Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.614/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_614/2012

Urteil vom 22. Mai 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
4. D.________,
5. E.________,
6. F.________,
7. G.________,
8. H.________,
9. I.________,
10. J.________,
11. K.________,
12. L.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Schreiber,

gegen

M.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marco Toller,

Gemeinde Davos, Berglistutz 1, 7270 Davos Platz,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger.

Gegenstand
Baueinsprache, Zweitwohnungsbau,

Beschwerde gegen das Urteil vom 23. Oktober 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 5. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Am 14. Dezember 2011 reichte M.________ ein Gesuch für den Abbruch der Gebäude
Nr. 283 und Nr. 283A und den Neubau der Mehrfamilienhäuser A und B mit
Unterstand für sechs Autoeinstellplätze auf der Parzelle Nr. 4886 in der
Feriensiedlung Solaria, Davos, ein.

 Gegen die Bauvorhaben erhoben u.a. die Stockwerkeigentümer der nördlich
angrenzenden Parzelle Nr. 4885, A.________ und Mitbeteiligte, Einsprache.

 In zwei Einspracheentscheiden vom 10./13. April 2012 hiess die Gemeinde Davos
die Einsprachen in Bezug auf die Einwände "fehlender Kinderspielplatz" und
"rechtswidrige Dachaufbaute" gut, wies sie im Übrigen jedoch ab, soweit sie
darauf eintrat. Gleichentags erteilte sie die Bau- und Abbruchbewilligungen
unter verschiedenen Bedingungen und Auflagen.

B.
Dagegen gelangten die Einsprecher am 15. Mai 2012 an das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden. Sie rügten die Verletzung verschiedener Bestimmungen des
kommunalen und kantonalen Baurechts. Überdies beriefen sie sich auf den in der
Volksabstimmung vom 11. März 2012 angenommenen Art. 75b BV. Da der
Zweitwohnungsanteil in Davos bereits im Jahre 2000 bei 38.5% gelegen habe,
widersprächen die Baubewilligungen offensichtlich dem Zweck des
Verfassungsartikels.
Am 23. Oktober 2012 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, soweit es
darauf eintrat: Die Bauvorhaben entsprächen den kommunalen und kantonalen
Bauvorschriften. Die am 11. März 2012 in Kraft getretene neue
Verfassungsbestimmung über Zweitwohnungen (Art. 75b BV) sei kraft seiner
Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 9 BV) erst auf Baubewilligungen anwendbar,
die ab dem 1. Januar 2013 erteilt würden.

C.
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben A.________ und Mitbeteiligte
am 5. Dezember 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans
Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sowie die
Baubewilligungs- und Einspracheentscheide vom 10./13. April 2012 seien
aufzuheben. Eventualiter sei die Streitsache zu erneuter Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

D.
Das Verwaltungsgericht, die Gemeinde Davos und die Beschwerdegegnerin
beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

 Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) geht in seiner Vernehmlassung davon
aus, dass die neuen Verfassungsbestimmungen über Zweitwohnungen nicht auf
Baugesuche anwendbar sind, die vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative am 11.
März 2012 eingereicht wurden.

 Im weiteren Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest.

E.
Mit Verfügung vom 21. Dezember 2012 wurde der Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zuerkannt.

F.
Am 22. Mai 2013 hat das Bundesgericht in öffentlicher Sitzung über die
Beschwerde beraten.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid über die
Bewilligung von zwei Mehrfamilienhäusern. Dagegen steht grundsätzlich die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, 86
Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführer haben am vorinstanzlichen
Verfahren teilgenommen und sind als Nachbarn zur Beschwerde legitimiert (Art.
89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie die Verletzung von Art. 75b BV.

2.1. Sie machen geltend, dieser Artikel verbiete seit dem 11. März 2012 die
Errichtung neuer Zweitwohnungen in Gemeinden wie Davos, in denen der
Zweitwohnungsanteil mehr als 20 % betrage. Sinn und Zweck der
Übergangsbestimmungen (Art. 197 Ziff. 9 BV) sei es, Bundesrat und Parlament
dazu anzuhalten, sofort nach Annahme der Initiative die Ausführungsgesetzgebung
zu unklaren Punkten zu erlassen. Dagegen sei auch ohne Ausführungsgesetzgebung
klar, dass in Gemeinden mit über 20% Zweitwohnungen keine neuen Zweitwohnungen
mehr bewilligt werden dürften. Dieses Verbot gelte seit dem Inkrafttreten der
neuen Verfassungsbestimmung am 11. März 2012; eine Übergangsfrist bis zum 31.
Dezember 2012 würde dem Ziel der Initiative, dem uferlosen Zweitwohnungsbau
Einhalt zu gebieten, diametral entgegenstehen.

 Eventualiter vertreten die Beschwerdeführer die Auffassung, dass Art. 197
Ziff. 9 Abs. 2 BV auf alle Baubewilligungen Anwendung finde, die bis zum 31.
Dezember 2012 nicht in Rechtskraft erwachsen seien. Die vorliegend streitige
Baubewilligung sei daher am 1. Januar 2013 nichtig geworden.

 Ihres Erachtens verdient die Beschwerdegegnerin keinen Vertrauensschutz, auch
wenn sie ihre Baugesuche schon vor dem 11. März 2012 gestellt habe. Über die
Vorlage sei schon lange vor dem Abstimmungsdatum viel geschrieben worden;
Vertreter des Tourismus und der Bauwirtschaft hätten eindringlich vor den
angeblich katastrophalen Auswirkungen der Initiative gewarnt. Insofern seien
sich alle, die in dieser Zeit ein Bauprojekt in Angriff genommen hätten, des
Risikos bewusst gewesen, dass ihr Projekt bei Annahme der
Zweitwohnungsinitiative scheitern könnte.

 Hinzu komme, dass das Bauprojekt gemäss Baubewilligung nicht vor Frühling 2013
in Angriff genommen werden dürfe. Die Baubehörde habe somit - in klarer
Missachtung des Volkswillens - Bewilligungen für Zweitwohnungen auf Vorrat
erteilt. Dies widerspreche auch der Empfehlung des Departements für
Volkswirtschaft und Soziales des Kantons Graubünden (DVS) vom 5. April 2012,
wonach neue Baubewilligungen für Zweitwohnungen im Jahr 2012 nur erteilt werden
dürften, wenn für dieses Jahr noch verfügbare Kontingente für Zweitwohnungen
vorhanden seien.

2.2. Die Beschwerdegegnerin und die Gemeinde Davos sind mit dem
Verwaltungsgericht der Auffassung, dass Art. 75b Abs. 1 und Art. 197 Ziff. 9
Abs. 2 BV erst ab dem 1. Januar 2013 anwendbar seien. Hinzu komme, dass das
Baugesuch schon am 14. Dezember 2011 eingereicht worden sei, d.h. rund drei
Monate vor Annahme der Initiative. Vorausgegangen seien aufwendige und
kostspielige Projektierungsarbeiten. Im Übrigen habe bis zur ersten Umfrage
Anfang 2012 kaum jemand ernsthaft mit der Annahme der Initiative gerechnet.
Jedenfalls hätte die Bauherrschaft aufgrund der Übergangsvorschriften davon
ausgehen dürfen, dass Baubewilligungen noch bis Ende 2012 erteilt werden
könnten.

 Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV dürfe nicht erstmals im bundesgerichtlichen
Verfahren angewendet werden. Dies ergebe sich bereits aus dem Verfassungstext,
der von nach dem 1. Januar 2013 "erteilten" Baubewilligungen spreche.

3.
Das Bundesgericht hat im zur Veröffentlichung bestimmten Urteil 1C_646/2012 vom
22. Mai 2012 (E. 9-11) entschieden, dass Art. 75b Abs. 1 BV seit seinem
Inkrafttreten am 11. März 2012 anwendbar ist. Zwar bedarf diese Bestimmung in
weiten Teilen der Ausführung durch ein Gesetz. Unmittelbar anwendbar ist sie
jedoch insoweit, als sie (in Verbindung mit Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV) ein
Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in allen Gemeinden anordnet, in denen
der 20 %-Zweitwohnungsanteil bereits erreicht oder überschritten ist. Damit
soll bis zum Inkrafttreten der Ausführungsgesetzgebung verhindert werden, dass
die angestrebte Plafonierung von Zweitwohnungen auf 20 % negativ präjudiziert
wird. Im Ergebnis kommt dies sinngemäss einer Planungszone für Zweitwohnungen
gleich. Sie hat zur Folge, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die
zwischen dem 11. März 2012 und dem 31. Dezember 2012 in den betroffenen
Gemeinden erstinstanzlich erteilt wurden, anfechtbar sind; ab dem 1. Januar
2013 erteilte Baubewilligungen sind nichtig (Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2
BV). Baubewilligungen, die vor dem 11. März 2012 erstinstanzlich erteilt
wurden, fallen nicht unter die neuen Verfassungsbestimmungen und bleiben
gültig, unabhängig vom Zeitpunkt, in dem sie rechtskräftig geworden sind.

 Vorliegend ist unstreitig, dass es sich um eine Baubewilligung für
Zweitwohnungen handelt und dass der Zweitwohnungsanteil in Davos weit über 20 %
liegt. Streitig ist dagegen, ob Art. 75b Abs. 1 BV auf Baugesuche anwendbar
ist, die - wie hier - schon vor Annahme der Initiative eingereicht, aber erst
nach dem 11. März 2012 erstinstanzlich beurteilt worden sind.

4.
Das ARE hatte in seinem Verordnungsentwurf für die Anhörung vom 18. Juni 2012
folgende Übergangsbestimmung vorgesehen:
Art. 7 Übergangsbestimmungen
1. Baugesuche, die vor dem 11. März 2012 eingereicht worden sind, sind nach dem
Recht zu beurteilen, das zur Zeit der Gesuchseinreichung galt.
[...]
Art. 8 des Verordnungsentwurfs sah als Datum des Inkrafttretens den 1.
September 2012 vor.

4.1. In seinen Erläuterungen zur Umsetzung von Art. 75b BV und zu den
Normvorschlägen für die Bundesratsverordnung zu dieser Verfassungsbestimmung
(Entwurf für die Anhörung vom 18. Juni 2012, S. 12 f. zu Art. 7 Abs. 1) führte
das ARE Folgendes aus:

 Sofern eine übergangsrechtliche Regelung fehle, sei in der Rechtsprechung
grundsätzlich anerkannt, dass Rechtsänderungen, die während hängiger Verfahren
eintreten, bis mindestens zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Entscheids zu
berücksichtigen seien. Die geplante Verordnung des Bundesrates biete jedoch die
Möglichkeit, eine generell-abstrakte Übergangsregelung zu erlassen. Art. 75b BV
belasse diesbezüglich einen gewissen Spielraum. Baubewilligungsgesuche, die am
11. März 2012 bereits hängig waren, wiesen einen Konnex mit dem alten Recht
auf. Für ihre Beurteilung nach altem Recht spreche die Überlegung, dass der
Zeitpunkt des Entscheids, namentlich bei an sich entscheidreifen
Gesuchsverfahren, zufällig sein könne, was unter Rechtsgleichheitsaspekten
fragwürdig erscheinen könne. Zudem habe der Gesuchsteller möglicherweise
Dispositionen getroffen, die durch eine unverzügliche Anwendung des neuen
Rechts zunichte gemacht würden. Zu beachten sei allerdings, dass sich aus dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben nicht zwingend ein
Anspruch auf Erteilung der Bewilligung ergebe, sondern allenfalls auch bloss
ein Anspruch auf Ersatz unnützen Planungsaufwands. Die Interessen an der
Anwendung des neuen Rechts lägen vor allem darin, eine weitere Erhöhung des
Anteils von Zweitwohnungen, soweit dieser bereits heute über 20 % liege, zu
verhindern und damit einer weiteren Zersiedelung durch den Bau neuer
Zweitwohnungen entgegenzuwirken. Bei der Abwägung dieser Interessen bestehe ein
grosser wertungsmässiger Spielraum. Da keine polizeilichen Gründe für eine
sofortige Anwendung des neuen Rechts auf Verfahren ersichtlich seien, die im
Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Verfassungsartikels bereits hängig
waren, werde im Verordnungsentwurf vorgesehen, dass diese Gesuche nach Massgabe
des im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung geltenden Rechts zu beurteilen seien.

4.2. Am 22. August 2012 erliess der Bundesrat die Verordnung über
Zweitwohnungen (SR 702). Diese wurde jedoch erst auf den 1. Januar 2013 in
Kraft gesetzt und enthält daher keine Übergangsbestimmung für Baubewilligungen,
die vor diesem Datum erteilt worden sind. Ab diesem Zeitpunkt erteilte
Baubewilligungen sind gemäss Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV nichtig, ohne dass es
auf den Zeitpunkt der Einreichung des Baugesuchs ankommt (so auch Art. 8 Abs. 2
Zweitwohnungsverordnung).

5.
In der Literatur wird überwiegend davon ausgegangen, dass Art. 75 Abs. 1 i.V.m.
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV nicht auf Baugesuche anwendbar sei, die vor dem 11.
März 2013 eingereicht wurden.

 Fabian Mösching (Ab welchem Zeitpunkt ist die Zweitwohnungsinitiative
anwendbar- in: Jusletter 10. Dezember 2012 Rz. 37 und 42) ist der Auffassung,
dass auf Baugesuche prinzipiell das im Zeitpunkt der Einleitung des
Baubewilligungsverfahrens geltende Recht anzuwenden sei, wie dies
beispielsweise Art. 36 Abs. 1 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985
(BauG/BE) vorsehe. Damit sollten die Rechtssicherheit gefördert und die
Gesuchsteller geschützt werden, die im Vertrauen auf die bestehende Ordnung
zeitraubende und kostspielige Aufwendungen getätigt haben.

 Emanuel Dettwiler (Die Zweitwohnungsverordnung. Eine Übersicht mit
ausgewählten Schwerpunkten, in: SJZ 109/2013 S. 90), Arnold Marti (Umsetzung
der Zweitwohnungsinitiative - ungelöste Rätsel und des Pudels Kern, in ZBl 113/
2012 S. 282) und Michel Rossinelli ( Résidences secondaires: l'illusion des
cantons alpins, in: Le Temps, 31. August 2012) gehen ebenfalls davon aus, dass
es aus Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt sei, zum Zeitpunkt der
Annahme der Initiative bereits eingereichte Baugesuche noch zu bewilligen, ohne
dies näher zu begründen.

 Dagegen hält Roland Norer (Zum Geltungsbereich der Zweitwohnungsverordnung,
in: Roland Norer/Bernhard Rütsche, Rechtliche Umsetzung der
Zweitwohnungsinitiative, Bern 2013, S. 11 ff., insbes. S. 29 f.) bei Fehlen
einer Übergangsbestimmung grundsätzlich den Zeitpunkt der Bewilligungserteilung
(und nicht der Gesuchseinreichung) für massgeblich; er interpretiert allerdings
Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV als spezielle übergangsrechtliche Bestimmung, nach
der bis zum 1. Januar 2013 noch das alte Recht anwendbar sei (a.a.O., S. 36
f.).

6.
Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist die Rechtmässigkeit von
Verwaltungsakten (einschliesslich Baubewilligungen) mangels einer
anderslautenden übergangsrechtlichen Regelung nach der Rechtslage im Zeitpunkt
ihres Ergehens zur beurteilen (BGE 135 II 384 E. 2.3 S. 390; 125 II 591 E. 5e/
aa S. 598; je mit Hinweisen). In anderen Urteilen (vor allem zum
Sozialversicherungsrecht) findet sich die Formulierung, es seien jene
Rechtssätze massgebend, die im Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhalts
bzw. der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (
BGE 129 V 1 E. 1.2 S. 4 mit Hinweisen).
Dies entspricht der herrschenden Lehre (Ulrich Häfelin/Georg Müller/ Felix
Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Rz. 325 ff. S. 70 f.; Pierre
Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3.
Aufl., S. 190 f. Rz. 18 ff.). Zwar würde das Prinzip des Vertrauensschutzes
dafür sprechen, auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen, doch
spreche das öffentliche Interesse an der Anwendung des neuen Rechts dafür, das
zur Zeit des erstinstanzlichen Entscheides geltende Recht heranzuziehen
( ALFRED KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 Bd. II S. 101
ff., insbes. S. 207-215). Die Rechtmässigkeit eines zukünftigen Verhaltens bzw.
eines in der Zukunft zu realisierenden Bauvorhabens müsse nach dem Recht
beurteilt werden, das im Zeitpunkt der Prüfung, d.h. der Gesuchsbeurteilung,
gelte; damit werde auch eine rechtsgleiche Bewilligungspraxis ab Inkrafttreten
des neuen Rechts sichergestellt ( PIERRE MOOR/ALEXANDRE FLÜCKIGER/VINCENT
MARTENET, Droit administratif, Bd. I, Bern 2012, S. 187).

7.
Eine abweichende übergangsrechtliche Regelung besteht im vorliegenden Fall
nicht.
Wie das Bundesgericht im zur Veröffentlichung bestimmten Urteil 1C_646/2012 vom
22. Mai 2013 (E. 11) ausgeführt hat, enthält Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV keine
intertemporale Regelung zur Anwendbarkeit von Art. 75b Abs. 1 BV, sondern
verschärft lediglich die Rechtsfolge (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit) ab dem
1. Januar 2013. Im Übrigen stellt diese Bestimmung auf den Zeitpunkt der
Erteilung der Baubewilligung und nicht der Einreichung des Baugesuchs ab.

 Dementsprechend finden die oben (E. 6) dargestellten Grundsätze Anwendung. Das
Bundesgericht hat denn auch bereits im Zusammenhang mit Baubewilligungen für
Zweitwohnungen, die noch vor der Abstimmung vom 11. März 2012 erteilt worden
waren, aber in der Folge angefochten wurden, massgeblich auf den Zeitpunkt der
Beurteilung des Baugesuchs durch die kantonalen Behörden (und nicht auf den
Zeitpunkt der Gesuchseinreichung) abgestellt (vgl. Urteile 1C_215/ 2012 E. 2.4
und 1C_159/2012 E. 6.2, beide vom 14. Dezember 2012). Die damalige Sichtweise
erscheint nach wie vor richtig.
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Art. 75b Abs. 1 i.V.m. Art. 197
Ziff. 9 Abs. 2 BV grundsätzlich anwendbar ist, wenn der erstinstanzliche
Entscheid nach dem 11. März 2012 ergangen ist, auch wenn das Baugesuch schon
vor diesem Datum eingereicht wurde. Baubewilligungen für Zweitwohnungen in den
betroffenen Gemeinden, die nach diesem Datum (aber vor dem 1. Januar 2013)
erstinstanzlich erteilt wurden, sind daher anfechtbar. Gleiches gilt, wenn eine
(schon vorher erteilte) Baubewilligung zwischen dem 11. März 2012 und dem 1.
Januar 2013 im Rechtsmittelverfahren erheblich modifiziert worden ist. Nach dem
1. Januar 2013 erstinstanzlich erteilte (oder im Rechtsmittelverfahren
erheblich modifizierte) Baubewilligungen sind gemäss Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
nichtig.

 Vorbehalten bleiben jedoch besondere Konstellationen des Vertrauensschutzes
sowie der Rechtsverweigerung oder -verzögerung.

8.
Ein besonderer Vertrauenstatbestand wird vorliegend nicht geltend gemacht und
ist auch nicht ersichtlich: Angesichts des kurz bevorstehenden
Abstimmungstermins musste die Beschwerdegegnerin damit rechnen, dass ihr
Bauvorhaben bei Annahme der Zweitwohnungsinitiative u.U. nicht bewilligt werden
könnte.

8.1. Die Beschwerdegegnerin wendet jedoch ein, dass das Verfahren zweimal
sistiert worden sei, um Gutachten über die Auswirkungen des Bauvorhabens auf
die Besonnung der Wohnhäuser der Beschwerdeführer einzuholen. Das erste, von
der Baubehörde Davos eingeholte Gutachten habe Ende Februar 2012 vorgelegen,
das zweite, von den Beschwerdeführern in Auftrag gegebene Gutachten der CSD
Ingenieure AG erst am 26. März 2012. Ohne dieses zweite Gutachten (das
lediglich die Schlussfolgerungen des ersten Gutachtens bestätigt habe), hätte
der Einsprache- und Bauentscheid noch vor dem 11. März 2012 ergehen können.
Unter diesen Umständen wäre es stossend, wenn Art. 75b BV auf das Bauvorhaben
zur Anwendung käme.

8.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist - vorbehältlich zwingender
öffentlicher Interessen (BGE 119 Ib 174 E. 3 S. 177) - auf das alte, der
Bauherrschaft günstigere Recht abzustellen, wenn die Baubehörde den Entscheid
unnötig verzögert oder ein Nachbar in querulatorischer Weise
Verfahrensverzögerungen herbeiführt, um so die Anwendung strengeren Rechts zu
erwirken (BGE 112 Ib 39 E. 1c S. 44).

8.3. Aus den Einsprache- und Baubewilligungsentscheiden der Gemeinde Davos vom
10./13. April 2012 ergibt sich Folgendes:

 In ihren Einsprachen vom 9. Januar 2012 hatten die Beschwerdeführer u.a.
rechtswidrige Dachaufbauten und den Entzug von Licht, Sonne und Aussicht
gerügt. Am 26. Januar 2012 ersuchten sie das kommunale Hochbauamt um die
vorübergehende Sistierung des Verfahrens, bis das von ihnen beim Bezirksgericht
Prättigau/Davos beantragte unabhängige Gutachten über den Schattenwurf der
projektierten Mehrfamilienhäuser vorliege. Das von der CSD Ingenieure AG
erstellte Gutachten vom 27. Februar 2012 (eingereicht am 1. März 2012) kam zum
Ergebnis, dass die Minimalbesonnung unterschritten sei. Der Verfasser der
Expertise teilte jedoch auf Anfrage des Hochbauamts am 8. März 2012 mit, dass
die tägliche Gesamtbesonnungsdauer über den kritischen 120 Minuten liegen
würde, wenn die Höhenkote um 45 cm herabgesetzt werde.

 Auf Anregung des Hochbauamts reichte die Bauherrin daraufhin ein
Abänderungsprojekt (datiert vom 13. März 2012) ein, das sowohl für Haus A als
auch für Haus B einen um 45 cm tieferen Dachkranz vorsieht. Dieses wurde den
Einsprechern zur Stellungnahme zugestellt, die am 29. März 2012 weitere
Abschattungsmodellierungen der CSD Ingenieure AG (datiert vom 26. März 2012)
einreichten.

 In den Einsprache- und Baubewilligungsentscheiden wird festgehalten, dass die
Dachkränze in der ursprünglich vorgesehenen Höhe nach Art. 27 Abs. 3 BauG/Davos
(betr. Dachaufbauten) nicht hätten bewilligt werden können, zumal sie die
Besonnung der hinterliegenden Grundstücke beeinträchtigen würden. Die
Einsprachen wurden deshalb in diesem Punkt gutgeheissen und die Dachkränze mit
der reduzierten Höhe gemäss Projektänderung vom 13. März 2012 bewilligt.

8.4. Unter diesen Umständen kann weder den Beschwerdeführern noch der
Baubehörde der Vorwurf gemacht werden, das Baubewilligungsverfahren unnötig
verzögert zu haben. Vielmehr hat es die Beschwerdegegnerin mit ihrer erst am
13. März 2012 eingereichten Projektänderung zu verantworten, dass die
Baubewilligung nicht vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative am 11. März 2012
erteilt werden konnte.

9.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 75b Abs. 1 BV - entgegen der
Auffassung der kantonalen Instanzen - auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.

 Es ist unstreitig, dass es sich um eine Baubewilligung für Zweitwohnungen in
einer Gemeinde (Davos) handelt, in der der 20 %-Zweitwohnungsanteil deutlich
überschritten ist. Zwar bestanden in den zum Abriss bestimmten Bauten bereits
Zweitwohnungen; deren Anzahl und Fläche wird jedoch durch das Bauvorhaben
wesentlich erhöht. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde, zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids und zur Verweigerung der Baubewilligungen (mit
Ausnahme der Abbruchbewilligung).

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig, und zwar sowohl für das bundesgerichtliche Verfahren
(Art. 66 und 68 BGG) als auch für das Verfahren vor Verwaltungsgericht (Art. 67
und 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 23. Oktober 2012 wird aufgehoben. Die Bewilligung für
den Neubau von Haus A und Haus B auf Parzelle Nr. 4886 der Gemeinde Davos wird
verweigert.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren und
von Fr. 5'174.-- für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden der
Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche und
das verwaltungsgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 8'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Davos, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden, 5. Kammer, und dem Bundesamt für Raumentwicklung
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Gerber

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