Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.759/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_759/2012

Urteil vom 20. Februar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Uznach,
Grynaustrasse 3, 8730 Uznach, Beschwerdeführerin,

gegen

X.________, Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafverfahren; Wiederherstellung eines Termins,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 25. Oktober 2012 der Anklagekammer des
Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft St. Gallen, Untersuchungsamt Uznach, erliess am 20. März
2012 gegen X.________ einen Strafbefehl wegen grober Verletzung von
Verkehrsregeln. Gemäss dem Strafbefehl war X.________ am 28. Januar 2012 auf
der Autobahn A53 in Eschenbach 119 km/h (nach Abzug der Marge für die
Messunsicherheit) statt der zulässigen 80 km/h gefahren. X.________ erhob
Einsprache und machte geltend, die Laser-Geschwindigkeitsmessung habe wegen
mehrfachen Reflexionen zu Unstimmigkeiten und falschen Werten geführt. In der
Folge wurde er auf den 27. Juni 2012 zur Einvernahme vorgeladen. Die
eingeschriebene Sendung wurde ihm am 22. Juni 2012 von der Post zugestellt. Mit
Schreiben vom 29. Juni 2012 teilte er der Staatsanwaltschaft mit, dass er
aufgrund einer geschäftlichen Abwesenheit erst am 29. Juni 2012 von der
Vorladung erfahren habe, und ersuchte um einen neuen Termin.
Mit Verfügung vom 11. Juli 2012 schrieb die Staatsanwaltschaft das
Einspracheverfahren als erledigt ab. In der Folge stellte X.________ ein Gesuch
um Wiederherstellung des Termins für die Einvernahme. Am 15. August 2012
verfügte die Staatsanwaltschaft, auf das Gesuch um Wiederherstellung der Frist
zur Einsprache gegen den Strafbefehl vom 20. März 2012 werde nicht eingetreten.
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen hiess eine gegen diese Verfügung
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 25. Oktober 2012 gut und hob die
Verfügungen der Staatsanwaltschaft vom 11. Juli und 15. August 2012 auf. Zur
Begründung führte sie aus, die Staatsanwaltschaft habe zwar die Minimalfrist
von drei Tagen gemäss Art. 202 Abs. 1 lit. a StPO beachtet. Bei der Festlegung
der Vorladungsfrist sei jedoch auch der Bedeutung einer Verfahrenshandlung und
einer damit verbundenen Verwirkungsfolge bei Nichteinhaltung des Termins
angemessen Rechnung zu tragen. Bei unentschuldigter Absenz von einer
Einvernahme sei die Einsprache im Strafbefehlsverfahren nach Art. 355 Abs. 2
StPO verwirkt. Dies gebiete grundsätzlich, dass im Regelfall im
Strafbefehlsverfahren in analoger Anwendung von Art. 202 Abs. 1 lit. b StPO
Vorladungen mindestens zehn Tage vor der Verfahrenshandlung zuzustellen seien.
Vorliegend sei die Vorladung jedoch nur vier volle Tage vor dem
Einvernahmetermin zugestellt worden.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 14. Dezember 2012 beantragt
die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, der Entscheid der Anklagekammer
sei aufzuheben und die Verfügungen vom 11. Juli und 15. August 2012 seien zu
bestätigen.
Die Anklagekammer beantragt in ihrer Vernehmlassung, auf die Beschwerde sei
nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Der Beschwerdegegner liess
sich vernehmen, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid betrifft eine Strafsache (Art. 78 Abs. 1 BGG).
Er schliesst das Verfahren nicht ab. Es handelt sich um einen
Zwischenentscheid, gegen welchen die Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG nur
zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann
(lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).

1.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, die Anklagekammer habe ein
Grundsatzurteil mit präjudizieller Wirkung für künftige Verfahren gefällt. Sie
habe nicht nur gegen Art. 94 StPO, sondern auch gegen das Beschleunigungsgebot,
das Interesse an einem geordneten Verfahrensgang, die Verfahrensdisziplin und
die Rechtssicherheit verstossen. Dies bedeute einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil. Zudem würde die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen. Denn sofern sich bei der Einvernahme
nicht etwas anderes ergeben sollte, würde ein Gutachten beim Bundesamt für
Metrologie in Auftrag gegeben, um die Zuverlässigkeit der
Geschwindigkeitsmessung zu prüfen. Dies würde erfahrungsgemäss etwa drei Monate
dauern und Fr. 2'500.-- kosten. Hinzu kämen allfällige weitere
Untersuchungskosten.

1.3 Ein Rückweisungsentscheid bewirkt für die Staatsanwaltschaft in der Regel
keinen irreversiblen rechtlichen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG. Eine Ausnahme von dieser Regel ist gemäss der Rechtsprechung etwa bei
Haftentlassungsentscheiden zu machen (BGE 137 IV 237 E. 1.1 S. 239 f. mit
Hinweisen). Auch wenn das Zwangsmassnahmengericht die Genehmigung einer
Überwachungsmassnahme verweigert, kann - insbesondere wenn bei schweren
Delikten ein Beweisverlust droht - ein nicht wieder gutzumachender Nachteil
vorliegen (BGE 137 IV 340 E. 2.3 S. 344 ff. mit Hinweisen). Gleiches gilt, wenn
eine Behörde durch einen Rückweisungsentscheid gezwungen wird, eine ihres
Erachtens rechtswidrige Verfügung zu treffen (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.
mit Hinweisen; Urteil 1B_160/2012 vom 20. September 2012 E. 1.2). Kein nicht
wieder gutzumachender Nachteil folgt dagegen aus der präjudiziellen Wirkung
eines Entscheids, denn ein solche Wirkung besteht in jedem Fall. Auch aus der
blossen Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens bzw. aus einer Erhöhung
der Arbeitslast ergibt sich kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne
von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 137 IV 237 E. 1.1 S. 240; 133 IV 139 E. 4 S.
141; Urteile 1B_218/2012 vom 26. Juni 2012 E. 2.3; 1B_214/2011 vom 19. August
2011 E. 1.2.2; 1B_265/2011 vom 22. Juli 2011 E. 1.4; je mit Hinweisen). Daraus
folgt, dass der Staatsanwaltschaft, die durch den vorinstanzlichen Entscheid
angehalten wird, das Verfahren weiterzuführen, kein nicht wieder gutzumachender
Nachteil droht. Es verhält sich insofern gleich wie in den Fällen, wo die
kantonale Beschwerdeinstanz eine Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung
der Staatsanwaltschaft aufhebt.

1.4 Eine Anfechtung gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt ebenfalls
ausser Betracht. Die Voraussetzung, wonach die Gutheissung der Beschwerde einen
bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
ersparen muss, ist im Strafverfahren restriktiv auszulegen (Urteil 1B_314/2011
vom 20. September 2011 E. 3 mit Hinweis). Das Bundesgericht hat in einem
Urteil, in dem mit dem angefochtenen kantonalen Entscheid die Eröffnung eines
Strafverfahrens angeordnet wurde, dargelegt, dass die dem Zivilprozessrecht
entstammende Regelung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG im von der Offizialmaxime
geprägten Strafprozess einen eigentlichen Fremdkörper darstellt (Urteil 6B_782/
2008 vom 12. Mai 2009 E. 1.4 mit Hinweisen, in: Pra 2009 Nr. 115 S. 787). Diese
Überlegung gilt selbstredend nicht nur für den Angeschuldigten, sondern auch
für die Staatsanwaltschaft. Jedenfalls rechtfertigen die vorliegend durch das
in Aussicht genommene Gutachten entstehenden Kosten von schätzungsweise Fr.
2'500.-- und die damit einhergehende Verfahrensverlängerung nicht, auf die
Beschwerde gegen den Zwischenentscheid einzutreten. Die Staatsanwaltschaft, die
sich unter anderem auf das Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO) beruft, musste
damit rechnen, dass das Verfahren vor Bundesgericht länger dauern würde als die
Erstellung eines Gutachtens, für welche sie etwa drei Monate veranschlagt.
Schliesslich begründet ihr Anliegen, die von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen
möglichst früh zu klären, auch unter dem Titel von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG
keine Anfechtungsmöglichkeit (Urteil 1B_242/2008 vom 11. November 2008 E. 3.2).

2.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs.
4 BGG). Dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Februar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Dold