Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.438/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_438/2012

Urteil vom 17. Juni 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
Postfach, 5001 Aarau,
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Generalsekretariat,
Rechtsdienst, Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Gegenstand
Verwarnung (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit),

Beschwerde gegen das Urteil vom 4. Juli 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
X.________ überschritt am 12. November 2010 um 14.20 Uhr mit seinem
Personenwagen auf der St. Karlistrasse in Luzern die zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 19 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge).
Deswegen sprach ihn die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern am 24. Februar
2011 der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn
zu einer Busse von Fr. 250.--. Der Strafbefehl erwuchs in Rechtskraft.
Am 21. April 2011 verwarnte ihn das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau
wegen leichter Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften.
Die von X.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Departement
Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau (in der Folge: Departement) am
27. Oktober 2011 ab.

B.
Am 4. Juli 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die von ihm
dagegen erhobene Beschwerde ab.

C.
Mit als "staatsrechtliche Beschwerde" bezeichneter Eingabe führt X.________
Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt sinngemäss, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts aufzuheben; von der Verwarnung sei abzusehen.

D.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Das Strassenverkehrsamt, das Departement und das Verwaltungsgericht verzichten
auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Eingabe als "staatsrechtliche
Beschwerde". Seit Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes am 1. Januar 2007
gibt es dieses Rechtsmittel nicht mehr. Damit ist zu prüfen, ob die Eingabe die
Voraussetzungen einer der Beschwerdearten nach dem einschlägigen
Bundesgerichtsgesetz erfüllt. In Betracht kommt die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG.

1.2. Der angefochtene Entscheid betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen
Rechts. Dagegen ist die Beschwerde nach Art. 82 lit. a BGG zulässig. Ein
Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG besteht nicht. Der angefochtene Entscheid
ist kantonal letztinstanzlich. Die Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 1 lit. d
und Abs. 2 BGG zulässig.

1.3. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt
falsch bzw. willkürlich festgestellt, ist darauf nicht einzutreten.
Diesbezüglich stellt er bloss seine Sicht der Dinge dar, ohne sich mit dem
angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen. Er begründet in keiner Weise,
inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich festgestellt haben soll.
Damit genügt er den Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht
(vgl. BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.).

1.4. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass. Auf die Beschwerde ist somit unter dem erwähnten Vorbehalt (E. 1.3)
einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe das Vorliegen eines
besonders leichten Falles im Sinne von Art. 16a Abs. 4 SVG zu Unrecht verneint;
sie hätte von einer Verwarnung nach Art. 16a Abs. 1 lit. a und Abs. 3 SVG
deshalb absehen müssen.

2.1. Gemäss Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer
durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit
anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft. Die
fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der
Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt
wurde (Art. 16a Abs. 3 SVG).
In besonders leichten Fällen wird nach Art. 16a Abs. 4 SVG auf jegliche
Massnahme verzichtet. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass der Fahrzeugführer
eine besonders geringe Gefahr für die Sicherheit anderer schafft und ihn dafür
nur ein besonders leichtes Verschulden trifft (Urteil 6A.52/2005 vom 2.
Dezember 2005 E. 2.2.3).

2.2. Gestützt auf den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt hat der
Beschwerdeführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 19 km/h
überschritten.

2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung schafft eine
Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 15 km/h innerorts - ungeachtet der
konkreten Umstände -eine erhöhte abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer
(Urteil 6A.52/2005 vom 2. Dezember 2005 E. 2.2.3; nach altem Recht entschieden,
aber insoweit unverändert geltend vgl. BGE 128 II 86 E. 2b S. 88; 123 II 106 E.
2c S. 111 f.).
Der Grund dafür besteht darin, dass sich im Innerortsbereich viele schwache
Verkehrsteilnehmer (insbesondere Fussgänger) bewegen. Diese müssen sich nicht
darauf einstellen, dass Fahrzeuge mit übersetzter Geschwindigkeit herannahen.
Entsprechend häufig kommt es zu Zusammenstössen. Welch schwerwiegende Folgen
diese für Fussgänger haben können, zeigen physikalische Berechnungen. Die
Möglichkeit einer konkreten Gefährdung liegt damit nahe (vgl. Urteil 1C_144/
2011 vom 26. Oktober 2011 E. 3.3; BGE 123 II 37 E. 1d S. 40 f.; je mit
Hinweisen).
Von dieser Gefährdungslage ist umso mehr in "Tempo-30-Zonen" auszugehen. So
gekennzeichnet sind Strassen in Quartieren oder Siedlungsbereichen, auf denen -
zum Schutz schwacher Verkehrsteilnehmer - besonders vorsichtig und
rücksichtsvoll zu fahren ist (Art. 22a der Signalisationsverordnung vom 5.
September 1979 [ SSV; SR 741.21 ]; vgl. auch Art. 108 Abs. 2 lit. b und Abs. 5
lit. e SSV; Urteil 6B_1028/2008 vom 16. April 2009 E. 3.7).
Die Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 15 km/h in "Tempo-30-Zonen"
führt demzufolge jedenfalls zu einer erhöhten abstrakten Gefährdung. Der
objektive Tatbestand einer zumindest leichten Widerhandlung gegen die
Verkehrsvorschriften ist damit erfüllt (vgl. BGE 105 Ib 255 E. 1b S. 257;
Urteil 6A.19/2006 vom 16. Mai 2006 E. 2). Ein besonders leichter Fall im Sinne
von Art. 16a Abs. 4 SVG, der jede Massnahme verzichtbar machte, ist bei derart
übersetzter Geschwindigkeit nicht gegeben (vgl. Urteile 1C_22/2009 vom 17.
September 2009 E. 2.2; 1C_303/2007 vom 15. Mai 2008 E. 8.1; 6A.52/2005 vom 2.
Dezember 2005 E. 2.2.2-2.2.3; BGE 128 II 86 E. 2b und c S. 88 f.).

2.2.2. Indem der Beschwerdeführer in einer "Tempo-30-Zone" die
Höchstgeschwindigkeit um 19 km/h überschritt, hat er demnach eine erhöhte
abstrakte Gefahr für die Sicherheit anderer geschaffen. Die Vorinstanz verletzt
somit kein Bundesrecht, wenn sie ungeachtet der weiteren Umstände das Vorliegen
eines besonders leichten Falles nach Art. 16a Abs. 4 SVG verneint. Der
ungetrübte automobilistische Leumund und die konkreten Verkehrsverhältnisse,
die der Beschwerdeführer zu bedenken gibt, bleiben daher zu Recht ausser
Betracht (vgl. E. 2.2.1 hiervor; so ausdrücklich BGE 123 II 106 E. 2c S. 111
f.).

2.3. Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Verwarnung nach Art. 16a Abs. 1
lit. a und Abs. 3 SVG - namentlich das leichte Verschulden - sind gegeben.
Insoweit beanstandet der Beschwerdeführer den angefochtenen Entscheid nicht;
auf diesen kann verwiesen werden (vgl. a.a.O. E. 6).

2.4. Die Beschwerde erweist sich danach als unbegründet.

3.
Sie ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt, dem
Departement Volkswirtschaft und Inneres sowie dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 1. Kammer, und dem Bundesamt für Strassen schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 17. Juni 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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