Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.2/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_2/2012

Urteil vom 12. März 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Ralph Wiedler
Friedmann,

gegen

Bundesamt für Migration,
Direktionsbereich Zuwanderung und Integration, Abteilung Bürgerrecht,
Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 29. November 2011 des
Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________, geb. 1973, ist türkischer Herkunft. Im Mai 1996 reiste er in
die Schweiz ein und stellte hier erfolglos ein Asylgesuch. Am 30. Mai 1997
heiratete er die Schweizerin Y.________, geb. 1956, woraufhin er eine
Aufenthaltsbewilligung erhielt.
A.b Am 3. Juni 2002 stellte X.________ ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung,
wofür die Ehegatten am 18. Dezember 2002 eine gemeinsame Erklärung
unterzeichneten, wonach sie in einer tatsächlichen, ungetrennten und stabilen
ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenlebten und weder Trennungs-
noch Scheidungsabsichten bestünden. Überdies nahmen sie unter anderem
unterschriftlich zur Kenntnis, dass die Verheimlichung des Fehlens einer
tatsächlichen ehelichen Gemeinschaft die Nichtigerklärung der Einbürgerung zur
Folge haben könne. Am 21. Januar 2003 wurde X.________ erleichtert
eingebürgert.
A.c Sechs Monate nach der erleichterten Einbürgerung stellte die Ehefrau ein
Gesuch um Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Haushaltes, welchem vom
zuständigen Gericht am 19. November 2003 stattgegeben wurde. Am 6. Juli 2004
wurde die kinderlos gebliebene Ehe rechtskräftig geschieden.

B.
Mit Verfügung vom 18. Dezember 2007 erklärte das Bundesamt für Migration die
erleichterte Einbürgerung von X.________ als nichtig.

C.
Am 29. November 2011 wies das Bundesverwaltungsgericht eine dagegen erhobene
Beschwerde ab.

D.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
beantragt X.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und
ihm die schweizerische Staatsangehörigkeit zu belassen.

E.
Das Bundesamt für Migration schliesst unter Verzicht auf weitere Ausführungen
auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet.

F.
Mit prozessleitender Verfügung vom 8. Februar 2012 erteilte der Präsident der
I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
Das angefochtene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt einen
letztinstanzlichen Endentscheid über die Nichtigerklärung einer erleichterten
Einbürgerung in Anwendung von Art. 27 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 29.
September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts
(Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0) dar, gegen den die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG an das
Bundesgericht offen steht (vgl. nicht publ. E. 1 von BGE 135 II 161 = 1C_190/
2008). Der Beschwerdeführer ist als direkt Betroffener, der am Verfahren vor
der Vorinstanz teilgenommen hat, zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1
BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

2.
2.1 Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung setzt eine eheliche
Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG, die zur erleichterten Einbürgerung des
ausländischen Ehegatten berechtigt, nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe,
sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraus. Eine
solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame Wille zu einer
stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist (BGE 130 II 169 E. 2.3.1 S. 171 f.).
Sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch im Zeitpunkt des
Einbürgerungsentscheids muss eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bestehen, die
Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet. Zweifel bezüglich eines solchen
Willens sind angebracht, wenn kurze Zeit nach der erleichterten Einbürgerung
die Trennung erfolgt oder die Scheidung eingeleitet wird (BGE 135 II 161 E. 2
S. 165; 130 II 482 E. 2 S. 484).

2.2 Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom Bundesamt für Migration
mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig erklärt
werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher
Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der
Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht. Die Nichtigerklärung der
Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit
einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist. Arglist im Sinne
des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist
notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde
bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es
unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren
(BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115).

2.3 Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von
der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Dabei geht es
im Wesentlichen um innere Vorgänge, die der Verwaltung oft nicht bekannt und
schwierig zu beweisen sind. Die beteiligten Personen trifft insoweit eine
Mitwirkungspflicht (vgl. Art. 13 VwVG). Überdies dürfen die Behörden von
bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge)
schliessen. Geht eine Ehe nach aussen erkennbar nur kurze Zeit nach der
erleichterten Einbürgerung auseinander, spricht die Vermutung dafür, dass schon
vorher kein zukunftsgerichteter Ehewille bestand und dass in Wirklichkeit keine
stabile eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG vorlag. Der betroffenen
Person steht aber offen, die Vermutung durch den Nachweis von Zweifeln an der
Richtigkeit der Indizien und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu
beseitigen. Dafür genügt, dass ein Grund oder mehrere Gründe angeführt werden
können, die es plausibel erscheinen lassen, dass im Zeitpunkt der im
Einbürgerungsverfahren abgegebenen Erklärung eine stabile eheliche Gemeinschaft
mit dem Schweizer Ehepartner gelebt und diesbezüglich nicht gelogen wurde. Ein
solcher Grund kann entweder ein ausserordentliches Ereignis sein, das zum
raschen Zerfall des Willens zur ehelichen Gemeinschaft im Anschluss an die
Einbürgerung führte, oder die betroffene Person kann darlegen, aus welchem
Grund sie die Schwere der ehelichen Probleme nicht erkannte und im Zeitpunkt,
als sie die Erklärung unterzeichnete, den wirklichen Willen hatte, mit dem
Schweizer Ehepartner auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu
leben (BGE 135 II 181 E. 3 S. 165 f.).

3.
3.1 Der angefochtene Entscheid beruht auf dieser bundesgerichtlichen
Rechtsprechung. Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, der
Beschwerdeführer habe nach seinem erfolglosen Asylgesuch eine um ungefähr 17
Jahre ältere Frau geheiratet; lediglich rund sechs Monate nach der
erleichterten Einbürgerung habe seine Ehefrau dann bereits das Gesuch um
richterliche Trennung eingereicht; zusammen rechtfertigten diese Umstände die
Vermutung, die Ehe sei schon im Zeitpunkt der erleichterten Einbürgerung nicht
mehr intakt gewesen und gelebt worden; dem Beschwerdeführer sei es nicht
gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Die Vorinstanz prüfte die Sachlage
umfassend und begründete ihre Folgerung ausführlich. Der Beschwerdeführer
stellt die Annahme der Vermutung, die Ehe sei im Zeitpunkt der erleichterten
Einbürgerung nicht mehr intakt gewesen, nicht grundsätzlich in Frage, sondern
behauptet, er habe diese zu widerlegen vermocht; dabei beanstandet er
verschiedene Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts als willkürlich und
dessen Schlussfolgerung als bundesrechtswidrig.

3.2 Das Bundesverwaltungsgericht nahm eine Gesamtwürdigung vor, die auf einer
Reihe einzelner Feststellungen und Indizien beruhte, und schloss daraus, es sei
dem Beschwerdeführer nicht gelungen, die Vermutung, die Ehegemeinschaft sei
bereits im entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr intakt gewesen, und die
Folgerung, er habe dies verheimlicht, zu widerlegen. Selbst wenn die eine oder
andere Feststellung der Vorinstanz unzutreffend sein sollte, bedeutete dies
noch nicht, dass auch die Gesamtwürdigung falsch ausgefallen ist. Das ist
insofern von Bedeutung, als der Beschwerdeführer etliche von der Vorinstanz
genannte Argumente gar nicht anficht. Zudem hat sich das
Bundesverwaltungsgericht bereits eingehend mit den vom Beschwerdeführer vor
Bundesgericht erneut vorgetragenen Einwänden auseinander gesetzt und dabei
ausgeführt, weshalb sie nicht zu überzeugen vermöchten. Darauf ist nicht mehr
umfassend zurückzukommen.

3.3 Der Beschwerdeführer beruft sich insbesondere darauf, er sei im August 2002
arbeitslos geworden, was, allerdings mit zeitlicher Verzögerung, die üblichen
Spannungen im Eheleben mit sich gebracht habe. Im Frühjahr 2003 habe diese
Situation zu einer depressiven Verstimmung beim Beschwerdeführer geführt, was
erst zum Scheitern der Ehe geführt habe. Er habe bei Abgabe seiner Erklärung im
Dezember 2002, die Ehe sei stabil und intakt, nicht wissen können, dass sich
diese bereits in einer heiklen Phase befand. Im Juli 2003 habe selbst die
Ehefrau nicht um Scheidung, sondern lediglich um Eheschutz ersucht. Entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers belegen diese Zusammenhänge aber nicht
eine willkürliche Beweiswürdigung durch die Vorinstanz. Im Gegenteil ergeben
sich daraus sogar Hinweise dafür, dass die Ehe schon vor der erleichterten
Einbürgerung und vor der in diesem Zusammenhang abgegebenen gegenteiligen
Erklärung nicht mehr stabil und intakt war. Das stimmt mit den vom
Bundesverwaltungsgericht angeführten Aussagen der Ehefrau überein, die darauf
schliessen lassen, dass die Ehekrise schon längere Zeit gedauert hatte. Weshalb
dies dem Beschwerdeführer nicht bewusst gewesen sein sollte, ist nicht
ersichtlich. Aus den angerufenen Umständen vermag der Beschwerdeführer mithin
nicht einen plausiblen Grund abzuleiten, dass im Zeitpunkt der im
Einbürgerungsverfahren abgegebenen Erklärung eine stabile eheliche Gemeinschaft
mit dem Schweizer Ehepartner gelebt und diesbezüglich nicht gelogen wurde. Die
Vorinstanz hat auch widerlegt, dass der Beschwerdeführer nicht über das
Eheschutzverfahren informiert gewesen sein sollte, und in nachvollziehbarer
Weise dargelegt, weshalb es dabei teilweise zur Verwendung einer anderen
Adresse als derjenigen, an welcher der Beschwerdeführer tatsächlich lebte,
gekommen ist. Eine willkürliche Beweiswürdigung, wie der Beschwerdeführer
behauptet, liegt hierin nicht. Genauso wenig mag der Beschwerdeführer plausibel
zu erklären, weshalb ihm seine (ehemalige) Ehefrau schaden wollen und dabei
insbesondere bestrebt sein sollte, dass er nicht mehr das Schweizer Bürgerrecht
besitzt. Die kinderlose Ehe ist inzwischen rechtskräftig geschieden, und es ist
nicht ersichtlich bzw. nachvollziehbar, was die Ehefrau für einen Vorteil aus
der Nichtigerklärung der Einbürgerung ziehen oder aus welchen Gründen eine
Rachsucht auf ihrer Seite bestehen sollte.

3.4 Auch was der Beschwerdeführer sonst noch vorträgt, vermag die
Beweiswürdigung und rechtliche Einschätzung der Vorinstanz nicht massgeblich in
Frage zu stellen. Der angefochtene Entscheid ist mithin nicht zu beanstanden
und verletzt kein Bundesrecht.

4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 65 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. März 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Uebersax