Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.558/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_558/2012

Urteil vom 11. Juli 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Fürsprecher Rolf G. Rätz,

gegen

Bundesamt für Migration, Abteilung Bürgerrecht, Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 2. Oktober 2012
des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III.

Sachverhalt:

A.
Die aus dem Kosovo stammende X.________ (Jg. 1971) hielt sich in den Jahren
1994 bis 2000 als Asylsuchende bzw. vorläufig Aufgenommene in der Schweiz auf.
Nach Aufhebung der vorläufigen Aufnahme reiste sie in den Kosovo zurück. Dort
heiratete sie am 28. Dezember 2000 den Schweizer Y.________ (Jg. 1965). Am 10.
März 2001 kehrte sie im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz zurück.

B.
Sie ersuchte am 22. Oktober 2004 um erleichterte Einbürgerung.
Die Eheleute unterzeichneten am 6. Juni 2005 die gemeinsame Erklärung, in einer
tatsächlichen, ungetrennten und stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben und
weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten zu haben. Sie nahmen unterschriftlich
zur Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich sei, wenn
während des Einbürgerungsverfahrens keine tatsächliche eheliche Gemeinschaft
mehr bestehe. Auch bestätigten sie zu wissen, dass die Verheimlichung dieses
Umstands zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führen könne.
Am 5. Juli 2005 wurde X.________ gestützt auf Art. 27 des Bundesgesetzes vom
29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR
141.0) erleichtert eingebürgert.

C.
Am 15. Juni 2006 wurde die Ehe geschieden.
Das Bundesamt für Migration (BFM) leitete ein Verfahren auf Nichtigerklärung
der Einbürgerung gemäss Art. 41 BüG ein und benachrichtigte X.________ darüber.
Am 21. Juni 2010 erklärte das BFM die erleichterte Einbürgerung von X.________
für nichtig.
Die von ihr dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am 2.
Oktober 2012 ab.

D.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie
beantragt, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und davon
abzusehen, die Einbürgerung für nichtig zu erklären; der Beschwerde sei die
aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das BFM beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat
auf eine Stellungnahme verzichtet.

E.
Am 27. November 2012 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat eine Beschwerde gegen die Nichtigerklärung einer
erleichterten Einbürgerung abgewiesen. Angefochten ist somit ein Endentscheid
des Bundesverwaltungsgerichts in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit
(Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Die Ausnahme der
ordentlichen Einbürgerung gemäss Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf
die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung.
Die Beschwerdeführerin ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann eine Ausländerin nach der Eheschliessung
mit einem Schweizer Bürger ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen,
wenn sie insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier
wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger
lebt.
Nach der Rechtsprechung setzt eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27
BüG nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer
tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraus. Eine solche ist zu bejahen, wenn der
gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist. Sowohl im
Zeitpunkt derGesuchseinreichung als auch in jenem des Einbürgerungsentscheids
muss eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die
Stabilität der Ehe bietet (BGE 130 II 169 E. 2.3.1 S. 171 f.).
Zweifel bezüglich eines solchen Willens sind etwa dann angebracht, wenn kurze
Zeit nach der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die
Scheidung eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehepartner
eines Schweizer Bürgers die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die
Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft
zu fördern (BGE 130 II 482 E. 2 S. 484).

2.2. Gemäss Art. 41 Abs. 1 BüG in der bis Ende Februar 2011 geltenden und hier
anwendbaren Fassung kann das Bundesamt die Einbürgerung mit Zustimmung der
Behörde des Heimatkantons für nichtig erklären, wenn sie durch falsche Angaben
oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist.
Nach konstanter Praxis genügt das blosse Fehlen der
Einbürgerungsvoraussetzungen nicht. Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt
vielmehr voraus, dass diese "erschlichen ", das heisst mit einem unlauteren und
täuschenden Verhalten erwirkt worden ist. Arglist im Sinne des strafrechtlichen
Betrugstatbestandsist jedoch nicht erforderlich. Immerhin muss der Betroffene
bewusst falsche Angaben gemacht haben bzw. dieBehörde bewusst im falschen
Glauben gelassen haben und so den Vorwurf auf sich ziehen, es unterlassen zu
haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu benachrichtigen (BGE 132 II
113 E. 3.1 S. 115 mit Hinweisen).

2.3. Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung hat die Behörde
zu untersuchen, ob die Ehe auch während des Einbürgerungsverfahrens tatsächlich
gelebt wurde. Da es dabei im Wesentlichen um innere Vorgänge geht, die der
Verwaltung oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind, darf sie von
bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge)
schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die
aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.).
Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine
Umkehr der Beweislast. Der Betroffene muss nicht den Beweis des Gegenteils
erbringen. Vielmehr genügt der Nachweis von Zweifeln an der Richtigkeit der
Indizien und der daraus gezogenen Schlussfolgerung. Demzufolge trägt die
Verwaltung die Beweislast dafür, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von
Art. 27 BüG zur massgeblichen Zeit nicht oder nicht mehr besteht. Es genügt
deshalb, wenn der Betroffene einen oder mehrere Gründe angibt, die es plausibel
erscheinen lassen, dannzumal in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft gelebt
und diesbezüglich nicht gelogen zu haben. Ein solcher Grund kann entweder ein
ausserordentliches Ereignis sein, das zum raschen Zerfall des Willens zur
ehelichen Gemeinschaft im Anschluss an die Einbürgerung führte; oder der
Betroffene kann darlegen, aus welchem Grund er die Schwere der ehelichen
Probleme nicht erkannte und den wirklichen Willen hatte, mit dem Schweizer
Ehepartner auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben (
BGE 135 II 161 E. 3 S. 166 mit Hinweisen).

3.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin mit ihrem damaligen Ehemann während des
Einbürgerungsverfahrens in einer tatsächlichen ehelichen Gemeinschaft lebte.

3.1. Die massgeblichen Ereignisse liefen wie folgt ab: Heirat im Dezember 2000;
Einreise der Beschwerdeführerin im März 2001; Gesuch um erleichterte
Einbürgerung im Oktober 2004; gemeinsame Erklärung im Juni 2005; erleichterte
Einbürgerung im Juli 2005; gemeinsames Scheidungsbegehren im April 2006;
Scheidung im Juni 2006.
Demnach reichten die Eheleute lediglich 9 Monate nach der Einbürgerung ein
gemeinsames Scheidungsbegehren ein, worauf sie 2 Monate später rechtskräftig
geschieden wurden. Eine derart enge zeitliche Abfolge von Einbürgerung und
Scheidung legt die Vermutung nahe, dass die Beschwerdeführerin während des
Einbürgerungsverfahrens vom Oktober 2004 bis Juli 2005 nicht mehr in einer
stabilen ehelichen Gemeinschaft lebte (vgl. E. 2.1 oben; BGE 130 II 482 E. 3.3
S. 487 f.; u.a. auch Urteil 1C_260/2010 vom 6. Oktober 2010 E. 3.3).

3.2. Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin plausible Gründe angeben kann,
wonach die Ehe während des Einbürgerungsverfahrens dennoch intakt gewesen sei
und erst ein ausserordentliches Ereignis danach zum Scheitern der ehelichen
Gemeinschaft geführt habe (vgl. E. 2.3 oben).

3.2.1. Die Beschwerdeführerin begründet einen solchen Umstand damit, ihren
Ehepartner im April 2006 mit einem Mann im Ehebett entdeckt zu haben. Er habe
ihr gestanden, homosexuell zu sein. Für sie sei eine Welt zusammengebrochen.

3.2.2. Es steht mit der Vorinstanz ausser Zweifel, dass die homosexuelle
Neigung eines Ehepartners, sobald sie hervortritt, die Ehe in Frage stellen
kann. Wie das Bundesverwaltungsgericht zu Recht erkennt, enthält die
Darstellung der Beschwerdeführerin aber Widersprüche.
Sie gab dem BFM in ihrer Stellungnahme vom 10. Januar 2009 an, die
aussereheliche Beziehung ihres Ehepartners erst im April 2006 entdeckt zu
haben. Im Juni darauf habe er ihr eröffnet, sich scheiden zu lassen (act. 3.1
und 11). Gemäss dem von ihr eingereichten Scheidungsurteil reichten die
Eheleute das Scheidungsbegehren jedoch bereits im April 2006 ein (vgl. act. 5).
Die Beschwerdeführerin hat vor der Vorinstanz denn auch eingeräumt, sich über
den Ablauf der Geschehnisse getäuscht zu haben. Sie habe die aussereheliche
Beziehung nicht erst im April 2006, sondern bereits im November oder Dezember
2005 entdeckt. Dass die Beschwerdeführerin ein nach eigener Aussage derart
einschneidendes Ereignis, welches die Ehe zerstört haben soll, lediglich drei
Jahre später zeitlich nicht mehr einordnen kann, ist nicht nachvollziehbar.
Ihrem Standpunkt, diese Ungereimtheit sei unwesentlich, ist nicht zu folgen.
Wenn sie vorbringt, erst das "Outing" nach der Einbürgerung habe zum Zerfall
der Ehe geführt, weicht sie zudem von ihrer eigenen Feststellung ab, bereits
wenige Monate nach der Heirat Beziehungsprobleme gehabt zu haben. Ihr Ehemann
sei am Abend immer später oder gar nicht nach Hause gekommen. Auch habe er sie
nicht mehr beachtet und sei ihr aus dem Weg gegangen (act. 3.1).
Dass die Ehe schon früh belastet gewesen sein muss, stimmt auch mit der Angabe
des Ehemannes überein, seinen Partner bereits kurz nach der Heirat
kennengelernt zu haben. Spätestens seit Ende 2004 sei ihm bewusst gewesen, "auf
Männer zu stehen". Seine Frau habe mit ihm darüber sprechen wollen (act. 11).
Würdigt man diese Gesichtspunkte gesamthaft, erscheint die Darstellung der
Beschwerdeführerin nicht glaubhaft, sie habe von der Neigung ihres Ehepartners
erst nach der Einbürgerung vom 5. Juli 2005 erfahren. Sie vermag damit nicht
darzutun, während des Einbürgerungsverfahrens in einer intakten Ehe gelebt zu
haben.

3.3. Demnach ist die Erkenntnis der Vorinstanz nicht zu beanstanden, die
Beschwerdeführerin habe die Behörden über wesentliche Tatsachen getäuscht und
die erleichterte Einbürgerung erschlichen. Indem sie die Nichtigerklärung der
Einbürgerung bestätigt hat, verletzt sie daher kein Bundesrecht.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.

4.
Sie ist danach abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Kosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juli 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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