Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.355/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_355/2012

Urteil vom 30. August 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, als präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland,
2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 20. Juni 2012 des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 erstattete X.________ bei der
Staatsanwaltschaft Winterhur/Unterland Strafanzeige gegen unbekannte
Angestellte der Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Zur Begründung führte er aus,
der dannzumal diensthabende Mitarbeiter dieser Anstalt habe einen an ihn
adressierten Brief mit dem Absender des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12.
Dezember 2011 geöffnet, bevor er ihm diesen ausgehändigt habe. X.________ erhob
damit gegenüber Beamten der Justizvollzugsanstalt den strafrechtlichen Vorwurf
unberechtigter Kontrolle des Verkehrs mit ihren Aufsichtsbehörden.

B.
Mit Verfügung vom 6. März 2012 überwies die Staatsanwaltschaft die Akten auf
dem Dienstweg über die Oberstaatsanwaltschaft an das Obergericht (III.
Strafkammer) des Kantons Zürich mit dem Antrag, ihr die Ermächtigung zur
Durchführung einer Strafuntersuchung nicht zu erteilen. Mit Beschluss vom 20.
Juni 2012 verweigerte das Obergericht der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung
zur Strafverfolgung.

C.
Mit als "staatsrechtliche Beschwerde" bezeichneter Eingabe vom 17. Juli 2012
(Poststempel) führt X.________ Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt
sinngemäss, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Zürcher
Staatsanwaltschaft anzuweisen, ein Strafverfahren zu eröffnen; zudem beantragt
er sinngemäss, die Kontrolle seiner Amts- und Gerichtspost durch die
Justizvollzugsanstalt Pöschwies generell für unzulässig zu erklären; für das
bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Prozessführung zu
gewähren. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland beantragt die Abweisung
der Beschwerde mit entsprechender Kostenauflage. Die Oberstaatsanwaltschaft und
das Obergericht des Kantons Zürich haben auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Eingabe als "staatsrechtliche
Beschwerde". Seit Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes am 1. Januar 2007
gibt es dieses Rechtsmittel nicht mehr. Damit ist zu prüfen, ob die Eingabe die
Voraussetzungen einer der Beschwerdearten nach dem heute gültigen und hier
anwendbaren Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) erfüllt sind.

1.2 Die Ermächtigung zur Strafverfolgung stellt eine Prozessvoraussetzung für
das Strafverfahren dar, wird jedoch in einem davon getrennten
Verwaltungsverfahren erteilt. Das zutreffende Rechtsmittel ist deshalb die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1
S. 272 mit Hinweisen).

1.3 Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz, der das
Verfahren abschliesst (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Eine Ausnahme
von der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 83 BGG besteht vorliegend nicht:
Der Tatbestand von Art. 83 lit. e BGG, wonach Entscheide über die Verweigerung
der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Bundespersonal oder
Behördenmitgliedern nicht beschwerdefähig sind, ist nur auf die obersten
Vollziehungs- und Gerichtsbehörden anwendbar, da nur bei diesen politische
Gesichtspunkte in den Entscheid einfliessen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.
mit Hinweisen). Vorliegend geht es um die Ermächtigung zur Strafverfolgung von
Mitarbeitenden einer kantonalen Strafvollzugsanstalt. Diese gehören nicht zu
den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden. Der Ausschlussgrund
von Art. 83 lit. e BGG greift demnach nicht, womit die Beschwerde ans
Bundesgericht zulässig ist.

1.4 Soweit die Anträge des Beschwerdeführers über den strafrechtlichen Vorwurf
hinaus auf die generelle Feststellung der Unzulässigkeit der Überwachungspraxis
der Gefangenenkorrespondenz durch die Justizvollzuganstalt zielen, sind diese -
soweit ohne Bezug zu möglichen Straftatbeständen - nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Insofern ist mangels Ausschöpfung des kantonalen
Instanzenzugs auf die Beschwerde nicht einzutreten.

1.5 Zur Beschwerde ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme
erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders
berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder
Änderung hat (lit. c). Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder
tatsächlicher Natur sein (BGE 133 I 286 E. 2.2 S. 290). Der Beschwerdeführer
hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Er macht in plausibler Weise
geltend, durch das Verhalten, das Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs
bildet, einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht erlitten zu haben. Die
Beschwerdelegitimation ist deshalb zu bejahen.

1.6 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist unter dem erwähnten Vorbehalt (vgl. E. 1.4) einzutreten.

2.
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die
Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen
im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von einer Ermächtigung abhängig
gemacht wird. Das Gesetz des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts-
und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess
(Gerichtsorganisationsgesetz, GOG; LS 211.1) setzt in § 148 einen
entsprechenden Ermächtigungsentscheid für Strafuntersuchungen gegen Beamte im
Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB durch das Obergericht voraus (BGE 137 IV 269 E.
2.3 S. 276 f.). Damit sollen Staatsbedienstete vor mutwilliger Strafverfolgung
geschützt werden. Diese Bestimmung gilt auch für Beamte im Zusammenhang mit
ihrer Tätigkeit im Strafvollzug. Soweit, wie vorliegend, nicht die
Strafverfolgung von Mitgliedern oberster Gerichts- und Vollziehungsbehörden in
Frage steht, sind im Rahmen des Ermächtigungsverfahrens nur strafrechtliche und
nicht politische Erwägungen zulässig; es geht um die Prüfung eines genügenden
Anfangsverdachts nach rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BGE 137 IV 269 E. 2.2
und 2.4 S. 275 ff. mit Hinweisen).

2.2 Das Obergericht verweigerte im vorliegenden Fall die Ermächtigung zur
Strafverfolgung. Es begründete seinen Entscheid zunächst damit, dass sich nicht
mehr belegen lasse, an wen der betreffende Briefumschlag adressiert gewesen
sei, ob generell an die Justizvollzugsanstalt oder an den Beschwerdeführer
persönlich. Selbst im Fall, dass die Sendung an den Beschwerdeführer persönlich
adressiert und trotzdem von Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalt geöffnet
worden sein sollte, fehle es an der strafrechtlichen Tatbestandsmässigkeit der
Handlung des betreffenden Beamten. § 115 Abs. 3 der Justizvollzugsverordnung
des Kantons Zürich vom 6. Dezember 2006 (JVV; LS 331.1) stelle eine genügende
gesetzliche Grundlage für eine Einschränkung der Freiheitsrechte des
Beschwerdeführers dar, was die Verletzung des Schriftgeheimnisses nach Art. 179
StGB ausschliesse. Auch sei Art. 312 StGB bereits objektiv nicht erfüllt, weil
der unrechtmässige Gebrauch der durch ein Amt verliehenen Machtbefugnisse
vorliegend nicht gegeben sei.

3.
3.1 Zunächst rügt der Beschwerdeführer sinngemäss die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung, soweit diese davon ausgehe, der Briefumschlag sei
nicht an ihn selbst, sondern lediglich an die Vollzugsanstalt adressiert
gewesen.

3.2 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs.
1 und 2 BGG).

3.3 Die Sachverhaltsrüge des Beschwerdeführers geht deshalb fehl, weil die
Vorinstanz entgegen seinen Vorbringen einzig feststellte, dass der Sachverhalt
beweismässig nicht mehr erstellbar sei. Ausgehend davon hat sie ihrer
rechtlichen Beurteilung des Tatvorwurfs alternativ auch die vom
Beschwerdeführer behauptete Sachverhaltsdarstellung zugrunde gelegt. Die
entsprechende Rüge ist somit weder begründet noch kommt der aufgeworfenen Frage
eine entscheidwesentliche Bedeutung zu.

3.4 Der Beschwerdeführer wirft der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang
zudem vor, zur Aufklärung der Tat keine weiteren Ermittlungen durchgeführt zu
haben. Indessen hängt die Strafuntersuchung vorliegend von einer vorgängigen
Ermächtigung ab. Ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, ist Gegenstand
dieses Verfahrens. Auch diesbezüglich verletzt der vorinstanzliche Entscheid
kein Bundesrecht, indem er sich sachverhaltsmässig auf den Verfahrensstand der
Staatsanwaltschaft vor Durchführung einer Strafuntersuchung mit weitergehenden
Ermittlungen stützt.

4.
4.1 In rechtlicher Hinsicht vertritt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht die
Auffassung, durch das Öffnen des betreffenden Briefes entgegen der
vorinstanzlichen Erwägung Opfer von Amtsmissbrauch und
Schriftgeheimnisverletzung geworden zu sein.

4.2 Den Tatvorwürfen des Beschwerdeführers fehlt die nötige
Tatbestandsmässigkeit, um von einem Anfangsverdacht ausgehen zu können, der die
Einleitung einer Strafuntersuchung rechtfertigen würde. Das in der
Beschwerdeschrift dem zuständigen Beamten zur Last gelegte Verhalten ist
strafrechtlich aus folgenden Gründen nicht relevant:
4.2.1 Nach Art. 179 StGB ist strafbar, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine
verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu
nehmen. Wer hingegen zur Öffnung einer verschlossenen Sendung befugt ist, macht
sich der Verletzung des Schriftgeheimnisses nicht strafbar. Zu den Berechtigten
gehören die Beamten im Strafvollzug, sofern sie sich im Rahmen ihrer gesetzlich
bestimmten Eingriffsbefugnis bewegen. Den gesetzlichen Rahmen für die
vorliegende Handlung des Justizvollzugsbeamten bilden im Bundesrecht Art. 84
Abs. 5 StGB und auf kantonaler Ebene § 115 Abs. 3 sowie § 121 Abs. 3 JVV.
4.2.2 Art. 84 Abs. 5 StGB bestimmt, dass der Verkehr mit den Aufsichtsbehörden
nicht kontrolliert werden darf. Im Einklang damit sieht § 121 Abs. 3 JVV unter
anderem vor, dass eine inhaltliche Überprüfung der Korrespondenz mit der
Aufsichtsbehörde der Justizvollzugsbehörden nicht gestattet ist. Nach
kantonalem Recht amtet als Aufsichtsbehörde die Direktion der Justiz und des
Inneren.
4.2.3 Das Obergericht des Kantons Zürich als Absender des hier in Frage
stehenden Briefes übt über die Justizvollzugsanstalt Pöschwies keine Aufsicht
aus und steht auch ausserhalb des entsprechenden Instanzenzugs im
Rechtsmittelverfahren. Der zuständige Strafvollzugsbeamte hat sich demnach
strafrechtlich nicht tatbestandsmässig verhalten, wenn er den Brief mit dem
Absender des Zürcher Obergerichts geöffnet hatte, bevor er ihn dem
Beschwerdeführer aushändigte. Daran ändert auch das Vorbringen des
Beschwerdeführers nichts, das Verhalten des Vollzugsbeamten verletze Art. 8
EMRK. Diese Garantie schützt nach der Rechtsprechung des EGMR im vorliegenden
Zusammenhang lediglich den Verkehr mit den Aufsichtsbehörden (vgl. Urteil des
EGMR Campbell gegen Grossbritannien vom 25. März 1992, Serie A Bd. 233 § 55
ff.). Dazu gehört die hier in Frage stehende Sendung wie erwähnt nicht.
4.2.4 Der vorinstanzlich erstellte Sachverhalt gibt schliesslich keinen Anlass
dafür, von einer grundrechtswidrigen - und strafrechtlich vorwerfbaren -
routinemässigen Öffnung an den Beschwerdeführer adressierter Post durch den
betreffenden Beamten der Justizvollzugsanstalt auszugehen (zur Beurteilung
einer derartigen Kontrollpraxis durch Anstaltspersonal vgl. BGE 107 Ia 148 E. 2
S. 149 ff. mit Hinweisen). Die dahin gehenden Rügen in der Beschwerdeschrift
sind somit ebenfalls unbegründet.
4.2.5 Damit erfüllt das dem zuständigen Vollzugsbeamten vorgeworfene Verhalten
auch nicht den Tatbestand von Art. 312 StGB. Denn Amtsmissbrauch setzt gleich
wie die Schriftgeheimnisverletzung unbefugtes Handeln voraus. Dieses
Tatbestandselement liegt hier nicht vor.
4.2.6 Demnach ist das Obergericht zu Recht vom Fehlen eines hinreichenden
Anfangsverdachts ausgegangen, welcher die Einleitung einer Strafuntersuchung
gegen den vom Beschwerdeführer beschuldigten Beamten rechtfertigen würde. Indem
die Vorinstanz die Ermächtigung zur Strafuntersuchung verweigerte, verletzte
sie kein Bundesrecht.

5.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

6.
Es rechtfertigt sich angesichts der besonderen Umstände, auf die Erhebung von
Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/
Unterland, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. August 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Der Gerichtsschreiber: Geisser