Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.128/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_128/2012

Verfügung vom 18. Oktober 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Eusebio, als Einzelrichter,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
Postfach, 5001 Aarau 1, Beschwerdeführerin,

gegen

X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Yvonne Meier.

Gegenstand
Entzug des Führerausweises,

Beschwerde gegen das Urteil vom 7. Dezember 2011 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
Am 3. Oktober 2010 kam es um ca. 11:45 Uhr auf der Bahnhofstrasse in Mellingen
zu einem Verkehrsunfall. Der am Steuer eines Personenwagens in Richtung
Mellingen fahrende Y.________ bemerkte zu spät, dass der vor ihm fahrende
Personenwagen vor einem Fussgängerstreifen bremste. Er wich nach rechts aus,
kam von der Fahrbahn ab und erfasste vor dem Fussgängerstreifen X.________
frontal. X.________ erlitt erhebliche Verletzungen und wurde umgehend ins
Kantonsspital Baden überführt. Dort wurde um 16:40 Uhr ein Drogenschnelltest
durchgeführt, welcher trotz der ihm im Krankenhaus verabreichten Medikamente
(Morphin, Dormicum etc.) negativ ausfiel. Die Auswertung der daraufhin von der
Polizei angeordneten Blut- und Urinproben ergab positive Werte für
Benzodiazepine, Buprenorphin, Kokain, Methadon-Metabolit und Opiate. Nach dem
Bericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern bestätigt dieses
Ergebnis den Konsum von Kokain.
Am 21. Januar 2011 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau X.________
den Führerausweis gestützt auf Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 Abs. 5 SVG für
unbestimmte Zeit ab dem 12. November 2010. Die Wiedererteilung machte es von
der Einhaltung einer ärztlich kontrollierten Drogenabstinenz von sechs Monaten,
einer positiven fachärztlichen Kurzbegutachtung und, bei einem länger als zwei
Jahre dauernden Entzug, dem Bestehen einer neuen Fahrprüfung abhängig. Einer
allfälligen Beschwerde entzog es die aufschiebende Wirkung.
Am 15. April 2011 wies das Departement Volkswirtschaft und Inneres die
Beschwerde von X.________ gegen diesen Sicherungsentzug ab.
Am 7. Dezember 2011 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die
Beschwerde von X.________ gegen diesen Entscheid des Departements teilweise
gut, hob ihn auf und wies die Angelegenheit zur weiteren Behandlung im Sinne
der Erwägungen ans Strassenverkehrsamt zurück. Im Übrigen wies es die
Beschwerde ab. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, es sei zwar
zulässig, Unfallbeteiligte voraussetzungslos einer Atemalkoholprobe zu
unterziehen. Sowohl die Anordnung eines Drogenschnelltests als auch einer
Blutprobe setzten dagegen voraus, dass bei der betroffenen Person Anzeichen von
Fahrunfähigkeit festgestellt worden seien (Art. 55 SVG, Art. 10 ff. SKV). Es
gehe aus den Akten nicht hervor, ob bei X.________ ein entsprechender
Anfangsverdacht als unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung des
Drogenschnelltests und der Blutprobe bestanden habe. Da unter Missachtung von
Art. 55 SVG und Art. 10 ff. SKV erlangte Beweismittel auch in einem Verfahren
betreffend Sicherungsentzug nicht verwertet werden dürften, sei das
Strassenverkehrsamt verpflichtet, diese Frage abzuklären.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das
Strassenverkehrsamt, diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und
die Verfügung des Departements Volkswirtschaft und Inneres vom 15. April 2011
zu bestätigen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen an, beim
Sicherungsentzug gehe es unabhängig von einem allfälligen Verschulden um das
Fernhalten eines fahruntauglichen Lenkers vom Strassenverkehr aus Gründen der
Verkehrssicherheit. Das Verfahren habe eine völlig andere Zielsetzung als das
Strafverfahren, weshalb auch die Unschuldsvermutung nicht gelte. Entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts könne daher der umstrittene positive
Drogentest Anlass zur Anordnung eines Sicherungsentzugs bieten, selbst wenn er
im Strafverfahren als auf unzulässige Weise beschafftes Beweismittel nicht
verwertet werden könnte.

C.
Das Verwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde
abzuweisen. X.________ beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten oder sie
eventuell abzuweisen. Er ersucht zudem um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.
In seiner Replik teilt das Strassenverkehrsamt mit, es habe X.________ den
Führerausweis am 13. April 2012 gestützt auf ein die Fahreignung bejahendes
Gutachten wiedererteilt mit der Auflage, eine kontrollierte Drogenabstinenz
einzuhalten. Es sei trotzdem an der Weiterführung des Verfahrens interessiert
und beantrage, es fortzusetzen.

D.
Das ASTRA beantragt, die Beschwerde gutzuheissen.

E.
Das Strassenverkehrsamt schliesst sich der Argumentation des ASTRA an und hält
an seinem Antrag, die Beschwerde gutzuheissen, fest. Das Verwaltungsgericht und
X.________ verzichten auf eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des ASTRA.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen
Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben
(Art. 83 BGG). Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren allerdings
nicht ab, sondern weist die Sache für weitere Abklärungen und zu neuem
Entscheid an die Beschwerdeführerin zurück. Es handelt sich um einen
Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen der Art. 92 und 93 BGG
selbstständig anfechtbar ist, namentlich wenn er einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Dies ist
nach der Rechtsprechung (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 128; 133 V 477 E. 4.2. und
5.2.4; Urteil 2C_239/2011 vom 21. Februar 2012 E. 1.2) der Fall, wenn die
Beschwerde führende Behörde wie hier infolge des Rückweisungsentscheids
gezwungen wäre, entgegen ihrer Rechtsauffassung neu zu verfügen. Das kantonale
Strassenverkehrsamt ist zur Beschwerde befugt, sofern es ein aktuelles
Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids hat (Art.
89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG). Das
Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen
praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder
ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige
Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren
grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 137 I 23 E.
1.3.1; 136 II 101 E. 1.1 135 I 79 E. 1.1).
Das vorliegende, den gegen den Beschwerdegegner verhängten Sicherungsentzug
betreffende Verfahren ist gegenstandslos geworden, nachdem die
Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner den Führerausweis am 13. April 2012
unter Auflagen wieder erteilte. Damit ist auch das aktuelle
Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids weggefallen. Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen vom
Erfordernis des aktuellen Rechtsschutzinteresses sind klarerweise nicht
erfüllt, kann sich doch die strittige Frage, ob und unter welchen Umständen
rechtswidrig erlangte Beweismittel im Administrativverfahren verwertet werden
dürfen, grundsätzlich in jedem Verfahren stellen, und es ist nicht ersichtlich,
aus welchem Grund ihre rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich
sein sollte.

2.
Das Verfahren ist gegenstandslos geworden und dementsprechend nach Art. 32 Abs.
2 BGG vom Instruktionsrichter abzuschreiben. Die Kosten- und
Entschädigungsfolgen beurteilen sich nach der Sachlage vor Eintritt des
Erledigungsgrundes (Art. 72 BZP i.V.m. Art. 71 BGG), wobei es nach ständiger
Praxis nicht darum gehen kann, bei der Beurteilung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen über die materielle Begründetheit der Beschwerde
abschliessend zu befinden (BGE 118 Ia 488 E. 4 S. 494, Urteil 5A_432/2010 vom
26. Juli 2010, E. 4.1). Vorliegend müsste für die Stellung einer Prognose über
den mutmasslichen Verfahrensausgang die (einzig) strittige Rechtsfrage der
Verwertbarkeit rechtswidrig beschaffter Beweismittel im Verwaltungsverfahren
abschliessend beurteilt werden, was nicht angehen kann. Es rechtfertigt sich
unter diesen Umständen, keine Kosten zu erheben und dem Beschwerdegegner aus
der Bundesgerichtskasse eine Parteientschädigung zuzusprechen. Damit wird das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.

Demnach verfügt der Einzelrichter:

1.
Das Verfahren wird abgeschrieben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdegegner wird für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.--
aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1.
Kammer, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Oktober 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Instruktionsrichter: Eusebio

Der Gerichtsschreiber: Störi