Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.396/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_396/2012

Urteil vom 18. Februar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
Erbengemeinschaft A.________ sel., bestehend aus:
1. B.________,
2. C.________,
3. D.________,
Beschwerdeführer, alle drei handelnd durch C.________, vertreten durch
Rechtsanwältin Claudia Zumtaugwald,

gegen

1. Swisscom (Schweiz) AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Raetus Cattelan,
2. Orange Communications SA,
vertreten durch Herrn Martin Eggen, c/o Orange Communications SA,
Beschwerdegegnerinnen,

Gemeinderat Kriens, Schachenstrasse 6, Postfach 1247, 6011 Kriens.

Gegenstand
Baurecht (Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist),

Beschwerde gegen das Urteil vom 14. Juni 2012
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.

Sachverhalt:

A.
Die Swisscom (Schweiz) AG und die Orange Communications AG (im Folgenden:
Swisscom bzw. Orange) planen, auf der Parzelle Nr. 237 in Kriens eine
Mobilfunkbasisstation zu errichten. Während der öffentlichen Auflage des
Baugesuchs erhoben die Mitglieder der Erbengemeinschaft A.________ sel.
(B.________, C.________ und D.________) Einsprache. Mit Entscheid vom 8.
Februar 2012 wies der Gemeinderat Kriens die Einsprache ab und erteilte die
Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen.
Gegen diesen Entscheid erhoben die Mitglieder der Erbengemeinschaft A.________
sel. am 16. März 2012 Verwaltungsgerichtsbeschwerde und ersuchten um die
Wiederherstellung der Beschwerdefrist. Mit Urteil vom 14. Juni 2012 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern das Gesuch um Wiederherstellung der
Beschwerdefrist ab und trat auf das Rechtsmittel nicht ein.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom
22. August 2012 beantragen die Mitglieder der Erbengemeinschaft A.________
sel., es sei die Nichtigkeit des Baubewilligungsverfahrens festzustellen;
eventualiter sei das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und
festzustellen, dass das Fristwiederherstellungsgesuch gutzuheissen ist, und die
Sache zur neuen Beurteilung ans Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerinnen Swisscom und Orange, das Verwaltungsgericht und der
Gemeinderat beantragen in ihrer jeweiligen Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde. Die Beschwerdeführer halten in ihrer Stellungnahme dazu an ihren
Anträgen und Rechtsauffassungen fest.
Mit Präsidialverfügung vom 21. September 2012 hat das Bundesgericht das Gesuch
um aufschiebende Wirkung im Hinblick auf eine allfällige Inbetriebnahme der
Mobilfunkbasisstation gutgeheissen, im Übrigen aber abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid über die Baubewilligung für eine
Mobilfunkbasisstation, welcher der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten unterliegt (Art. 82 ff. BGG). Die Beschwerdeführer haben am
vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und machen geltend, das
Verwaltungsgericht habe durch den Nichteintretensentscheid Bundesrecht
verletzt. Dazu sind sie legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG, vgl. BGE 136 IV 41 E.
1.4 S. 44 mit Hinweisen). Der Streitgegenstand ist jedoch auf diese Frage
beschränkt (Urteil 1B_82/2012 vom 2. April 2012 E. 1.2 mit Hinweisen). Deshalb
kann insofern nicht auf die Beschwerde eingetreten werden, als die
Beschwerdeführer darüber hinaus verlangen, es sei die Nichtigkeit des
Baubewilligungsverfahrens (gemeint ist wohl: der Baubewilligung) festzustellen.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen eine willkürliche Anwendung von § 36 Abs. 1 des
Gesetzes des Kantons Luzern vom 3. Juli 1972 über die Verwaltungsrechtspflege
(SRL 40; im Folgenden: VRG). Danach kann die Behörde versäumte Fristen und
Termine wiederherstellen, wenn die Partei oder ihr Vertreter unverschuldet
abgehalten worden ist, rechtzeitig zu handeln, und innert 10 Tagen seit Wegfall
des Hindernisses ein begründetes Gesuch einreicht und gleichzeitig das
Versäumnis nachholt.
Zusammengefasst bringen die Beschwerdeführer vor, dass es ihnen nicht möglich
gewesen sei, selbst eine Beschwerde zu schreiben, da es sich um eine komplexe
Materie handle, wofür ein Anwalt notwendig sei. C.________s Ehemann habe
während der laufenden Beschwerdefrist operiert werden müssen. Da sie
vorausgesehen habe, dass sie sich nicht um die Beschwerde würde kümmern können,
habe sie am 20. Februar 2012 E.________ mit der Suche eines Anwalts beauftragt.
Dieser sei es aber trotz intensiver Bemühungen nicht möglich gewesen, einen
Anwalt zu beauftragen. Die entsprechenden Bemühungen seien dokumentiert und es
sei aktenwidrig, wenn die Vorinstanz davon ausgehe, dass es ihr objektiv
möglich gewesen wäre, einen Anwalt zu kontaktieren. Weil die Materie zudem
stark mit dem Baurecht zusammenhänge, könne ihr nicht vorgeworfen werden, dass
sie sich bei der Anwaltssuche auf den Kanton beschränkte. Am 2. März 2012 habe
sie eine Fehlgeburt erlitten und sei in der Folge nicht im Stande gewesen, sich
weiter mit der Angelegenheit zu befassen. D.________ sei damit nicht betraut
worden, weil seine Tochter, die einen Schlaganfall erlitten hatte, eine
ständige Betreuung brauche. Bei diesem Umstand handle es sich um ein Novum, zu
welchem das angefochtene Urteil Anlass geben habe. Im Übrigen habe bis zum 3.
März 2012 keine Veranlassung bestanden, eine andere Person als E.________ mit
der Anwaltssuche zu betrauen und in der Folge sei es ohnehin schon zu spät
gewesen. B.________ schliesslich sei bereits 82 Jahre alt.
Zu beanstanden sei auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass
Rechtsanwältin Zumtaugwald spätestens am 6., wenn nicht schon am 1. März 2012
beauftragt worden sei. Rechtsanwältin Zumtaugwald sei mandatiert worden, ein
Fristwiederherstellungsgesuch einzureichen, sofern ein solches Gesuch Chancen
habe und für den Fall, dass das Mandat zustande komme, was dann am 14. März
2012 geschehen sei. Das Mandat sei unter dem Vorbehalt angenommen worden, dass
ein Fristwiederherstellungsgesuch erarbeitet und in Auftrag gegeben werde. Die
Sorgfaltspflicht habe der Rechtsanwältin geboten, keine summarische Beschwerde
einzureichen. Das Verwaltungsgericht habe in dieser Hinsicht zudem seine
Begründungspflicht verletzt, denn es habe sich nicht mit der Notwendigkeit
einer ausreichenden Instruktion befasst.

2.2 Das Verwaltungsgericht führt aus, der Entscheid des Gemeinderats sei den
Beschwerdeführern am 15. Februar 2012 zugegangen. Die Rechtsmittelfrist betrage
20 Tage, sodass sie am 6. März 2012 abgelaufen sei. Die am 16. März 2012
abgeschickte Beschwerde sei somit verspätet erfolgt. Die Voraussetzungen für
eine Fristwiederherstellung nach § 36 VRG seien nicht erfüllt. C.________s
Ehemann sei während der laufenden Beschwerdefrist nur während sechs Tagen im
Spital gewesen und zudem habe es sich um einen geplanten Eingriff gehandelt. Es
wäre ihr deshalb möglich gewesen, sich um die Fristwahrung zu kümmern oder die
von ihr beauftragte E.________ bei der Anwaltssuche zu unterstützen. E.________
wiederum hätte sich nicht auf die Anwaltssuche im Kanton Luzern beschränken
müssen; zudem habe sie gewusst, dass grundsätzlich auch eine unvollständige
Beschwerde vom Gericht angenommen werde. Eine erste Kontaktaufnahme mit
Rechtsanwältin Zumtaugwald sei am 1. März 2012 erfolgt, eine weitere am 6. März
2012 um 10:18 Uhr. Spätestens am 6. März 2012 sei von einem Mandatsverhältnis
auszugehen und die Rechtsanwältin hätte deshalb vorsorglich Beschwerde
einreichen müssen. Schliesslich sei auch nicht einzusehen, weshalb nicht
D.________ die Beschwerde hätte schreiben oder einen Rechtsanwalt hätte suchen
können.

2.3 Die Möglichkeit, eine unverschuldet versäumte Frist wiederherzustellen, ist
ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (BGE 117 Ia 297 E. 3c S. 301 mit Hinweis; BGE
108 V 109 E. 2c S. 110; Urteil U 162/96 vom 17. Juli 1997 E. 3a mit Hinweis,
in: SVR 1998 UV Nr. 10 S. 25). Es geht darum, unverschuldet erlittene
verfahrensrechtliche Nachteile zu beseitigen. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung setzt die Fristwiederherstellung voraus, dass es dem
Gesuchsteller oder seinem Vertreter unmöglich war, rechtzeitig zu handeln; die
Fristwiederherstellung kommt zudem nur bei klarer Schuldlosigkeit in Frage (BGE
119 II 86 E. 2a S. 87; Urteil 1C_294/2010 vom 28. Oktober 2010 E. 3; je mit
Hinweisen).
Nach den Angaben der Beschwerdeführer wurde am 20. Februar 2012 E.________ mit
der Suche eines Anwalts beauftragt. Deren Verhalten ist den Beschwerdeführern
zuzurechnen (vgl. die Urteile 2C_336/2009 vom 23. Februar 2010 E. 3.4; 9C_541/
2009 vom 12. Mai 2010 E. 4, in: SVR 2010 IV Nr. 65 S. 197; je mit Hinweisen;
vgl. auch STEFAN VOGEL, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das
Verwaltungsverfahren [VwVG], 2008, N. 11 zu Art. 24 VwVG). Aus der Aufstellung
der Telefonate, welche E.________ führte, geht hervor, dass neun Anwälte die
Übernahme des Mandats ablehnten. Vier weitere Anwälte erreichte sie telefonisch
nicht. Einen ersten Anwalt versuchte sie am 22. Februar 2012 zu erreichen,
einen zweiten am 23. Februar 2012. Die weiteren Telefonate fanden ab dem 24.
Februar 2012 statt, ab einem Zeitpunkt also, wo beinahe schon die halbe
Beschwerdefrist von 20 Tagen verstrichen war. Für den 25. und 26. Februar 2012
sind keine Telefonate verzeichnet. Von der Unmöglichkeit, innert Frist einen
Rechtsvertreter zu finden, kann unter diesen Voraussetzungen nicht gesprochen
werden, zumal es möglich gewesen wäre, auch Anwälte ausserhalb des Kantons
Luzern zu kontaktieren. Weshalb es einem ausserkantonalen Anwalt nicht möglich
sein sollte, eine Beschwerde für einen Rechtsstreit zu verfassen, bei welchem
nebst Bundesrecht auch luzernisches Baurecht anwendbar ist, ist nicht
ersichtlich. Nicht einzuleuchten vermag auch, weshalb D.________ E.________ bei
der Suche nicht hätte unterstützen können, insbesondere gegen das Fristende
hin. Dass sich sämtliche Unterlagen bei E.________ befanden, wie in der
Beschwerde vorgebracht wird, stand dem nicht entgegen. Zudem machen die
Beschwerdeführer nicht geltend, dass D.________ keine Zeit gehabt hätte, obwohl
sie darauf hinweisen, er habe sich intensiv um seine Tochter gekümmert, seit
diese im Jahr 2009 einen Schlaganfall erlitten hat.
Die Frist zur Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde vor diesem
Hintergrund nicht unverschuldet versäumt. Die Vorinstanz hat weder § 36 Abs. 1
VRG willkürlich angewendet noch den entsprechenden Rechtsgrundsatz verletzt,
indem sie auf die Beschwerde nicht eintrat.
Nicht weiter einzugehen ist bei diesem Ergebnis auf die Rüge, die Vorinstanz
habe sich mit den Vorbringen der Beschwerdeführer zur Notwendigkeit einer
ausreichenden Instruktion von Rechtsanwältin Zumtaugwald nicht befasst. Dieser
Umstand war nicht entscheidend (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit
Hinweisen).

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten den
unterliegenden Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die
Beschwerdegegnerin 1 hat Anspruch auf eine Parteientschädigung, nicht jedoch
die Beschwerdegegnerin 2, da diese durch ihre eigene Rechtsabteilung vertreten
wird (Art. 68 Abs. 2 BGG; Urteil 1C_200/2008 vom 28. November 2008 E. 2 mit
Hinweis).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben der Beschwerdegegnerin 1 eine Parteientschädigung
von Fr. 1'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gemeinderat Kriens und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Februar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Dold