Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.646/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_646/2012

Urteil vom 22. Mai 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
4. D.________,
5. E.________,
6. F.________,
7. G.________,
8. H.________,
9. I._________,
10. J.________,
11. K.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Marc Tomaschett,

gegen

L.________ AG,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Clavadetscher,

Gemeinde Breil/Brigels, Casa Sentupada, 7165 Breil/Brigels, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger.

Gegenstand
Baueinsprache, Zweitwohnungsbau,

Beschwerde gegen das Urteil vom 12. November 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 5. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Am 13. Juli 2012 reichte die L.________ AG ein Baugesuch für ein
Mehrfamilienhaus auf Parzelle Nr. 3690 in der Dorferweiterungszone D3 der
Gemeinde Breil/Brigels ein. Der geplante Neubau umfasst insgesamt sieben
Wohnungen und neun Einstellplätze. Zuvor hatte dieselbe Bauherrschaft
gleichenorts bereits drei Mehrfamilienhäuser im Rahmen der Ferienresidenz
Crestas Sut erstellt.

 Gegen das Bauvorhaben erhoben mehrere Stockwerkeigentümer der benachbarten
Grundstücke Nr. 3687 und Nr. 4148 Einsprache. Sie beriefen sich insbesondere
auf die Verletzung der neuen Verfassungsbestimmung über Zweitwohnungen (Art.
75b BV).

 Mit Bau- und Einspracheentscheid vom 20. August 2012 wies der Gemeindevorstand
Breil/Brigels die Einsprache ab und erteilte der Bauherrschaft am 21. August
2012 die Baubewilligung unter Auflagen und Bedingungen.

B.
Dagegen reichten die Einsprecher Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden ein. Dieses wies die Beschwerde am 12. November 2012 ab. Es ging
davon aus, Art. 75b BV und seine Übergangsbestimmungen (Art. 197 Ziff. 9 BV)
seien erst auf Baubewilligungen anwendbar, die ab dem 1. Januar 2013 erteilt
würden.

C.
Dagegen haben die im Rubrum genannten Einsprecher am 13. Dezember 2012
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre
Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Erteilung der Baubewilligung sei
zu verweigern. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der
Erwägungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

D.
Die Beschwerdegegnerin und das Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerde
sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Auch die Gemeinde Breil/Brigels
schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

 Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) ist der Auffassung, mit der am 1.
Januar 2013 in Kraft getretenen Verordnung über Zweitwohnungen vom 22. August
2012 (Zweitwohnungsverordnung; SR 702) sei der Anwendungsbereich von Art. 75b
BV klargestellt worden, so dass dieser Artikel jetzt in Verbindung mit der
Verordnung angewendet werden könne. Baugesuche für den Neubau einer
Zweitwohnung in einer Gemeinde mit mehr als 20 % Zweitwohnungen im Sinne der
Verordnung, die nach dem 11. März 2012 eingereicht wurden, könnten danach nur
bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 4 lit. b
Zweitwohnungsverordnung erfüllt seien. Dies sei im vorliegenden Fall weder von
der Bauherrschaft noch von der Vorinstanz behauptet worden.

 Im weiteren Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest.

E.
Mit Verfügung vom 23. Januar 2013 wurde der Beschwerde die aufschiebende
Wirkung erteilt.

F.
Am 22. Mai 2013 hat das Bundesgericht in öffentlicher Sitzung über die
Beschwerde beraten.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über eine
Baubewilligung. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d
und 90 BGG); ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Damit bleibt
kein Raum für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 BGG). Die
Beschwerdeführer haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind als
Stockwerkeigentümer von benachbarten Grundstücken zur Beschwerde legitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde ist daher
einzutreten.

2.
Das Verwaltungsgericht führte aus, dass die neue Verfassungsbestimmung gemäss
Art. 195 BV an dem Tag in Kraft getreten sei, an dem sie von Volk und Ständen
angenommen wurde, mithin am 11. März 2012. Das Stimmvolk habe jedoch dem in
Art. 75b BV angelegten faktischen Baustopp für Zweitwohnungen in Gemeinden mit
einem Zweitwohnungsanteil von über 20 % nur unter Berücksichtigung der
übergangsrechtlichen Regelung von Art. 197 Ziff. 9 BV (in den
Abstimmungsunterlagen noch Art. 197 Ziff. 8 BV) zugestimmt. Der neue Art. 75b
BV dürfe deshalb nur zusammen mit dem neuen Art. 197 Ziff. 9 BV gelesen und
verstanden werden.

 Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV räume dem Gesetzgeber bis zur Inkraftsetzung des
Ausführungsgesetzes zwei Jahre Zeit ein. Dennoch sei Art. 75b BV nicht so
aufzufassen, dass bis zur Inkraftsetzung des entsprechenden Ausführungsrechts
das bisherige Recht uneingeschränkt weiter gelten solle: Dessen zeitliche
Anwendbarkeit sei vielmehr durch die übergangsrechtliche Bestimmung von Art.
197 Ziff. 9 Abs. 2 BV geregelt. Danach seien Baubewilligungen für
Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 % ab dem
1. Januar 2013 bis zum Inkrafttreten des entsprechenden Ausführungsrechts
nichtig. Diese intertemporale Bestimmung zu Art. 75b BV sei vom
Verwaltungsgericht, aber auch von allen rechtsanwendenden Behörden zu beachten.
Auch die Zweitwohnungsverordnung des Bundesrats trete erst auf den 1. Januar
2013 in Kraft.

 Daraus ergebe sich, dass bis zum 31. Dezember 2012 schweizweit noch das
bestehende Recht gelte. Dies habe zur Folge, dass auch in jenen Gemeinden wie
Breil/Brigels, welche die kritische Grenze von 20 % Zweitwohnungen
überschritten haben, im Jahr 2012 noch Baubewilligungen für Zweitwohnungen
erteilt werden durften.

 Mit Art. 197 Ziff. 9 BV habe das Volk auch eine entsprechende
intertemporalrechtliche Norm angenommen. Ohne diese übergangsrechtliche
Regelung wäre es möglicherweise zu einem anderen Stimmresultat gekommen. Die
Verfasser der Initiative hätten es selbst zu verantworten, dass mit der
expliziten Nennung des 1. Januars in den Übergangsbestimmungen ein Baustopp für
Zweitwohnungen erst auf den 1. Januar 2013 festgesetzt worden sei. Hätten sie
ein Inkraftreten der 20 %-Regel ab dem Tag der Annahme der Initiative
durchsetzen wollen, hätten sie ein sofortiges Inkrafttreten im Initiativtext
explizit festschreiben oder einfach auf Übergangsbestimmungen verzichten
können.

3.
Im gleichen Sinne haben auch die verwaltungsgerichtlichen Abteilungen der
Kantone Wallis und Waadt entschieden.

3.1. In seinem Urteil A1 12 176 vom 23. Oktober 2012 und in weiteren
Entscheiden ging das Walliser Kantonsgericht davon aus, dass der
Verfassungsgeber mit der Übergangsbestimmung von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV die
Nichtigkeitsfolge ausdrücklich auf nach dem 1. Januar 2013 erteilte
Baubewilligungen beschränkt habe. Damit habe er implizit in Kauf genommen, dass
in der Übergangszeit zwischen der Annahme der Initiative und dem 1. Januar 2013
noch Baubewilligungen für Zweitwohnungen rechtmässig erteilt werden könnten. Im
Übrigen sei Art. 75b Abs. 1 BV auch nicht unmittelbar anwendbar, sondern
bedürfe der Umsetzung durch Gesetz oder Verordnung.

3.2. Auch die verwaltungsrechtliche Abteilung des Kantonsgerichts Waadt kam im
Urteil AC.2012.0127 vom 22. November 2012und weiteren Entscheidenzur
Überzeugung, dass Art. 75b BV nicht unabhängig von den übergangsrechtlichen
Bestimmungen angewendet werden könne. Aus diesen ergebe sich zunächst, dass
Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung der Verfassungsnorm notwendig seien;
hierfür gewähre Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV dem Gesetzgeber eine Frist von zwei
Jahren. Damit werde dem Umstand Rechnung getragen, dass Art. 75b BV keine
unmittelbar anwendbare Norm darstelle, sondern vom Gesetzgeber konkretisiert
werden müsse. Dieser müsse definieren, was eine Zweitwohnung sei; zudem seien
vertiefte Abklärungen nötig, um den Anteil an Zweitwohnungen in den
verschiedenen Gemeinden zu ermitteln. Der Gesetzgeber müsse schliesslich
festlegen, wie sich Art. 75b BV auf den Verkauf, den Umbau, die
Nutzungsänderung oder den Wiederaufbau von Zweitwohnungen auswirke und u.U.
Anmerkungen im Grundbuch vorsehen.

 Nach Auffassung des Kantonsgerichts Waadt unterscheidet Art. 197 Ziff. 9 Abs.
2 BV zwei Zeiträume: denjenigen zwischen der Annahme der Initiative am 11. März
2012 bis zum 31. Dezember 2012 und denjenigen vom 1. Januar 2013 bis zum
Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen. Die Rechtsfolge von Art. 75b BV
(Nichtigkeit von Baubewilligungen) sei nur für den zweiten Zeitraum
ausdrücklich geregelt. Daraus könne geschlossen werden, dass Baubewilligungen,
die im ersten Zeitraum erteilt werden, weder anfechtbar noch nichtig seien.
Intertemporalrechtlich seien somit unmittelbare Rechtswirkungen der
Verfassungsnorm klarerweise auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 2013 beschränkt.
Mit dieser Regelung habe man vermutlich eine gewisse Flexibilität bei der
Umsetzung der Verfassungsnorm einräumen und den Interessen der Eigentümer und
der Bauherrn Rechnung tragen wollen, die bereits vor der Abstimmung vom 11.
März 2012 Aufwendungen für die Planung von Bauvorhaben getätigt hätten. Es
hätte den Initianten freigestanden, einen früheren Zeitpunkt für die
Nichtigkeitsfolge vorzusehen, wenn sie eine Lawine von Baugesuchen nach der
Abstimmung befürchteten. Art. 75b i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV stehe somit
der Erteilung von Baubewilligungen für Zweitwohnungen im Jahre 2012 nicht
entgegen.

4.
Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, Art. 75b BV sei am 11. März 2012
in Kraft getreten und müsse ab diesem Zeitpunkt auch angewendet werden. Im
vorliegenden Fall sei völlig unstreitig, dass es sich beim Bauvorhaben um einen
Zweitwohnungsbau handle und dass der Anteil an Zweitwohnungen in Breil/Brigels
über 20 % liege; hieran ändere auch die Verordnung des Bundesrates nichts.

 Die den Initianten der Zweitwohnungsinitiative nahestehende Vereinigung
Helvetia Nostra, die Beschwerde gegen zahlreiche Baubewilligungen für
Zweitwohnungen erhoben hat, vertritt die Auffassung, dass Art. 75b Abs. 1 BV
genügend präzise sei, um unmittelbar angewendet zu werden. Ihres Erachtens kann
auf den Zweitwohnungsbegriff abgestellt werden, der seit über zehn Jahren vom
Bundesamt für Statistik verwendet werde. Danach handle es sich um eine
Zweitwohnung, wenn der Eigentümer seinen Wohnsitz nicht in der Standortgemeinde
habe. Diese Definition liege auch Art. 2 Zweitwohnungsverordnung zugrunde,
wonach Zweitwohnungen Wohnungen seien, die nicht dauernd genutzt werden, sei es
durch Personen mit Wohnsitz in der Gemeinde oder zu Erwerbs- oder
Ausbildungszwecken. Dies entspreche überdies Art. 8 RPG und dem in der
Bevölkerung verbreiteten Verständnis einer Zweitwohnung.

 Die Übergangsbestimmung in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV sehe die Nichtigkeit von
Baubewilligungen vor, die nach dem 1. Januar 2013 erteilt werden, d.h. eine
besonders strenge, vom üblichen Regime der Anfechtbarkeit rechtswidriger
Baubewilligungen abweichende Rechtsfolge. Der Umkehrschluss, dass bis zu diesem
Datum Zweitwohnungen nach bisherigem Recht bewilligt werden dürften, sei
unzulässig. Aus Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV e contrario ergebe sich lediglich,
dass Baubewilligungen, die nach dem 11. März 2012 und vor dem 1. Januar 2013
erteilt worden sind, nicht nichtig, sondern anfechtbar seien. Es sei nicht
vorstellbar, dass das Volk mit der Zustimmung zur Initiative die massive und
missbräuchliche Erteilung von Baubewilligungen für Zweitwohnungen bis zum 31.
Dezember 2012 gewollt habe.

 Enthalte eine neue Verfassungsbestimmung sowohl unmittelbar anwendbare als
auch nicht unmittelbar anwendbare Bestimmungen, gebiete es der Respekt vor dem
Volksentscheid, jene Bestimmungen möglichst bald und vollständig in Kraft zu
setzen, welche direkt anwendbares Verfassungsrecht statuieren; dies ergebe sich
bereits aus dem Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates vom
31. März 2003 zur Parlamentarischen Initiative Inkraftsetzung der direkt
anwendbaren Bestimmungen der Änderung der Volksrechte vom 4. Oktober 2002 (BBl
2003 3954 ff.).

5.
Die Gemeinde Breil/Brigels schliesst sich der Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichts Graubünden an. In Art. 75b Abs. 2 BV und in den
Übergangsbestimmungen werde Bezug genommen auf eine Ausführungsgesetzgebung;
schon dadurch werde klar zum Ausdruck gebracht, dass die Anwendbarkeit der
Zweitwohnungsregelung grundsätzlich ein vom Parlament erlassenes Gesetz
voraussetze. Der Verzicht auf die sofortige Anwendbarkeit von Art. 75b BV sei
auch in der Sache gerechtfertigt, bedeute die Plafonierung der Zweitwohnungen
doch einen schweren Eingriff nicht nur in das Eigentum, sondern auch in die
Autonomie der Kantone und Gemeinden.

 Die Argumentation, wonach Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV nur die Sanktion
verschärfe (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit) verkenne, dass die Stimmbürger,
die grösstenteils nicht juristisch geschult seien, nicht in der Lage gewesen
seien, einen Unterschied zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit auszumachen,
zumal darauf im Vorfeld der Abstimmung nicht hingewiesen worden sei. Der
Übergang zu einem sofortigen Baubewilligungsstopp wäre zudem unverhältnismässig
kurz gewesen. Im Übrigen wäre es unbefriedigend und mit der Rechtsgleichheit
unvereinbar, wenn die Möglichkeit zur Erstellung von Zweitwohnungen nur vom
Verhalten der Nachbarn abhängen würde, also davon, ob diese gegen ein Projekt
Einsprache bzw. Beschwerde erheben oder nicht.

 Art. 75b Abs. 1 BV i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV könne auch nicht erstmals
im bundesgerichtlichen Verfahren angewendet werden. Dem stehe bereits die
Spezialregelung in Art. 197 Abs. 2 BV entgegen, die auf den Zeitpunkt der
Erteilung der Baubewilligung abstelle. Es lägen auch keine zwingenden Gründe
für die sofortige Anwendbarkeit des neuen Rechts im hängigen
Beschwerdeverfahren vor, zumal das Bundesgericht nicht über eine umfassende
Kognition verfüge.

6.
In einer ersten Stellungnahme vom 15. März 2012 zur Annahme der
Zweitwohnungsinitiative ging das ARE davon aus, dass Art. 75b BV am Tag der
Annahme, d.h. am 11. März 2012, in Kraft getreten sei. Baubewilligungen, die
vor diesem Datum rechtskräftig erteilt worden seien, blieben weiterhin gültig.
Art. 197 Ziff. 8 (heute: Ziff. 9) Abs. 2 BV sehe vor, dass Baubewilligungen für
Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem Inkrafttreten der
Ausführungsbestimmungen erteilt werden, nichtig seien. Das heisse aber nicht,
dass Baugesuche, die nach Annahme des Verfassungsartikels, aber vor Ablauf des
Jahres eingereicht werden, ohne Probleme gestützt auf das bisherige Recht
erteilt werden könnten, da dies dem Zweck des Verfassungsartikels widersprechen
würde. Vielmehr sei die neue Verfassungsbestimmung über Zweitwohnungen auf alle
Baugesuche anwendbar, die nach dem 11. März 2012 eingereicht werden. Gebe es
Zweifel an der Übereinstimmung mit dem neuen Verfassungsartikel, so seien die
Baugesuchsverfahren zu sistieren, bis die Ausführungsgesetzgebung in Kraft sei
und das Gesuch beurteilt werden könne. Für die im Zeitpunkt der Annahme der
Verfassungsbestimmung bereits hängigen Gesuche sei eine korrekte, pragmatische
Lösung zu finden.

 In seinem Bericht zur Anhörung vom 18. Juni 2012 (Erläuterungen zur Umsetzung
von Artikel 75b BV und zu den Normvorschlägen für die Bundesratsverordnung zu
dieser Verfassungsbestimmung, S. 12 f. zu Art. 7) führte das ARE aus, dass Art.
75b BV übergangsrechtlich einen gewissen Spielraum eröffne. Aufgrund einer
Abwägung der Interessen, die für und gegen die Anwendung des neuen Rechts
sprechen, schlug es vor, Baugesuche, die am 11. März 2012 bereits hängig waren,
noch nach Massgabe des im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung geltenden Rechts zu
beurteilen. Dagegen seien Gesuche, die erst nach dem 11. März 2012 eingereicht
werden, nach neuem Recht zu beurteilen. Dies sei in einer Übergangsregelung der
bundesrätlichen Verordnung festzuhalten, die auf den 1. September 2012 in Kraft
gesetzt werden sollte.

 Die vom Bundesrat am 22. August 2012 beschlossene Zweitwohnungsverordnung trat
jedoch erst am 1. Januar 2013 in Kraft. Dementsprechend beschränken sich die
Übergangsbestimmungen ( Art. 8) auf Bewilligungen für den Bau von
Zweitwohnungen, die nach dem 1. Januar 2013 erteilt werden. Immerhin sieht Art.
8 Abs. 1 lit. a der Verordnung vor, dass Baubewilligungen für neue
Zweitwohnungen gestützt auf einen projektbezogenen Sondernutzungsplan nur
erteilt werden können, wenn dieser vor dem 11. März 2012 genehmigt worden ist.
Auch Art. 3 der Verordnung (Umnutzung bestehender Wohnungen oder Hotels) nennt
als Stichdatum den 11. März 2012 und nicht den 1. Januar 2013.

 Im seinem Erläuternden Bericht vom 17. August 2012 (S. 17 f. zu Art. 9) führt
das ARE aus, dass Art. 75b BV mindestens teilweise direkt anwendbar sei.
Namentlich Art. 75b Abs. 1 BV, wonach der Anteil an Zweitwohnungen am
Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten
Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf 20 % beschränkt sei, lasse sich direkt
anwenden, noch bevor das in Art. 75b BV vorgesehene Ausführungsrecht erlassen
sei. Die Spielräume bei der Auslegung des Begriffs der Zweitwohnung hinderten
die direkte Anwendbarkeit nicht. Zwar nehme die Verordnung bloss auf die
Gesamtheit der Wohneinheiten und nicht auch auf die Bruttogeschossfläche Bezug
(weil die nötigen Daten für die Bruttogeschossfläche nicht innert nützlicher
Frist beschafft werden könnten); die 20 %-Quote sei jedoch bereits erreicht
bzw. überschritten, wenn sie auch nur für einen der beiden Parameter, nämlich
den Gesamtbestand der Wohnungen, erfüllt sei.

7.
In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

7.1. ERIC BRANDT (Résidences secondaires: premières jurisprudences cantonales,
in: Plaidoyer 6/2012 S. 38 ff., insbes. S. 42 f.) hält Art. 75b Abs. 1 BV im
Grundsatz für nicht unmittelbar anwendbar: Zum einen könnten die Gemeinden, in
denen der Anteil von Zweitwohnungen 20 % der für Wohnzwecke genutzten
Bruttogeschossfläche übersteige, aufgrund der heutigen statistischen Grundlagen
nicht ermittelt werden; zum anderen präzisiere Art. 75b BV nicht, auf welcher
Stufe der raumplanungsrechtlichen Hierarchie (Richtplan, Sachplan,
Nutzungsplan, Baubewilligung) er wie umgesetzt werden solle. Dagegen sei die
Übergangsbestimmung von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV sehr viel präziser und sehe
die Nichtigkeit von Baubewilligungen vor, die ab dem 1. Januar 2013 erteilt
würden. Diese Bestimmung sei dahingehend auszulegen, dass die Nichtigkeitsfolge
nur Baubewilligungen für Zweitwohnungen betreffe, die in einer Gemeinde erteilt
werden, in denen der 20 %-Anteil bereits überschritten sei. Insoweit werde Art.
75b Abs. 1 BV für direkt anwendbar erklärt, allerdings beschränkt auf den
Zeitraum ab dem 1. Januar 2013. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten Zweitwohnungen
noch nach altem Recht bewilligt werden.

 Diese Auffassung wird von Yves Jeanrenaud/Timo Sulc ( Lex Weber: premiers
commentaires de l'ordonnance dans l'attente de la législation d'exécution,
in: Not@lex, Revue de droit privé et fiscal du patrimoine 4/2012 S. 165 ff.,
insbes. S. 185 f.) und Eric Ramel/Marc-Etienne Favre, "Lex Weber": le jour
après..., in: Anwaltsrevue 6-7/2012 S. 279 ff., insbes. S. 285 f.) geteilt.

 Fabian Mösching (Ab welchem Zeitpunkt ist die Zweitwohnungsinitiative
anwendbar-, in: Jusletter 10. Dezember 2012 Rz 35 und 41 ff.) geht davon aus,
dass das neue Recht frühestens ab 1. Januar 2013 anwendbar sei; allerdings
bedürfe auch Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV noch der Ausführung auf Gesetzes- oder
Verordnungsstufe, um den Begriff der Zweitwohnung zu konkretisieren (a.a.O. Rz.
25 und 35).

 GEORG M. GANZ ( Zweitwohnungsinitiative: Verfassungsauftrag und Umsetzung, in:
Jusletter 10. Dezember 2012) versteht Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV dahin, dass
Bauvorhaben, die erstinstanzlich vor dem 1. Januar 2013 bewilligt worden sind,
grundsätzlich noch realisiert werden können (Rz. 33). Allerdings räumt er ein,
dass sich die Übergangsbestimmung auch restriktiver auslegen liesse mit der
Folge, dass nur 2012 rechtskräftig gewordene Baubewilligungen Gültigkeit
hätten; hier bestehe deshalb ein dringender Regelungsbedarf (Rz. 37).

 Roland Norer (Zum Geltungsbereich der Zweitwohnungsverordnung, in: Roland
Norer/Bernhard Rütsche (Hrsg.), Rechtliche Umsetzung der
Zweitwohnungsinitiative, Bern 2013, S. 11 ff., insbes. S. 36 f.), hält zwar den
Umkehrschluss aus Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV für problematisch. Er kommt
jedoch, unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben und der
Rechtssicherheit, ebenfalls zum Ergebnis, dass für die nicht ausdrücklich
geregelte Zeit vor dem 1. Januar 2013 noch das alte Recht Geltung entfalten
solle.
In ersten Stellungnahmen nach der Abstimmung (ohne vertiefte Begründung) gingen
auch ALAIN GRIFFEL ( NZZ Nr. 66 vom 19. März 2012 S. 8), FELIX UHLMANN ( NZZ
Nr. 61 vom 13. März 2012 S. 9) und TOBIAS JAAG ( NZZ Nr. 103 vom 4. Mai 2012 S.
13) davon aus, dass 2012 noch Baubewilligungen nach altem Recht erteilt werden
könnten. RENÉ RHINOW ( Die Südostschweiz vom 27. März 2012 S. 4) befürwortete
immerhin eine Sistierung von Baugesuchen, die "in letzter Minute" eingereicht
worden seien.

7.2. BERNHARD WALDMANN (Die Zweitwohnungsverordnung, in: Jusletter 10. Dezember
2012 [im Folgenden: Zweitwohnungsverordnung]; DERSELBE, Zweitwohnungen - vom
Umgang mit einer sperrigen Verfassungsnorm, in: Schweizerische Baurechtstagung
Freiburg 2013, S. 123 ff. [im Folgenden: Zweitwohnungen]) teilt den Ansatz des
Verwaltungsgerichts Graubünden, kommt aber zu einem anderen Ergebnis für
Baubewilligungen, die am 1. Januar 2013 noch nicht rechtskräftig geworden sind.

 Er ist der Auffassung, dass Art. 75b BV primär einen Gesetzgebungsauftrag
enthalte mit dem Ziel, die Obergrenze des Zweitwohnungsanteils in allen
Gemeinden einzuhalten, d.h. auch in solchen, in denen der Anteil heute bereits
überschritten sei (Zweitwohnungen, S. 136). Um zu verhindern, dass bis zum
Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung die Zielsetzungen der neuen
Verfassungsnorm unterlaufen werden, statuiere Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV ein
vorsorgliches Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen (Zweitwohnungen, S.
140). Nur dieses vorübergehende Verbot entfalte unmittelbare Rechtswirkungen;
sein Geltungsbereich und Inhalt würden durch die vom Bundesrat erlassene
Zweitwohnungsverordnung konkretisiert (Zweitwohnungsverordnung, Rz. 6 und 7;
Zweitwohnungen, S. 140 ff.).

 Der Bundesrat habe das Inkrafttreten der Verordnung und damit auch den
Geltungsbereich des vorsorglichen Baubewilligungsverbots auf den 1. Januar 2013
angesetzt. Dieser Entscheid sei angesichts des Wortlauts von Art. 197 Ziff. 9
Abs. 2 BV vertretbar: Zwar betreffe dieser auf den ersten Blick nur die
Rechtsfolge der Bewilligungserteilung (Nichtigkeit) und nicht den zeitlichen
Geltungsbereich des Bewilligungsverbots; es sei jedoch zweifelhaft, ob eine
durch eine Volksinitiative eingereichte Vorlage auf einer solchen spitzfindigen
Begrifflichkeit beruhe. Jedenfalls erscheine die vom Bundesrat gewählte Lösung
als vernünftiges und praktikables Ergebnis einer verfassungsmässigen Auslegung
(Zweitwohnungen, S. 142/143; Zweitwohnungsverordnung, Rz. 21).

 Vor diesem Hintergrund blieben Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die vor
dem 31. Dezember 2012rechtskräftig geworden seien, gültig, und könnten auch in
Zukunft als Zweitwohnung genutzt werden. Dagegen komme das neue Recht für alle
Baubewilligungen zur Anwendung, die am 1. Januar 2013 noch nicht rechtskräftig
geworden seien. Die Zweitwohnungsinitiative sei Ausdruck eines erheblichen
öffentlichen Interesses, das eine unmittelbare Anwendung im Beschwerdeverfahren
gegen Verfügungen finden müsse, die noch unter dem alten Recht erlassen worden
seien (Zweitwohnungsverordnung, Rz. 23 f.; Zweitwohnungen, S. 143).

 Nach der von WALDMANN vertretenen Auffassung hätte somit das
Verwaltungsgericht (das noch 2012 entschied) die vorliegend streitige
Baubewilligung zu Recht nach altem Recht bestätigt; das Bundesgericht, das nach
dem 1. Januar 2013 entscheidet, müsste sie jedoch in Anwendung von Art. 197
Ziff. 9 Abs. 2 für nichtig erklären.

7.3. JACQUES DUBEY (La Suisse: son territoire, sa démocratie et son
fédéralisme, Le point sur les résidences secondaires et la révision de la LAT,
in: Journées suisses du droit de la construction, Fribourg 2013, S. 93 ff.)
vertritt einen ähnlichen Ansatz wie Waldmann. Auch er hält Art. 75b Abs. 1 BV
nicht für unmittelbar anwendbar; insbesondere sei die Norm zu unbestimmt, um
eine gesetzliche Grundlage für schwerwiegende Eingriffe in die
Eigentumsgarantie und die Niederlassungsfreiheit darzustellen (a.a.O., S. 108
f.). Auch seines Erachtens enthält jedoch Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV ein
unmittelbar anwendbares Moratorium für die Bewilligung von Zweitwohnungen;
damit werde dem neuen Recht negative Vorwirkung ab dem 1. Januar 2013 bis zum
Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung (bzw. einer Ausführungsverordnung des
Bundesrats gemäss Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV) zugesprochen (a.a.O., S. 112
ff.).

 Im Unterschied zu Waldmann ist Dubey jedoch der Auffassung, dass dieses
Moratorium für sämtliche ab dem 1. Januar 2013 erteilte Bewilligungen für
Zweitwohnungen gilt; diese seien nichtig, unabhängig vom Zweitwohnungsanteil in
der betreffenden Gemeinde (a.a.O. S. 113 f.). Allerdings hält Dubey diesen
weiten Anwendungsbereich selbst für unverhältnismässig, weshalb der Bundesrat
befugt gewesen sei, den Anwendungsbereich des Moratoriums per Polizeiverordnung
einzuschränken (a.a.O., S. 124).

 Für Baubewilligungen, die vor dem 1. Januar 2013 erteilt wurden, bleibt es
nach Auffassung von Dubey bei der Anwendbarkeit des bisherigen Rechts. Art. 197
Ziff. 9 Abs. 2 BV enthalte insoweit eine intertemporale Regelung, die dem
Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit diene (a.a.O., S. 112). Grundsätzlich
sei auch im Rechtsmittelverfahren auf das im Zeitpunkt der Erteilung der
Baubewilligung geltende Recht abzustellen, es sei denn, das öffentliche
Interesse an der Beschränkung des Zweitwohnungsbaus würde die sofortige
Anwendung des neuen Rechts auf am 1. Januar 2013 hängige Beschwerdeverfahren
gebieten. Diese Frage verdiene eine sorgfältige Prüfung, da die Beurteilung
sämtlicher Verfahren nach bisherigem Recht die negativen Effekte des
Zweitwohnungsbaus auf Landschaft, Infrastrukturen und Tourismus, welche die
Initiative bekämpfen wollte, im Gegenteil verstärken würde (a.a.O., S. 126).

7.4. Andere Autoren teilen die Auffassung des ARE, wonach Art. 75b Abs. 1 BV
seit dem 11. März 2012 unmittelbar anwendbar sei und jedenfalls die Bewilligung
von Baugesuchen verbiete, die nach diesem Datum eingereicht wurden.

 ARNOLD MARTI (Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative - ungelöste Rätsel und des
Pudels Kern, in: ZBl 113/2012 S. 281 f.) meint, dass Art. 75b Abs. 1 BV den
Zweitwohnungsanteil im Sinne einer grundsätzlich direkt anwendbaren Bestimmung
auf 20 % pro Gemeinde beschränken wolle. Zwar enthalte Art. 75b Abs. 2 BV einen
Gesetzgebungsauftrag für die Schaffung von Erstwohnungsanteilsplänen, doch
könne Abs. 1 auch ohne solche Pläne durch Erhebung des Zweitwohnungsanteils im
konkreten Fall angewendet werden. Aus der Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 9
Abs. 2 BV) könne nicht abgeleitet werden, dass Bewilligungen bis zum 1. Januar
2013 noch nach altem Recht erteilt werden könnten: Dies stünde in diametralem
Gegensatz zu dem schon im Titel der Initiative imperativ zum Ausdruck
gebrachten Anliegen der Initianten und dem von ihnen ausdrücklich geforderten
Baustopp. Naheliegend sei die Auslegung, dass zumindest Baubewilligungen, um
die erst nach dem 11. März 2012 nachgesucht worden sei, auf Anfechtung hin
wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden müssten. Für nach Annahme der
Initiative eingereichte Baugesuche bestehe in der Regel kein überwiegendes
Interesse am Schutz des Vertrauens zugunsten des Weiterbestands des bisherigen
Rechts. Eine solche Auslegung hätte den Vorteil, dass zwischen den
verschiedenen in Betracht fallenden Auslegungselementen und Werten eine
praktische Konkordanz hergestellt werden könnte. Sie würde insofern ein
Entgegenkommen bedeuten, als neues Recht sonst auch auf hängige Baugesuche und
im Umweltrecht gar auf pendente Rechtsmittelverfahren angewandt werde.

 Im gleichen Sinne äussert sich MICHEL ROSSINELLI ( Résidences secondaires:
l'illusion des cantons alpins, in: Le Temps, 31. August 2012). Es wäre stossend
und würde Sinn und Zweck der von Volk und Ständen angenommenen Initiative
widersprechen, in wenigen Monaten mehr Zweitwohnungen zu bewilligen als in
allen Jahren zuvor. Die Inkraftsetzung der Verordnung durch den Bundesrat auf
den 1. Januar 2013 ändere nichts an der sofortigen Anwendbarkeit von Art. 75b
Abs. 1 BV auf alle seit dem 11. März 2012 gestellten Baugesuche. Der Begriff
des Wohnsitzes - und damit e contrario auch der Zweitwohnung - sei im ZGB
geregelt und sei Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheide. Wie die im Anhang
zur Verordnung des Bundesrats enthaltene Liste belege, sei es durchaus möglich,
diejenigen Gemeinden zu identifizieren, in denen der Zweitwohnungsanteil über
20 % liege. Insofern sei die Verfassungsbestimmung auch ohne eine Präzisierung
auf Verordnungs- oder Gesetzesebene anwendbar.

 Auch LORENZO ANASTASI, FLAVIO CANONICA und GIOVANNI MOLO gehen von der
Anwendbarkeit der neuen Verfassungsbestimmungen ab deren Inkrafttreten am 11.
März 2012 aus; der Umkehrschluss aus Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV sei nicht
zulässig (Reflessioni sulla limitazione delle residenze secondarie, Dalla
Costituzione al progetto di ordinanza, in: Jusletter 2. Juli 2012, Rz. 3).

 EMANUEL DETTWILER (Die Zweitwohnungsverordnung. Eine Übersicht mit
ausgewählten Schwerpunkten, in: SJZ 109/2013 S. 89 ff.) verweist auf das bis
zur Annahme der Initiative einhellige Verständnis von Befürwortern wie Gegnern,
dass die Annahme der Initiative zu einem umgehenden Baustopp führen würde
(a.a.O., S. 90). Daran ändere auch die eher unglücklich formulierte
Übergangsbestimmung von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV nichts: Der Umkehrschluss
sei mangels qualifizierten Schweigens des Erlasses unzulässig. Art. 75b Abs. 1
BV verbiete somit seit dem 11. März 2012 die Erteilung von Baubewilligungen für
Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 %; solche
Bewilligungen seien zwar nicht nichtig, wohl aber anfechtbar.

 Dem Eigentümer müsse es allerdings möglich sein, in Analogie zu Art. 4 lit. b
Ziff. 1 Zweitwohnungsverordnung nachzuweisen, dass die in dieser Periode
bewilligten Wohnungen qualifiziert touristisch bewirtschaftet würden (a.a.O.,
S. 98). Aus Gründen des Vertrauensschutzes sei es zudem gerechtfertigt, zum
Zeitpunkt der Annahme der Initiative bereits eingereichte Baugesuche noch zu
bewilligen (a.a.O., S. 90).

8.
Gemäss Art. 195 BV und Art. 15 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976
über die politischen Rechte (BPR, SR 161.1) treten Änderungen der
Bundesverfassung mit der Annahme durch Volk und Stände in Kraft, sofern die
Vorlage nichts anderes bestimmt, und zwar unabhängig vom Datum ihrer
Publikation in der Amtlichen Sammlung (vgl. Botschaft vom 22. Oktober 2003 zum
Publikationsgesetz, BBl 2003 7729). Art. 75b BV und seine Übergangsbestimmungen
sind daher am 11. März 2012 in Kraft getreten.

 Verfassungsbestimmungen können genügend bestimmt sein, um mit ihrem
Inkrafttreten ohne ausführende Gesetzgebung (ganz oder teilweise) mit Wirkungen
auch für Private unmittelbare Anwendung zu finden (vgl. Yvo Hangartner,
Unmittelbare Anwendbarkeit völker- und verfassungsrechtlicher Normen, in: ZSR
126/2007 I S. 154 ff.). Ob dies der Fall ist, ist im Wege der Auslegung zu
ermitteln (zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmtes Urteil
2C_828/ 2011 vom 12. Oktober 2012 E. 4.2.3 mit Hinweisen, in: EuGRZ 2013 S.
68).

 Verfassungsbestimmungen sind grundsätzlich nach denselben Regeln auszulegen
wie Normen des einfachen Gesetzesrechts (BGE 131 I 74 E. 4.1 S. 80; 128 I 327
E. 2.1 S. 330 mit Hinweisen; René Rhinow/ Markus Schefer, Schweizerisches
Verfassungsrecht, 2. Aufl., Rz. 527 S. 109); allerdings ist gewissen
verfassungsrechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen (vgl. dazu Urteil des
Bundesgerichts 2C_828/ 2011 vom 12. Oktober 2012 E. 4.2.1 und 4.2 mit
Hinweisen). Auszurichten ist die Auslegung auf die ratio legis, die zu
ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach seinen eigenen, subjektiven
Wertvorstellungen, sondern nach den Vorgaben des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers
aufgegeben ist (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40 f.). Beruht eine Verfassungsbestimmung
auf einer Volksinitiative, ist das subjektive Verständnis der Initianten nicht
massgeblich. Dagegen können die Begründung der Initiative sowie Argumente und
Stellungnahmen der Initianten, wie auch der Initiativgegner und der Behörden,
im Vorfeld der Abstimmung im Rahmen der historischen Auslegung berücksichtigt
werden (BGE 130 I 134 nicht publ E. 1.4; 129 I 392 E. 2.2 S. 395).

9.
Ausgangspunkt der Auslegung ist der Text der Verfassungsbestimmung. Dieser
lautet:

Art. 75b Zweitwohnungen
1 Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für
Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde ist auf höchstens 20
Prozent beschränkt.
2 Das Gesetz verpflichtet die Gemeinden, ihren Erstwohnungsanteilplan und den
detaillierten Stand seines Vollzugs alljährlich zu veröffentlichen.
Art. 197
[...]
9.Übergangsbestimmungen zu Art. 75b (Zweitwohnungen)
1 Tritt die entsprechende Gesetzgebung nach Annahme von Artikel 75b nicht
innerhalb von zwei Jahren in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen
Ausführungsbestimmungen über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch
durch Verordnung.
2 Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar des auf die
Annahme von Artikel 75b folgenden Jahres und dem Inkrafttreten der
Ausführungsbestimmungen erteilt werden, sind nichtig.

9.1. Art. 75b Abs. 1 BV setzt einen Höchstanteil von 20 % für Zweitwohnungen
fest. Dieser gilt sowohl für den Gesamtbestand der Wohneinheiten als auch für
die für Wohnzwecke genutzte Bruttogeschossfläche einer Gemeinde. Die
Verfassungsbestimmung enthält damit eine präzise Vorgabe zum
Zweitwohnungsanteil, die grundsätzlich einer direkten Anwendung zugänglich
erscheint (anders als der in Art. 8 Abs. 2 RPG verwendete unbestimmte Begriff
des "ausgewogenen Verhältnisses" von Erst- und Zweitwohnungen). Auch die
Formulierung "ist ... beschränkt" deutet darauf hin, dass es sich um eine
unmittelbar verbindliche Vorgabe handelt.

 Art. 75b Abs. 2 BV enthält dagegen klarerweise einen Gesetzgebungsauftrag, um
die Veröffentlichung von Erstwohnungsanteilplänen und den Vollzug durch die
Gemeinden sicherzustellen. Auch Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV geht davon aus, dass
es für die Umsetzung von Art. 75b Abs. 1 BV weiterer Ausführungsbestimmungen
bedarf, insbesondere "über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch".
Hierfür wird dem Gesetzgeber eine Frist von zwei Jahren eingeräumt, ansonsten
der Bundesrat befugt ist, die nötigen Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

 Immerhin lässt sich Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV entnehmen, dass die neue
Verfassungsbestimmung schon vor Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen
gewisse Rechtswirkungen entfalten soll, insoweit also direkt anwendbar ist.
Nach dieser Bestimmung sind Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen
dem 1. Januar 2013 und dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt
werden, nichtig. Würde man diese Bestimmung isoliert anwenden, wären ab diesem
Datum alle Baubewilligungen für Zweitwohnungen in der ganzen Schweiz nichtig,
unabhängig vom Zweitwohnungsanteil der Gemeinde; dies kann nicht gemeint sein.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV auf Art. 75b
Abs. 1 BV verweist, d.h. der Grundbestimmung zu entnehmen ist, welche
Baubewilligungen bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung unzulässig
bzw. nichtig sind (so auch Waldmann, Zweitwohnungen, S. 140).
Art. 75b Abs. 1 BV begrenzt den Anteil von Zweitwohnungen pro Gemeinde auf
höchstens 20 %. Ist dieser Anteil (sei es am Gesamtbestand der Wohneinheiten,
sei es an der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche) in einer Gemeinde
bereits erreicht oder überschritten, so ergibt sich grundsätzlich unmittelbar
aus der Verfassung, dass keine weiteren Baubewilligungen für Zweitwohnungen
erteilt werden dürfen (so auch ARE, Erläuternder Bericht, S. 17 f.). Umgekehrt
dürfen in Gemeinden, die den Plafond noch nicht erreicht haben, neue
Zweitwohnungen weiterhin bewilligt werden (vorbehältlich restriktiverer
Bestimmungen des kantonalen oder kommunalen Baurechts). Dementsprechend
beschränkt sich auch das in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV enthaltene
Bewilligungsverbot für Zweitwohnungen auf Gemeinden mit einem
Zweitwohnungsanteil von 20% und mehr.

 Das Baubewilligungsverbot nach Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV gilt bis zum
Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung und soll verhindern, dass die
angestrebte Plafonierung von Zweitwohnungen auf 20 % negativ präjudiziert wird,
indem bereits in der Übergangszeit Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt
werden. Es handelt sich somit um ein vorläufiges Verbot, das im Ergebnis einem
Baustopp bzw. einer Planungszone gleichkommt, in allen Gemeinden, in denen der
20 %-Anteil erreicht oder überschritten ist.

9.2. Diese Auslegung kann sich auf den Titel der Initiative ("Schluss mit
uferlosem Bau von Zweitwohnungen") und die Materialien stützen: So ging der
Bundesrat in seiner Botschaft zur eidgenössischen Volksinitiative "Schluss mit
uferlosem Bau von Zweitwohnungen!" vom 29. Oktober 2008 (BBl 2008 8757 ff.,
insbes. Ziff. 4.2 S. 8766 f.; im Folgenden: Botschaft) wie auch in den
Erläuterungen zur Volksabstimmung vom 11. März 2012 S. 12 (im Folgenden:
Abstimmungserläuterungen") davon aus, dass die Initiative zu einem "Baustopp"
für Zweitwohnungen in Tourismusorten führen werde (vgl. die Zitate unten E.
11.4).

9.3. Davon gehen im Grundsatz auch die kantonalen Verwaltungsgerichte (oben E.
2 und 3) und die Literatur (oben E. 7) aus. Streitig ist jedoch, ob dieses
Baubewilligungsverbot auf Zweitwohnungsbauten Anwendung findet, die zwischen
dem 11. März und dem 31. Dezember 2012 bewilligt worden sind. Dagegen werden im
Wesentlichen zwei Einwände erhoben:

 - Zum einen wird geltend gemacht, dass die Verfassungsbestimmungen zu
unbestimmt seien, um sie unmittelbar anzuwenden, weshalb sie zunächst noch
durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber konkretisiert werden müssten. Die
Zweitwohnungsverordnung sei jedoch erst am 1. Januar 2013 in Kraft getreten und
könne somit auf den streitigen Zeitraum nicht angewendet werden (vgl. dazu im
Folgenden, E. 10).

 - Zum anderen wird aus Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV e contrario geschlossen,
dass bis zum 1. Januar 2013 noch das alte Recht anwendbar sei (vgl. dazu unten,
E. 11).

10.
Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verfassungsbestimmung setzt voraus, dass
Tatbestand und Rechtsfolgen genügend genau formuliert sind: Das
Legalitätsprinzip verlangt eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der
anzuwendenden Rechtssätze im Dienste des Gesetzesvorbehalts, der
Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Rechtsanwendung (BGE 135 I 169 E. 5.4.1
S. 173; 132 I 49 E. 6.2 S. 58 f.; je mit Hinweisen). Der Grad der
erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter
anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und
der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidungen, von den
Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der
erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten
Entscheidung ab (BGE 136 I 87 E. 3.1 S. 90 f. mit Hinweisen).

 Im Folgenden ist zu prüfen, ob insbesondere der Begriff der Zweitwohnung, der
sowohl in Art. 75b Abs. 1 BV als auch in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV verwendet
wird, hinreichend bestimmt ist, um den Anwendungsbereich des
Baubewilligungsverbots bis zur gesetzlichen Konkretisierung umreissen zu
können.

10.1. Der Begriff der Zweitwohnung wird nicht nur in Art. 75b BV, sondern auch
in anderen Gesetzen und Verordnungen verwendet:

 In Art. 8 Abs. 2 RPG (in der Fassung vom 17. Dezember 2010, in Kraft seit 1.
Juli 2011) werden die Kantone verpflichtet, in ihren Richtplänen Gebiete zu
bezeichnen, in denen besondere Massnahmen ergriffen werden müssen, um ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen sicherzustellen. Der
Begriff der Zweitwohnung wird weder im Gesetz noch in der Verordnung definiert.
In seiner Planungshilfe für die kantonale Richtplanung "Zweitwohnungen" vom
Juni 2010 (Ziff. 3 S. 8) geht das ARE davon aus, dass Zweitwohnung jede Wohnung
ist, die keine Erst- oder Hauptwohnung ist. Als Erst- oder Hauptwohnung gelten
Wohnungen, die entweder von Ortsansässigen genutzt werden (als Eigentümer oder
in Miete), d.h. von Personen mit zivilrechtlichem Wohnsitz nach Art. 23 ZGB,
oder die von Personen bewohnt werden, die am Ort oder in der Region berufstätig
sind bzw. in Ausbildung stehen und über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen.

 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erstreckt sich die
verfassungsmässig vorgesehene Wohneigentumsförderung (Art. 108 BV) nur auf
Erst- und nicht auf Zweitwohnungen (BGE 132 I 157 E. 5.3 S. 165 mit Hinweisen).
Dementsprechend schliessen Art. 2 Abs. 3 des Wohnbau- und
Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974 (WEG; SR 843) und Art. 3 Abs. 2
des Bundesgesetzes vom 21. März 2003 über die Förderung von preisgünstigem
Wohnraum (Wohnraumförderungsgesetz, WFG; SR 842) Zweit- und Ferienwohnungen von
ihrem Anwendungsbereich aus. Die Nutzung einer geförderten Wohnung als
Zweitwohnung stellt eine Zweckentfremdung dar (Art. 15 Abs. 1 der Verordnung
vom 30. November 1981 zum WEG [VWEG; SR 843.1]). Art. 4 Abs. 1 der Verordnung
vom 3. Oktober 1994 über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen
Vorsorge (WEFV; SR 831.411) verlangt, dass die Wohnnutzung am Wohnsitz oder am
gewöhnlichen Aufenthalt der versicherten Person erfolgen muss.

 Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1983 über den Erwerb von
Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG; SR 211.412.41) unterscheidet
zwischen Haupt-, Zweit- und Ferienwohnungen. Art. 2 Abs. 2 lit. b BewG i.V.m.
Art. 5 der dazugehörigen Verordnung vom 1. Oktober 1984 (BewV; SR 211.412.411)
definiert nur die Hauptwohnung, die sich am Ort des rechtmässigen und
tatsächlichen Wohnsitzes des Erwerbers befinden muss. Während der Erwerb einer
Hauptwohnung bewilligungsfrei ist, kann der Erwerb einer Zweitwohnung bewilligt
werden, wenn der Erwerber zum Ort aussergewöhnlich enge, schutzwürdige
Beziehungen unterhält (Art. 9 Abs. 1 lit. c BewG i.V.m. Art. 6 BewV). Dagegen
kann der Erwerb einer Ferienwohnung in einem Fremdenverkehrsort nur im Rahmen
des kantonalen Kontingents bewilligt werden (Art. 9 Abs. 2 BewG).

 An den Zweitwohnungsbegriff knüpfen zudem zahlreiche kommunale Vorschriften
über Quoten, Kontingente oder Lenkungsabgaben für Zweitwohnungen an (vgl. z.B.
BGE 136 I 142 ff. betr. Samnaun; BGE 135 I 233 ff. betr. Chermignon; BGE 117 Ia
141 ff. betr. Sils; BGE 116 Ia 207 ff. und Urteil 1P.415/1998 vom 1. Juni 1999,
in: RDAT 2000 I Nr. 23 S. 397, beide betr. Paradiso; 1P.404/1997 vom 9.
November 1998, in: RDAT 1999 I Nr. 20 S. 76 betr. Minusio; BGE 112 Ia 65 ff.
betr. Bever). In der Regel stellen diese Bestimmungen auf den Wohnsitz der
Eigentümer bzw. Mieter ab; z.T. genügt (für eine Hauptwohnung) auch ein
längerer Aufenthalt zu Studien- oder beruflichen Zwecken (vgl. BGE 116 Ia 207
E. 3c S. 212 betr. Paradiso).

 Im Urteil 1P.666/1996 vom 23. Januar 1998 (E. 5c) äusserte sich das
Bundesgericht zur Regelung der Stadt Zürich, wonach Zweitwohnungen nicht auf
den Mindestwohnanteil anzurechnen seien. Die Bestimmung definierte den
Zweitwohnungsbegriff nicht; die Stadt wollte hierfür auf den gewöhnlichen
Aufenthalt bzw. auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse abstellen. Den
Parteien, welche die Unklarheit des Begriffs der Zweitwohnung beanstandet
hatten, hielt das Bundesgericht entgegen, dass es auch in anderen
Rechtsgebieten (Steuerrecht, Internationales Privatrecht) üblich sei, für die
Ermittlung der örtlichen Zugehörigkeit einer Person auf den gewöhnlichen
Aufenthalt oder den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse abzustellen und sich
diese Begriffe als praktisch handhabbar erwiesen hätten; insofern dürfte ihre
Anwendung im vorliegenden Zusammenhang nicht zu grösseren
Abgrenzungsschwierigkeiten führen.

10.2. Auch nach allgemeinem Sprachgebrauch steht die "Zweitwohnung" im
Gegensatz zur "Erstwohnung" oder "Hauptwohnung". Diese befindet sich am
Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthaltsort einer Person, an dem sie sich
ständig oder über längere Zeit aufhält und i.d.R. auch steuerpflichtig und
stimmberechtigt ist. Zweitwohnungen sind demnach grundsätzlich alle Wohnungen,
die keine Erstwohnung sind.

 Dieses Verständnis liegt der Umschreibung der Zweitwohnung in Art. 2 lit. a
Zweitwohnungsverordnung zugrunde. Danach sind Zweitwohnungen Wohnungen, die
nicht dauernd durch Personen mit Wohnsitz in der Gemeinde genutzt werden. Art.
2 lit. b Zweitwohnungsverordnung stellt den Erstwohnungen die Wohnungen gleich,
die dauernd durch Personen zu Erwerbs- oder Ausbildungszwecken genutzt werden
(lit. b; vgl. dazu Erläuternder Bericht S. 6).

 Dies entspricht grundsätzlich dem Verständnis der Initianten: In ihrem
Argumentarium auf der Internetseite des Initiativkomitees, auf die auch in den
Abstimmungserläuterungen verwiesen wurde, führten sie aus, dass
eine Zweitwohnung eine zweite Wohnung sei, die von Privatpersonen während des
Jahres nur zeitweise zu Ferienzwecken genutzt werde, unter Ausschluss von
Nebenwohnsitzen für Schul- und Arbeitszwecke (S. 26; vgl. allerdings unten E.
10.4 zu den "warmen Betten").

10.3. Legt man den Zweitwohnungsbegriff im oben skizzierten Sinne aus, so lässt
sich auch der Zweitwohnungsanteil der Gemeinden relativ leicht ermitteln.

 Wie das ARE im Erläuternden Bericht (S. 4. f.) darlegt, kann hierfür -
zumindest annäherungsweise - auf das eidgenössische Gebäude- und
Wohnungsregister abgestellt werden, indem als potenzielle Zweitwohnung jede
Wohnung betrachtet wird, der keine Person mit Niederlassung zugeordnet ist
(vgl. Art. 3 lit. b des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der
Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister vom 23. Juni 2006
[RHG; SR 431.02]; kritisch wegen der Miterfassung leer stehender
Wohnungen Jeanrenaud/Sulc, a.a.O., S. 170 f.). Hilfsweise kann auf den Anteil
der zeitweise bewohnten Wohnungen gemäss Volkszählung 2000 abgestellt werden
(so auch Botschaft, Ziff. 2.2 S. 8761 und Ziff. 4.2 S. 8766).

 Gestützt auf diese statistischen Grundlagen hat der Bundesrat im Anhang der
Zweitwohnungsverordnung die Gemeinden aufgelistet, von denen zu vermuten ist,
dass der Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand an Wohnungen über 20 %
liegt. Diese Vermutung kann von den Gemeinden widerlegt werden (Art. 1 Abs. 3
Zweitwohnungsverordnung). Es ist davon auszugehen, dass auch Private im
Einzelfall eine Überprüfung des Zweitwohnungsanteils einer Gemeinde
herbeiführen können, z.B. im Baubewilligungs- oder Beschwerdeverfahren.

 Ist schon die 20 %-Grenze für den Gesamtbestand an Wohnungen überschritten, so
kann auf eine Ermittlung des Bruttogeschossflächenanteils der Zweitwohnungen
verzichtet werden (so auch Waldmann, Zweitwohnungen, S. 134; a.A. Jeanrenaud/
Sulc, a.a.O., S. 168, die beide Kriterien kumulativ anwenden wollen).

10.4. Gegen den oben umschriebenen Begriff der Zweitwohnung kann allerdings
eingewendet werden, dass sich die Initiative "Schluss mit uferlosem Bau von
Zweitwohnungen" vor allem gegen sogenannte "kalte Betten" und nicht gegen
"warme Betten" richtete. In ihrem Argumentarium (S. 26) gingen die Initianten
davon aus, dass Ferienwohnungen, die kommerziell vermietet werden
(Parahotellerie), keine Zweitwohnungen seien, weil sie viel stärker genutzt
würden (durchschnittlich 200 Nächte gegenüber 30 bis 60 Nächten/Jahr bei
Zweitwohnungen).
Dementsprechend geht Art. 4 lit. b Zweitwohnungsverordnung davon aus, dass
qualifiziert touristisch bewirtschaftete Zweitwohnungen weiterhin bewilligt
werden dürfen (vgl. Erläuternder Bericht S. 11 f.; WALDMANN,
Zweitwohnungsverordnung, Rz. 34). Voraussetzung ist, dass die Wohnungen nicht
individuell ausgestaltet sind sowie dauerhaft und ausschliesslich zur
kurzzeitigen Nutzung durch Gäste zu marktüblichen Bedingungen angeboten werden,
sei es im Rahmen strukturierter Beherbergungsformen (Ziff. 1), oder durch den
oder die im selben Haus wohnenden Eigentümer oder Eigentümerin (Ziff. 2).

 Es wird letztlich Aufgabe des Gesetzgebers sein, diese Fragen zu regeln.

10.5. Unter dem Blickwinkel des Legalitätsprinzips ergibt sich somit Folgendes:

 Soweit Art. 75b Abs. 1 BV eine absolute Grenze von 20 % am
Gesamtwohnungsbestand und an der Wohnnutzfläche jeder Gemeinde festschreibt,
besteht Klarheit und Bestimmtheit des Tatbestands und der Rechtsfolge
hinsichtlich derjenigen neuen Wohnnutzungen, die unzweifelhaft unter den
Zweitwohnungsbegriff fallen und in einer Gemeinde mit eindeutig
überschiessendem Zweitwohnungsanteil beabsichtigt sind. Die so erfassten
Sachverhalte ("kalte Betten") sind relativ einfach abzugrenzen und nicht
komplex. Die mögliche Rechtsänderung wurde schon lange im voraus publik und das
sich daraus ergebende Verbot wurde breit diskutiert; die insoweit betroffenen
Normadressaten waren bekannt. Der sofortigen Anwendbarkeit dieses "harten
Kerns" der neuen, speziellen Verfassungsnorm steht daher nichts entgegen, auch
wenn sie eine nicht unerhebliche Beschränkung der Eigentumsgarantie (Art. 26
BV) bedeutet.
Art. 75b BV bedarf aber in weiten Teilen der Konkretisierung durch
Ausführungsvorschriften. Dies gilt einerseits für die Frage, ob und unter
welchen Voraussetzungen in den betroffenen Gemeinden noch Baubewilligungen für
bestimmte, besonders intensiv genutzte Arten von Zweitwohnungen ("warme
Betten") erteilt werden dürfen. Andererseits ist klärungsbedürftig, ob und
inwieweit die Umnutzung von Erst- zu Zweitwohnungen bzw. die Erweiterung und
der Ersatz bestehender Zweitwohnungen zulässig ist.

 Soweit Ausführungsrecht unabdingbar ist, um den Anwendungsbereich und die
Rechtswirkungen der Verfassungsnorm definitiv und exakt bestimmen zu können,
beschränkt sich die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 75b Abs. 1 i.V.m. Art.
197 Ziff. 9 Abs. 2 BV auf ein vorsorgliches Baubewilligungsverbot für
Zweitwohnungen in den betroffenen Gemeinden bis zum Inkrafttreten der
Ausführungsbestimmungen. Im Ergebnis kommt dieses vorsorgliche Verbot einer
Planungszone gleich. Es ist weit auszulegen, um dem Gesetzgeber nicht
vorzugreifen und eine Präjudizierung der künftigen Ausführungsbestimmungen zu
vermeiden.

 Es handelt sich insoweit um eine bloss vorübergehende Einschränkung der
Eigentumsgarantie zwischen dem Abstimmungstermin und dem Erlass der
Ausführungsbestimmungen. Dieser soll innerhalb von zwei Jahren nach dem
Abstimmungstermin erfolgen (Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV). Für derartige
vorsorgliche und zeitlich beschränkte Massnahmen sind keine hohen Anforderungen
an die Bestimmtheit der Norm zu stellen.

10.6. Namentlich in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall
wesentlich von demjenigen, der dem Urteil 2C_828/2011 vom 12. Oktober 2012
zugrunde lag:
Die unmittelbare Anwendung der Art. 121 Abs. 3-6 BV (Ausschaffungsinitiative)
würde zu gravierenden Eingriffen in die Grundrechte der betroffenen Ausländer
führen, mit einschneidenden, i.d.R. nicht wieder gutzumachenden Nachteilen für
sie und ihre Familien; dabei stellen sich heikle völkerrechtliche Probleme. In
dieser Situation verbieten es die Grundsätze der Legalität und der
Gewaltenteilung, die neuen Verfassungsbestimmungen (ganz oder teilweise) direkt
anzuwenden, bevor der in Abs. 4 ausdrücklich damit beauftragte Gesetzgeber die
erforderliche Konkretisierung und Feinabstimmung vorgenommen hat (vgl. Urteil
2C_828/2011 E. 4.3.4).

 Im Übrigen richtet sich auch die Übergangsbestimmung zu Art. 121 BV (Art. 197
Ziff. 8 BV) ausschliesslich an den Gesetzgeber und sieht - anders als Art. 197
Ziff. 9 Abs. 2 BV - keine unmittelbaren Rechtsfolgen vor.

10.7. Die vorliegend zu beurteilende Rechtslage ist dagegen mit derjenigen nach
Annahme der Rothenthurm-Initiative am 6. Dezember 1987 vergleichbar. Damals
wurde Art. 24sexies Abs. 5 mit folgendem Wortlaut in die damalige
Bundesverfassung (aBV) eingefügt:
5 Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und von nationaler
Bedeutung sind Schutzobjekte. Es dürfen darin weder Anlagen gebaut noch
Bodenveränderungen irgendwelcher Art vorgenommen werden. Ausgenommen sind
Einrichtungen, die der Aufrechterhaltung des Schutzzweckes und der bisherigen
landwirtschaftlichen Nutzung dienen.
Die Übergangsbestimmung sah vor, dass schutzzweckwidrige Anlagen, Bauten und
Bodenveränderungen, die nach dem 1. Juni 1983 erstellt worden waren, zu Lasten
der Ersteller abgebrochen und rückgängig gemacht werden müssten. Sie entfaltete
somit (ähnlich Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV) direkte Rechtsfolgen für Private und
Gemeinwesen.
Rechtsprechung und Literatur gingen übereinstimmend davon aus, dass Art.
24sexies Abs. 5 aBV ein unmittelbar anwendbares, eigentümerverbindliches,
absolutes Veränderungsverbot enthalte (BGE 117 Ib 237 E. 2b S. 246 f.; 118 Ib
11 E. 2e S. 15; 123 II 248 E. 3a/aa S. 251; 127 II 184 E. 5b/aa S. 192; Urteil
1A.178/1991 vom 17. Dezember 1992 E. 2a in: ZBl 94/1993 S. 522; Urteil 1A.42/
1994 vom 29. November 1994 E. 1a, in: ZBl 97/1996 S. 122, URP 1996 S. 364 und
RDAF 1997 I S. 459 und 505; Thomas Fleiner-Gerster, Kommentar zur
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Stand Oktober 1989,
Art. 24sexies Rz. 47; Bernhard Waldmann, Der Schutz von Mooren und
Moorlandschaften, Freiburg 1997, S. 70 ff.; Jean-Baptiste Zufferey, in: Keller/
Zufferey/Fahrländer, Kommentar NHG, Zürich 1997, Allg. Teil, 2. Kap., Rz. 91
f.).

 Allerdings mussten die Moorbiotope und Moorlandschaften von besonderer
Schönheit und nationaler Bedeutung erst noch durch ein Inventar des Bundes
bezeichnet und von den Kantonen parzellenscharf abgegrenzt werden. Art.
24sexies Abs. 5 aBV wurde daher - bis zur definitiven Festlegung der
Schutzobjekte - bei der Prüfung aller Projekte angewandt, die möglicherweiseein
Schutzobjekt berühren und den Moor- oder Moorlandschaftsschutz negativ
präjudizieren könnten (Urteil 1A.237/1992 vom 21. Dezember 1993 E. 5c mit
Hinweisen). Dabei wurde vorläufig - bis zur definitiven Inventarisierung - eine
grosszügige Abgrenzung der Moorlandschaften zugrunde gelegt (Urteil 1A.178/1991
vom 17. Dezember 1992 E. 3, in: ZBl 94/1993 S. 522). Später schützte das
Bundesgericht eine restriktivere Abgrenzung der fraglichen Moorlandschaft durch
Bundesrat und Kanton (BGE 127 II 184 E. 5 S. 190 ff.).

10.8. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ist es grundsätzlich möglich, den
örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Baubewilligungsverbots gemäss
Art. 75 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV zu bestimmen, ohne dem
Gesetzgeber vorzugreifen und dessen Gestaltungsspielraum unnötig einzuengen.
Sofern es um klassische Ferienwohnungen in Tourismusgebieten geht, ist die
Qualifikation als Zweitwohnung ohnehin unstreitig.

 Dies belegt der vorliegende Fall: Bereits das Verwaltungsgericht hat im
angefochtenen Entscheid festgehalten, dass der Zweitwohnungsanteil der Gemeinde
Breil/Brigels über 20 % liege, unabhängig davon, ob ein weiter oder enger
Zweitwohnungsbegriff zugrunde gelegt wird. Die streitige Baute soll im Rahmen
einer Ferienresidenz erstellt werden. Die Beschwerdegegnerin macht selbst nicht
geltend, dass eine touristische Bewirtschaftung der Wohnungen vorgesehen sei.

11.
Streitig ist jedoch der zeitliche Anwendungsbereich dieses
Baubewilligungsverbots.

11.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist die Rechtmässigkeit von
Verwaltungsakten (mangels einer anderslautenden übergangsrechtlichen Regelung)
grundsätzlich nach der Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zur beurteilen.
Später eingetretene Rechtsänderungen sind nur ausnahmsweise zu berücksichtigen,
wenn zwingende Gründe für die sofortige Anwendung des neuen Rechts sprechen (
BGE 135 II 384 E. 2.3 S. 390; 125 II 591 E. 5e/aa S. 598; je mit Hinweisen; so
auch ULRICHHÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6.
Aufl., S. 71 Rz. 327; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller
Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 190 f. Rz. 20 f.; PIERRE MOOR/
ALEXANDRE FLÜCKIGER/VINCENT MARTENET, Droit administratif, Bd. I, Bern 2012, S.
187 f. und S. 194 f.). Zwingende Gründe für eine sofortige Anwendung des neuen
Rechts hat das Bundesgericht insbesondere im Bereich des Gewässer-, Natur-,
Heimat- und Umweltschutzrechts als gegeben erachtet (BGE 135 II 384 E. 2.3 S.
390).
Art. 75b BV ist am 11. März 2012 in Kraft getreten (Art. 195 BV Art. 15 Abs. 3
BPR). Nach den allgemeinen Grundsätzen ist die Bestimmung (vorbehältlich einer
abweichenden Regelung) auf alle Baubewilligungen anwendbar, die ab diesem Datum
erteilt worden sind. Dementsprechend ging das Bundesgericht in zwei Urteilen
vom 14. Dezember 2012 (1C_215/2012 E. 2.4 und 1C_159/2012 E. 6.2) davon aus,
dass Art. 75b BV nicht auf Bauvorhaben anwendbar sei, die vor dem 11. März 2012
kantonal letztinstanzlich beurteilt worden waren; eine erstmalige Anwendung von
Art. 75b BV im Verfahren vor Bundesgericht rechtfertige sich nicht.

11.2. Eine rechtswidrige Verfügung ist im Allgemeinen anfechtbar. Eine
Baubewilligung, die geltendem Recht widerspricht, wird somit auf Rekurs oder
Beschwerde von der zuständigen Rechtsmittelbehörde aufgehoben. Wird sie nicht
angefochten, so wird sie rechtskräftig. Der Widerruf einer rechtskräftigen
Baubewilligung ist nur ausnahmsweise, unter qualifizierten Voraussetzungen,
möglich und kann u.U. Entschädigungsfolgen nach sich ziehen (BGE 115 Ib 152 E.
3a S. 155 mit Hinweisen; Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und
Umweltrecht, Band I, 3. Aufl., Zürich 1999, S. 225 Rz. 821-826).

 Von der Anfechtbarkeit zu unterscheiden ist die Nichtigkeit einer Verfügung.
Nichtigen Verfügungen geht jede Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit ab. Die
Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes
wegen zu beachten. Nach der Rechtsprechung ist eine Verfügung nur ausnahmsweise
nichtig, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer und offensichtlich
oder zumindest leicht erkennbar ist und die Rechtssicherheit durch die Annahme
der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgrund fallen
hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einer Behörde sowie
schwerwiegende Verfahrensfehler in Betracht (BGE 132 II 21 E. 3.1 S. 27 mit
Hinweisen).

11.3. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV bestimmt, dass Baubewilligungen für
Zweitwohnungen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem Inkrafttreten der
Ausführungsbestimmungen erteilt werden, nichtig sind. Was mit Baubewilligungen
geschehen soll, die nach Inkrafttreten von Art. 75b BV am 11. März 2012, aber
vor dem 1. Januar 2013 erteilt wurden, ist nicht ausdrücklich geregelt und
deshalb auslegungsbedürftig.

 Nach den oben dargelegten allgemeinen Grundsätzen führt eine Verletzung von
Art. 75b Abs. 1 BV zur Anfechtbarkeit von Baubewilligungen, die seit
Inkrafttreten der Norm am 11. März 2012 erteilt worden sind. Vor diesem
Hintergrund kann Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV als eine Verschärfung der
Rechtsfolge (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit) ab dem 1. Januar 2013 verstanden
werden. Für den Zeitraum davor bleibt es bei der Anfechtbarkeit
verfassungswidriger Baubewilligungen.

 Es wird aber auch die Auffassung vertreten, der Verfassungsgeber habe mit
dieser Regelung nicht nur die Rechtsfolge verschärfen, sondern auch eine
spezielle intertemporale Regelung treffen wollen, wonach Art. 75b Abs. 1 BV
erst auf Baubewilligungen anwendbar sei, die ab dem 1. Januar 2013 erteilt
werden. Diese Auslegung wurde insbesondere von den Verwaltungsgerichten
Graubünden, Wallis und Waadt gewählt (vgl. oben E. 2 und 3). Sie hätte zur
Folge, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen bis zum 31. Dezember 2012 noch
nach altem Recht erteilt werden durften.

11.4. Die Übergangsbestimmungen der Initiative wurden im Vorfeld der Abstimmung
kaum thematisiert (die Ausführungen des Bundesrats in den
Abstimmungserläuterungen S. 7 betreffen den indirekten Gegenvorschlag, d.h. die
Übergangsbestimmungen zur Änderung des RPG vom 17. Dezember 2010).

 Allerdings gingen die Bundesbehörden und die Gegner der Initiative
übereinstimmend davon aus, dass deren Annahme zu einem sofortigen Baustopp für
Zweitwohnungen in zahlreichen Gemeinden führen würde. So schrieb der Bundesrat
in den Abstimmungserläuterungen (S. 12; Hervorhebung nicht im Original) :
"Die Initiative ist zu starr. Die Beschränkung der Zweitwohnungen auf einen
fixen Anteil von 20 Prozent aller Wohnungen würde in zahlreichen Gemeinden zu
einem abrupten Baustopp führen".
Im Dossier 08.073 der Bundesversammlung "Argumentarien contra" zur
Volksinitiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen" (Stand 20.
Januar 2012, S. 4 unten) wurde ausgeführt:
"Die Initiative würde ein sofort iges Umnutzungsverbot von Erst- in
Zweitwohnungen und einen Baustopp für neue Zweitwohnungen bewirken".
Ähnlich argumentierte Economiesuisse in ihrer Medienmitteilung vom 24. Februar
2012 (Zweitwohnungsinitiative trifft strukturschwache Regionen ins Mark) :
"Der Zweitwohnungsanteil soll in allen Gemeinden der Schweiz auf maximal 20
Prozent beschränkt werden. In Regionen, die vom Tourismus leben, ist der Anteil
jedoch weit höher. Ein sofortiger Baustopp würde die Tourismuskantone Wallis,
Graubünden, Tessin und Bern empfindlich treffen. 136 der 175 Bündner Gemeinden
- davon 80 in strukturschwachen Regionen - dürften keine Zweitwohnungen mehr
errichten".
Diesen Argumenten widersprachen die Initianten nicht etwa mit Hinweis auf eine
Schon- oder Übergangsfrist für die Bewilligung von Zweitwohnungen nach Annahme
der Initiative; im Gegenteil: In ihrem Argumentarium (S. 23 und 26 f.) hoben
sie hervor, dass die Initiative dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen wirksam
entgegentrete und ihre Annahme bedeute, dass in Gemeinden mit über 20 %
Zweitwohnungen keine weiteren Zweitwohnungen mehr gebaut oder Erstwohnungen in
Zweitwohnungen umgenutzt werden könnten.

 Unter diesen Umständen mussten die Stimmbürger (auch als juristische Laien)
mit der sofortigen Anwendung der Initiative im Falle ihrer Annahme rechnen. Es
kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Abstimmung ohne die
Übergangsbestimmung in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV anders ausgefallen wäre.

11.5. Für die sofortige Anwendung der neuen Verfassungsbestimungen sprechen
auch Sinn und Zweck der Initiative. Wie bereits ihr Titel ("Schluss mit
uferlosem Bau von Zweitwohnungen!") besagt, soll die Zerstörung von Natur und
Landschaften durch den Zweitwohnungsbau beendet werden. Dieser Zweck würde
verfehlt, wenn Zweitwohnungen noch während einer Übergangsfrist von bis zu
einem Jahr (je nach Festsetzung des Abstimmungsdatums) nach altem Recht erteilt
werden dürften. Es war vorhersehbar, dass eine derartige Übergangsfrist zu
einer Flut von Baugesuchen und -bewilligungen kurz vor Jahreswechsel führen
würde. Die Initianten erhoben denn auch sofort nach der Abstimmung systematisch
Einsprache gegen Baubewilligungen für Zweitwohnungen in Tourismusgemeinden.

11.6. Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
keine Übergangsfrist für die Weiteranwendung des bisherigen Rechts enthält,
sondern ab dem 1. Januar 2013 bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung
eine verschärfte Rechtsfolge anordnet (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit).
Dadurch wird Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt, die Initiative möglichst rasch
und wirksam umzusetzen. Würde das Ausführungsgesetz zu viele Ausnahmen
zulassen, könnten die Initianten dagegen das Referendum ergreifen, ohne
befürchten zu müssen, dass in der Zwischenzeit Baubewilligungen für
Zweitwohnungen in den betroffenen Gemeinden erteilt und rechtskräftig werden
könnten. Bei dieser Zielsetzung macht es Sinn, die schwerwiegende
Nichtigkeitsfolge erst zu einem Zeitpunkt eintreten zu lassen, in dem
frühestens ein Ausführungsgesetz vorliegen könnte, d.h. am 1. Januar des auf
die Annahme von Art. 75b BV folgenden Jahres.

 Für den Zeitraum davor bleibt es dagegen bei den normalen Rechtsfolgen:
Baubewilligungen, die nach dem 11. März 2012 und vor dem 1. Januar 2013 erteilt
wurden, sind anfechtbar. Werden sie nicht angefochten, erwachsen sie in
Rechtskraft und können (vorbehältlich ihres Widerrufs) ausgenützt werden.
Baubewilligungen, die vor dem 11. März 2012 erstinstanzlich erteilt wurden,
fallen nicht unter die neuen Verfassungsbestimmungen und bleiben gültig,
unabhängig vom Zeitpunkt, in dem sie rechtskräftig geworden sind.

11.7. Eine andere Auslegung erscheint auch nicht unter den Aspekten von Treu
und Glauben und des Vertrauensschutzes geboten. Besonderen Situationen des
Vertrauensschutzes kann im Einzelfall im Baubewilligungsverfahren Rechnung
getragen werden (vgl. auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil 1C_614/
2012 vom 22. März 2012).

12.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 75b Abs. 1 BV - entgegen der
Auffassung der kantonalen Instanzen - auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.
Da es sich unstreitig um ein Baugesuch für Zweitwohnungen in einer Gemeinde mit
einem Zweitwohnungsanteil von über 20 % handelt, hätte die Baubewilligung nicht
erteilt werden dürfen. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde, zur Aufhebung
des angefochtenen Entscheids und zur Verweigerung der Baubewilligung.

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die private Beschwerdegegnerin kosten-
und entschädigungspflichtig, und zwar sowohl für das bundesgerichtliche
Verfahren (Art. 66 und 68 BGG) als auch für das Verfahren vor
Verwaltungsgericht (Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 12. November 2012 sowie der Bau- und Einspracheentscheid
des Gemeindevorstands Breil/Brigels vom 20. August 2012 werden aufgehoben. Die
Baubewilligung für das Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin auf Parzelle Nr. 3690
der Gemeinde Breil/Brigels wird verweigert.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren und
von Fr. 3'371.-- für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden der
Beschwerdegegnerin (L.________ AG) auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin (L.________ AG) hat die Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche und das verwaltungsgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr.
8'000-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Breil/Brigels, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, und dem Bundesamt für
Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:

Die Gerichtsschreiberin:

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