Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.501/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_501/2012

Urteil vom 8. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dominique von
Planta-Sting,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Uetlibergstrasse 301, 8036 Zürich,
handelnd durch das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich,
Bereich Administrativmassnahmen, Lessingstrasse 33, Postfach, 8090 Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, Postfach, 8090
Zürich.

Gegenstand
Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 22. August 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
X.________, deren Fahreignung gemäss Verfügung des Strassenverkehrsamts des
Kantons Zürich vom 3. November 2010 von der Einhaltung einer
Alkoholfahrabstinenz abhängig war, unterzog sich am 28. Juli 2011 einer
verkehrsmedizinischen Untersuchung am Institut für Rechtsmedizin der
Universität Zürich (IRMZ). Laut Untersuchungsbericht vom 19. August 2011 ergab
die Haaranalyse einen Wert von 120 pg/mg Ethylglucoronid im Haar. Es sei davon
auszugehen, dass sie zwischen Mitte Januar und Mitte Juli 2011 einen "starken,
chronischen Alkoholkonsum" betrieben habe, weswegen von einer
verkehrsmedizinisch relevanten Alkoholproblematik ausgegangen werden müsse.
Gestützt auf diesen Bericht entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich
X.________ am 5. Oktober 2011 den Führerausweis auf unbestimmte Zeit. Die
Wiedererteilung machte es von einem günstigen verkehrsmedizinischen Gutachten
abhängig. Einem allfälligen Rekurs entzog es die aufschiebende Wirkung.

B.
X.________ rekurrierte gegen diese Verfügung an die Sicherheitsdirektion des
Kantons Zürich mit den Anträgen, sie aufzuheben und ihr den Führerausweis unter
den Auflagen gemäss Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 3. November 2010 zu
belassen. In prozessualer Hinsicht beantragte sie, dem Rekurs aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen.
B.a Am 13. Oktober 2011 wies die Sicherheitsdirektion das Gesuch um Erteilung
der aufschiebenden Wirkung ab. Das Verwaltungsgericht schützte diesen Entscheid
am 22. Dezember 2011.
B.b Am 8. März 2012 hiess die Sicherheitsdirektion den Rekurs, soweit er nicht
gegenstandslos geworden war, gut und hob die angefochtene Verfügung auf. Sie
beauftragte das Strassenverkehrsamt im Sinne der Erwägungen, X.________ den
Führerausweis umgehend und vorsorglich auf unbestimmte Zeit oder bis zur
Abklärung von Ausschlussgründen zu entziehen.
B.c Am 16. März 2012 entzog das Strassenverkehrsamt X.________ gestützt auf
Art. 30 VZV den Führerausweis vorsorglich bis zur Abklärung von
Ausschlussgründen. Diese rekurrierte gegen diese Verfügung an die
Sicherheitsdirektion.
B.d Am 30. April 2012 erhob X.________ gegen den Rekursentscheid der
Sicherheitsdirektion vom 8. März 2012 Beschwerde ans Verwaltungsgericht mit den
Anträgen, der Auftrag zum vorsorglichen Führerausweisentzug sei aufzuheben und
der Führerausweis sei ihr herauszugeben.
B.e Am 15. Mai 2012 sistierte der Regierungsrat des Kantons Zürich den ihm von
der Sicherheitsdirektion zuständigkeitshalber zur Behandlung überwiesenen
Rekurs von X.________ gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 16. März
2012.
B.f Am 22. August 2012 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von
X.________ gegen den Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion vom 8. März 2012
ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben, die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 30. April 2012 gestellten Anträge
gutzuheissen und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen.

D.
Das Verwaltungsgericht, die Sicherheitsdirektion und das Strassenverkehrsamt
beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Umstritten ist, ob es sich beim angefochtenen Urteil um einen Zwischen-
oder einen Endentscheid handelt.
Die Sicherheitsdirektion erwog in ihrem vom Verwaltungsgericht geschützten
Rekursentscheid, ein Sicherungsentzug setze eine gründliche
verkehrsmedizinische Begutachtung voraus. Das Ergebnis der Haaranalyse von 120
pg/mg Ethylglucoronid, wie er im Untersuchungsbericht vom 19. August 2011
festgestellt worden sei, erwecke zwar, jedenfalls bei der Vorgeschichte der
Beschwerdeführerin, ernsthafte Zweifel an ihrer Fahrfähigkeit. Ohne zusätzliche
verkehrsmedizinische Abklärung sei das Ergebnis aber nicht geeignet zu
beweisen, dass ihr die Fahrfähigkeit abgehe. Diese Auffassung hätte die
Sicherheitsdirektion im Dispositiv am einfachsten zum Ausdruck bringen können,
indem sie den angefochtenen Sicherheitsentzug in einen vorsorglichen Entzug
umgewandelt und die Sache zu neuem Entscheid ans Strassenverkehrsamt
zurückgewiesen hätte. Dieses hätte diesfalls das von ihm angestrebte
Entzugsverfahren im Sinne der Erwägungen der Sicherheitsdirektion weiterführen
können bzw. müssen. Der Erlass einer zusätzlichen Verfügung zum vorsorglichen
Entzug des Führerausweises im Sinn von Art. 30 VZG und damit die Eröffnung
eines weiteren, nunmehr beim Regierungsrat hängigen Rechtsmittelverfahrens wäre
überflüssig gewesen. Die Sicherheitsdirektion hat indessen formell keinen
Rückweisungsentscheid gefällt und das Strassenverkehrsamt im Dispositiv
angewiesen, den Führerschein der Beschwerdeführerin umgehend vorsorglich zu
entziehen.
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, der Sache nach
sei der Entscheid der Sicherheitsdirektion ein Rückweisungsentscheid und
dementsprechend als solcher zu behandeln. Die Beschwerdeführerin hält dem
entgegen, massgebend sei allein das Dispositiv. Dieses sei klar; es gehe daher
nicht an, die Gutheissung auf dem Wege der Auslegung in eine Rückweisung
umzuwandeln. Der Einwand ist unbegründet. Es trifft zwar zu, dass nur das
Dispositiv eines Entscheids in Rechtskraft erwächst; zur Bestimmung seiner
Tragweite sind indessen die Erwägungen heranzuziehen (BGE 121 III 474 E. 4a S.
478). Aus diesen ergibt sich vorliegend, dass die Sicherheitsdirektion das
Entzugsverfahren mit ihrem Entscheid keineswegs beenden, sondern vielmehr
erreichen wollte, dass es vom Strassenverkehrsamt im Sinn ihrer Erwägungen
fortgesetzt würde. Insofern ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, beim
Entscheid der Sicherheitsdirektion handle es sich der Sache nach um einen
Rückweisungsentscheid, vertretbar.

1.2 Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid schliesst somit das
Verfahren nicht ab; es handelt sich um einen Zwischenentscheid, gegen den die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinn der Art. 82 ff.
BGG zulässig ist, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken
kann (Art. 93 Abs. 1 BGG). Da es angesichts der Zweifel an der Fahrfähigkeit
der Beschwerdeführerin sachlich geboten ist, dass ihr Führerausweis während der
Dauer des Entzugsverfahrens eingezogen bleibt (vgl. BGE 122 II 359 E. 1b S.
362; Urteil 1C_233/2007 vom 4. Februar 2008 E. 1.1), kann davon ausgegangen
werden, dass der Regierungsrat den bei ihm angefochtenen vorsorglichen Entzug
bis dahin aufrechterhalten wird. Insofern kann der angefochtene
Zwischenentscheid einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken. Die
weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.

2.
2.1 Das vorliegend zu beurteilende Entzugsverfahren hat folgende Vorgeschichte:
Am 3. Juni 2005 parkierte die Beschwerdeführerin verbotenerweise einen
Personenwagen auf dem Lindenplatz in Zürich, nahm im nahegelegenen Restaurant
alkoholische Getränke zu sich, rammte beim Wegfahren ein Schaufenster und
verliess die Unfallstelle, um sich der absehbaren Blutprobe zu entziehen.
Aufgrund dieses Vorfalls wurde der Beschwerdeführerin der Ausweis ab dem 18.
November 2005 für sechs Monate entzogen.
Am 25. Oktober 2007 verursachte die Beschwerdeführerin mit einem
Blutalkoholgehalt von mindestens 2,17 Promille einen Selbstunfall. Nach diesem
Vorfall wurde ihr der Führerausweis vorsorglich auf unbestimmte Zeit entzogen.
Nach bedingt günstigen verkehrspsychologischen und -medizinischen Gutachten
wurde ihr der Ausweis am 13. Februar 2009 für die Dauer von 15 Monaten mit
Wirkung ab dem 25. Oktober 2007 entzogen. Gleichzeitig wurde ihr eine
Alkoholtotalabstinenz auferlegt. Nachdem sie diese Auflage ab Juli 2008
eingehalten hatte, wurde sie am 3. Oktober 2010 abgemildert. Die
Beschwerdeführerin wurde neu verpflichtet, eine Alkoholfahrabstinenz
einzuhalten und ihren Alkoholkonsum kontrollieren zu lassen. Gemäss
Kurzgutachten des IRMZ vom 19. August 2011 ergab die am 28. Juli 2011
entnommene Haarprobe für den Zeitraum von Mitte Februar bis Mitte Juli einen
EtG-Wert von 120 pg/mg Haar.

2.2 Nach der Auffassung des IRMZ deuten EtG-Werte bis 30 pg/mg im Haar auf
einen sozialverträglichen, Werte darüber auf einen übermässigen Alkoholkonsum
hin. Bei der Beschwerdeführerin wurde für einen Zeitraum von 5 Monaten ein
EtG-Gehalt von 120 pg/mg Haar gemessen, mithin ein Wert, der die Grenze für ein
sozialverträgliches Trinken um das Vierfache überschreitet. Auch wenn keine
Hinweise darauf aktenkundig sind, dass die Beschwerdeführerin je gegen ihre
Totalabstinenz- bzw. Alkoholfahrabstinenzauflage verstossen hat, erweckt dieses
Testergebnis jedenfalls vor dem Hintergrund der beiden Vorfälle vom 3. Juni
2005 und vom 25. Oktober 2007 den ernsthaften Verdacht, dass ihre Fahreignung
durch ein verkehrsrelevantes Alkoholproblem beeinträchtigt sein könnte.
Gewissheit darüber besteht aber aufgrund dieses Testergebnisses allein nicht,
wie die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt
haben.

2.3 Damit ergibt sich, dass das Strassenverkehrsamt am 5. Oktober 2011, als es
einen unbefristeten Sicherungsentzug verfügte, zu weit ging. Das Ergebnis des
Haargutachtens vermag nach dem Gesagten bloss einen vorsorglichen
Führerausweisentzug für die Dauer des Entzugsverfahrens zu rechtfertigen. Es
hätte mithin einen solchen anordnen und anschliessend das Entzugsverfahren
regulär weiterführen müssen. Ein solches Vorgehen wollte offensichtlich auch
die Sicherheitsdirektion in ihrem vom Verwaltungsgericht geschützten Entscheid
anordnen. Das ist, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nicht zu
beanstanden.

2.4 Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Um die prozessuale
Situation des Verfahrens klar zu stellen, ist die Beschwerde abzuweisen und die
Angelegenheit im Sinne der Erwägungen ans Strassenverkehrsamt zurückzuweisen.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen und die Sache im Sinne der Erwägungen ans
Strassenverkehrsamt zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Zürich, der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, und dem Bundesamt für Strassen
Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Januar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi