Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.480/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_480/2012

Urteil vom 6. Dezember 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Christof Enderle,

gegen

Bundesamt für Migration, Abteilung Bürgerrecht, Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 17. August 2012 des Bundesverwaltungsgerichts,
Abteilung III.

Sachverhalt:

A.
Der aus dem Kosovo stammende X.________ (Jg. 1965) heiratete am 8. Juni 1998
die Schweizerin Y.________ (Jg. 1951). Tags darauf stellte diese ein
Familiennachzugsgesuch. Am 19. April 2000 erteilte die Fremdenpolizei
X.________ die beantragte Aufenthaltsbewilligung.
Am 21. Dezember 2005 wurde X.________ gestützt auf sein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung vom 18. April 2002 in Anwendung von Art. 27 BüG eingebürgert.
Am 17. März 2008 wurde die Ehe zwischen X.________ und Y.________ geschieden.
Am 19. August 2008 heiratete X.________ die Kosovarin Z.________ (Jg. 1975) und
anerkannte deren Kind (Jg. 2003) als sein eigenes.

B.
Am 13. November 2008 teilte das Bundesamt für Migration (im Folgenden:
Bundesamt) X.________ mit, dass es gegen ihn ein Verfahren auf Nichtigerklärung
der erleichterten Einbürgerung eröffne.
Am 2. November 2010 erklärte das Bundesamt die erleichterte Einbürgerung für
nichtig und stellte fest, die Nichtigkeit beziehe sich auf alle
Familienmitglieder, deren Schweizer Bürgerrecht auf der nichtig erklärten
Einbürgerung beruhe.
Am 17. August 2012 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von
X.________ gegen diese Verfügung ab.

C.
Mit Beschwerde vom 24. September 2012 beantragt X.________, die Entscheide des
Bundesamts und des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass
die Einbürgerung zu Recht erfolgt sei.

D.
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Das Bundesamt
verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt unter Hinweis auf seine Verfügung
vom 2. November 2010, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. a BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerungen nach Art. 83 lit. b
BGG erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es liegt
auch keine der übrigen Ausnahmen von Art. 83 BGG vor. Der Beschwerdeführer hat
sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit
einer Schweizer Bürgerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn
er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt
und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizer Bürgerin lebt.
Eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG setzt nicht nur das
formelle Bestehen einer Ehe, sondern eine tatsächliche Lebensgemeinschaft
voraus. Eine solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame
Wille zu einer ehelichen Gemeinschaft intakt ist (BGE 130 II 169 E. 2.3.1 S.
172). Gemäss konstanter Praxis muss sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
als auch im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheids eine tatsächliche
Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet.
Zweifel bezüglich eines solchen Willens sind angebracht, wenn kurze Zeit nach
der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung
eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehegatten einer
Schweizer Bürgerin die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit
des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu
fördern (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 130 II 482 E. 2 S. 484).

2.2 Nach Art. 41 Abs. 1 BüG (in der hier anwendbaren, bis Ende Februar 2011
geltenden Fassung) kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der
Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig erklärt werden, wenn sie
durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen
worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht.
Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese
"erschlichen", d.h. mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt
worden ist (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des
strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich, wohl aber, dass der
Betroffene bezüglich erheblicher Tatsachen bewusst falsche Angaben macht bzw.
die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich
zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu
informieren (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115 mit
Hinweisen).
Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der
Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im
Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht
bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen,
von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu
schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die
aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.).
Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135
II 161 E. 2 S. 166; 130 II 482 E. 3.2 S. 486).

2.3 Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine
Umkehrung der Beweislast (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 486). Begründet die kurze
Zeitspanne zwischen der erleichterten Einbürgerung einerseits und der Trennung
oder Einleitung einer Scheidung andererseits die tatsächliche Vermutung, es
habe schon bei der Einbürgerung keine stabile eheliche Gemeinschaft mehr
bestanden, so muss der Betroffene deshalb nicht das Gegenteil beweisen. Es
genügt, wenn er einen Grund anführt, der es als plausibel erscheinen lässt,
dass er bei der Erklärung, wonach er mit seiner Schweizer Ehepartnerin in einer
stabilen ehelichen Gemeinschaft lebt, nicht gelogen hat. Bei diesem Grund kann
es sich um ein ausserordentliches, nach der Einbürgerung eingetretenes Ereignis
handeln, welches zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder um das fehlende
Bewusstsein des Gesuchstellers bezüglich bestehender Eheprobleme im Zeitpunkt
der Einbürgerung (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166 mit Hinweisen).

2.4 Der angefochtene Entscheid geht von folgendem, unbestrittenem Sachverhalt
aus:
Der Beschwerdeführer arbeitete zwischen 1991 und 1996 in der Schweiz. Nachdem
seine Saison- nicht in eine Jahresbewilligung umgewandelt worden war, kehrte er
in die Schweiz zurück und stellte ein Asylgesuch, welches am 8. Juli 1997
abgewiesen wurde. Er blieb trotz des Wegweisungsentscheids in der Schweiz und
heiratete am 8. Juni 1998 eine 14 Jahre ältere Schweizerin, worauf er am 19.
April 2000 die Aufenthaltsbewilligung erhielt.
Am 18. April 2002 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung.
Am 24. April 2003 gebar Z.________ im Kosovo einen Sohn.
Am 7. November 2005 unterzeichneten der Beschwerdeführer und Y.________
gemeinsam die "Erklärung betreffend eheliche Gemeinschaft", worin beide
bestätigten, in einer tatsächlichen, ungetrennten und stabilen ehelichen
Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenzuleben und keine Trennungs- oder
Scheidungsabsichten zu hegen.
Am 21. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert.
Am 17. März 2008 wurde der Beschwerdeführer geschieden. Am 5. Juni 2008
anerkannte er das Kind von Z.________ als sein eigenes an und heiratete die
Kindsmutter am 19. August 2008.

2.5 Für das Bundesverwaltungsgericht begründen diese Fakten die unwiderlegte
Vermutung, dass der Beschwerdeführer am 7. November 2005 gegenüber dem
Bundesamt wahrheitswidrig bestätigte, in einer intakten Ehe zu leben und keine
Scheidungsabsichten zu hegen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist
nicht geeignet, diese Beurteilung in Frage zu stellen.
2.5.1 Nichts zu seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdeführer aus dem
Urteil 2A.533/1999 vom 1. Februar 2000. Darin gelangte das Bundesgericht -
entgegen der Auffassung der Thurgauer Fremdenpolizei und des
Verwaltungsgerichts - zum Schluss, es lägen nicht genügend Anhaltpunkte für die
Annahme vor, der Beschwerdeführer sei am 8. Juni 1998 mit Y.________ eine
Scheinehe zur Erschleichung einer Aufenthaltsbewilligung eingegangen. Mehr
lässt sich daraus nicht ableiten, insbesondere nicht, dass das Bundesgericht
das Vorliegen einer Scheinehe ausgeschlossen hätte. Die Frage ist ohnehin
irrelevant, da das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gar nicht
vorwirft, am 8. Juni 1998 eine Scheinehe eingegangen zu sein. Es hält indessen
für erstellt, dass er am 7. November 2005 bzw. spätestens ab diesem Zeitpunkt
nicht (mehr) die Absicht hatte, die Ehe mit seiner damaligen Frau auf Dauer
weiterzuführen.
2.5.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe Z.________ 2002 während
seiner Ferien kennengelernt und eine kurze Affäre mit ihr gehabt. Seine
damalige Ehefrau habe ihm diesen Seitensprung verziehen. Seine Erklärung vom 7.
November 2005, in einer intakten Ehe zu leben und keine Trennungsabsichten zu
hegen, habe der Wahrheit entsprochen. Erst 2007 habe er erfahren, dass er Vater
geworden sei und sich im Anschluss daran entschlossen, sich scheiden zu lassen,
das Kind anzuerkennen und die Kindsmutter zu heiraten.
Diese Darstellung des Beschwerdeführers ist, wie das Bundesverwaltungsgericht
zu Recht erkannt hat, unglaubhaft. Es ist bereits schwer vorstellbar, dass eine
in den überkommenen Familien- und Gesellschaftsstrukturen des ländlichen Kosovo
aufgewachsene ledige junge Frau mit einer Zufallsbekanntschaft ein intimes
Verhältnis eingeht. Vor allem aber ist es kaum denkbar, dass in einem solchen
Fall ihre Familie nicht mit der in einem Nachbardorf wohnenden Familie des
Schwängerers umgehend Kontakt aufgenommen hätte, um diesen - im Idealfall noch
vor der Niederkunft - zur Heirat zu drängen oder die durch den "Fehltritt"
befleckte Familienehre sonstwie wiederherzustellen. Sehr viel näher liegt
allerdings, dass Z.________ von beiden Familien schon 2002 als rechtmässige
Ehefrau des Beschwerdeführers anerkannt war. So oder so kann jedenfalls kein
vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Beschwerdeführer am 7. November
2005 längst von seiner Vaterschaft wusste, mit der Scheidung von seiner
Schweizerischen Ehefrau, der Anerkennung seines Sohnes und der Heirat der
Kindsmutter aber den Abschluss des Einbürgerungsverfahrens sowie eine gewisse
Karenzfrist abwarten wollte, um bei den Fremdenpolizeibehörden nicht den
Verdacht zu erwecken, seine Einbürgerung durch die unwahre Erklärung, die Ehe
mit Y.________ auf Dauer fortsetzen zu wollen, erschlichen zu haben.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Dezember 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi