Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.102/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_102/2012

Urteil vom 17. April 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Emil Robert Meier, Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Migration,
Sektion Einbürgerungen, Quellenweg 6, 3003 Bern.

Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom
5. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
Der aus Sri Lanka stammende X.________ (Jg. 1960) reiste 1991 in die Schweiz
ein, wo er ein Asylgesuch stellte. Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) wies das
Gesuch 1994 ab und wies ihn gleichzeitig aus der Schweiz weg. Die Beschwerde
von X.________ gegen diesen Entscheid blieb erfolglos. Die Wegweisung wurde in
der Folge nicht vollzogen.

Am 23. September 1998 heiratete X.________ die aus den Philippinen stammende
Schweizerin A.________ (Jg. 1962). Am 6. November 1998 erhielt er die
Aufenthaltsbewilligung und wohnte bei seiner Ehefrau in B.________.

Ab dem 18. März 1999 ist X.________ in Zürich als Wochenaufenthalter
angemeldet.

Am 6. Mai 2002 stellte X.________ ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung.

Am 21. April 2003 gebar die Ehefrau von X.________ auf den Philippinen eine
Tochter.

Am 21. August 2003 unterzeichneten die Eheleute die gemeinsame Erklärung, in
einer ungetrennten, stabilen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenzuleben
und weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten zu haben.

Am 14. Oktober 2003 wurde X.________ erleichtert eingebürgert; er erhielt die
Bürgerrechte der Kantone Genf und Waadt sowie C.________ und der Gemeinde
D.________.

Am 4. Dezember 2003 verliess X.________ den ehelichen Wohnsitz und meldete sich
in Zürich an.

B.
Am 19. April 2005 eröffnete das Bundesamt für Migration (BFM) das Verfahren auf
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung nach Art. 41 Bundesgesetz über
Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0; BüG). .

Am 10. Oktober 2008 erklärte das BFM die erleichterte Einbürgerung für nichtig.

Am 5. Januar 2012 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von
X.________ gegen diesen Entscheid des BFM ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________,
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben. Es sei ihm das Bürgerrecht
zu belassen. Eventuell sei die Sache zu ergänzender Sachverhaltsfeststellung
und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem beantragt
er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

D.
Das Bundesverwaltungsgericht und das BFM verzichten auf Vernehmlassung.

E.
Am 12. März 2012 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. a BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerungen nach Art. 83 lit. b
BGG erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es liegt
auch keine der übrigen Ausnahmen von Art. 83 BGG vor. Der Beschwerdeführer hat
sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Voraussetzungen der
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung nach Art. 41 Abs. 1 BüG seien
nicht erfüllt. Er habe, entgegen der Auffassung der Vorinstanz und ungeachtet
seines Wochenaufenthaltes in Zürich, bis und mit Ende Herbst 2003 eine intakte
und stabile Ehe geführt. Zur Trennung sei es nur gekommen, weil ihm seine
Ehefrau im Herbst 2003 eröffnet habe, ein Adoptivkind aus den Philippinen in
die Schweiz bringen zu wollen.

2.2 Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit
einer Schweizer Bürgerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn
er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt
und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizer Bürgerin lebt.
Eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG setzt nicht nur das
formelle Bestehen einer Ehe, sondern eine tatsächliche Lebensgemeinschaft
voraus. Eine solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame
Wille zu einer ehelichen Gemeinschaft intakt ist (BGE 130 II 169 E. 2.3.1 S.
172). Gemäss konstanter Praxis muss sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
als auch im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheids eine tatsächliche
Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet.
Zweifel bezüglich eines solchen Willens sind angebracht, wenn kurze Zeit nach
der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung
eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehegatten einer
Schweizer Bürgerin die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit
des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu
fördern (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 130 II 482 E. 2 S. 484).

2.3 Nach Art. 41 Abs. 1 BüG (in der hier anwendbaren, bis Ende Februar 2011
geltenden Fassung) kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der
Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig erklärt werden, wenn sie
durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen
worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht.
Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese
"erschlichen", d.h. mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt
worden ist (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des
strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich, wohl aber, dass der
Betroffene bezüglich erheblicher Tatsachen bewusst falsche Angaben macht bzw.
die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich
zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu
informieren (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115 mit
Hinweisen).

Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der
Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im
Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht
bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen,
von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu
schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die
aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.).
Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135
II 161 E. 2 S. 166; 130 II 482 E. 3.2 S. 486).

2.4 Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine
Umkehrung der Beweislast (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 486). Begründet die kurze
Zeitspanne zwischen der erleichterten Einbürgerung einerseits und der Trennung
oder Einleitung einer Scheidung andererseits die tatsächliche Vermutung, es
habe schon bei der Einbürgerung keine stabile eheliche Gemeinschaft mehr
bestanden, so muss der Betroffene deshalb nicht das Gegenteil beweisen. Es
genügt, wenn er einen Grund anführt, der es als plausibel erscheinen lässt,
dass er bei der Erklärung, wonach er mit seiner Schweizer Ehepartnerin in einer
stabilen ehelichen Gemeinschaft lebt, nicht gelogen hat. Bei diesem Grund kann
es sich um ein ausserordentliches, nach der Einbürgerung eingetretenes Ereignis
handeln, welches zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder um das fehlende
Bewusstsein des Gesuchstellers bezüglich bestehender Eheprobleme im Zeitpunkt
der Einbürgerung (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166 mit Hinweisen).

