Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.193/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_193/2012

Urteil vom 16. Juli 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Härri.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________ AG,
2. Y.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hansjürgen
Tuengerthal,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten,
Luchsstrasse 11, Postfach, 9450 Altstätten.

Gegenstand
Ablehnung der Ermächtigung zur Strafverfolgung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 13. März 2012 der Anklagekammer des Kantons
St. Gallen.

Sachverhalt:

A.
Am 6. Februar 2012 reichten die X.________ AG und Y.________ bei der
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen Strafanzeige ein wegen der vom
kantonalen Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen vorgenommenen Räumung
einer Fischfarm. Die Anzeige richtet sich gegen alle daran beteiligten
Personen, insbesondere Veterinäre. Diese hätten sich namentlich wegen
Tierquälerei (Art. 26 TSchG [SR 455]), Sachentziehung (Art. 141 StGB),
Sachbeschädigung (Art. 144 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB) und
Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) strafbar gemacht.

Am 9. Februar 2012 übermittelte die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige der
Anklagekammer des Kantons St. Gallen zum Entscheid über die Eröffnung eines
Strafverfahrens gegen kantonale und kommunale Beamte.

B.
Am 13. März 2012 lehnte die Anklagekammer die Eröffnung eines Strafverfahrens
ab.

C.
Die X.________ AG und Y.________ führen Beschwerde in Strafsachen mit dem
Antrag, der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben und die Ermächtigung zur
Strafverfolgung zu erteilen. Hilfsweise sei der Entscheid der Anklagekammer
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an diese zurückzuweisen.

D.
Die Anklagekammer hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Hinweis auf die ihres Erachtens
zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid die Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid kommt nicht die Beschwerde in Strafsachen
nach Art. 78 ff. BGG, sondern jene in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
nach Art. 82 ff. BGG in Betracht (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272 mit
Hinweisen).
Da die Angezeigten nicht Mitglieder der obersten kantonalen Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden sind, ist der Ausschlussgrund gemäss Art. 83 lit. e BGG nicht
anwendbar (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.).

Ob die Beschwerdeführer gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt
sind, braucht nicht näher geprüft zu werden, da die Beschwerde aus folgenden
Erwägungen jedenfalls unbegründet ist.

2.
2.1 Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich feststellt (Art. 105
Abs. 1 BGG), hat der Kantonstierarzt mit Verfügung vom 17. August 2011 den
Beschwerdeführern und jedem anderen Betreiber der Fischfarm strikt untersagt,
Fische in die Fischzuchtanlage einzubringen; bei Nichtbefolgung würden die
Fische in Anwendung von Art. 105 des Gesetzes vom 16. Mai 1965 des Kantons St.
Gallen über die Verwaltungsrechtspflege (VRP; sGS 951.1) mit polizeilicher
Hilfe auf dem Weg der Ersatzvornahme unter Kosten- und Entschädigungsfolge
zulasten der Beschwerdeführer beseitigt. Anlässlich der amtlichen Kontrolle am
4. November 2011 in der Fischzuchtanlage musste festgestellt werden, dass gegen
diese Verfügung verstossen wurde. Infolgedessen setzte der Kantonstierarzt mit
Schreiben vom 4. November 2011 den Beschwerdeführern eine Frist bis zum 9.
November 2011 an, die Fische selber zu beseitigen; andernfalls werde die
angedrohte Zwangsvollstreckung auf dem Weg der Ersatzvornahme durchgeführt. Die
Anzeiger wurden nicht selber tätig, weshalb am 10. November 2011 die
Ersatzvornahme vollzogen wurde (angefochtener Entscheid E. 5 S. 3 f.).

2.2 Soweit die Beschwerdeführer vorbringen, nach dem 17. August 2011 - dem
Datum der erwähnten Verfügung - seien keine Fische in die Fischzuchtanlage
eingebracht worden, stützen sie sich auf einen Sachverhalt, den die Vorinstanz
nicht festgestellt hat. Darauf kann nicht eingetreten werden (Art. 105 Abs. 1
BGG).

2.3 Die Vorinstanz kommt ausgehend von ihren verbindlichen Feststellungen zum
Schluss, ein allfälliges strafrechtliches Verhalten der Angezeigten wäre
gerechtfertigt gewesen (angefochtener Entscheid E. 6 S. 4).
Dies trifft offensichtlich zu. Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder
erlaubt, verhält sich gemäss Art. 14 StGB rechtmässig, auch wenn die Tat nach
diesem oder einem anderen Gesetz mit Strafe bedroht ist. Art. 104 f. VRP regeln
die Zwangsvollstreckung. Ist die Verfügung oder der Entscheid auf Vornahme
einer Handlung, auf Duldung oder auf Unterlassung gerichtet, so erfolgt gemäss
Art. 105 VRP die Zwangsvollstreckung, wenn nötig mit polizeilicher Hilfe, auf
dem Wege der Ersatzvornahme durch die Behörde oder einen von ihr beauftragten
Dritten oder durch unmittelbaren Zwang (Abs. 1). Sofern nicht Gefahr im Verzug
liegt, muss das Zwangsmittel unter Ansetzung einer angemessenen Frist angedroht
werden (Abs. 2). Dem hat das Vorgehen der Angezeigten entsprochen. Diese haben
damit so gehandelt, wie es das Gesetz erlaubt. Ein allfälliges
tatbestandsmässiges Verhalten wäre deshalb nach Art. 14 StGB gerechtfertigt
gewesen.

Wenn die Vorinstanz bei dieser Sachlage die Eröffnung eines Strafverfahrens
abgelehnt hat, verletzt das kein Bundesrecht.

3.
Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29
Abs. 2 BV) rügen, weil die Vorinstanz sie auf den "Status eines
Anzeigeerstatters herabgestuft" habe, ist die Beschwerde offensichtlich
unbehelflich. Die Beschwerdeführer haben ihr Schreiben vom 6. Februar 2012
selber (fett) als Strafanzeige betitelt. Damit können sie sich nicht darüber
beklagen, wenn sie die Vorinstanz als Anzeigeerstatter bezeichnet hat.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens tragen die Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Staatsanwaltschaft des Kantons
St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, und der Anklagekammer des Kantons St.
Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juli 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri