Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.247/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_247/2012

Urteil vom 3. August 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Zürich,
Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich.

Gegenstand
Rechtsverweigerung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 29. März 2012 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, Einzelrichter.

Sachverhalt:

A.
X.________ ist der Ansicht, dass er wegen jahrelangen Staatsterrors durch die
zürcherischen Behörden arbeitsunfähig geworden sei und posttraumatische
Belastungsstörungen erlitten habe. Er habe vergeblich eine unabhängige
Untersuchung im Sinne der UN-Folterkonvention verlangt, u.a. beim Regierungsrat
des Kantons Zürich.
Am 16. Februar 2012 wandte sich X.________ an das Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, machte eine Rechtsverweigerung geltend und verlangte, dass eine
entsprechende Untersuchung durchgeführt werde.
Das Verwaltungsgericht trat mit Einzelrichterentscheid vom 29. März 2012 auf
die Beschwerde nicht ein. Es führte aus, dass bei Aufsichtsanzeigen an den
Regierungsrat keine Beschwerde ans Verwaltungsgericht offen stehe; es könne
lediglich die Ombudsperson oder der Kantonsrat angegangen werden. Soweit
Folterhandlungen im Sinne der UN-Folterkonvention geltend gemacht würden, wären
die Straf(verfolgungs)behörden zuständig; daran ändere das allfällige
Erfordernis eines Ermächtigungsentscheids nichts. Schliesslich falle
grundsätzlich auch ein Staatshaftungsverfahren in Betracht.

B.
X.________ führt mit Eingabe vom 11. Mai 2012 Beschwerde beim Bundesgericht. Er
führt im Wesentlichen das Folgende aus: Die Schweiz habe die
UN-Folterkonvention ratifiziert. Diese gewähre im Sinne eines Individualrechts
einen direkt anwendbaren Anspruch auf eine unabhängige Untersuchung, auf
Rehabilitierung und auf anderes mehr. Die tatsächliche Weigerung, eine
Untersuchung vorzunehmen, stelle eine Form der Rechtsverweigerung dar; der
zugrunde liegende Anspruch sei formeller Natur. Die Möglichkeit, an den
Kantonsrat oder die Ombudsperson zu gelangen, stelle keinen wirksamen
Rechtsschutz im Sinne von Art. 13 EMRK dar. Dasselbe treffe auf ein allfälliges
Staatshaftungsverfahren zu. Ein Strafverfahren führe von vornherein nicht zum
Erfolg, weil Polizeibeamte im Ermächtigungsverfahren geschützt und vor
Strafverfolgung bewahrt würden und das rechtliche Gehör des Anzeigers verletzt
werde. Nach seinen Bemühungen vor dem Regierungsrat und im Anschluss an BGE 131
I 455 habe er vor dem Verwaltungsgericht nicht glaubhaft machen müssen, dass er
gefoltert worden sei und einen bleibenden Schaden davontrage, sondern nur, dass
ihm der Zugang zur Folteruntersuchungsbehörde verweigert worden sei. Die
Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK habe zu einer Beweislastumkehr geführt.
Konkret weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass ihm eine Ordnungsbusse
auferlegt worden ist, welche in Haft umgewandelt wurde. Am 16. Februar 2012 sei
er von der Stadtpolizei Zürich verhaftet, fünfzig Stunden in scharfen Arrest
gesteckt und schliesslich misshandelt worden (Ausschlagen eines Zahns,
Herausreissen von ganzen Haarbüscheln). Zudem sei er erkennungsdienstlich
untersucht worden (Fingerabdrücke, Fotos, DNA-Probe etc.). Es seien ihm die
einverlangte einsprachefähige Verfügung und die Vorführung vor einen
Haftrichter verweigert worden. Unter "Stand der Dinge" weist er auf neue
Beschwerden beim Regierungsrat hin: Verletzung des rechtlichen Gehörs,
missbräuchliche Disziplinarstrafe, Verweigerung eines Haftrichters,
Verweigerung eines Umwandlungsentscheides. Schliesslich ersucht er darum, dass
die Lücke betreffend Zugang zu einer Folteruntersuchungsbehörde vom
Bundesgericht geschlossen bzw. ihm die entsprechende Anschrift mitgeteilt
werde.
Am 6. Juni 2012 hat der Beschwerdeführer dem Bundesgericht ein weiteres
Schreiben mit Beilagen zukommen lassen.
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss eine formelle Rechtsverweigerung, weil das
Verwaltungsgericht seinen Begehren nicht stattgegeben und sich als unzuständig
erklärt hat, eine gegen den Regierungsrat gerichtete Aufsichtsbeschwerde
entgegenzunehmen und gar anstelle der Strafverfolgungsbehörden eine
entsprechende Untersuchung durchzuführen.
Der Beschwerdeführer setzt sich mit der Begründung des angefochtenen Entscheids
nicht im Einzelnen auseinander. Insbesondere legt er nicht dar, weshalb die
gerügte Untätigkeit des Regierungsrates beim Verwaltungsgericht sollte
angefochten werden können. Insoweit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten
werden.
Im Wesentlichen macht der Beschwerdeführer einzig geltend, aufgrund von Art. 12
f. und Art. 14 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984
(Folterkonvention, FoK; SR 0.105) habe er Anspruch auf eine unparteiische
Untersuchung, ohne darlegen zu müssen, dass er gefoltert oder anderswie
grausam, unmenschlich oder erniedrigend behandelt worden zu sein. Das
Ermächtigungsverfahren und das Nichtanhandnahmeverfahren seien mit der
Folterkonvention nicht vereinbar. Darauf ist nachfolgend einzugehen.

2.
Nach Art. 2 Ziff. 1 FoK hat der Staat wirksame Massnahmen zu treffen, um
Folterungen in seinem Staatsgebiet zu verhindern. Er trägt gemäss Art. 4 FoK
dafür Sorge, dass alle Folterhandlungen als Straftaten nach seinem Strafrecht
gelten und diese mit angemessenen Strafen bedroht werden. Art. 12 FoK
verpflichtet die Staaten zur Durchführung unparteiischer Untersuchung durch die
zuständigen Behörden, sobald ein hinreichender Grund für die Annahme einer
entsprechenden Widerhandlung besteht. Nach Art. 13 FoK ist dafür zu sorgen,
dass jeder, der behauptet, er sei gefoltert worden, das Recht auf Anrufung der
zuständigen Behörden und auf umgehende unparteiische Prüfung durch diese
Behörde hat. Schliesslich ist nach Art. 14 FoK sicherzustellen, dass das Opfer
einer Folterhandlung Wiedergutmachung enthält und ein einklagbares Recht auf
gerechte und angemessene Entschädigung und für eine möglichst vollständige
Rehabilitation hat. Die Folterkonvention verpflichtet somit die
Vertragsstaaten, entsprechende Massnahmen zu treffen (vgl. Botschaft des
Bundesrats vom 30. Oktober 1985, in BBl 1985 III 285, insbes. S. 289, 291, 293
und 299).
Die von der Folterkonvention verpönten Handlungen sind Strafdelikte, deren
Untersuchung und Ahndung in die Kompetenz der Strafverfolgungs- und
Strafbehörden fallen. Die Strafverfolgung durch die entsprechenden Organe ist
mit der Folterkonvention ohne Weiteres vereinbar. Die von einer angeblichen
Straftat im Allgemeinen oder von einer durch die Folterkonvention verpönten
Handlung Betroffenen können Anzeige erstatten, entsprechend den Regeln der
Strafprozessordnung eine Untersuchung verlangen und ihre Rechte unter
Einschluss von Privatklagen geltend machen. Über die Strafverfolgungsbehörden
hinaus bedarf es keiner besondern, spezifisch für den Bereich der
Folterkonvention zuständigen Untersuchungsbehörde. Es versteht sich von selbst,
dass weder der Regierungsrat noch das Verwaltungsgericht für die
Strafverfolgung zuständig sind.
Entgegen der Auffassung ist ein Ermächtigungsverfahren mit der Folterkonvention
vereinbar. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die
Strafverfolgung von Beamten von einer Ermächtigung abhängig gemacht wird. Das
Zürcher Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und
Strafprozess (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG; Gesetzessammlung 211.1) sieht
in § 148 einen entsprechenden Ermächtigungsentscheid durch das Obergericht,
somit durch eine unabhängige gerichtliche Instanz vor. Es sollen
Staatsbedienstete vor mutwilliger Strafverfolgung geschützt werden. Im
Ermächtigungsverfahren dürfen grundsätzlich nur strafrechtliche Gesichtspunkte
berücksichtigt werden (zum Ganzen BGE 137 IV 269 E. 2 S. 275 mit Hinweisen).
Dabei hat der Betroffene die angebliche Straftat glaubhaft zu machen, damit der
Ermächtigungsentscheid getroffen werden kann. Das gilt auch hinsichtlich von
Straftaten im Sinne der Folterkonvention. Das ergibt sich aus Art. 12 und 13
FoK, wonach eine Untersuchung vorzunehmen ist, wenn ein hinreichender Grund für
die Annahme einer Folterhandlung besteht bzw. wenn jemand behauptet, gefoltert
worden zu sein. Es genügt nicht, mit blossem Verweis auf die Konvention eine
Untersuchung zu verlangen.
Mit der Folterkonvention ist auch das Verfahren der Nichtanhandnahme gemäss
Art. 310 StPO vereinbar. Nach Art. 10 Abs. 3 BV ist Folter und jede andere Art
grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verboten. Dieselbe
Grundrechtsgarantie ist in Art. 3 EMRK enthalten. Die Rechtsprechung anerkennt
gestützt auf Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 7 UNO-Pakt II, Art. 3 und 13 EMRK sowie
Art. 13 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (SR 0.105)
einen Anspruch des von solcher Behandlung Betroffenen auf wirksamen
Rechtsschutz (vgl. BGE 131 I 455 E. 1.2.5 S. 462 f.; Urteile des Bundesgerichts
1B_70/2011 vom 11. Mai 2011 E. 2.2.5, in: EuGRZ 2011 619; 1B_10/2012 vom 29.
März 2012 E. 1.2.3). In diesem Sinne hat Anspruch auf eine wirksame und
vertiefte amtliche Untersuchung, wer in vertretbarer Weise behauptet, von einem
Polizeibeamten erniedrigend behandelt worden zu sein. Kann sich der Betroffene
auf Art. 3 EMRK berufen, verschafft ihm der prozessuale Teilgehalt dieser
Bestimmung ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung eines
Entscheids, mit dem die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen einen
Polizeibeamten abgelehnt wird, die Untersuchung eingestellt wird oder ein
Freispruch ergeht (Urteile 6B_364/ 2011 vom 24. Oktober 2011; 6B_274/2009 vom
16. Februar 2010). Dem Betroffenen steht somit ein umfassender Rechtsschutz zur
Verfügung.
Der Beschwerdeführer weist in seiner Beschwerde darauf hin, dass eine
Ordnungsbusse in Haft umgewandelt worden sei und dass er von der Stadtpolizei
Zürich verhaftet, in scharfen Arrest gesteckt und misshandelt worden sei. Er
belegt diese Ereignisse nicht näher und tut insbesondere nicht dar, dass er
eine Strafanzeige eingereicht und dabei die Misshandlungen konkret glaubhaft
gemacht und im Einzelnen dokumentiert hätte. Dies wäre ihm angesichts seiner
Behauptungen, dass ihm ein Zahn herausgeschlagen und Haarbüschel ausgerissen
worden seien, ohne Weiteres zumutbar gewesen. Daran ändert auch ein im
Verfahren 1C_69/2012 nachgereichtes und nach Art. 99 Abs. 1 BGG unzulässiges
Bild mit "ausgerissenen Haaren" und einem "ausgeschlagenen Zahn" nichts. Da er
im bundesgerichtlichen Verfahren die Misshandlungen somit nicht in vertretbarer
Weise vorbringt, ist darauf nicht näher einzugehen.
Ungeachtet der dargelegten Möglichkeiten vor den Straf- und
Strafverfolgungsbehörden hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass
bei der Ombudsperson oder in Bezug auf den Regierungsrat beim Kantonsrat
Aufsichtsbeschwerde geführt werden könne und dass im Übrigen ein
Staatshaftungsverfahren in Betracht falle. Darauf braucht nicht näher
eingegangen zu werden.

3.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten
werden kann. Es rechtfertigt sich, auf Kosten zu verzichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Regierungsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 3. August 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Steinmann