2.5 Das Bundesverwaltungsgericht erwog (angefochtener Entscheid E. 8 S. 11
ff.), der 1991 als Asylbewerber in die Schweiz gekommene Beschwerdeführer sei
zwischen Juni 1994 und Mai 1997 mit einer ebenfalls Asyl suchenden Landsfrau
verheiratet gewesen. Nach der Abweisung seines Asylgesuchs sei die Wegweisung
nicht vollzogen worden. Im September 1998 habe er eine Schweizerin geheiratet
und bei ihr im Kanton Genf Wohnsitz genommen. Aus beruflichen Gründen habe er
ab März 1999 unter der Woche in Zürich gelebt. Im Juli/August 2002, von Oktober
bis November 2002, im Februar 2003 und im Mai/Juni 2003 habe er sich allein in
Sri Lanka aufgehalten. Seine Frau sei von Juni bis August 2002 und von Februar
bis Mai 2003 allein auf den Philippinen gewesen. Diese äusseren Umstände -
Heirat vor dem Hintergrund des nicht gesicherten Aufenthaltes in der Schweiz,
getrennte Ferien im Ausland, definitive Trennung 1½ Monate nach der
erleichterten Einbürgerung - begründeten die Vermutung, dass die Ehe am 21.
August 2003 entgegen der gemeinsamen Erklärung nicht mehr intakt gewesen sei.
Die Erklärung des Beschwerdeführers, einziger Grund für die Trennung der bisher
intakten Ehe sei gewesen, dass ihm seine Ehefrau im Herbst 2003 eröffnet habe,
ein Kind adoptieren zu wollen, überzeugte das Bundesverwaltungsgericht nicht.

2.6 Es kann offen bleiben, ob die Ehe des Beschwerdeführers von Anfang einzig
dem Zweck diente, seinen Aufenthalt in der Schweiz zu sichern oder ob die
Eheleute wirklich vorhatten, eine eheliche Gemeinschaft einzugehen. Auf jeden
Fall konnte das Bundesverwaltungsgericht ohne Bundesrechtsverletzung davon
ausgehen, dass die gemeinsame Erklärung vom 21. August 2003, in intakter Ehe zu
leben und diese fortsetzen zu wollen, nicht den Tatsachen entsprach. Bereits
der Umstand, dass die Eheleute unter der Woche getrennt lebten und 2002 und
2003 die Ferien jedenfalls zum grossen Teil nicht gemeinsam verbrachten,
spricht gegen das Bestehen einer intakten Ehe. Vor allem aber wurde nach den
unbestrittenen Ausführungen im angefochtenen Entscheid (E. 6 S. 8 f.) die
Ehefrau des Beschwerdeführers im Juli 2002 auf den Philippinen von einem
Dritten schwanger und gebar dort im April 2003 eine Tochter. Nach der
Darstellung des Beschwerdeführers hat ihm seine Frau von der Schwangerschaft
nichts erzählt, und er hat davon nichts bemerkt. Beides ist in einer intakten
Ehe kaum denkbar. Vor allem aber vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun,
weshalb der von seiner Ehefrau angeblich im Herbst 2003 geäusserte Wunsch, ein
Kind zu adoptieren, die angeblich bisher intakte eheliche Gemeinschaft quasi
von einem Tag auf den anderen zum Scheitern gebracht haben könnte. Die in
diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung, das Kind hätte auf illegalem Weg
in die Schweiz gebracht werden sollen, und er habe nicht an etwas Illegalem
beteiligt sein wollen (Beschwerde S. 6), ist neu und damit unzulässig (Art. 99
Abs. 1 BGG).

Es ist zudem nicht zu sehen, inwiefern die Vorinstanz in Willkür verfallen sein
sollte, indem sie in antizipierter Beweiswürdigung auf weitere Beweisabnahmen
verzichtete. Ob es sich beim Kind, das seine Frau angeblich adoptieren wollte,
um ihr leibliches Kind handelt oder nicht, ist für den Ausgang des Verfahrens
unerheblich, da dem Beschwerdeführer am 4. Dezember 2003, als er die eheliche
Wohnung verliess, nach seiner Darstellung gar nicht bewusst war, dass seine
Frau im April 2003 ein Kind geboren hatte; damit konnte diese Frage für seinen
Entschluss, die Ehefrau zu verlassen, keine Rolle gespielt haben, womit die
Vorinstanz darüber keine Beweise zu erheben brauchte.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. April 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi