Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 1D.1/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1D_1/2012

Urteil vom 17. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
Politische Gemeinde Widnau, Beschwerdeführerin, vertreten durch den
Einbürgerungsrat, Neugasse 4, Postfach, 9443 Widnau, dieser vertreten durch
Rechtsanwalt Hans-Walther Rutz,

gegen

X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Saila Ruibal,

Departement des Innern des Kantons St. Gallen, Generalsekretariat,
Regierungsgebäude, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs,

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 31. Mai 2012 des Verwaltungsgerichts
des Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A.
Der Serbe X.________ (Jg. 1971) reiste 1987 in die Schweiz ein und lebt sei
1997 in Widnau. Er ist mit der Mazedonierin Y.________ (Jg. 1971) verheiratet.
Das Paar hat gemeinsame Kinder.
X.________ und Y.________ stellten am 16. März 2009 bei der Gemeinde Widnau ein
Gesuch um Einbürgerung. Nach der ehelichen Trennung der Beiden wurden deren
Gesuche getrennt behandelt.
Mit Verfügung vom 18. August 2010 wurde X.________ mit einer Busse von Fr.
500.-- bestraft, weil er 17. Mai 2010 seinen Lieferwagen überladen und die
Ladung ungenügend gesichert hatte.
Am 23. Oktober 2010 führte der Einbürgerungsrat ein Einbürgerungsgespräch mit
X.________.
Mit Verfügung vom 3. November 2010 wurde X.________ mit Fr. 350.-- gebüsst,
weil er am 17. September 2010 innerorts 68 km/h statt der erlaubten 50 km/h
gefahren war.
Am 11. November 2010 teilte der Einbürgerungsrat X.________ mit, das
Einbürgerungsgespräch sei positiv verlaufen.

B.
Am 1. April 2011 wies der Einbürgerungsrat von Widnau die Anmeldung um
Einbürgerung von X.________ "aufgrund der beiden Bussenverfügungen vom 7. Juni
2010 und vom 24. September 2010" ab. Er räumte X.________ zudem die Möglichkeit
ein, ab, dem 4. November 2015 ein erneutes Gesuch um Einbürgerung zu stellen,
sofern er sich während fünf Jahren seit der letzten Bussenverfügung keine
weiteren Verfehlungen mehr zu Schulde kommen lasse.
Am 24. Oktober 2011 wies das Departement des Innern des Kantons St. Gallen den
Rekurs von X.________ gegen diese Verfügung des Einbürgerungsrats ab.
Am 31. Mai 2012 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die
Beschwerde von X.________ gegen diese Departementalverfügung im Sinne der
Erwägungen gut und hob diese und die Verfügung des Einbürgerungsrats vom 1.
April 2011 auf. Es wies die Angelegenheit zur Durchführung des Auflage- und
Einspracheverfahrens an die Politische Gemeinde Widnau zurück.

C.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die Politische Gemeinde Widnau,
diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

D.
Das Verwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung unter Verweis auf
seinen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen. Das Departement des Innern
beantragt, die Beschwerde gutzuheissen. X.________ beantragt, die Beschwerde
abzuweisen und die Politische Gemeinde Widnau anzuweisen, ihn einzubürgern.

Erwägungen:

1.
1.1 Beschwerden gegen letztinstanzliche Verfügungen der Kantone in
Einbürgerungsangelegenheiten richten sich nach den allgemeinen Bestimmungen
über die Bundesrechtspflege (Art. 51 Abs. 1 des Bürgerrechtsgesetzes vom 29.
September 1952, BüG; SR 141.0). Zur Beschwerde berechtigt sind auch die
betroffenen Kantone und Gemeinden (Art. 51 Abs. 2 BüG).

1.2 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gegen
Entscheide über die ordentliche Einbürgerung ausgeschlossen (Art. 82, Art. 83
lit. b BGG). Eine andere ordentliche Beschwerde fällt nicht in Betracht. Damit
ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde im Sinne der Art. 113 ff. BGG im
Grundsatz gegeben. Der Entscheid der Vorinstanz kann mit keinem kantonalen
Rechtsmittel angefochten werden und ist daher kantonal letztinstanzlich (Art.
114 i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG).

1.3 Anfechtbar sind Endentscheide (Art. 117 i.V.m. Art. 90 BGG),
Zwischenentscheide nach Art. 117 i.V.m. Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG nur,
wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133
IV 139 E. 4) bewirken könnten oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort
einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit
oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde. Es ist Sache
der Beschwerdeführerin, in der Beschwerde darzutun, dass diese
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, sofern es nicht offensichtlich ist
(Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134 III 426 E. 1.2; 133 III 629 E. 2.3.1 und 2.4.2;
133 II 249 E. 1.1).
1.3.1 Der angefochtene Entscheid weist die Sache zur Durchführung des Auflage-
und Einspracheverfahrens an den Einbürgerungsrat zurück und schliesst das
Verfahren damit nicht ab. Rückweisungsentscheide sind in der Regel
Zwischenentscheide. Enthalten sie allerdings verbindliche Vorgaben, die der
Vorinstanz keinen wesentlichen Entscheidungsspielraum mehr belassen und sie auf
den reinen Nachvollzug des oberinstanzlich Angeordneten beschränken, werden sie
von der Rechtsprechung als Endentscheide behandelt (BGE 134 II 124 E. 1.3;
Urteil 2C_638/2010 vom 19. März 2012, E. 1.1). Das setzt allerdings voraus,
dass es sich beim neuen Entscheid der unteren Instanz, den sie nach den
Vorgaben des Rückweisungsentscheids fällen muss, um einen
(verfahrensabschliessenden) Endentscheid, nicht um einen (verfahrensfördernden)
Zwischenentscheid handelt. Ansonsten liesse sich der Hauptzweck von Art. 93
Abs. 1 BGG - zu gewährleisten, dass sich das Bundesgericht nach Möglichkeit nur
einmal mit der gleichen Streitsache beschäftigen soll (BGE 138 III 94 E. 2.1
mit Hinweisen; 135 II 30 E. 1.3.2) - in diesen Fällen nicht erreichen.
1.3.2 Nach Art. 104 der Verfassung des Kantons St. Gallen (KV; vom 10. Juni
2001 in der Fassung gemäss III. Nachtrag vom 17. Mai 2009) und Art. 2 lit. a
des kantonalen Bürgerrechtsgesetzes (vom 3. August 2010, in Kraft seit dem 1.
Januar 2011, wobei die formellen Bestimmungen nach der unbestrittenen
Auffassung des Verwaltungsgerichts auf das vorliegende Verfahren anwendbar
sind) beschliesst der Einbürgerungsrat über die Erteilung des Gemeinde- und des
Ortsbürgerrechts. Ein positiver Einbürgerungsentscheid des Einbürgerungsrates
ist allerdings insofern nur vorläufiger Natur, als ihn jeder Stimmberechtigte
durch die blosse Einreichung einer begründeten Einsprache zu Fall bringen kann,
womit die Sache in die Zuständigkeit der Bürgerversammlung übergeht (Art. 104
Abs. 3 KV, Art. 24 Abs. 1 und 3 BüG).
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid die Verfügung des
Einbürgerungsrats vom 1. April 2011 aufgehoben und diesen angewiesen, der
Einbürgerung (unter dem Vorbehalt allfälliger neuer tatsächlicher oder
rechtlicher Gesichtspunkte) zuzustimmen und das Auflage- und
Einspracheverfahren durchzuführen. Damit wird das Einbürgerungsverfahren
fortgesetzt; dessen weiteres Schicksal liegt nunmehr zunächst in den Händen der
Stimmberechtigten von Widnau, die entweder den vom Einbürgerungsrat nach den
Vorgaben des Verwaltungsgerichts zu erlassenden positiven
Einbürgerungsentscheid akzeptieren können, indem sie von ihrem Einspracherecht
keinen Gebrauch machen. Oder aber sie bringen ihn durch Erhebung einer
Einsprache zu Fall und befinden alsdann in eigener Zuständigkeit über die
Einbürgerung. Da der angefochtene Rückweisungsentscheid formell nur den
Einbürgerungsrat bindet, sind die Stimmberechtigten bei ihrem
Einbürgerungsentscheid frei, d.h. einzig an die massgebenden Verfassungs- und
Gesetzesbestimmungen gebunden. Unter diesen Umständen schliesst der vom
Einbürgerungsrat nach den Vorgaben des angefochtenen Verwaltungsgerichtsurteils
zu erlassende Entscheid das Einbürgerungsverfahren nicht ab. Es handelt sich um
einen Zwischenentscheid, womit nach dem Gesagten auch der Rückweisungsentscheid
des Verwaltungsgerichts als solcher gilt. Die Beschwerdeführerin legt nicht
dar, dass die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG erfüllt sind, und das
liegt auch keineswegs auf der Hand. Auf die Beschwerde ist somit wegen
Verletzung der Begründungspflicht nicht einzutreten.
1.3.3 Das schadet der Beschwerdeführerin insofern nicht, als die
Eintretensvoraussetzungen ohnehin nicht erfüllt wären. Ein Eintreten aus
prozessökonomischen Gründen nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG rechtfertigt sich
nicht, schon weil es bei einer vorläufigen summarischen Prüfung der
Prozessaussichten nicht nahe liegt, die Beschwerde gutzuheissen und es damit
zweifelhaft erscheint, ob mit einer materiellen Behandlung der Beschwerde Zeit
und Kosten eingespart werden könnten. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil
im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG könnte allenfalls im Umstand gesehen
werden, dass der Einbürgerungsrat gegen seine Überzeugung einen neuen Entscheid
fällen muss (vgl. BGE 133 II 409 E. 1.2; 129 I 313 E. 3.3). Dies muss
allerdings in der vorliegenden Konstellation hingenommen werden, ansonsten das
Bundesgericht bei Ausschöpfung des Rechtsmittelzugs gezwungen wäre, sich mit
dieser Einbürgerungsangelegenheit zweimal zu befassen, wobei die Beurteilung
jedes Mal auch materielle Aspekte umfassen würde.

2.
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat die
Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren
eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Departement des Innern des Kantons St.
Gallen und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 17. Januar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi