Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.397/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_397/2012

Urteil vom 9. November 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprech Beat Widmer,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, Abteilung Massnahmen, Postfach 4165,
6000 Luzern 4.

Gegenstand
Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 20. Juli 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern.

Sachverhalt:

A.
Die Kantonspolizei Obwalden begleitete in den frühen Morgenstunden des 11.
August 2011 einen Ausnahmetransport von Lungern in Richtung Luzern. Der Konvoi
von drei Sattelschleppern wurde von einem Polizeifahrzeug angeführt und von
einem Begleitfahrzeug abgeschlossen. X.________ fuhr mit seinem Personenwagen
auf der A 8 hinter dieser mit ca. 60 km/h fahrenden Fahrzeugkolonne her. Dabei
schloss er wiederholt bis auf ca. 4 - 5 m auf das hintere Begleitfahrzeug auf.
Um ca. 02.52 Uhr wechselte er bei Alpnach über eine doppelte Sicherheitslinie
auf die Gegenfahrbahn, überholte das Begleitfahrzeug sowie die Sattelschlepper
und bog hinter dem Polizeifahrzeug wieder auf seine Fahrspur ein.
Am 7. November 2011 verurteilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden
X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln in Anwendung von Art. 90
Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1, Art. 34 Abs. 2 und 4 SVG, Art. 12 Abs. 1 VRV
sowie Art. 26 Abs. 1 und Art. 73 Abs. 6 SSV zu einer bedingten Geldstrafe von
20 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 1'200.--. Der Strafbefehl blieb
unangefochten.
Am 28. Dezember 2011 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern
X.________ den Führerausweis wegen schwerer Widerhandlung gegen die
Strassenverkehrsvorschriften im Sinn von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG für drei
Monate.
Am 20. Juli 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde
von X.________ gegen diese Entzugsverfügung ab.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und in Anwendung des Grundsatzes
"ne bis in idem" von einem Führerausweisentzug abzusehen oder allenfalls eine
Verwarnung auszusprechen.

C.
Das Verwaltungsgericht beantragt unter Verweis auf seinen Entscheid, die
Beschwerde abzuweisen. Denselben Antrag stellt das Bundesamt für Strassen.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben
(Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundes- und
Völkerrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a und b BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten
ist.

2.
Der Beschwerdeführer macht unter Berufung auf den Fall Zolotukhin sowie BGE 137
I 363 geltend, es sei mit Art. 4 Ziff. 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK (SR
0.101.07) nicht vereinbar, gegen ihn wegen des gleichen Vorfalls sowohl eine
straf- als auch eine administrativrechtliche Sanktion zu verhängen.
Das Bundesgericht hat die Trennung des Straf- vom Verwaltungsverfahren in
ständiger Praxis geschützt, auch wenn dies unter dem Gesichtspunkt des auch
völkerrechtlich verankerten Grundsatzes "ne bis in idem" kontrovers diskutiert
werden kann, weil der Betroffene regelmässig sowohl die strafrechtliche als
auch die administrative Sanktion als Strafe wahrnimmt und sich "doppelt
bestraft" vorkommen mag. In BGE 137 I 363 E. 2 ist es nun allerdings aufgrund
einer vertieften Auseinandersetzung mit der Lehre und der Praxis der Organe der
Menschenrechtskonvention - insbesondere mit dem Fall Zolotukhin gegen Russland,
Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte vom 10. Februar 2009 - zum Ergebnis
gekommen, dass der Grundsatz "ne bis in idem" durch die Kumulierung von straf-
und verwaltungsrechtlicher Sanktion jedenfalls bei Verkehrsregelverletzungen
nicht verletzt wird (Urteil 1C_28/2012 vom 25. Mai 2012 E. 2.2). Der
Beschwerdeführer bringt zu dieser Problematik keine neuen Gesichtspunkte vor,
die eine Praxisänderung rechtfertigen könnten. Die Rüge ist unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nur überholt, weil er von einer
Begleitperson des Konvois dazu aufgefordert worden sei. Angesichts seines
ungetrübten automobilistischen Leumunds sei bloss eine Verwarnung
auszusprechen.
Der Beschwerdeführer hat seine strafrechtliche Verurteilung wegen grober
Verletzung von Verkehrsregeln akzeptiert und muss sich dementsprechend darauf
behaften lassen. Das Strassenverkehrsamt Luzern hat ihn mit Schreiben vom 8.
November 2011 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass er im Strafverfahren
und nicht erst im Administrativverfahren von seinen Verteidigungsrechten
Gebrauch machen müsse, wenn er mit dem Verzeigungsvorbehalt nicht einverstanden
sei.
Eine grobe Verkehrsregelverletzung Sinn von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht
einer schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften gemäss Art.
16c Abs. 1 lit. a SVG (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237), was einen
Führerausweisentzug von mindestens drei Monaten zur Folge hat (Art. 16c Abs. 2
lit. a SVG). Eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestdauern ist
ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 3 SVG). Für eine Senkung der Entzugsdauer oder gar
den Ersatz dieser Massnahme durch eine Verwarnung bleibt damit kein Raum.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der
Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Strassen,
Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. November 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi