Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.77/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_77/2012

Urteil vom 1. November 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Chaix,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pius Buchmann,

gegen

1. Y.________,
2. Z.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwältin Nicole Portmann,

Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen, Rüeggisingerstrasse 29, Postfach 1948,
6021 Emmenbrücke,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, Postfach 3439,
6002 Luzern,

Gegenstand
Üble Nachrede; Einstellung des Strafverfahrens,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Luzern, 2.
Abteilung, vom 28. November 2011.

Sachverhalt:

A.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 teilten Y.________ und Z.________ als
Vertreter einer Immobiliengesellschaft der Familie A.________ Folgendes mit:
"Sehr geehrte Familie A.________
Heute erhielten wir verschiedene Meldungen, wonach sich Ihr Sohn X.________ in
der Nacht vom Samstag, 18.12. auf den Sonntag 19.12.2010 mit Kollegen im
Windfang der Liegenschaft W.________strasse ... aufgehalten habe. Dabei sei
u.a. mit Drogen gehandelt worden. Die grosse Unordnung am Sonntagmorgen zeugte
vom nächtlichen Treiben.
Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie und Ihre Familienmitglieder mit dem
Wegzug von der W.________strasse ... kein Recht mehr auf Aufenthalt in
gemeinschaftlichen Räumen der erwähnten Liegenschaft zusammen mit fremden
Personen haben.
Wir bitten Sie, dies zu akzeptieren. Die STWEG W.________strasse ... behält
sich vor, ein mögliches Arealverbot zu prüfen."
Y.________ und Z.________ stellten eine Kopie dieses Schreibens der
Kantonspolizei Luzern zu.

B.
Am 21. März 2011 reichte X.________ bei der Staatsanwaltschaft Abteilung 2
Emmen (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) Strafklage gegen Y.________ und
Z.________ wegen übler Nachrede (Art. 173 StGB) ein.
Mit Verfügung vom 30. Juni 2011 stellte die Staatsanwaltschaft die
Strafuntersuchung ein.
Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Luzern (2. Abteilung) am 28. November 2011 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung und
Verurteilung der Beschuldigten wegen übler Nachrede an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

D.
Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern hat Gegenbemerkungen eingereicht
mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Das Obergericht hat sich vernehmen lassen, ohne einen förmlichen Antrag zu
stellen.
Y.________ und Z.________ haben ebenfalls eine Vernehmlassung eingereicht. Sie
beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

E.
Am 10. Juli 2012 hat der bundesgerichtliche Instruktionsrichter X.________ eine
Nachfrist zur Leistung des Kostenvorschusses gemäss Art. 62 Abs. 3 BGG bis zum
22. August 2012 angesetzt. X.________ hat den Vorschuss innert dieser Frist
bezahlt.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 BGG zulässig.
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Er
beabsichtigt, gegen die Beschwerdegegner eine zivilrechtliche
Genugtuungsforderung wegen Ehrverletzung geltend zu machen (Beschwerde S. 3
Ziff. 2). Damit ist er gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG zur
Beschwerde befugt. Dass er die Zivilforderung noch nicht geltend gemacht hat,
schadet ihm beim jetzigen Verfahrensstand nicht (BGE 138 IV 86 E. 3 S. 87 f.
mit Hinweisen).
Der angefochtene Entscheid stellt einen nach Art. 90 BGG anfechtbaren
Endentscheid dar.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Einstellung des Verfahrens verletze
Bundesrecht.

2.2 Die kantonalen Behörden stützen ihren Entscheid auf Art. 319 Abs. 1 lit. a
StPO. Danach verfügt die Staatsanwaltschaft die vollständige oder teilweise
Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine
Anklage rechtfertigt.
Nach der Rechtsprechung gilt insoweit der Grundsatz "in dubio pro duriore".
Dieser ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip. Er verlangt, dass im Zweifel das
Verfahren seinen Fortgang nimmt. Anklage muss - sofern kein Strafbefehl
erlassen werden kann - erhoben werden, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher
ist als ein Freispruch. Ebenso verhält es sich grundsätzlich, wenn eine
Verurteilung und ein Freispruch gleich wahrscheinlich sind; dies umso mehr,
wenn es um schwere Straftaten geht. Der Grundsatz "in dubio pro duriore" ist
unter Würdigung der im Einzelfall gegebenen Umstände zu handhaben. Die
Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeinstanz verfügen insoweit über einen
gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft (BGE 138
IV 86 E. 4.1.1 f. und 4.2; zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 1B_78/
2012 vom 3. Juli 2012 E. 4.1; je mit Hinweisen).

2.3 Gemäss Art. 173 Ziff. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 180
Tagessätzen bestraft, wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften
Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen,
beschuldigt oder verdächtigt (Abs. 1); ebenso wer eine solche Beschuldigung
oder Verdächtigung weiterverbreitet (Abs. 2).
Der Vorwurf, jemand habe eine strafbare Handlung begangen, ist ehrverletzend (
BGE 132 IV 112 E. 2 S. 115). Der Handel mit Drogen stellt nach Art. 19 BetmG
eine Straftat dar.

2.4 Die Vorinstanz erwägt, durch die Aussage im Schreiben vom 20. Dezember
2010, es sei unter anderem mit Drogen gehandelt worden, sei niemand konkret
beschuldigt worden, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Es werde im
Schreiben bloss festgehalten, der Beschwerdeführer habe sich zur fraglichen
Zeit an einem Ort aufgehalten, wo dies geschehen sein solle. Aus der generellen
Formulierung des Adressatenkreises, der mit Drogen gehandelt habe, gehe
jedenfalls ein erkennbarer, ehrverletzender Bezug zum Beschwerdeführer
unzureichend hervor. Erfahrungsgemäss beteiligten sich bei solchen Treffen
keineswegs alle Jugendlichen an solchen (allfälligen) Machenschaften. Die
Beschwerdegegner müssten sich deshalb nicht vorhalten lassen, sie hätten den
Beschwerdeführer des Drogenhandels bezichtigt (angefochtener Entscheid S. 4 E.
6.3).

2.5 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Beschwerdegegner haben im Schreiben vom
20. Dezember 2010 den Eltern des unstreitig mündigen Beschwerdeführers
mitgeteilt, nach verschiedenen Meldungen habe sich ihr Sohn in einer Nacht mit
Kollegen im Windfang einer Liegenschaft aufgehalten; dabei sei unter anderem
mit Drogen gehandelt worden; die grosse Unordnung am nächsten Morgen habe vom
nächtlichen Treiben gezeugt. Damit haben sie den Beschwerdeführer in
unmittelbare Nähe zum Drogenhandel gerückt. Zwar trifft es zu, dass die
Beschwerdegegner den Beschwerdeführer nicht ausdrücklich des Drogenhandels
beschuldigen oder - wie die Vorinstanz sagt - "bezichtigen". Dies ist nach Art.
173 Ziff. 1 StGB jedoch nicht erforderlich. Danach genügt die Verdächtigung (
BGE 119 IV 44 E. 2a S. 46/47 mit Hinweisen). Zumindest eine solche
Verdächtigung ergibt sich aus dem Schreiben. Dies bestätigt der - von der
Vorinstanz bei der rechtlichen Würdigung ausser Acht gelassene - Umstand, dass
die Beschwerdegegner das Schreiben, wie sie an dessen Schluss ausdrücklich
vermerkt haben, in Kopie der Kantonspolizei zugestellt haben. Das konnten die
Eltern nur so verstehen, dass die Beschwerdegegner insbesondere ihren Sohn, der
im Schreiben als Einziger der im Windfang Anwesenden mit Namen genannt wird,
des Drogenhandels zumindest verdächtigten. Ohne einen solchen Verdacht wäre die
Zusendung des Schreibens an die Polizei sinnlos gewesen.
Wenn die Vorinstanz in der Sache davon ausgeht, ein Freispruch sei
wahrscheinlicher als eine Verurteilung, ist das beim jetzigen Erkenntnisstand
daher unhaltbar.

2.6 Die Beschwerdegegner bringen (Vernehmlassung S. 4) vor, die Eltern des
Beschwerdeführers hätten die Stellung so genannter "confidents nécessaires" und
gälten daher nicht als "andere" im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 StGB.
Der Tatbestand der üblen Nachrede setzt voraus, dass die ehrverletzende
Äusserung gegenüber "einem andern", d.h. einem Dritten erfolgt. Grundsätzlich
ist jede Person Dritte, die nicht mit dem Täter oder dem Verletzten identisch
ist (BGE 86 IV 209). Allerdings wird die Frage diskutiert, ob der Kreis der
"andern" nicht einzuschränken sei und ehrverletzende Äusserungen gegenüber
engsten Familienangehörigen und gemäss Art. 321 StGB zur Geheimhaltung
verpflichteten Personen ("confidents nécessaires") unter Umständen straflos
sein sollen.
Die Eltern des Beschwerdeführers erscheinen nicht als "confidents nécessaires"
der Beschwerdegegner. Die Eltern wären vielmehr "confidents nécessaires" des
Beschwerdeführers. Wie es sich damit verhält, braucht hier jedoch nicht
entschieden zu werden. Die Lehre dazu, wieweit "confidents nécessaires" aus dem
Kreis der "andern" nach Art. 173 Ziff. 1 StGB auszuschliessen seien, ist
uneinheitlich und eine gefestigte Rechtsprechung besteht insoweit nicht (vgl.
Urteile 6B_185/2011 vom 22. Dezember 2011 E. 6.2; 6S.3/2007 vom 13. Februar
2007 E. 4.3; je mit Hinweisen). Damit ist darüber nicht mittels
Einstellungsbeschluss zu befinden. Der Entscheid umstrittener Rechtsfragen ist
dem Gericht vorbehalten.

2.7 Die Beschwerde ist danach gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben.
Der Beschwerdeführer beantragt, die Sache sei zu neuer Entscheidung und
Verurteilung der Beschwerdegegner nach Art. 173 StGB an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Dies fällt ausser Betracht. Ein Sachurteil durch ein Gericht setzte eine
Anklage voraus, zu deren Behandlung im Übrigen nicht die Vorinstanz, sondern
das erstinstanzliche Gericht zuständig wäre. Eine Anklage liegt jedoch nicht
vor.

2.8 Üble Nachrede stellt ein Antragsdelikt dar. Bei einem solchen kann gemäss
Art. 316 StPO die Staatsanwaltschaft die antragstellende und die beschuldigte
Person zu einer Verhandlung vorladen mit dem Ziel, einen Vergleich zu erzielen.
Bleibt die antragstellende Person aus, so gilt der Strafantrag als
zurückgezogen (Abs. 1). Wird eine Einigung erzielt, so ist diese im Protokoll
festzuhalten und von den Beteiligten zu unterzeichnen. Die Staatsanwaltschaft
stellt alsdann das Verfahren ein (Abs. 3). Bleibt bei einer Verhandlung nach
Absatz 1 (...) die beschuldigte Person aus oder wird keine Einigung erzielt, so
nimmt die Staatsanwaltschaft die Untersuchung unverzüglich an die Hand (Abs.
4).
Wie sich der Beschwerde (S. 5 Ziff. 2) entnehmen lässt, wäre der
Beschwerdeführer bei einer "angemessenen Entschuldigung" der Beschwerdegegner
bereit gewesen, auf rechtliche Schritte gegen diese zu verzichten. Nach den
Ausführungen der Beschwerdegegner in der Vernehmlassung war es offenbar nicht
deren Absicht, die Ehre des Beschwerdeführers zu verletzen. Unter diesen
Umständen besteht Aussicht auf einen Vergleich, weshalb sich ein Vorgehen nach
Art. 316 StPO aufdrängt.
Die Sache wird daher an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, damit diese die
Beteiligten zu einer Verhandlung nach Art. 316 StPO vorlade. Sollte eine
Einigung scheitern (oder sollten die Beschwerdegegner nicht zur Verhandlung
erscheinen), hätte die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 316 Abs. 4 StPO die
Untersuchung unverzüglich an die Hand zu nehmen. Dabei hätte sie insbesondere
zu klären, ob die Voraussetzungen zur Zulassung der Beschwerdegegner zum
Entlastungsbeweis erfüllt seien und sie diesen bejahendenfalls erbringen
könnten (Art. 173 Ziff. 2 f. StGB).

3.
Die Beschwerdegegner unterliegen. Sie haben den angefochtenen Entscheid jedoch
nicht zu vertreten. Es werden ihnen deshalb keine Kosten auferlegt (Art. 66
Abs. 1 Satz 2 BGG).
Der Kanton hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Entschädigung zu bezahlen. Bei deren Bemessung wird dem Umstand erhöhend
Rechnung getragen, dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer ebenso eine
Entschädigung hätte zusprechen müssen. Auf die Rückweisung der Akten an die
Vorinstanz zur Neuregelung der Kostenfolgen des kantonalen Verfahrens kann
damit verzichtet werden. Den Beschwerdegegnern steht keine Parteientschädigung
zu (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Luzern vom 28. November 2011 aufgehoben und die Sache an die Staatsanwaltschaft
Abteilung 2 Emmen zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von Fr. 2'500.--
(inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen,
der Oberstaatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern (2.
Abteilung) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. November 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri