Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.537/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_537/2012

Urteil vom 25. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeinde Zollikon, vertreten durch den Gemeinderat,
Bezirksrat Meilen.

Gegenstand
Stimmrechtsbeschwerde,

Beschwerde gegen das Urteil vom 19. September 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Der Gemeinderat Zollikon unterbreitete der Gemeindeversammlung vom 22. Juni
2011 ein aus Parkierungsverordnung und Parkgebührenreglement bestehendes
Parkplatzkonzept. Die Stimmberechtigten lehnten die Vorlage ab und wiesen das
Geschäft an den Gemeinderat zurück.

X.________ reichte in der Folge der Gemeindekanzlei am 28. Juni 2011 eine
Einzelinitiative mit dem Titel "Parkplatzkonzepte mit Anwohnerprivilegierung"
ein; am 11. Oktober 2011 legte er einen überarbeiteten Vorschlag vor, der die
ursprüngliche Initiative ersetzte. Der Gemeinderat beauftragte eine
Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage. Diese einigte
sich auf einen Gegenvorschlag zur Einzelinitiative. Anlässlich der
Gemeindeversammlung vom 13. Juni 2012 nahmen die Stimmberechtigten den
Gegenvorschlag an und lehnten die Einzelinitiative ab.

B.
A.________ erhob am 19./20. Juni 2012 beim Bezirksrat Meilen Stimmrechtsrekurs
und verlangte die Aufhebung des Gemeindeversammlungsbeschlusses. Der Bezirksrat
behandelte diese Eingabe mit seinem Entscheid vom 9. August 2012 teils als
Rekurs in Stimmrechtssachen, teils als Gemeindebeschwerde. Auf den Rekurs in
Stimmrechtssachen trat er ohne Kostenfolge nicht ein, die Gemeindebeschwerde
wies er unter Kostenfolge ab.

Dagegen führte A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
Beschwerde. Diese wurde mit Urteil vom 19. September 2012 abgewiesen.

C.
A.________ hat beim Bundesgericht am 19. Oktober 2012 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Er beantragt die Aufhebung des
Nichteintretens auf seinen Stimmrechtsrekurs und die Rückweisung der Sache an
die Vorinstanzen. Den als Gemeindebeschwerde behandelten Teil des
Verwaltungsgerichtsurteils ficht er ausdrücklich nicht an.

Das Verwaltungsgericht hat auf Bemerkungen verzichtet, der Gemeinderat Zollikon
hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet einzig derjenige Teil des
angefochtenen Verwaltungsgerichtsurteils, mit dem das Nichteintreten auf den
Rekurs in Stimmrechtssachen bestätigt worden ist.

Die Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass (Art. 82 lit.
c, Art. 88 Abs. 1 lit. a, Art. 89 Abs. 3, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf
die Stimmrechtsbeschwerde, mit der Bundesverfassungsrecht und kantonale
Bestimmungen über die politischen Rechte gerügt werden kann (Art. 95 lit. a und
d BGG), ist einzutreten.

2.
2.1 Der Bezirksrat ging in seinem Entscheid davon aus, dass die
Einzelinitiative in der Form der allgemeinen Anregung gehalten war und der
Gegenvorschlag eine ausformulierte Vorlage darstellte. Damit sei das
Erfordernis der Formparallelität anlässlich der Gemeindeversammlung nicht
gewahrt worden. Der Grundsatz besagt, dass einer allgemeinen Anregung zwecks
Wahrung der Chancengleichheit kein ausformulierter Vorschlag gegenübergestellt
werden darf. Er ergibt sich aus der Kantonsverfassung, dem Gesetz über die
politischen Rechte und dem Gemeindegesetz (Art. 30 Abs. 1 Satz 2 KV/ZH, § 138a
lit. a GPR/ZH [LS 161], § 50b Abs. 4 Satz 2 GG/ZH [LS 131.1]; vgl. Christian
Schuhmacher, in: Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung, 2007, Art. 30 N. 17
ff.; Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute, Ergänzungsband
Kommentar Zürcher Gemeindegesetz, 2011, § 50b N. 3). Der Beschwerdeführer zieht
diese Normen nicht in Frage (vgl. zu früheren abweichenden Regelungen Urteil
1P. 759/1993 vom 4. Mai 1994, in: ZBl 96/1995 S. 141; H. R. Thalmann, Kommentar
zum Zürcher Gemeindegesetz, 3. Auflage, 2000, § 50 N. 7.1.3). Mit Blick auf
diese Sachlage anlässlich der Gemeindeversammlung hielt der Bezirksrat dafür,
dass die Unzulässigkeit der Gegenüberstellung von Initiative und Gegenvorschlag
schon mit der Einladung und der Weisung des Gemeinderates im Raum stand und
dass demnach bereits die Weisung als Vorbereitungshandlung zur
Gemeindeversammlung hätte angefochten werden müssen. Da dies der
Beschwerdeführer unterlassen hatte, sei der Rekurs verspätet und es könne
darauf nicht eingetreten werden.
Das Verwaltungsgericht erachtete diese Begründung für das Nichteintreten als
unzutreffend. Wie der Bezirksrat ging es davon aus, dass das Erfordernis der
Formparallelität anlässlich der Gemeindeversammlung nicht gewahrt worden sei.
Es führte indes aus, es habe der Weisung nicht klar entnommen werden können,
dass der nicht ausformulierten Initiative ein ausformulierter Gegenvorschlag
gegenüber gestellt werde. Aus diesem Grunde sei der Beschwerdeführer nicht
verpflichtet gewesen, die fehlende Formparallelität schon im Vorfeld der
Gemeindeversammlung zu rügen.

2.2 Gleichwohl erachtete das Verwaltungsgericht den Rekurs des
Beschwerdeführers als verspätet. Es stützte sich auf § 151a Abs. 2 GG/ZH.
Danach kann eine Person, die an der Gemeindeversammlung teilgenommen hat, den
Rekurs in Stimmrechtssachen wegen Verletzung von Vorschriften über die
politischen Rechte nur erheben, wenn sie die Verletzung schon in der
Versammlung gerügt hat. Erforderlich sei in dieser Hinsicht, dass der spätere
Rekurrent den Verfahrensfehler in der Gemeindeversammlung grundsätzlich selber
rügt; allerdings sei nicht erforderlich, dass die Beanstandung detailliert
begründet oder gar schon ein Rechtsmittel angekündigt werde (vgl.
Ergänzungsband Kommentar Zürcher Gemeindegesetz, § 151a N. 1 und 5).

Der Beschwerdeführer rügt keine unrichtige Anwendung von § 151a Abs. 2 GG/ZH.
Indes macht er eine Verletzung von Art. 9 BV wegen Willkür und Missachtung des
Grundsatzes von Treu und Glauben geltend. Er hält der Begründung des
Verwaltungsgerichts entgegen, dass aufgrund der Weisung und der Behandlung in
der Gemeindeversammlung davon auszugehen war, dass alles rechtens und in
Ordnung sei. Der Gemeinderat habe in der Versammlung nicht auf die Pflicht von
§ 151a Abs. 2 GG/ZH aufmerksam gemacht und bei der Publikation der Ergebnisse
im Zolliker Bote ohne Vorbehalt auf die übliche Rekursmöglichkeit hingewiesen.
Die unterschiedliche Rechtsform von Initiative und Gegenvorschlag sei vom
Gemeinderat erst an der Gemeindeversammlung thematisiert worden; sie habe die
Initiative wegen der zeitlichen Umsetzungsverzögerung entscheidend
benachteiligt. Der Sache nach ersucht der Beschwerdeführer mit der vorliegenden
Beschwerde um eine vorfrageweise Überprüfung der Bestimmung von § 151a Abs. 2
GG/ZH.

2.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Mängel hinsichtlich von
Vorbereitungshandlungen im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen sofort und vor
Durchführung des Urnenganges zu rügen. Diese Praxis bezweckt, dass Mängel
möglichst noch vor der Wahl oder Abstimmung behoben werden können und der
Urnengang nicht wiederholt zu werden braucht. Unterlässt dies der
Stimmberechtigte, so verwirkt er im Grundsatz das Recht zur Anfechtung der Wahl
oder Abstimmung. Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht
vereinbar, wenn ein Mangel vorerst widerspruchslos hingenommen wird und
hinterher die Wahl oder Abstimmung, soweit deren Ergebnis nicht den Erwartungen
entspricht, wegen eben dieses Mangels angefochten würde (BGE 118 Ia 271 E. 1d
S. 274; 118 Ia 415 E. 2a S. 417; 110 Ia 176 E. 2a S. 178 ff.; zum Ganzen Urteil
1C_217/ 2008 vom 3. Dezember 2008 E. 1.2, in: ZBl 111/2010 S. 162; Urteil
1P.223/2006 vom 12. September 2006 E. 1, in: ZBl 108/2007 S. 332).

Diese auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende Rechtsprechung gilt auch
für die Durchführung von Gemeindeversammlungen und die Anfechtung von
Gemeindeversammlungsbeschlüssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist
erforderlich, dass der an der Gemeindeversammlung teilnehmende Stimmberechtigte
formelle Mängel noch an der Gemeindeversammlung selber beanstandet, soweit ihm
das zumutbar ist. Das Erfordernis soll der raschen Klarstellung der
Förmlichkeiten dienen, eine allfällige Korrektur des Verfahrens ermöglichen und
damit zur Vermeidung einer allfälligen Wiederholung der Gemeindeversammlung
beitragen. Unterlässt der Stimmberechtigte eine Beanstandung, obwohl eine
entsprechende Intervention nach den Umständen als zumutbar erscheint, so kann
er sich in der Folge nicht mehr darauf berufen, dass die Abstimmung oder Wahl
nicht richtig zustandegekommen ist (Urteile 1P.750/2006 vom 22. Januar 2007 E.
2.2 [betreffend § 151a Abs. 2 GG/ZH]; P.1757/1986 vom 9. April 1987; P.50/1985
vom 23. April 1985; P.1454/1979 vom 10. Oktober 1980; vgl. auch 1P.437/1990 vom
25. Juli 1991, in: ZBl 93/1992 S. 169; siehe ferner Hangartner/Kley, Die
demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft 2000, S. 1096 N. 2706, mit weitern Hinweisen).

Diese Grundsätze haben auch im vorliegenden Verfahren Gültigkeit.
Verfahrensfehler wie die Abstimmung über die nicht-formulierte Initiative und
den ausformulierten Gegenvorschlag sind in der Gemeindeversammlung selber zu
beanstanden. Hierfür hat denn auch tatsächlich Anlass bestanden. Es wurde
ausdrücklich auf den formellen Unterschied zwischen Initiative und
Gegenvorschlag hingewiesen, nämlich auf den Umstand, dass erstere nicht
ausformuliert sei und daher mit entsprechender zeitlicher Verzögerung einer
Ausarbeitung bedürfe und dass zweiterer ausformuliert und damit im Falle der
Annahme unmittelbar umgesetzt werden könne. Der Beschwerdeführer merkt selber
an, dass damit die Initiative entscheidend benachteiligt gewesen sei. Damit
stand offensichtlich ein Verfahrensmangel im Raum, der hätte beanstandet werden
müssen. Eine entsprechende Intervention war den Teilnehmenden der
Gemeindeversammlung und auch dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen. Daran
vermag der Umstand nichts zu ändern, dass von Seiten des Gemeinderates nicht
auf das Erfordernis einer allfälligen Beanstandung aufmerksam gemacht worden
ist. Ebenso unbehelflich ist, dass der Gemeinderat anlässlich der Publikation
der Resultate im Zolliker Bote ohne Vorbehalt auf die übliche Rekursmöglichkeit
verwies. Denn materielle Rügen, etwa der Vorwurf, ein
Gemeindeversammlungsbeschluss stehe mit übergeordnetem kantonalem Recht oder
mit Bundesrecht im Widerspruch, können auf dem Rekursweg ohne vorherige
Beanstandung in der Gemeindeversammlung vorgebracht werden.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht den Rekurs in
Stimmrechtssachen des Beschwerdeführers als verspätet betrachten und demnach
den diesbezüglichen Nichteintretensentscheid des Bezirksrates bestätigen
durfte, ohne damit die politischen Rechte des Beschwerdeführers zu verletzen.
Damit erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet.

3.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Zollikon, dem Bezirksrat
Meilen und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, 4. Kammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Januar 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Steinmann