz
vorgetragenen Ausführungen, wonach sie Opfer von häuslicher Gewalt geworden
sei, vermag damit aber weder nachzuweisen, dass die vorinstanzlichen
Würdigungen des Sachverhaltes offensichtlich unrichtig wären, noch insbesondere
die vorinstanzliche Feststellung zu entkräften, wonach auf jeden Fall für den
Zeitraum des ehelichen Zusammenlebens keine eheliche Gewalt nachgewiesen sei.
Sie geht fehl mit ihrem Verweis auf die Definition der häuslichen Gewalt durch
die Fachstelle Gewalt des Eidg. Büros für Gleichstellung von Frau und Mann,
soweit sie daraus ableiten will, es sei ausländerrechtlich unerheblich, ob die
Gewalt erst nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft ausgeübt worden sei. Die
Vorinstanz hat diesbezüglich zu Recht darauf hingewiesen, dass ein
nachträgliches - nach Aufnahme des Getrenntlebens ohne wichtigen Grund nach
Art. 49 AuG - Wiederaufleben des Aufenthaltsanspruches nach Art. 42 oder Art.
43 AuG nicht in Betracht kommt und demnach allfällige nachträglich ausgeübte
Gewalt insofern nicht beachtlich ist (vgl. Urteil 2C_590/2010 vom 29. November
2010 E. 2.5.3). Im Weiteren vermag die Beschwerdeführerin mit der Behauptung,
sie habe nichts von der Krankheit ihres Ehemannes und von seiner
Medikamenteneinnahme gewusst, die von der Vorinstanz vorgenommene Würdigung der
Gesamtumstände nicht zu erschüttern. Schliesslich sind auch ihre Ausführungen
zur allgemeinen Situation alleinstehender und zurückkehrender Frauen in
Äthiopien unbehelflich. Sie verweist in diesem Zusammenhang erneut auf ihre
Ausführungen im Asylverfahren, mit denen sich die Vorinstanz auseinandergesetzt
hat. Die Beschwerdeführerin zeigt im Übrigen nicht auf, dass die mit Verweis
auf Studien des U.S. Departements of State sowie des UN-Habitat, Ethiopia,
erfolgten detaillierten Ausführungen der Vorinstanz zur Situation in Äthiopien
unrichtig wären.

3.
Angesichts der sorgfältigen und eingehenden Begründung des angefochtenen
Urteils, welche sich auf die geltende Gesetzgebung und die Rechtsprechung des
Bundesgerichts abstützt und mit der sich die Beschwerdeführerin in
entscheidenden Punkten gar nicht auseinandersetzt, hatte ihr Rechtsbegehren von
vornherein keine Aussichten auf Erfolg. Dem Gesuch um Befreiung von den
Gerichtskosten und um unentgeltliche Verbeiständung kann daher nicht
entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). Die unterliegende
Beschwerdeführerin hat somit die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 65
und 66 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr wird indessen ihrer
finanziellen Lage Rechnung getragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Juli 2012

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Die Gerichtsschreiberin: Dubs