Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.214/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_214/2012

Urteil vom 4. Dezember 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Chaix,
Gerichtsschreiber Haag.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. Y.________,
3. Z.________,
4. W.________,
5. V.________,
6. U.________,
7. T.a.________ und T.b.________,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Reto T. Annen,

gegen

Swisscom (Schweiz) AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Wilfried Caviezel,

Stadt Chur,
Amt für Natur und Umwelt des Kantons Graubünden.

Gegenstand
Baubewilligung Mobilfunkantenne,

Beschwerde gegen das Urteil vom 27. Januar 2012
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Am 14. Oktober 2008 stellte die Swisscom (Schweiz) AG ein Gesuch um Errichtung
einer Mobilfunk-Basisstation auf dem Dach des Gebäudes auf Parzelle Nr. 6717 an
der Tittwiesenstrasse 29 in Chur. Mit Entscheid vom 11. Januar 2010 wies der
Stadtrat Chur die dagegen erhobenen Einsprachen ab, soweit er darauf eintrat,
und erteilte die Baubewilligung unter Auflagen und Bedingungen.
Ein Teil der Einsprecher (darunter die im Rubrum aufgeführten Beschwerdeführer)
erhoben gegen diesen Entscheid Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden. Sie machten insbesondere geltend, ihr Anspruch auf rechtliches
Gehör sei verletzt worden, weil ihnen ein Schreiben vom 10. Dezember 2009 der
Swisscom (Schweiz) AG an die Stadt Chur betreffend die Standortevaluation und
das Mobilfunkkonzept für das Jahr 2010 vorenthalten worden sei.
Mit Urteil vom 7. September 2010 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
Es erwog, die geltend gemachte Gehörsverletzung sei im Rahmen des
Schriftenwechsels vor Verwaltungsgericht geheilt worden. Die übrigen Rügen,
insbesondere bezüglich angeblicher weiterer Gehörsverletzungen, hielt es für
unbegründet.
Eine gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingereichte Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hiess das Bundesgericht mit Urteil 1C_50
/2011 vom 11. August 2011 gut. Es bejahte darin eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör der Beschwerdeführer in Bezug auf ein nicht in den Akten
enthaltenes Protokoll einer Besprechung vom 26. August 2009 zwischen der Stadt
Chur und der Swisscom. Es hob das Urteil der Verwaltungsgerichts vom 7.
September 2010 auf und wies die Angelegenheit zur Gewährung des rechtlichen
Gehörs und zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurück.

B.
Im Rahmen der weiteren Behandlung der Streitsache stellte das
Verwaltungsgericht fest, dass von der erwähnten Besprechung vom 26. August 2009
kein Protokoll existiert. Aus den von der Stadt Chur ins Recht gelegten
Beilagen 14 - 21 sowie den Stellungnahmen der Swisscom und der Stadt Chur
ergebe sich indessen das damalige Gesprächsthema. Das Festhalten der
Beschwerdeführer an der Auffassung, eine qualifizierte Stellungnahme sei für
sie unmöglich, weshalb die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach wie vor
bestehe, erweise sich vor diesem Hintergrund als unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hielt mit Urteil vom 27. Januar 2012 mangels anderweitiger
neuer Erkenntnisse an seinem Entscheid vom 7. September 2010 fest und wies die
Beschwerde ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
vom 24. April 2012 beantragen die im Rubrum genannten Beschwerdeführer, das
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2012 sei aufzuheben und die
Angelegenheit sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie
beschweren sich wiederum über eine Missachtung ihres Gehörsanspruchs.
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werde. Die Stadt Chur und die Swisscom stellen Antrag auf Abweisung
der Beschwerde. In ihrer Stellungnahme dazu halten die Beschwerdeführer im
Wesentlichen an ihren Anträgen und Rechtsauffassungen fest.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 30. Mai 2012 hat das Bundesgericht der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung beigelegt.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen
Anlass (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_50/2011 vom 11. August 2011 E. 1.1).
Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 2 BV) sei missachtet worden. Von der Besprechung zwischen der Stadt
Chur und der Swisscom vom 26. August 2009 seien weder ein Protokoll noch
Gesprächsnotizen vorhanden. Entsprechend hätten sie keine Möglichkeit gehabt,
zum Ergebnis dieser Besprechung Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme zu den
eingereichten Dokumenten genüge nicht, um die Gehörsverletzung zu heilen.

2.1 Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör folgt
das Recht der Parteien, Einsicht in die Akten eines hängigen Verfahrens zu
nehmen und sich dazu zu äussern (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK).
Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich grundsätzlich auf sämtliche
verfahrensbezogenen Akten; ausgenommen sind praxisgemäss rein interne Akten,
die ausschliesslich für die interne Meinungsbildung bestimmt sind und denen
kein Beweischarakter zukommt (BGE 125 II 473 E. 4a S. 474 f. mit Hinweisen).
Nicht erforderlich ist, dass die Akten den Entscheid in der Sache tatsächlich
beeinflussen können (BGE 132 V 387 E. 3.2 S. 389; Urteile des Bundesgerichts
1C_88/2011 vom 15. Juni 2011 E. 3.4 und 1C_50/2011 vom 11. August 2011 E. 2.2).

2.2 Bereits aus dem Urteil des Bundesgerichts 1C_50/2011 vom 11. August 2011 E.
2.4.3 ergibt sich, dass aus den Akten zu schliessen ist, dass die Besprechung
vom 26. August 2009, wie auch jene vom 16. Dezember 2009 im Rahmen von
regelmässigen Kontakten zwischen der Stadt Chur und den Mobilfunkbetreibern
stattfand. Die Kontakte sind vor dem Hintergrund von Art. 18 Abs. 3 des
Baugesetzes der Stadt Chur vom 26. November 2006 zu sehen. Nach dieser
Bestimmung kann die Baubehörde Standorte festlegen und insbesondere von den
Mobilfunkbetreibern ein Gesamtkonzept für die Erstellung ihrer Anlagen
verlangen. Im Rahmen dieses Gesamtkonzepts bzw. des Dialogmodells zwischen der
Stadt Chur und den schweizerischen Mobilfunkbetreibern geht es unter anderem
auch darum, Alternativstandorte zu prüfen. Mithin geht es beim erwähnten
Gesamtkonzept bzw. beim Dialogmodell um eine Planung, welche zwar über einzelne
Bauprojekte hinausreicht, diese aber auch direkt beeinflussen kann, ja darauf
ausgerichtet ist, steuernd auf diese einzuwirken. Dies bestätigt auch das
Protokoll der Besprechung vom 16. Dezember 2009, welches sich primär mit dem
Gesamtkonzept und dem Dialogmodell befasst, unter dem Titel "Weiteres Vorgehen"
aber auch festhält, dass das pendente Gesuch der Swisscom für die Anlage an der
Tittwiesenstrasse 29 mit zusätzlichen Unterlagen über die Standortevaluation
ergänzt worden sei und vorbehältlich einer stadtinternen Prüfung bewilligt
werden könne.
Im erwähnten Urteil 1C_50/2011 vom 11. August 2011 E. 2.4.3 ging das
Bundesgericht davon aus, dass auch das Protokoll der Besprechung vom 26. August
2009 einen Bezug zum vorliegenden Baubewilligungsverfahren aufweise. Indirekt
bestätige dies die Swisscom, wenn sie in ihrer Vernehmlassung an das
Bundesgericht ausführe, dass die von den Beschwerdeführern monierten
Aktenstücke und die Verhandlungen zwischen der Stadt Chur und Vertretern der
drei Mobilfunkanbieter "grossmehrheitlich" mit dem Baugesuch in keinem
relevanten Konnex stünden und dass es dabei inhaltlich "nur am Rande" um das
Baugesuch gegangen sei.

2.3 Nachdem sich herausgestellt hatte, dass von der Besprechung vom 26. August
2009 kein Protokoll existiert, gelangte das Verwaltungsgericht aufgrund der
Aussagen der Stadt Chur und der Swisscom zum Schluss, dass es in der
Besprechung darum gegangen sei, die Differenzen in Bezug auf das Erfordernis
einer Standortevaluation für die nachgesuchte Baubewilligung auszuräumen. Der
Forderung nach einer Standortevaluation sei die Swisscom schliesslich am 10.
Dezember 2009 nachgekommen, was für die Bewilligung des Vorhabens entscheidend
gewesen sei.
Diese Würdigung des Verwaltungsgerichts stimmt mit den Verfahrensakten überein
und ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerdeführer auf Widersprüche in
den Angaben der Swisscom und der Stadt Chur hinweisen, ist diesen im Hinblick
auf die hier umstrittene Baubewilligung keine entscheidende Bedeutung
beizumessen.

2.4 Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, wurde die Standortevaluation vom
10. Dezember 2009 den Beschwerdeführern erst im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren R 10 20 (Urteil vom 7. September 2010) zur Kenntnis gebracht. Die
Gehörsverletzung konnte indessen im Rahmen eines doppelten Schriftenwechsels im
damaligen Beschwerdeverfahren durch das Verwaltungsgericht geheilt werden.
Zudem wurde den Beschwerdeführern im zweiten Verfahren (R 10 20A) Gelegenheit
zur Stellungnahme zu den von der Stadt Chur neu eingereichten Beilagen 14 - 21
gegeben. Damit erhielten diese umfassende Informationen über den Inhalt
verschiedener Kontakte zwischen der Stadt Chur und der Swisscom. Die Vorinstanz
hat mithin sämtliche Massnahmen ergriffen, um den Gehörsanspruch der
Beschwerdeführer umfassend zu erfüllen, nachdem kein Protokoll der Besprechung
vom 26. August 2009 vorgelegt werden konnte. Von einer Verweigerung des
rechtlichen Gehörs kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

3.
Somit ist die Beschwerde abzuweisen. Die Gerichtskosten sind den unterliegenden
Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese haben der anwaltlich
vertretenen Swisscom eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
Abs. 2 und 5 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Swisscom (Schweiz) AG für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- unter solidarischer Haftbarkeit zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Swisscom (Schweiz) AG, der Stadt
Chur sowie dem Amt für Natur und Umwelt und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Haag