Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.556/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_556/2012

Urteil vom 23. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Claudio Allenspach,
Beschwerdeführer,

gegen

Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden, Hofgraben 5, 7001
Chur.

Gegenstand
Führerausweisentzug (Anordnung spezialärztlicher Begutachtung),

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 1.
Kammer, vom 18. September 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ war am 29. März 2012 am Steuer eines Personenwagens von Bergün nach
Thusis unterwegs. In Alvaschein fiel er einer Polizeipatrouille wegen langsamer
Fahrweise auf. Er wurde in Thusis angehalten und kontrolliert. Dabei soll er
angegeben haben, seit Jahrzehnten regelmässig Marihuana - wöchentlich ca. 4
Joints jeweils vor dem Zubettgehen - zu rauchen. Der Urin-Schnelltest fiel
positiv aus. In der anschliessend im Spital Thusis entnommenen Blutprobe wurde
der aktive Cannabiswirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) nachgewiesen, doch lag
dessen Konzentration mit ca. 0.8 Mikrogramm/l unterhalb des von Art. 34 lit. a
der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung (SR 741.013.1;
VSKV-ASTRA) festgelegten Nachweisgrenzwertes für THC von 1,5 Mikrogramm/l.
Am 30. Mai 2012 verfügte das Strassenverkehrsamt des Kantons Graubünden (StVA),
X.________ habe sich zur Abklärung seiner Fahreignung beim Psychiatrischen
Dienst Graubünden spezialärztlich untersuchen zu lassen. Für den Fall, dass das
Gutachten nicht bis zum 30. Juli 2012 bei ihm eintreffe, drohte es ihm an, den
Führerausweis gestützt auf Art. 30 VZV vorsorglich auf unbestimmte Zeit zu
entziehen.
Am 30. Juli 2012 wies das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit die
Beschwerde von X.________ gegen diese Verfügung ab und wies das StVA an, einen
neuen Termin für die Einreichung des verkehrsmedizinischen Gutachtens
anzusetzen. Dieser wurde vom StVA in der Folge auf den 17. September 2012
gelegt.
Am 18. September 2012 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von X.________
gegen diese Departementalverfügung ab.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
dieses Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass die
spezialärztliche Begutachtung nicht angeordnet werden dürfe. Eventuell sei die
Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Ausserdem ersucht
er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

C.
Der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung wies das Gesuch um
Gewährung der aufschiebenden Wirkung am 3. Dezember 2012 ab.

D.
Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit und das
Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für
Strassen (ASTRA) beantragt, die Beschwerde gutzuheissen.
X.________ verzichtet unter Verweis auf die Vernehmlassung des ASTRA auf eine
Replik. Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit hält an seinem
Standpunkt fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid des Verwaltungsgerichts
betrifft die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Abklärung im Rahmen eines
strassenverkehrsrechtlichen Administrativverfahrens und damit eine
öffentlich-rechtliche Angelegenheit. Es handelt sich um einen das Verfahren
nicht abschliessenden Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil zu bewirken (vgl. Urteil 1C_248/2011 vom 30. Januar
2012 E. 1 mit Hinweisen). Dagegen ist die Beschwerde zulässig (Art. 82 Abs. 1
lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), und der Beschwerdeführer ist als zur
verkehrsmedizinischen Abklärung Verpflichteter befugt, sie zu erheben (Art. 89
Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.
2.1 Führerausweise werden entzogen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur
Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Nach Art. 16d
Abs. 1 lit. b SVG wird der Lernfahr- oder Führerausweis einer Person auf
unbestimmte Zeit entzogen, wenn sie an einer Sucht leidet, welche die
Fahreignung ausschliesst. Drogensucht wird nach der Rechtsprechung bejaht, wenn
die Abhängigkeit von der Droge derart ist, dass der Betroffene mehr als jede
andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in
einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu setzen, der das sichere Führen
nicht mehr gewährleistet (BGE 127 II 122 E. 3c; 124 II 559 E. 2b; 120 Ib 305 E.
3c, je mit Hinweisen). Im Interesse der Verkehrssicherheit setzt die
Rechtsprechung den regelmässigen Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit
gleich, sofern dieser seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die
Fahreignung zu beeinträchtigen. Auf fehlende Fahreignung darf geschlossen
werden, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, Haschischkonsum und
Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die nahe liegende Gefahr
besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr
teilnimmt (BGE 128 II 335 E. 3c; 127 II 122 E. 3c; 124 II 559 E. 3d).

2.2 Eine verkehrsmedizinische Abklärung darf nur angeordnet werden, wenn
konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des
Betroffenen wecken. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber
kontrollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den
Schluss auf eine fehlende Fahreignung (BGE 127 II 122 E. 4b; 124 II 559 E. 4d
und e). Ob diese gegeben ist, kann ohne Angaben über die Konsumgewohnheiten des
Betroffenen, namentlich über Häufigkeit, Menge und Umstände des Cannabiskonsums
und des allfälligen Konsums weiterer Betäubungsmittel und/oder von Alkohol,
sowie zu seiner Persönlichkeit, insbesondere hinsichtlich Drogenmissbrauch im
Strassenverkehr, nicht beurteilt werden (BGE 124 II 559 E. 4e und 5a; Urteil
6A.93/2002 vom 25. Februar 2003 E. 3.2). Ein die momentane Fahrfähigkeit
beeinträchtigender Cannabiskonsum kann hingegen Anlass bieten, die generelle
Fahreignung des Betroffenen durch ein Fachgutachten näher abklären zu lassen (
BGE 128 II 335 E. 4b; 127 II 122 E. 4b mit Hinweis).

2.3 Der Beschwerdeführer wurde am 29. März 2012 kontrolliert, weil er einer
Polizeipatrouille durch eine langsame Fahrweise aufgefallen war. Die Zweifel an
seiner momentanen Fahrfähigkeit wurden indessen widerlegt: Sein THC-Gehalt im
Blut lag deutlich unter dem massgebenden Grenzwert, und seine Fahrfähigkeit war
nach der Einschätzung der die Blutentnahme durchführenden Ärztin nicht merkbar
beeinträchtigt. Nach seinen unbestrittenen Angaben durfte der Beschwerdeführer
nach dem Vorfall mit seinem Personenwagen nach Hause fahren.
Zweifel an seiner Fahrfähigkeit erweckte der Beschwerdeführer indessen beim
StVA durch seine von der Polizei protokollierten Aussage, er konsumiere seit
Jahrzehnten wöchentlich rund 4 Joints. Der Beschwerdeführer bestreitet diese
Aussage und macht geltend, er habe das Protokoll bewusst nicht unterschrieben.
Er sei, wenn überhaupt, seltener Gelegenheitskonsument.
Wie das ASTRA zu Recht anführt, kann die Frage nach der Verwertbarkeit des
Polizeiprotokolls offen bleiben. Die protokollierte Aussage ist vereinbar mit
einem regelmässigen, aber kontrollierten und mässigen Haschischkonsum, der für
sich allein noch nicht auf eine Beeinträchtigung der Fahreignung schliessen
lässt. Diese Einschätzung wird gerade auch durch die am 29. März 2012
angeordnete Blutanalyse bestätigt, die einen THC-Gehalt weit unter dem
massgebenden Grenzwert ergab, obwohl der Beschwerdeführer nach eigenem
Zugeständnis am Vorabend einen Joint geraucht hatte. Weitere Hinweise auf eine
fehlende Fahreignung sind weder ersichtlich noch dargetan. Für seine
Fahrtüchtigkeit spricht im Gegenteil der Umstand, dass sein automobilistischer
Leumund ungetrübt ist, obwohl er seit Jahrzehnten zum Führen von
Motorfahrzeugen berechtigt ist. Das Urteil 1C_248/2011 vom 30. Januar 2012, auf
das sich die Vorinstanzen berufen, bezieht sich auf den Mischkonsum von Ecstasy
und Speed und kann daher nicht unbesehen auf den Fall des Beschwerdeführers
übertragen werden, der nach seiner unwiderlegten Darstellung keine weiteren
legalen oder illegalen Drogen zu sich nimmt. Es liegen damit keine konkreten
Anhaltspunkte für eine fehlende Fahreignung des Beschwerdeführers vor, die eine
verkehrsmedizinische Untersuchung rechtfertigen könnten. Die Rüge ist
begründet.

3.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 4 BGG), und der Kanton Graubünden hat dem Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Entschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Bei der Festsetzung der Entschädigung wird
zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, dass das Strassenverkehrsamt
keine verkehrsmedizinische Untersuchung hätte anordnen dürfen und das
Departement und das Verwaltungsgericht die Beschwerden mit den entsprechenden
Entschädigungsfolgen hätten gutheissen müssen. Wird mit Blick darauf im
bundesgerichtlichen Verfahren eine höhere Entschädigung zugesprochen, als das
sonst der Fall wäre, kann auf die Rückweisung der Akten an die Vorinstanz zur
neuen Festsetzung der Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens verzichtet
werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des
Verwaltungsgerichts Graubünden vom 18. September 2012 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Graubünden hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr.
3'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Strassenverkehrsamt, dem
Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit und dem Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden, 1. Kammer, sowie dem Bundesamt für Strassen,
Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. April 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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