Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.384/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_384/2012

Urteil vom 10. Juli 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Elisabeth Brüngger,

gegen

A.________ SA,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenzo Marazzotta,

Bausektion der Stadt Zürich, Amtshaus IV, Postfach, 8021 Zürich.

Gegenstand
Baubewilligung Mobilfunkanlage,

Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Juni 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Die Bausektion der Stadt Zürich erteilte der A.________ SA am 9. Juni 2010 die
Bewilligung zur Errichtung einer UMTS-Mobilfunkantenne auf dem Dach des an der
Hadlaubstrasse 26 in Zürich gelegenen Mehrfamilienhauses (Kat. Nr. FL2328). Die
dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel der X.________, die Eigentümerin der
in der unmittelbaren Nachbarschaft gelegenen "Wohnsiedlung Toblerstrasse" ist,
führten zu einer Projektmodifikation (Reduktion der Sendeleistung einer Antenne
gemäss Standortdatenblatt vom 5. Januar 2011), blieben aber im Übrigen ohne
Erfolg.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
X.________ dem Bundesgericht, den in dieser Sache zuletzt ergangenen Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Juni 2012 aufzuheben und die
Baubewilligung für die fragliche Mobilfunkantenne zu verweigern. Eventuell sei
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

C.
Die A.________ SA und das Verwaltungsgericht stellen Antrag auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Bausektion der Stadt Zürich
ersucht um Abweisung des Rechtsmittels. Das ebenfalls zur Vernehmlassung
eingeladene Bundesamt für Umwelt erklärt, dass die bundesrechtlichen
Voraussetzungen für die Bewilligung der Mobilfunkantenne erfüllt seien.

D.
Die Beschwerdeführerin und die private Beschwerdegegnerin haben sich in
weiteren Eingaben zur Sache geäussert.

E.
Der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat der Beschwerde am 10.
September 2012 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin hat im bundesgerichtlichen Verfahren die Baubewilligung
eingereicht, die ihr die Bausektion des Stadtrates von Zürich am 5. Februar
2013 für den Bau einer neuen Überbauung anstelle der bisherigen Siedlung
"Toblerstrasse" erteilt hat. Dieses Aktenstück soll die vorinstanzliche
Feststellung widerlegen, dass für die geplante Arealüberbauung noch kein
konkretes Bauprojekt vorliege.

 Der neu eingereichte Bauentscheid erging erst einige Zeit nach dem
angefochtenen Urteil, das am 13. Juni 2012 gefällt wurde. Es handelt sich
demnach um ein echtes tatsächliches Novum. Nach der Rechtsprechung sind
Tatsachen, die erst nach dem angefochtenen Entscheid eintreten, nicht zu
berücksichtigen (BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.). Das erwähnte Aktenstück hat
somit ausser Acht zu bleiben. Wie aus den nachstehenden Erwägungen hervorgeht,
kommt ihm im Übrigen keine entscheiderhebliche Bedeutung zu.

2.
Streitgegenstand bildet allein die Frage, ob im Baubewilligungsverfahren für
die Mobilfunkantenne an der Hadlaubstrasse 26 die Neuüberbauung, welche die
Beschwerdeführerin in der unmittelbaren Nachbarschaft realisieren will, bei der
Prüfung der zulässigen Emissionen mitzuberücksichtigen war.

2.1. Die Vorinstanz verneint dies und stützt sich dabei auf Art. 3 Abs. 3 der
Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor nichtionisierender
Strahlung (NISV; SR 814.710). Nach dieser Bestimmung gelten als Orte
empfindlicher Nutzung, an denen der Anlagegrenzwert eingehalten werden muss
(vgl. Art. 4 Abs. 1 NISV und Ziff. 64 f. Anhang 1 NISV), Räume in Gebäuden, in
denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten (lit. a),
öffentliche oder private, raumplanungsrechtlich festgesetzte Kinderspielplätze
(lit. b) und diejenigen Bereiche von unüberbauten Grundstücken, in denen
Nutzungen nach den Buchstaben a und b zugelassen sind (lit. c). Da das
Grundstück der Beschwerdeführerin bereits überbaut ist, findet nach Auffassung
der Vorinstanz Art. 3 Abs. 3 lit. c NISV keine Anwendung. Zudem handle es sich
auch nicht um eine stark unternutzte Parzelle, bei welcher nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine analoge Anwendung der genannten Norm in
Betracht falle. Schliesslich sei auch der Nachweis nicht erbracht, dass die
fragliche Neuüberbauung unmittelbar bevorstehe, da noch kein Baugesuch
eingereicht worden sei.

2.2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine unzutreffende
Sachverhaltsfeststellung vor, da das Baugesuch bereits am 15. Mai 2012, also
noch vor dem vorinstanzlichen Entscheid, eingereicht worden sei, räumt indessen
selber ein, dass sie die Vorinstanz darüber nicht informiert hat. Weiter macht
sie geltend, dass auch unabhängig von der erfolgten Baueingabe eine hinreichend
konkretisierte Bauabsicht hätte bejaht werden müssen und demnach die Einhaltung
der Anlagegrenzwerte für das neue Projekt zu prüfen gewesen wäre. Ihr Land sei
ausserdem als stark unternutzt anzusehen, so dass auch aus diesem Grund Art. 3
Abs. 3 lit. c NISV analog anzuwenden sei. Schliesslich stellt die
Beschwerdeführerin aber auch die Ungleichbehandlung überbauter und unüberbauter
Grundstücke durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung in Frage.

3.
Auf teilweise überbaute Grundstücke findet Art. 3 Abs. 3 lit. a NISV und nicht
lit. c dieser Norm Anwendung. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut,
sondern erscheint auch deshalb gerechtfertigt, weil bei unüberbautem Land mit
einer baldigen baulichen Nutzung zu rechnen ist und Konflikte vermieden werden
sollen, die sich aus einer übermässigen Belastung nichtionisierender Strahlen
einer in der Nähe gelegenen Mobilfunkantenne ergeben könnten. Die
Rechtsprechung stellt Grundstücke, die lediglich in minimalem Umfang überbaut
sind, den überbauten Parzellen gleich. Sie erklärt dagegen, dass bei nur
teilweise überbautem Land die vorhandenen Nutzungsreserven bei der Bewilligung
einer Mobilfunkantenne nicht zu berücksichtigen seien, da hier nicht von einer
baldigen Beanspruchung der Nutzungsreserven auszugehen sei. Eine Ausnahme sei
allerdings denkbar, wenn ein hinreichend konkretisiertes Bauvorhaben
nachgewiesen sei. In diesem Fall könnten die künftigen Nutzungsmöglichkeiten
bereits bei der Bewilligung der Mobilfunkantenne berücksichtigt werden
(grundlegend BGE 128 II 340 E. 3 und 4 S. 345 ff.; vgl. zuletzt Urteil 1C_468/
2011 vom 18. Juni 2012, URP 2013 61 E. 4.3 S. 64).

 Auch wenn bei der Bewilligung von Mobilfunkanlagen vorhandene Nutzungsreserven
in überbauten Gebieten grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind, haben die
Antennen auch hier die Anlagegrenzwerte einzuhalten, wenn nachträglich neue
Nutzungen bewilligt werden. Ziff. 65 des Anhangs 1 der NISV schreibt vor, dass
auch alte Anlagen im massgebenden Betriebszustand an Orten mit empfindlicher
Nutzung den Anlagegrenzwert nicht überschreiten dürfen. Soweit die Erfüllung
dieser bundesrechtlichen Anforderung sichergestellt erscheint, ist es nicht
erforderlich, die Immissionssituation für alle noch zulässigen empfindlichen
Nutzungen schon im Baubewilligungsverfahren für eine Mobilfunkanlage zu prüfen.
Wie die bisherige Rechtsprechung andeutet, kann es zwar naheliegen, die mit
hoher Wahrscheinlichkeit feststehenden künftigen Nutzungen bereits bei der
Bewilligungserteilung für die Mobilfunkanlage zu berücksichtigen. Zwingend ist
das aber nicht, solange die Einhaltung der Anlagegrenzwerte auf andere Weise
sichergestellt ist.

 Wie nachfolgend näher darzulegen ist (E. 4), erfüllt die von der Stadt Zürich
befolgte Praxis diese bundesrechtlichen Anforderungen. Es kann daher offen
bleiben, ob die Vorinstanz die von der Beschwerdeführerin geplante
Neuüberbauung bei der Beurteilung der zulässigen Emissionen auch deshalb ausser
Betracht lassen durfte, weil sie das Vorhaben noch nicht als genügend
konkretisiert ansah.

4.
Die Baubewilligung für die umstrittene Mobilfunkantenne enthält in Ziff. I.9
die Auflage, dass die Anlage bei der Realisierung neuer empfindlicher Nutzungen
in der Umgebung nötigenfalls so weit anzupassen sei, dass der Anlagegrenzwert
überall eingehalten werde. Die Bausektion erklärt in ihrer Vernehmlassung, dass
die Betreiberin der Mobilfunkanlage mit der Erteilung der Baubewilligung für
eine allfällige Neuüberbauung aufgefordert werde, eine Grenzwertberechnung für
die neugeschaffenen Orte mit empfindlicher Nutzung einzureichen. Falls die
berechnete elektrische Feldstärke weniger als 20 % unter dem zulässigen
Anlagegrenzwert liege, müsse die Betreiberfirma durch ein unabhängiges Messbüro
an den fraglichen Orten eine Kontrollmessung durchführen lassen und der
städtischen NIS-Fachstelle darüber Bericht erstatten. Die von der
Beschwerdeführerin nachträglich eingereichte Baubewilligung enthält denn auch
in Ziff. 129 eine entsprechende Auflage zulasten der privaten
Beschwerdegegnerin.

 Mit dieser Regelung ist die Einhaltung der Anlagegrenzwerte an den neu
geschaffenen Orten mit empfindlicher Nutzung in ausreichender Weise
sichergestellt. Insbesondere ist die Befürchtung der Beschwerdeführerin
unbegründet, dass sich die Bewohner der künftigen Überbauung um die Einhaltung
der Anlagegrenzwerte durch die bereits bestehende Mobilfunkantenne kümmern
müssten und in eine Klägerrolle gedrängt würden. Ebenso wenig überzeugt der
nachträglich in der Eingabe vom 19. Februar 2013 erhobene Einwand, eine
allenfalls nötige Anpassung der Mobilfunkanlage sei vor dem Bezug der neuen
Wohnungen nicht gewährleistet. Sollte die Einhaltung des Anlagegrenzwerts in
einem Rechtsmittelverfahren zu klären sein, könnte die Beschwerdeführerin ein
Gesuch um vorsorgliche Massnahmen stellen, soweit nicht bereits die Behörden
selber eine vorsorgliche Betriebseinschränkung für die Dauer des Verfahrens
anordnen.

5.
Aus diesen Erwägungen erscheint die Beschwerde unbegründet. Sie ist demzufolge
abzuweisen.

 Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat ausserdem die private
Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die private Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Bausektion der Stadt Zürich, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, und dem
Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juli 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Gerber

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