Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.179/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_179/2012

Urteil vom 11. Mai 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Justiz, Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe, Bundesrain
20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ SA, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Ergin Cimen,

Eidgenössische Zollverwaltung EZV, Oberzolldirektion, Zentralstelle
Zollfahndung, Monbijoustrasse 40, 3003 Bern.

Gegenstand
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Entsiegelung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 21. März 2012 des Bundesstrafgerichts,
Beschwerdekammer.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim führt gegen den in der Schweiz wohnhaften
X.________ ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung
insbesondere von Einfuhrumsatzsteuern.
Mit Rechtshilfeersuchen vom 27. Dezember 2010, ergänzt am 28. Februar 2011, bat
sie die schweizerischen Behörden um Durchsuchungen und Zeugeneinvernahmen.
Am 25. Januar 2011 übertrug das Bundesamt für Justiz die Ausführung des
Rechtshilfeersuchens der Eidgenössischen Zollverwaltung (im Folgenden:
Oberzolldirektion).
Mit Verfügung vom 11. April 2011 trat diese auf das Rechtshilfeersuchen mitsamt
Ergänzung ein und beauftragte die Zollkreisdirektion Lugano, Sektion
Zollfahndung (im Folgenden: Zollfahndung), mit der Durchführung der
Rechtshilfemassnahmen.
Am 4. Mai 2011 nahm die Zollfahndung am Sitz der X.________ SA in Lugano eine
Hausdurchsuchung vor. Dabei wurden verschiedene Dokumente sichergestellt. Ein
Karton mit Unterlagen, welche zwei liechtensteinische Firmen betreffen, wurde
versiegelt.

B.
Am 30. Mai 2011 ersuchte die Oberzolldirektion die II. Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichts um Entsiegelung.
Am 22. August 2011 trat die II. Beschwerdekammer darauf nicht ein. Sie
verneinte ihre Zuständigkeit.
Die von der Oberzolldirektion und dem Bundesamt für Justiz dagegen erhobenen
Beschwerden hiess das Bundesgericht am 6. Januar 2012 gut und wies die
Angelegenheit zum Entscheid über das Entsiegelungsgesuch an das
Bundesstrafgericht zurück. Es erachtete dessen Beschwerdekammer als zuständig
(BGE 138 IV 40).

C.
Mit Beschluss vom 21. März 2012 trat die Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichts auf das Entsiegelungsgesuch erneut nicht ein. Sie wies die
Oberzolldirektion an, die versiegelten Unterlagen der X.________ SA
zurückzugeben.
Die Beschwerdekammer befand, die Oberzolldirektion hätte gemäss Art. 9 Satz 2
IRSG i.V.m. Art. 248 Abs. 2 StPO das Entsiegelungsgesuch innert 20 Tagen
stellen müssen. Diese Frist habe die Oberzolldirektion verpasst.

D.
Das Bundesamt für Justiz führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, der Beschluss der Beschwerdekammer vom 21. März
2012 sei aufzuheben; es sei die Entsiegelung der bei der X.________ SA
beschlagnahmten Unterlagen anzuordnen, damit die Oberzolldirektion eine Triage
vornehmen könne.
Das Bundesamt bringt vor, nach dem bundesgerichtlichen Urteil vom 6. Januar
2012 seien für die Behandlung des vorliegenden Entsiegelungsgesuchs Art. 50 und
Art. 25 Abs. 1 VStrR massgebend. Danach müsse die Oberzolldirektion das
Entsiegelungsgesuch nicht innert 20 Tagen stellen.

E.
Die Beschwerdekammer hat unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid auf
Vernehmlassung verzichtet.
Die Oberzolldirektion schliesst sich der Argumentation des Bundesamts ohne
weitere Bemerkungen an.
Die X.________ SA hat sich vernehmen lassen. Sie beantragt, auf die Beschwerde
sei nicht einzutreten, da kein besonders bedeutender Fall nach Art. 84 BGG
vorliege.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BGG wird das bundesgerichtliche Verfahren in einer
der Amtssprachen geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen
Entscheids.
Der angefochtene Entscheid erging in deutscher Sprache. Von der Regel nach Art.
54 Abs. 1 Satz 1 BGG abzuweichen besteht kein Anlass. Das bundesgerichtliche
Urteil wird deshalb in deutscher Sprache verfasst, auch wenn das Bundesamt
seine Beschwerde in italienischer Sprache eingereicht hat.

2.
2.1 Erachtet das Bundesgericht eine Beschwerde auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen als unzulässig, so fällt es gemäss
Art. 107 Abs. 3 BGG - abgesehen von einem hier nicht gegebenen Ausnahmefall -
den Nichteintretensentscheid innert 15 Tagen seit Abschluss eines allfälligen
Schriftenwechsels.

2.2 Nach der Rechtsprechung muss der Beschwerdeführer die Beschwerde auch
bezüglich der Prozessvoraussetzungen gemäss Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG
hinreichend begründen (BGE 134 I 120 E. 1 S. 121). Genügt er dieser
Begründungspflicht nicht und sind die Prozessvoraussetzungen nicht
offensichtlich gegeben, tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein.
Der Beschwerdeführer hat insbesondere darzulegen, weshalb ein nach Art. 93 BGG
anfechtbarer Zwischenentscheid vorliegen soll (BGE 137 III 324 E. 1.1 S. 329;
136 IV 92 E. 4 S. 95; 133 III 629 E. 2.3.1 S. 632 und E. 2.4.2 S. 633; je mit
Hinweisen).

2.3 Art. 90 ff. BGG regelt die anfechtbaren Entscheide. Der Beschwerdeführer
äussert sich nicht dazu, weshalb hier ein solcher Entscheid gegeben sein soll.
Im bundesgerichtlichen Urteil vom 6. Januar 2012 ging es um die Frage, ob die
Vorinstanz zum Entscheid über das Entsiegelungsgesuch zuständig sei. Das
Bundesgericht bejahte die Zulässigkeit der Beschwerden, da der damals
angefochtene Entscheid einen nach Art. 92 BGG anfechtbaren Zwischenentscheid
darstellte (E. 1.3.5).
Im nunmehr angefochtenen Entscheid geht es nicht mehr um die Zuständigkeit,
sondern darum, ob die Oberzolldirektion das Entsiegelungsgesuch innert 20 Tagen
nach Art. 248 Abs. 2 StPO hätte stellen müssen. Der angefochtene Entscheid
schliesst das Rechtshilfeverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen "anderen
Zwischenentscheid" im Sinne von Art. 93 BGG (vgl. BGE 126 II 495 E. 3 S. 497
f.). Danach ist gegen einen solchen Zwischenentscheid die Beschwerde zulässig:
a) wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann; oder b)
wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und
damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1). Auf dem Gebiet der internationalen
Rechtshilfe in Strafsachen sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar.
Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft
sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern
die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind (Abs. 2). Ist die Beschwerde nach
den Absätzen 1 und 2 nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht,
so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den
Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Abs. 3).
Bei der Beschwerdegegnerin wurden schriftliche Unterlagen sichergestellt. Dabei
handelt es sich um keine Vermögenswerte und Wertgegenstände (vgl. Urteil 1A.156
/1997 vom 11. August 1997 E. 1b/cc). Die Beschwerde ist gemäss Art. 93 Abs. 2
BGG somit unzulässig.

2.4 Äussert sich demnach der Beschwerdeführer nicht dazu, weshalb ein
anfechtbarer Entscheid vorliegen soll und ist dies auch keineswegs
offensichtlich, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

3.
Mit dem vorliegenden Entscheid braucht über das Gesuch um aufschiebende Wirkung
nicht mehr befunden zu werden.
Kosten sind keine zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Eidgenossenschaft
(Bundesamt für Justiz) hat der privaten Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und
2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Eidgenossenschaft (Bundesamt für Justiz) hat der Beschwerdegegnerin eine
Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Zollverwaltung,
Oberzolldirektion, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 11. Mai 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri