Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.378/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_378/2012

Urteil vom 7. Februar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Baumgardt,

gegen

Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, Abteilung
Administrativmassnahmen, Frongartenstrasse 5, 9001 St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Moosbruggstrasse 11,
9001 St. Gallen.

Gegenstand
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 7. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen führt gegen
X.________ ein Administrativverfahren zur Abklärung seiner Fahreignung, nachdem
er am 28. März 2010 unter dem Einfluss von Alkohol (Blutalkoholgehalt von
mindestens 0,77 Promille) und Cannabis (THC-Gehalt im Blut von 2,3 Mikrogramm/
l) ein Auto gelenkt hatte. Es kann auf die eingehende Sachverhaltsdarstellung
im Urteil 1C_386/2011 vom 2. Dezember 2011 verwiesen werden.

B.
Nachdem X.________ seinen Rekurs gegen die Anordnung einer
verkehrspsychologischen Untersuchung zurückgezogen hatte, ersuchte er am 1.
März 2012 das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, ihn zur
verkehrspsychologischen Begutachtung beim Institut für Rechtsmedizin Zürich
(IRM) anzumelden. Er ersuchte um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung, insbesondere auch in Bezug auf die angeordnete Begutachtung.
Am 5. April 2012 wies das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St.
Gallen das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab.
Der Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen wies die
Beschwerde von X.________ gegen diese Departementalverfügung am 7. Juni 2012 ab
und wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das
Verwaltungsgerichtsverfahren ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
diesen Verwaltungsgerichtsentscheid aufzuheben und ihm für das
Administrativverfahren vor dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt sowie für
das verwaltungsgerichtliche Verfahren unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren, insbesondere auch für die Kosten der
verkehrspsychologischen Untersuchung. Für das bundesgerichtliche Verfahren
ersucht er ebenfalls um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

D.
Das Sicherheits- und Justizdepartement sowie der Präsident des
Verwaltungsgerichts beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung in einem
Administrativverfahren; dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Er
schliesst das Verfahren nicht ab; es handelt sich mithin um einen
Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde u.a. dann zulässig ist, wenn er
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte (Art. 93 Abs. 1 lit.
a BGG). Das ist bei der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung regelmässig der Fall, da dem Betroffenen, der mangels
verfügbarer Mittel nicht in der Lage ist, den Kostenvorschuss zu leisten und
den erforderlichen Rechtsbeistand zu bezahlen, der Prozessverlust droht. Der
Beschwerdeführer, dem der definitive Entzug des Führerausweises droht und dem
die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wurde, ist zur Beschwerde befugt
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Das Verwaltungsgericht hat erwogen, unentgeltliche Rechtspflege sei nach
Art. 99 Abs. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Mai 1965
(VRP) i.V.m. Art. 117 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (vom 19. Dezember
2008, SR 272, ZPO) zu gewähren, wenn der Gesuchsteller bedürftig sei und das
angestrebte Verfahren nicht aussichtslos sei. Es schützte die Ablehnung des
Gesuchs durch die Vorinstanz mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei nicht
bedürftig. Der Beschwerdeführer bestreitet dies. Es kann indessen offen
bleiben, ob der Beschwerdeführer bedürftig im Sinn der angeführten Bestimmungen
ist, da die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege im Ergebnis ohnehin
nicht zu beanstanden ist.

2.2 Es trifft zwar zu, dass der verfassungs- und konventionsrechtliche Anspruch
auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung grundsätzlich in allen
staatlichen Verfahren und in allen Rechtsgebieten gilt (BGE 132 I 201 E. 8.2 S.
214). Das Institut, das sich am Rechtsgleichheitsgebot orientiert, soll
sicherstellen, dass eine nicht über genügend finanzielle Mittel verfügende
Person in den Stand versetzt wird, gleich wie eine vermögende Person das zur
Durchführung ihrer Rechte notwendige Verfahren zu führen. Die Aufgabe des
Staates beschränkt sich allerdings im Wesentlichen darauf, den einzelnen dann
zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge
oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht zur Wehr setzen
könnte (vgl. BGE 121 I 314 E. 3b S. 317). Wer dagegen eine Erlaubnis erlangen
will, für die er bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllen oder sachliche
Gegebenheiten nachweisen muss, kann für die mit dem Nachweis dieser
Voraussetzungen oder Fähigkeiten verbundenen Aufwendungen im dafür vorgesehenen
Administrativverfahren keine unentgeltliche Rechtspflege beanspruchen. Eine
Person, die z.B. die Erteilung eines Führer- oder Fahrzeugausweises oder einer
Baubewilligung anstrebt, kann daher nicht mit Erfolg die Gewährung
unentgeltlicher Rechtspflege beanspruchen, um die damit verbundenen Kosten -
etwa für Fahrstunden, Reparaturen, Prüfungsgebühren, Profilierungs- und
Vermessungsarbeiten - von der öffentlichen Hand tragen zu lassen. Gleiches gilt
für denjenigen, der durch eigenes Fehlverhalten - z.B. eine Trunkenheitsfahrt -
ernsthafte Zweifel an seiner Fahreignung weckte und, was ihm frei steht, den zu
Recht vorsorglich entzogenen Führerausweis wiedererlangen möchte: für die dafür
erforderlichen verkehrsmedizinischen und -psychologischen Abklärungen seiner
Fahreignung kann er selbstredend keine unentgeltliche Rechtspflege
beanspruchen. In Bezug auf das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus
Folgendes:
2.2.1 Der Beschwerdeführer hat am 28. März 2010 unter dem Einfluss von Alkohol
und Cannabis ein Auto gelenkt und damit - insbesondere vor dem Hintergrund
seines stark getrübten automobilistischen Leumunds - ernsthafte Zweifel an
seiner Fahreignung erweckt. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt eröffnete
daraufhin ein Administrativverfahren gegen ihn zur Abklärung seiner
Fahreignung. In diesem Verfahren wurde gegen ihn ein vorsorglicher
Führerausweisentzug verhängt und die Wiedererteilung des Führerausweises von
einer positiven verkehrspsychologischen Begutachtung abhängig gemacht. Den
Rekurs gegen letztere zog der Beschwerdeführer am 18. Januar 2012 zurück. Bis
zu diesem Zeitpunkt stellte der Beschwerdeführer kein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung.
2.2.2 Der Beschwerdeführer hat sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung am 1. März 2012 gestellt, zu einem Zeitpunkt, in dem das
Verfahren weit fortgeschritten war. Im Wesentlichen ist nur noch das
verkehrspsychologische Gutachten ausstehend, aufgrund dessen es voraussichtlich
mit dem Entscheid über den Entzug bzw. die Wiedererteilung des Führerausweises
abgeschlossen werden kann. Da der Beschwerdeführer nach dem Gesagten für die
Einholung des Gutachtens keine unentgeltliche Rechtspflege beanspruchen kann,
konnte der Präsident des Verwaltungsgerichts die Abweisung des Gesuchs im
Ergebnis ohne Verletzung von Bundesrecht schützen.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Damit trägt der Beschwerdeführer die Kosten des
Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege gestellt, das gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von
vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit bei einer summarischen, das
weitere Verfahren nicht präjudizierenden Prüfung der Verhältnisse ausgewiesen
scheint (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Pascal Baumgardt, St. Gallen, wird für das bundesgerichtliche
Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, Abteilung Administrativmassnahmen, dem
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen und dem
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Februar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi