Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.665/2012
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_665/2012, 1C_119/2013

Urteil vom 19. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter, Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 6, 4051 Basel.

Gegenstand
Vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung für Motorfahrzeugführer,
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerden gegen die Entscheide des Appellationsgerichtspräsidenten des
Kantons Basel-Stadt

vom 21. November 2012 und 12. Dezember 2012 (1C_665/2012);

bzw. vom 19. Dezember 2012 und 15. Januar 2013 (1C_119/2013).

Sachverhalt:

A.
X.________ ist Inhaber eines Führerausweises der Kategorie C1. Die
Motorfahrzeugkontrolle der Kantonspolizei Basel-Stadt forderte ihn am 17.
Januar 2012 dazu auf, sich der vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung gemäss
Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die
Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) zu
unterziehen.

B.
Dagegen rekurrierte X.________ beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des
Kantons Basel-Stadt. Die Kantonspolizei habe die Kontrolluntersuchung zu früh
angesetzt. Er sei zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung noch nicht 50-jährig
gewesen, womit der nächste Arztbesuch gemäss Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 VZV
nicht bereits nach drei Jahren, sondern erst später anstehe. Das Justiz- und
Sicherheitsdepartement wies den Rekurs am 2. Juli 2012 ab, soweit es darauf
eintrat.
Dagegen erhob X.________ beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
Beschwerde und ersuchte um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Der
Appellationsgerichtspräsident wies das Begehren am 21. November 2012 ab und
verfügte die ratenweise Leistung eines Kostenvorschusses. Das dagegen
gerichtete Wiedererwägungsgesuch wies er am 12. Dezember 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Verfahren 1C_665/
2012) beantragt X.________, die Entscheide des Appellationsgerichtspräsidenten
vom 21. November und 12. Dezember 2012 aufzuheben; ihm sei für das Verfahren
vor dem Appellationsgericht die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und die
Leistung eines Kostenvorschusses zu erlassen; der Beschwerde sei aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen.

D.
Am 19. Dezember 2012 bestätigte der Appellationsgerichtspräsident die
Bedingungen der Ratenzahlung, wie er sie am 21. November 2012 verfügt hatte. Am
15. Januar 2013 setzte er mit Blick auf das laufende bundesgerichtliche
Verfahren die Verfügung zur Leistung des Kostenvorschusses vorläufig aus.

E.
Dagegen führt X.________ ebenfalls Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten (1C_119/2013).

F.
Der Appellationsgerichtspräsident beantragt im Verfahren 1C_665/2012, die
Beschwerde abzuweisen. In jenem von 1C_119/2013 schliesst er auf
Nichteintreten. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement beantragt in beiden
Verfahren die Abweisung der Beschwerde.
Der Beschwerdeführer hat je eine Replik eingereicht.

Erwägungen:

1.
Beide Beschwerden richten sich gegen Entscheide, welche die unentgeltliche
Rechtspflege und die Leistung eines Kostenvorschusses für das Hauptverfahren
vor dem Appellationsgericht betreffen. Es rechtfertigt sich daher, sie
gemeinsam zu beurteilen.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wendet sich im Verfahren 1C_665/2012 gegen die
vorinstanzlichen Verfügungen vom 21. November und 12. Dezember 2012. Beides
sind letztinstanzliche kantonale Zwischenentscheide (BGE 129 I 281 E. 1.1 S.
283 f.; 128 V 199 E. 2b S. 202 f.). Gegen diese ist nach Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG die Beschwerde zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche
Rechtspflege verweigert wird, haben dann einen solchen Nachteil zur Folge, wenn
sie den Beschwerdeführer zudem zur Leistung eines Kostenvorschusses auffordern
und ihm androhen, bei Säumnis auf das Rechtsmittel nicht einzutreten (BGE 128 V
199 E. 2b S. 202 f.; Urteil 2C_230/2009 vom 2. Juli 2009 E. 1.3). Das ist hier
der Fall. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass. Auf die Beschwerde im Verfahren 1C_665/2012 ist somit einzutreten.

2.2 Die Beschwerde im Verfahren 1C_119/2013 richtet sich gegen die Entscheide
vom 19. Dezember 2012 und 15. Januar 2013 (vgl. Ziffer 2.a der
Beschwerdeschrift). Indem die Vorinstanz die Verfügung zur Leistung eines
Kostenvorschusses vorläufig aussetzt, verhindert sie zugunsten des
Beschwerdeführers, dass die Säumnisfolgen eintreten. Die angefochtenen
Zwischenentscheide bewirken für den Beschwerdeführer damit keinen Nachteil im
Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (vgl. BGE 134 IV 43 E. 2. S. 44 ff.). Auf
die Beschwerde im Verfahren 1C_119/2013 ist daher nicht einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz verweigere ihm, da sie sein
Rechtsbegehren als aussichtslos erachte, zu Unrecht die unentgeltliche
Rechtspflege.
Er beruft sich nicht auf kantonales Recht, sondern auf Bestimmungen der
Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es ist damit zu
prüfen, ob die Vorinstanz Art. 29 Abs. 3 BV verletzt hat (vgl. BGE 131 I 185 E.
2.1 S. 188).

3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.

3.2 Aussichtslos sind nach der Rechtsprechung Begehren, bei denen die
Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die
deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren
nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr
die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist,
ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügte, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Wie es sich damit verhält,
prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition. Die
Erfolgsaussichten im Hauptverfahren sind in vorläufiger und summarischer
Prüfung des Prozessstoffes abzuschätzen (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616; 130 I 180
E. 2.1 S. 182; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; je mit Hinweisen).
Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachgericht vorgreifend zu prüfen,
ob das im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen ist oder nicht.
Es hat nur zu beurteilen, ob der vom Bedürftigen verfolgte Rechtsstandpunkt
nicht von vornherein unbegründet erscheint (BGE 119 III 113 E. 3a S. 115).

3.3 Das Hauptverfahren betrifft die Anwendung von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1
VZV. Demnach besteht für die Inhaber eines Führerausweises der Kategorien C und
D (sowie C1 und D1) die Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen
Kontrolluntersuchung zu unterziehen; bis zum 50. Altersjahr alle fünf Jahre,
danach alle drei Jahre.
Streitig ist, ab wann das kürzere Untersuchungsintervall gilt, (1) ob ab der
letzten Untersuchung, bevor der Betroffene das 50. Altersjahr vollendet hat,
(2) oder ab dem ersten Arztbesuch danach. Der Beschwerdeführer vertritt die
zweite Lesart. Die Vorinstanz spricht sich in vorläufiger Einschätzung hingegen
für die erste Auslegung aus und erachtet den Standpunkt des Beschwerdeführers
als aussichtslos.
Der Wortlaut der Bestimmung lässt, wie die Vorinstanz selbst erkennt, Raum für
beide Lesarten. Zur Klärung dieser Frage besteht sodann keine
bundesgerichtliche Rechtsprechung. Die Vorinstanz kann sich dazu auch auf keine
kantonale Gerichtspraxis stützen. Sie beruft sich als Hilfsmittel zur Auslegung
der Bestimmung einzig auf einen Benutzerleitfaden des Bundesamtes für Strassen
zur Umstellung der EDV in den Kantonen. Ob es sich dabei um eine
Verwaltungsverordnung handelt, muss hier ebenso offen bleiben, wie die
Anschlussfragen, ob die Weisung genügend klar und gegebenenfalls sachgerecht
ist, um diese bei der Auslegung von Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 VZV
mitberücksichtigen zu können.
Nach summarischer Betrachtung der Streitfrage lassen sich die Erfolgsaussichten
der Beschwerde im Hauptverfahren entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht
eindeutig abschätzen. Zum einen führt die einschlägige Bestimmung zu keinem
klaren Auslegungsergebnis. Zum anderen ist die entscheidende Frage in der
Rechtsprechung bisher unbeantwortet. Unter diesen Umständen erscheint der
Standpunkt des Beschwerdeführers nicht von vornherein aussichtslos. Die Klärung
des Rechtsstreits muss dem Sachgericht überlassen bleiben.

3.4 Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist gestützt auf die
vorinstanzlichen Akten ausgewiesen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren vor dem
Appellationsgericht sind somit erfüllt. Indem die Vorinstanz die unentgeltliche
Rechtspflege verweigert, verletzt sie Art. 29 Abs. 3 BV. Die Beschwerde ist
demnach begründet.

4.
4.1 Auf die Beschwerde im Verfahren 1C_119/2013 ist nicht einzutreten.
Die Beschwerde im Verfahren 1C_665/2012 ist gutzuheissen. Die Entscheide des
Appellationsgerichtspräsidenten vom 21. November und 12. Dezember 2012 sind
aufzuheben. Dem Beschwerdeführer ist für das Verfahren vor dem
Appellationsgericht die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und die
Leistung eines Kostenvorschusses zu erlassen; geleistete Ratenzahlungen sind
ihm zurückzuerstatten.

4.2 Mit dem Urteil in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

4.3 Im Verfahren 1C_119/2013 wäre der Beschwerdeführer grundsätzlich
kostenpflichtig. Es rechtfertigt sich jedoch, auf die Erhebung von
Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Da der Beschwerdeführer im Verfahren 1C_665/2012 obsiegt, sind insoweit keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).
Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege in beiden Verfahren vor
Bundesgericht gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 1C_665/2012 und 1C_119/2013 werden vereinigt.

2.
Auf die Beschwerde im Verfahren 1C_119/2013 wird nicht eingetreten.

3.
Die Beschwerde im Verfahren 1C_665/2012 wird gutgeheissen. Die Entscheide des
Appellationsgerichtspräsidenten des Kantons Basel-Stadt vom 21. November und
12. Dezember 2012 werden aufgehoben. Dem Beschwerdeführer wird für das
Verfahren vor dem Appellationsgericht gegen den Rekursentscheid des Justiz- und
Sicherheitsdepartements vom 2. Juli 2012 die unentgeltliche Rechtspflege
gewährt und die Leistung des Kostenvorschusses erlassen; der Kanton Basel-Stadt
hat dem Beschwerdeführer von diesem geleistete Ratenzahlungen
zurückzuerstatten.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Justiz- und Sicherheitsdepartement
des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. April 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben