Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.250/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_250/2012

Urteil vom 28. August 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Solothurn,
Rathaus, Barfüssergasse 24, 4509 Solothurn,
handelnd durch das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn, Rathaus,
Barfüssergasse 24, 4509 Solothurn.

Gegenstand
Gründung der Flurgenossenschaft Breitenbach-Büsserach,

Beschwerde gegen das Urteil vom 28. März 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn.

Sachverhalt:

A.
Mit Beschluss vom 2. März 2010 sicherte der Regierungsrat des Kantons Solothurn
die amtliche Mitwirkung zu für die Gründung einer Flurgenossenschaft
Breitenbach-Büsserach sowie für die Durchführung einer umfassenden
Güterregulierung.
Die Akten zur Gründung der Flurgenossenschaft lagen in den Gemeindeverwaltungen
von Breitenbach und Büsserach je vom 4. Februar 2011 bis 7. März 2011
öffentlich auf. Die geplante Gründungsversammlung und die Durchführung der
Güterregulierung Breitenbach-Büsserach wurden zudem durch Veröffentlichungen
u.a. im Amtsblatt vom 28. Januar 2011 sowie per eingeschriebenem Brief an die
betroffenen Grundeigentümer im Beizugsgebiet bekannt gemacht.

B.
Am 10. Januar 2011 beschloss der Gemeinderat Büsserach, dass die für die
nächsten sechs bis 8 Jahre Jahre prognostizierten Kosten von jährlich Fr.
350.-- für die Einwohnergemeinde und jährlich Fr. 1'500.-- für die
Bürgergemeinde Büsserach in die Entscheidungskompetenz des Gemeinderates und
nicht der Gemeindeversammlung fielen. Er verzichtete daher auf die Genehmigung
der Kosten an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung und beauftragte den
Leiter der Arbeitsgruppe Büsserach, für die Flächen der Einwohner- und
Bürgergemeinde Büsserach für die Gründung der Flurgenossenschaft zu stimmen.
Dagegen führte die Bürgergemeinde Breitenbach eine ausserordentliche
Versammlung der Bürgergemeinde zur Genehmigung der prognostizierten Kosten von
jährlich Fr. 300.-- durch.
An der Gründungsversammlung vom 5. Mai 2011 wurde die Flurgenossenschaft
Breitenbach-Büsserach angenommen. Dagegen wurden die Statuten mit grossem Mehr
abgelehnt. Über die übrigen Traktanden (Wahl des Präsidenten und der übrigen
Vorstandsmitglieder) wurde deshalb nicht mehr abgestimmt.

C.
Gegen die Gründung der Flurgenossenschaft Breitenbach-Büsserach erhob u.a.
X.________ Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Er machte
geltend, den Stimmberechtigten der Einwohner- und Bürgergemeinde Büsserach
hätte das Recht eingeräumt werden müssen, in einer Gemeindeversammlung über die
Stimmabgabe zum Beitritt zur Flurgenossenschaft abzustimmen; der Gemeinderat
Büsserach sei hierfür nicht allein zuständig gewesen. Ohne dessen Zustimmung
wäre die Flurgenossenschaft nicht zustande gekommen, da die privaten Eigentümer
mehrheitlich gegen die Gründung gestimmt hätten.
Der Regierungsrat wies die Beschwerde am 29. November 2011 ab.
Die dagegen erhobene Beschwerde von X.________ wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn am 28. März 2012 ab.

D.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat X.________ am 11. Mai 2012
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben.
Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der
Sache an das Verwaltungsgericht zu neuer Beurteilung.

E.
Das Verwaltungsgericht und das Volkswirtschaftsdepartement Solothurn schliessen
auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.

F.
In seiner Replik vom 26. Juni 2012 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen
fest.

Erwägungen:

1.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts steht
grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen
(Art. 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG).

1.1 Gegen die Gründung der Flurgenossenschaft (bzw. den sie bestätigenden
Entscheid des Verwaltungsgerichts) kann Beschwerde in Angelegenheiten des
öffentlichen Rechts erhoben werden (Art. 82 lit. a BGG). Hierzu ist der
Beschwerdeführer als von der Flurgenossenschaft betroffener Grundeigentümer
befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG).
Überdies ist er als Stimmberechtigter der Einwohner- und der Bürgergemeinde
Büsserach grundsätzlich berechtigt, Beschwerde betreffend die politische
Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und
Abstimmungen zu erheben (Art. 82 lit. c und Art. 89 Abs. 3 BGG).

1.2 Fraglich ist, in welchem Verfahren die vorliegende Beschwerde zu behandeln
ist. Diese Frage ist vor allem für die Kognition des Bundesgerichts von
Bedeutung (vgl. unten E. 1.3).
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, der Gemeinderat Büsserach
habe seine Kompetenzen überschritten; richtigerweise hätte das Geschäft der
Gemeindeversammlung der Einwohner- und der Bürgergemeinde vorgelegt werden
müssen. Diese Rüge betrifft die unmittelbare Ausübung politischer Rechte von
Stimmberechtigten durch Abstimmung in der Gemeindeversammlung und ist daher
grundsätzlich mit Stimmrechtsbeschwerde i.S.v. Art. 82 lit. c BGG zu erheben.
Allerdings ist der Beschluss der Gründung der Flurgenossenschaft
Breitenbach-Büsserach kein Akt der Einwohner- oder Bürgergemeinde, der mit
Stimmrechtsbeschwerde angefochten werden könnte. Fraglich ist daher, ob die
Stimmabgabe des Vertreters der Gemeinde Büsserach an der Gründungsversammlung
ein zulässiges Anfechtungsobjekt ist, oder ob im Beschwerdeverfahren gegen den
Gründungsbeschluss die vorfrageweise Überprüfung des Beschlusses des
Gemeinderats Büsserach vom 10. Januar 2011 mit Stimmrechtsbeschwerde verlangt
werden kann.
Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass eigentlich Beschwerde gegen den
Gemeinderatsbeschluss vom 10. Januar 2011 hätte erhoben werden müssen;
gleichwohl überprüften sie vorfrageweise, ob der Vertreter der Einwohner- und
der Bürgergemeinde Büsserach an der Gründungsversammlung vom richtigen Organ
(Gemeinderat oder Gemeindeversammlung) instruiert worden sei (vgl. dazu unten
E. 2).
Letztlich kann die Frage offen bleiben, wenn die Beschwerde sich selbst bei
freier Prüfung als unbegründet erweist.

1.3 Im Verfahren der Stimmrechtsbeschwerde kann nicht nur die Verletzung von
Bundesrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten i.S.v. Art. 95 lit. a
und c BGG gerügt werden, sondern das Bundesgericht beurteilt auch die
kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und
Bürgerinnen mit voller Kognition (Art. 95 lit. d BGG).
Allerdings ist auch im Verfahren der Stimmrechtsbeschwerde das Rügeprinzip
gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG zu beachten: Danach prüft das Bundesgericht die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht nicht von Amtes wegen,
sondern nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
genügend begründet worden ist.

2.
Der Beschwerdeführer beanstandet in erster Linie die Argumentation des
Verwaltungsgerichts, wonach er und die übrigen Stimmberechtigten der Einwohner-
und Bürgergemeinde Büsserach die Möglichkeit gehabt hätten, den
Gemeinderatsbeschluss vom 10. Januar 2011 mit Beschwerde innert 10 Tagen
anzufechten (E. 3.2 S. 4 des angefochtenen Entscheids). Dies treffe nicht zu:
Dieser Beschluss sei nicht traktandiert gewesen und sei zudem getroffen worden,
bevor die Grundeigentümer offiziell über die geplante Flurgenossenschaft
informiert gewesen seien. Die Einladung zur Gründungsversammlung sei erst mit
Schreiben vom 25. Januar 2011 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt sei der Beschluss
des Gemeinderats bereits rechtskräftig gewesen.
Die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen können jedoch offenbleiben, weil
sie für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidend sind. Zwar hat das
Verwaltungsgericht auf die Beschwerdemöglichkeit gegen den
Gemeinderatsbeschluss hingewiesen; es hat jedoch - wie schon zuvor der
Regierungsrat - materiell geprüft, ob der Gemeinderat allein entscheiden durfte
oder ob der Beitritt zur Flurgenossenschaft einen Beschluss der
Gemeindeversammlung erfordert hätte. Insofern spielte die Frage, ob der
Gemeinderatsbeschluss vom 10. Januar 2011 bereits rechtskräftig geworden war
und ob dieser vom Beschwerdeführer hätte angefochten werden können oder müssen,
im Ergebnis keine Rolle.

3.
Der Beschwerdeführer rügt weiter, der Gemeinderat habe seine Finanzkompetenz
auf § 36 Abs. 2 des Entwurfs der Statuten der Flurgenossenschaft
Büsserach-Breitenbach betreffend "reduzierte Akontozahlungen" gegründet. Dieser
Entwurf sei jedoch zum Zeitpunkt des Gemeinderatsbeschlusses noch nicht
öffentlich aufgelegt gewesen. Der Statutenentwurf sei überdies von der
Gründungsversammlung abgelehnt worden und nie in Kraft getreten. Der
Beschwerdeführer verdächtigt den Gemeinderat, einen
Gemeindeversammlungsbeschluss bewusst umgangen zu haben. Er weist darauf hin,
dass die vorbereitende Arbeitsgruppe von den Gemeinderäten Breitenbach und
Büsserach gewählt worden sei und überwiegend aus Gemeinderäten bestanden habe.

3.1 Gemäss § 56 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 des Solothurner Gemeindegesetzes vom 16.
Februar 1992 (GG) sind Geschäfte, deren Auswirkungen einen in der
Gemeindeordnung zu bestimmenden Betrag übersteigen, der Gemeindeversammlung
vorbehalten; gleiches gilt (gemäss Ziff. 6) für den Beschluss über die
Gründung, Erweiterung oder Aufhebung von Anstalten und Unternehmungen sowie die
Beteiligung an gemischtwirtschaftlichen oder privaten Unternehmungen, sofern
der finanzielle Aufwand einen in der Gemeindeordnung zu bestimmenden Betrag
übersteigt.
In der Bürgergemeinde Büsserach liegt die Finanzlimite bei Fr. 10'000.-- für
jährlich einmalige und Fr. 2'000.-- für jährlich wiederkehrende Auslagen (§ 19
lit. b Ziff. 3 und 9 sowie § 23 lit. a der Gemeindeordnung der Bürgergemeinde);
in der Einwohnergemeinde liegt die Grenze bei Fr. 100'000.-- für einmalige und
Fr. 20'000.-- für jährlich wiederkehrende Auslagen (§ 20 lit. b Ziff. 3 und 9
sowie § 24 lit. a der Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde vom 25. Mai 2009).

3.2 Der Gemeinderat ging davon aus, dass der Beitritt zur Flurgenossenschaft
jährlich wiederkehrend zu einer Restkostenbeteiligung von ca. Fr. 1'500.-- für
die Bürgergemeinde und von ca. Fr. 350.-- für die Einwohnergemeinde führen
werde und damit innerhalb seiner Finanzkompetenzen liege. Er stützte sich
hierfür auf eine Kostenschätzung, die von der Vorbereitungskommission zusammen
mit einem Experten getroffen worden war.

3.3 Das Verwaltungsgericht hielt zwar die Zweifel des Beschwerdeführers an den
geschätzten Kosten für nachvollziehbar. Im Gründungsstadium fehlten jedoch
genauere Erhebungen. Es sei den involvierten Stellen daher nicht vorzuwerfen,
wenn sie anhand der überarbeiteten Besitzstandsverzeichnisse auf
Erfahrungswerte aus Nachbargemeinden abgestellt hätten, zumal die vorbereitende
Arbeitsgruppe einen Experten mit der Berechnung der Beiträge beauftragt habe.
Dass dieser ungeeignet oder befangen gewesen wäre, sei weder ersichtlich noch
rechtsgenüglich dargetan. Die Unterstellung, der Gemeinderat habe die
Finanzkompetenz der Gemeindeversammlung bewusst umgehen wollen, sei durch
keinerlei Fakten belegt.

3.4 Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Zwar trifft es zu, dass sich
die Kostenschätzung auf § 36 Abs. 2 des Statutenentwurfs stützte, wonach bei
grossflächig arrondierten und gut erschlossenen Grundeigentumsverhältnissen im
Hinblick auf die zu erwartenden geringen Verbesserungen im Rahmen der
Güterregulierung die Erhebung einer auf 30 % reduzierten Akontozahlung auf den
im Beizugsgebiet liegenden Flächen erfolge. Diese Regelung entspricht jedoch
dem Grundsatz, wonach sich die Kostenverteilung nach den allgemeinen Vorteilen
und den besonderen Vor- und Nachteilen richtet, die dem Pflichtigen aus der
Bodenverbesserung erwachsen (§ 50 Abs. 2 der solothurnischen Verordnung vom 24.
August 2004 über die Bodenverbesserungen in der Landwirtschaft; BoVo). Der
Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Einwohner- und die Bürgergemeinde
Büsserach über grosses, bereits arrondiertes und erschlossenes Grundeigentum
verfügen, weshalb es plausibel erscheint, dass sie von der Flurgenossenschaft
deutlich weniger profitieren werden als andere Grundeigentümer. Dieser Umstand
darf bei der Festsetzung der Akontozahlungen berücksichtigt werden. Der
Beschwerdeführer legt auch nicht dar, dass der Abzug von 70 % offensichtlich
überhöht wäre.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 BGG), die in
Stimmrechtssachen praxisgemäss tief angesetzt werden (BGE 133 I 141 E. 4.1 S.
143).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. August 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Die Gerichtsschreiberin: Gerber