Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.20/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_20/2012

Urteil vom 18. April 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich,
Neumühlequai 10, Postfach, 8090 Zürich,
handelnd durch das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich,
Abteilung Administrativmassnahmen,
Lessingstrasse 33, 8090 Zürich.

Gegenstand
Führerausweisentzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Dezember 2011 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter.

Sachverhalt:

A.
Im Rahmen einer Strafuntersuchung gab X.________ zu, Kokain konsumiert zu
haben. Gestützt auf den Rapport der Kantonspolizei Zürich ordnete die Abteilung
Administrativmassnahmen des Strassenverkehrsamts des Kantons Zürich am 25. Juni
2009 eine verkehrsmedizinische Untersuchung an, der sich X.________ am 19.
November 2009 unterzog.

Am 2. Februar 2010 beliess die Abteilung Administrativmassnahmen X.________ den
Führerausweis unter der Auflage, eine kontrollierte Alkohol- und
Betäubungsmittelabstinenz einzuhalten und an regelmässigen Besprechungen mit
einer Fachperson für Alkoholprobleme teilzunehmen.

Gestützt auf das Ergebnis einer Abstinenzkontrolle vom 16. August 2010, wonach
X.________ sowohl Alkohol als auch Kokain konsumiert habe, entzog ihm die
Abteilung Administrativmassnahmen am 12. November 2010 den Führerausweis auf
unbestimmte Zeit und machte die Wiedererteilung von einem günstigen
verkehrsmedizinischen Gutachten abhängig.

Die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich wies den Rekurs
von X.________ am 2. September 2011 ab.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde von X.________
gegen diesen Rekursentscheid am 13. Dezember 2011 ab, soweit es darauf eintrat.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________
sinngemäss, das Verwaltungsgerichtsurteil aufzuheben, ihm den Führerausweis
allenfalls unter Auflagen wiederzuerteilen oder allenfalls einen Warnungsentzug
von 3 Monaten zu verhängen. Ausserdem sei er zu entschädigen. Er ersucht zudem
um unentgeltliche Rechtspflege und, falls notwendig, die Beigabe eines
unentgeltlichen Rechtsvertreters.

C.
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei, und verzichtet im Übrigen auf Vernehmlassung. Die Abteilung
Administrativmassnahmen und die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion
beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das ASTRA beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen. Als vom Ausweisentzug Betroffener
ist der Beschwerdeführer befugt sie zu erheben (Art. 89 Abs. 1 BGG). Er rügt
die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a, Art. 97 Abs.
1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die
Beschwerde einzutreten ist.

1.2 Ausser Betracht fällt die Beigabe eines unentgeltlichen Verteidigers, da
die Beschwerdefrist abgelaufen ist und er damit in dieses Verfahren nicht mehr
wirksam eingreifen könnte.

2.
2.1 Ein Führerausweis darf (u.a.) nicht erteilt werden oder ist zu entziehen,
wenn der Lenker an einer die Fahreignung ausschliessenden Sucht leidet (Art. 14
Abs. 2 lit. c, Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG). Die verkehrsmedizinische
Begutachtung des IRMZ vom 18. Januar 2010 kam zum Schluss, "aufgrund der
Vorgeschichte mit Kokainabhängigkeit und schädlichem Gebrauch von Alkohol"
könne die Fahreignung des Beschwerdeführers nur unter Einhaltung einer Alkohol-
und Drogenabstinenz bejaht werden. Gestützt auf dieses Gutachten beliess die
Abteilung Administrativmassnahmen am 2. Februar 2010 dem Beschwerdeführer den
Führerausweis mit den entsprechenden Abstinenzauflagen. Diese Verfügung wurde
vom Beschwerdeführer nicht angefochten.

2.2 Der Beschwerdeführer liess sich am 16. August 2010 am IMRZ untersuchen. Im
Gutachten vom 14. September 2010 wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe
angegeben, die Alkoholabstinenz nicht eingehalten und pro Woche 3 - 4 Gläschen
Wein getrunken zu haben. Zur Abstinenzkontrolle in Bezug auf Alkohol wird im
Gutachten ausgeführt, bei der Haaranalyse sei für den Zeitraum von Anfang März
bis Anfang August 2010 ein Gehalt von 8 pg/mg Ethylglucoronid (EtG)
festgestellt worden. Dabei handle es sich um ein Stoffwechselprodukt des
Trinkalkohols, das im Haar eingelagert werde. Die Nachweisgrenze liege bei der
verwendeten Analysemethode bei 7 pg/mg; gemäss ihrer wissenschaftlichen
Erfahrung werde diese Nachweisgrenze durch übliche Trinkmengen alkoholfreien
Bieres, welches einen Alkoholgehalt von max. 0,5 Vol.% haben dürfe, und den
sachgemässen Gebrauch von alkoholhaltigen Produkten (Haarwasser, Mundwasser,
Hustensirup etc.) nicht erreicht. Bei der Interpretation der
EtG-Haaranalyse-Werte sei eine Messunsicherheit von +/- 25% zu berücksichtigen.
Das Gutachten kam zum Schluss, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum von Anfang
März bis Anfang August 2010 mässig Alkohol konsumiert; dass er abstinent
gewesen sei, könne ausgeschlossen werden. In Bezug auf Drogenkonsum ergab die
Analyse Werte von 760 pg/mg Kokain und 220 pg/mg Ethyl-Kokain, womit der Konsum
von Kokain und Alkohol für den Zeitraum von ca. Anfang März bis Anfang August
2010 bewiesen sei; eine Drogenabstinenz sei auszuschliessen.

Die Abteilung Administrativmassnahmen holte vom IRMZ eine Stellungnahme zu
seinem Gutachten ein. Dieses hielt am 15. Oktober 2010 an seinem Gutachten
vollumfänglich fest. Der Beschwerdeführer habe im massgebenden Zeitraum
mässigen Alkohol- und einen vereinzelten, schwachen Kokainkonsum betrieben und
nicht abstinent gelebt. In Bezug auf den Drogenkonsum hat es ausgeschlossen,
dass die Analyse durch Rückstände früheren Drogenkonsums oder durch
Kontamination von aussen verfälscht wurde. In Bezug auf den Alkoholkonsum
führte es aus, selbst bei Berücksichtigung der Messunsicherheit von +/- 25%
liege der gemessene Wert von 8 pg/mg über der Nachweisgrenze von 5 pg/mg, womit
der Alkoholkonsum im fraglichen Zeitraum nachgewiesen sei.

2.3 Das Gutachten vom 14. September 2010 ist in Bezug auf die Einhaltung der
Abstinenzverpflichtung des Beschwerdeführers in Bezug auf Alkohol in sich
widersprüchlich. Bei einem gemessenen EtG-Wert von 8 pg/mg ist bei einer durch
die Analysemethode bedingten Messungenauigkeit von +/- 25% zu Gunsten des
Beschwerdeführers von einem massgebenden EtG-Wert von 6 pg/mg auszugehen.
Dieser liegt unter der Nachweisgrenze von 7 pg/mg. Damit gilt er nach dem
Ergebnis der Haaranalyse als abstinent, die Interpretation des IRMZ
widerspricht dem Ergebnis seiner Analyse. In seiner Stellungnahme vom 15.
Oktober 2010 bestätigt es seine Interpretation indessen mit der Begründung, ein
gemessener EtG-Wert von 8 pg/mg liege auch bei Berücksichtigung der
Messunschärfe über der Nachweisgrenze von 5 pg/mg. Damit hält das IRMZ an
seiner ursprünglichen, wegen der Nicht-Berücksichtigung der Messungenauigkeit
fehlerhaften Interpretation des Analyseresultats fest, indem es - ohne jede
Begründung - die Nachweisgrenze von 7 auf 5 pg/mg senkt. Ein solches Vorgehen
ist unlauter und nicht geeignet, das Vertrauen in die wissenschaftliche
Objektivität der Gutachter und die Zuverlässigkeit ihrer Gutachten zu stärken.

2.4 Die Vorinstanz ist zum Schluss gekommen, bereits aufgrund der eigenen
Angaben des Beschwerdeführers, unabhängig vom Ergebnis des Gutachtens, stehe
fest, dass er im fraglichen Zeitraum Alkohol getrunken habe, die Bestreitung
bzw. der Rückzug dieser Aussagen sei unglaubhaft.

Ob der Beschwerdeführer während eines bestimmten Zeitraums Alkohol zu sich
genommen hat und wenn ja, in welcher Grössenordnung und welchem Rhythmus, ist
eine Fragestellung, die durch das Haargutachten nach rein
naturwissenschaftlichen Kriterien beantwortet werden kann, da dieses ein
Stoffwechselprodukt des Trinkalkohols im Haar direkt nachweist. Die Methode ist
anerkannt (Urteile 6A.8/2007 vom 1. Mai 2007; 1C_342/2009 vom 23. März 2010 E.
3). Weichen die Eigenangaben des Betroffenen zu seinem Alkoholkonsum vom
Ergebnis des Gutachtens ab, werden sie dementsprechend regelmässig als
unglaubhaft eingestuft. Ob das derart festgestellte Trinkverhalten die
Fahreignung beeinträchtigt, ist dagegen keine rein medizinische Fragestellung,
sondern hängt massgeblich von juristischen Beurteilungen und Wertungen ab; die
Fahreignung kann deshalb nicht allein aufgrund eines gutachterlich
festgestellten EtG-Werts, der auf einen übermässigen Alkoholkonsum hindeutet,
verneint werden (Urteil 1C_150/2010 vom 25. November 2010 E. 5).

Vorliegend hat das Haargutachten ergeben, dass der (mögliche) Alkoholkonsum des
Beschwerdeführers unter der Nachweisgrenze lag. Das Vorgehen der Vorinstanz,
das Gutachten auszublenden und die (bestrittenen bzw. zurückgezogenen) Aussagen
des Beschwerdeführers zu seinen Lasten zu würdigen, erscheint nach dem Gesagten
als fragwürdig. Wollte man den Konsum von kleinen Alkoholmengen, der unter der
Nachweisgrenze von Haargutachten bleibt, als Verstoss gegen die
Abstinenzauflage erfassen, wären die (teuren) Haargutachten nicht geeignet, den
Abstinenznachweis zu erbringen und dürften damit auch nicht angeordnet werden.
Das erscheint indessen nicht sachgerecht. Konsequenterweise ist dann jedoch im
Prinzip davon auszugehen, dass derjenige als abstinent gilt, dessen (möglicher)
Alkoholkonsum unter der Nachweisgrenze des Haargutachtens liegt. Das ist auch
mit Sinn und Zweck der Auflage durchaus vereinbar, denn wer seinen
Alkoholkonsum monatelang so einschränken kann, dass er unter der Nachweisgrenze
bleibt, hat jedenfalls für den fraglichen Zeitraum ein kontrolliertes, unter
dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit vertretbares Trinkverhalten
nachgewiesen. Wie es sich damit im vorliegenden Fall konkret verhält, kann
letztlich aber offen bleiben, da der Beschwerdeführer gegen das ihm ebenfalls
auferlegte Verbot verstiess, Kokain zu konsumieren (unten E. 2.5, 2.6).

2.5 Schlüssig erscheint das Gutachten hingegen in Bezug auf den Kokainkonsum.
Diesbezüglich kann darauf abgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die ihm
auferlegte Abstinenzverpflichtung nicht einhielt. Die Gutachter weisen
plausibel nach, dass die positiven Testergebnisse weder durch den früheren
Kokainkonsum des Beschwerdeführers noch durch Kontaminationen von aussen bzw.
durch Dritte erklärbar sind, sondern einzig durch vereinzelten, schwachen
Kokainkonsum im von der Abstinenzverpflichtung erfassten Zeitraum.

2.6 Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im fraglichen
Zeitraum Kokain konsumierte und die ihm rechtskräftig auferlegte
Abstinenzverpflichtung verletzte. Damit lag es im Ermessen des
Strassenverkehrsamts, ihm den Ausweis zu entziehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Da für
das Führen eines Motorfahrzeugs in Bezug auf diese Droge Nulltoleranz gilt
(Art. 2 Abs. 2 lit. c VRV) und beim Beschwerdeführer im psychiatrischen
Gutachten vom 11. September 2009 immerhin eine mittelschwere Abhängigkeit von
Kokain diagnostiziert worden war, ist nicht zu beanstanden, dass ihm der
Führerausweis wegen Nichteinhaltung der Abstinenzverpflichtung entzogen und
seine Wiedererteilung von einer sechsmonatigen Abstinenz abhängig gemacht
wurde.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von vornherein
aussichtslos war und die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen
erscheint (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Es werden keine
Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Sicherheitsdirektion des Kantons
Zürich, Abteilung Administrativmassnahmen, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter, und dem Bundesamt für Strassen,
Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. April 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi