Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.73/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_73/2012

Urteil vom 23. März 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Merkli,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Heinz Lüscher,

gegen

Kantonspolizei Basel-Stadt, Clarastrasse 38,
4005 Basel,
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Spiegelgasse 6,
4001 Basel.

Gegenstand
Sicherungsentzug des Führerausweises; Antrag auf Erteilung der aufschiebenden
Wirkung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 27. Dezember 2011 des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht.

Sachverhalt:

A.
Die Kantonspolizei Basel-Stadt intervenierte am 18. September und am 18.
Oktober 2007 wegen häuslicher Gewalt in der Wohnung von X.________ an der
A.________strasse in Basel. Dabei ergab sich beim als Buschauffeur tätigen
X.________ der Verdacht, er sei alkoholabhängig. In der Folge wurde er
verkehrsmedizinisch abgeklärt. Am 1. November 2008 beliess ihm die
Kantonspolizei den Führerausweis unter der Auflage einer kontrollierten
Totalabstinenz während mindestens dreier Jahren. Ausserdem verpflichte sie ihn,
während mindestens eines Jahres Therapiesitzungen bei einer geeigneten
Fachstelle durchzuführen. Die von X.________ gegen diese Verfügungen
ergriffenen Rechtsmittel blieben erfolglos.
Am 7. Oktober 2011 entzog die Kantonspolizei X.________ den Führerausweis auf
unbestimmte Zeit und ordnete eine verkehrsmedizinische Untersuchung an. Sie
stellte den Erlass einer neuen Verfügung in Aussicht, sobald er sich einer
solchen unterzogen habe und ein entsprechendes Gesuch stelle. Einer allfälligen
Beschwerde entzog sie vorsorglich die aufschiebende Wirkung. Sie begründete den
Sicherungsentzug damit, dass X.________ die Auflagen der Verfügung vom 1.
November 2008 nicht eingehalten habe.
X.________ rekurrierte ans Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons
Basel-Stadt mit dem Antrag, den Ausweisentzug aufzuheben. Ausserdem ersuchte
er, dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement wies den Antrag auf Erteilung der
aufschiebenden Wirkung am 26. Oktober 2011 ab.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt wies als Verwaltungsgericht den
gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Rekurs von
X.________ am 27. Dezember 2011 ab.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
dieses appellationsgerichtliche Urteil abzuändern und seiner Beschwerde gegen
den Entzug des Führerausweises aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sodass er
während der Dauer des Verfahrens arbeiten könne. Ausserdem ersucht er, seiner
Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Das Appellationsgericht verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt, die
Beschwerde abzuweisen. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement beantragt, die
Beschwerde abzuweisen.

C.
Am 28. Februar 2012 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.

D.
In zwei Vernehmlassungen beschwert sich X.________ darüber, dass das Verfahren
in der Hauptsache offenbar bis zum Entscheid des vorliegenden Verfahrens über
die aufschiebende Wirkung ruhen soll. Dadurch werde seine berufliche Existenz
zerstört.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Appellationsgericht hat die von der Kantonspolizei erstinstanzlich
getroffene Anordnung, einer allfälligen Beschwerde gegen den Sicherungsentzug
die aufschiebende Wirkung zu entziehen, kantonal letztinstanzlich geschützt.
Angefochten ist damit ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über eine
öffentlich-rechtliche Angelegenheit, gegen den die Beschwerde nach Art. 82 ff.
zulässig ist (vgl. Urteile 1C_233/2007 vom 4. Februar 2008 E. 1 und 1C_163/2007
vom 4. Juli 2007 E. 4). Der Entscheid schliesst allerdings das Verfahren nicht
ab; es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der nach Art. 93 Abs. 1 BGG
unter anderem dann anfechtbar ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken kann (lit. a). Ein solcher Nachteil ist vorliegend zu
bejahen, da der Beschwerdeführer während der Dauer des Verfahrens seinen Beruf
als Buschauffeur nicht ausüben kann (vgl. BGE 122 II 359 E. 1b S. 362; Urteil
1C_233/2007 vom 4. Februar 2008 E. 1.1). Die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

1.2 Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung stellt eine vorsorgliche
Massnahme zur Sicherstellung gefährdeter Interessen bis zum Abschluss des
Hauptverfahrens dar (BGE 125 II 396 E. 3 S. 401; 122 II 359 E. 1a S. 362).
Gemäss Art. 98 BGG kann der Beschwerdeführer somit nur die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte rügen.

1.3 Soweit der Beschwerdeführer neue Tatsachen und Beweismittel ins Recht legt
- das betrifft im Wesentlichen die verkehrspsychologische Abklärung vom 31.
Januar 2012 -, kann darauf nicht eingetreten werden (Art. 99 BGG).

2.
2.1 Nach Art. 16 Abs. 1 SVG sind Ausweise zu entziehen, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr gegeben sind. Grundvoraussetzung
für die Erteilung des Führerausweises ist die Fahreignung. Ist sie nicht mehr
gegeben, weil die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit einer Person
nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen (Art. 16d
Abs. 1 lit. a SVG), weil sie an einer Sucht leidet, die die Fahreignung
ausschliesst (lit. b), oder weil sie aufgrund ihres bisherigen Verhaltens nicht
Gewähr bietet, dass sie künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die
Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird (lit. c),
ist der Führerausweis auf unbestimmte Zeit zu entziehen. Nach dieser
gesetzlichen Regelung muss ein Sicherungsentzug zwingend in jedem Fall
angeordnet werden, bei dem die Fahreignung nicht mehr gegeben ist. Da der
Sicherungsentzug einen schwerwiegenden Eingriff in den Persönlichkeitsbereich
des Betroffenen bewirkt, setzt er eine sorgfältige Abklärung aller wesentlichen
Gesichtspunkte voraus (BGE 133 II 384 E. 3.1). Vorsorglich kann der
Führerausweis bereits entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der
Fahreignung bestehen (Art. 30 VZV).

2.2 Das verkehrspsychiatrische/verkehrspsychologische Gutachten der
Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) vom 12. September 2008
ergab, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1999 und 2000 sowie dreimal im
Jahr 2007 in der UPK stationär behandelt wurde, u.a. unter der Diagnose der
Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F.10.25); vom 19. bis zum 28. Dezember 2007 wurde
ein stationärer Entzug durchgeführt. Die Gutachter fanden keine Hinweise, die
im Zeitpunkt des Gutachtens gegen die Diagnose einer "Alkoholabhängigkeit,
gegenwärtig abstinent" (ICD-10 F.10.20) gesprochen hätten. Sie erachteten die
Wiedererteilung des Führerausweises nur unter Einhaltung einer kontrollierten
Abstinenz von mindestens drei Jahren für vertretbar. Gestützt darauf beliess
die Kantonspolizei dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 1. November 2008 den
Führerausweis unter der Auflage einer dreijährigen, regelmässig kontrollierten
Totalabstinenz und der mindestens monatlichen Fortführung von
Beratungsgesprächen bei einer Fachperson während mindestens eines Jahres.
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer diese Auflagen nicht einhielt: so
unterzog er sich offenbar lediglich einer einzigen Abstinenzkontrolle, deren
Ergebnisse Dr. Kummer am 4. Mai 2009 einreichte. Am 1. Juli 2009 teilte die
Suchtberatungsstelle der Kantonspolizei mit, der Beschwerdeführer habe sich
Mitte 2009 entschieden, von Totalabstinenz auf kontrollierten Alkoholkonsum
umzusteigen. Gut drei Monate später verfügte dann die Kantonspolizei den
umstrittenen Sicherungsentzug.

2.3 Die aktuellste verkehrsmedizinische Begutachtung vom 12. September 2008
stufte den Beschwerdeführer als gegenwärtig abstinenten Alkoholabhängigen ein,
dessen Eignung zum Führen von Reisebussen nur unter Einhaltung einer mindestens
dreijährigen Alkoholabstinenz bejaht werden könne. Daraus ergibt sich der
Umkehrschluss, dass nach der Auffassung der Gutachter jeglicher Alkoholkonsum
während dieser Bewährungszeit die Fahrtauglichkeit des Beschwerdeführers in
Frage stellt. Mit dem Verstoss gegen die von der Kantonspolizei rechtskräftig
verfügten Auflagen und insbesondere mit dem eigenmächtig getroffenen und
augenscheinlich in die Tat umgesetzten Entschluss, von der Totalabstinenz zu
kontrolliertem Konsum überzugehen, erweckt der Beschwerdeführer daher
zwangsläufig Bedenken an seiner Fahreignung, welche nur durch eine erneute
verkehrsmedizinische Begutachtung zu entkräften sind. Diesen Bedenken kommt bei
einem Buschauffeur aus Gründen der Verkehrssicherheit selbstredend ein
besonderes Gewicht zu. Das Appellationsgericht ist daher keineswegs in Willkür
verfallen, indem es die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung schützte, auch
wenn dies den Beschwerdeführer als Berufschauffeur naturgemäss hart trifft und
möglicherweise seine berufliche Existenz gefährdet. In der Natur der Sache
liegt, dass ein Verfahren verzögert wird, wenn Zwischenentscheide durch alle
Instanzen angefochten werden. Das spielt vorliegend indessen ohnehin keine
Rolle, da sich der Beschwerdeführer, wie sich aus dem von ihm ins Recht
gelegten Schreiben des Justiz- und Sicherheitsdepartements vom 12. März 2012
ergibt, der von der Kantonspolizei angeordneten verkehrsmedizinischen Abklärung
noch nicht unterzogen hat und die Sache damit ohnehin noch nicht spruchreif
ist.

3.
Der angefochtene Entscheid erweist sich damit als nicht verfassungswidrig. Die
Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Kantonspolizei, dem Justiz- und
Sicherheitsdepartement und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als
Verwaltungsgericht sowie dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat
Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. März 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi