Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.746/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_746/2012

Urteil vom 5. März 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Claudia
Zumtaugwald,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Hirschengraben 15, Postfach
2401, 8021 Zürich.

Gegenstand
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 2. November 2012 des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
Die eidgenössische Zollverwaltung verurteilte X.________ mit Strafbescheid vom
12. Mai 2011 wegen Steuergefährdung und Steuerhinterziehung gemäss Art. 85 f.
des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG; AS
2000 1300) zu einer Busse von Fr. 7'000.--. Zur Begründung führte sie aus,
X.________ habe am 6. September 2009 bei der Einreise in die Schweiz am
Flughafen Zürich den grünen Durchgang mit der Anschrift "Nichts zu deklarieren"
benützt, obwohl er mehrwertsteuerpflichtige Gegenstände (eine Herrenarmbanduhr,
einen Damenring, einen Teppich und Manschettenknöpfe) im Wert von Fr. 52'436.--
bei sich gehabt habe. Zwischen März und September 2009 habe er weitere
Schmuckstücke im Wert von Fr. 35'663.-- trotz Einfuhrsteuerpflicht ohne
Zollanmeldung eingeführt. Auf die Einsprache von X.________ hin reduzierte die
eidgenössische Zollverwaltung die Busse mit Strafverfügung vom 12. Januar 2012
auf Fr. 6'200.--. In der Folge verlangte X.________ eine gerichtliche
Beurteilung. Das Bezirksgericht Bülach setzte die Hauptverhandlung auf den 31.
August 2012 an. Das Gesuch von X.________, es sei Rechtsanwältin Claudia
Zumtaugwald als amtliche Verteidigerin zu bestellen, lehnte es mit Verfügung
vom 15. August 2012 ab. Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies
das Obergericht des Kantons Zürich mit Verfügung vom 2. November 2012 ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 10. Dezember 2012 beantragt
X.________, die Verfügung des Obergerichts sei aufzuheben und die amtliche
Verteidigung sei zu gewähren.

Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Mit Schreiben vom 17.
Januar 2013 gab der Beschwerdeführer einen Kontoauszug der Centrum Bank AG und
ein Arztzeugnis der Privatklinik Meiringen zu den Akten.

Erwägungen:

1.
Die Verfügung des Obergerichts ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid
über die Gewährung der amtlichen Verteidigung in einem Strafverfahren. Dagegen
ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 BGG). Es
handelt sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338;
Urteil 1B_448/2012 vom 17. Oktober 2012 E. 1; je mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer, dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgewiesen wurde, ist
zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei der deutschen Sprache nicht
mächtig, gesundheitlich angeschlagen und weile hauptsächlich im Ausland. Es
könne ihm unter keinen Umständen zugemutet werden, das Verfahren selbst zu
führen. Der Sachverhalt sei relativ kompliziert. Auch rechtlich präsentiere
sich die Ausgangslage aufgrund der gleichzeitigen Anwendbarkeit von
Verwaltungsstrafrecht und gemeinem Strafrecht als anspruchsvoll. Dem
Verwaltungsstrafrecht sei zudem immanent, dass nur Bussen ausgesprochen würden.
Immerhin handle es sich um Fr. 6'200.--. Dieser Betrag könne durchaus einer
Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen gleichkommen. Die amtliche Verteidigung
sei deshalb nach Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO geboten. Zudem sei auch seine
Bedürftigkeit erstellt. Indem das Obergericht dies verkannt habe, habe es Art.
33 Abs. 2 VStrR (SR 313.0) verletzt.

2.2 Das Obergericht führte zur Begründung seines Entscheids aus, bei den
vorgeworfenen Taten handle es sich um Übertretungen. Der Beschwerdeführer sei
in der zur Anklage erhobenen Strafverfügung zu einer Busse von Fr. 6'200.--
verurteilt worden. Eine wesentliche Erhöhung dieser Busse durch das
Strafgericht sei nicht zu erwarten. Es liege ein Bagatellfall vor, der nach
Art. 132 Abs. 3 StPO die Gewährung der amtlichen Verteidigung ausschliesse.
Art. 33 VStrR sei auf die vorliegende Frage nicht anwendbar. Im Übrigen hätte
der Beschwerdeführer auch danach keinen Anspruch auf amtliche Verteidigung,
denn aufgrund der Akten sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer
bedürftig sei.

2.3 Art. 82 VStrR sieht vor, dass für das Verfahren vor den kantonalen
Gerichten die entsprechenden Vorschriften der StPO gelten, soweit die Art.
73-81 VStrR nichts anderes bestimmen. Die Art. 73-81 VStrR betreffen nicht die
amtliche Verteidigung. Für das vor Bezirksgericht Bülach hängige Strafverfahren
ist deshalb Art. 132 StPO massgebend. Abs. 1 lit. b dieser Bestimmung sieht
vor, dass die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung anordnet, wenn die
beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die
Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist. Abs. 2 und 3 haben
folgenden Wortlaut:
"2 Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung
namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der
Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet,
denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre.
3 Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine
Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten, eine Geldstrafe von mehr als 120
Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden zu erwarten
ist."
Mit dieser Regelung der amtlichen Verteidigung wird die bisherige
bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Abs. 3 lit. c
EMRK für den Bereich des Strafprozessrechts umgesetzt (Urteil 1B_436/2011 vom
21. September 2011 E. 2.3; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur
Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1179 f. Ziff. 2.3.4.2).

2.4 Die Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
unterscheidet nach der Schwere der Strafdrohung drei Fallgruppen. Falls das in
Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des
Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistands nach
der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich geboten. Dies trifft namentlich
dann zu, wenn dem Angeschuldigten eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung
des bedingten Strafvollzugs ausschliesst. Falls kein besonders schwerer
Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers droht (sog. relativ schwerer Fall),
müssen besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen,
denen der Gesuchsteller, auf sich allein gestellt, nicht gewachsen wäre. Das
Bundesgericht hat einen relativ schweren Fall etwa bei einer Strafdrohung von
drei Monaten Gefängnis unbedingt (BGE 115 Ia 103 E. 4 S. 105 f.), bei einer
"empfindlichen Strafe von jedenfalls mehreren Monaten Gefängnis" (BGE 120 Ia 43
E. 3c S. 47) oder bei der Einsprache gegen einen Strafbefehl von 40 Tagen
Gefängnis bedingt (Urteil 1P.627/2002 vom 4. März 2003 E. 3.2, in: Pra 2004 Nr.
1 S. 1) angenommen. Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine
Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint die
Bundesgerichtspraxis jeglichen verfassungsmässigen Anspruch auf einen amtlichen
Rechtsbeistand (vgl. auch das soeben zitierte Urteil, wonach offen bleiben
kann, ob bei Vergehen der Bagatellcharakter des Delikts generell verneint
werden soll; zum Ganzen: BGE 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f.; 128 I 225 E. 2.5.2 S.
232 f.; Urteil 1P.675/2005 vom 14. Februar 2006 E. 5.1; je mit Hinweisen).

2.5 Mit Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO wird diese Rechtsprechung für das neue
Sanktionensystem des Strafgesetzbuchs konkretisiert. Die Formulierung von Abs.
2 bringt durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck, dass nicht
ausgeschlossen ist, neben den beiden genannten Kriterien (kein Bagatellfall;
tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen die beschuldigte Person
allein nicht gewachsen wäre) weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. In der
Literatur wird diesbezüglich insbesondere die Gewährleistung der
Waffengleichheit und eine besonders grosse Bedeutung des Prozessausgangs für
den Beschuldigten genannt, so wenn dieser seine Berufsbewilligung oder die
elterliche Sorge zu verlieren riskiert (vgl. die Hinweise im Urteil 1B_477/2011
vom 4. Januar 2012 E. 2.2). Auch Abs. 3 von Art. 132 StPO belässt in dieser
Hinsicht einen Spielraum, indem er zulässt, im Einzelfall selbst dann nicht von
einem Bagatellfall auszugehen, wenn die genannten Schwellenwerte nicht erreicht
sind.

2.6 Im vorliegenden Fall droht dem Beschwerdeführer eine Busse von Fr.
6'200.--. Nach der dargelegten Rechtsprechung liegt damit ein Bagatellfall vor,
zumal auch keine weiteren Aspekte vorgebracht werden, die dem Ausgang des
Strafverfahrens für den Beschwerdeführer eine besonders grosse Bedeutung
verleihen würden. Der Vergleich mit einer Geldstrafe geht fehl. Selbst im Falle
der Umwandlung der Busse in Haft würde die Freiheitsstrafe gemäss Art. 10 Abs.
3 VStrR höchstens drei Monate betragen und damit immer noch deutlich unter der
in Art. 132 Abs. 3 StPO genannten Schwelle liegen.
Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt und ob der Straffall in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Beschwerdeführer allein
nicht gewachsen wäre.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat Art. 132 StPO nicht verletzt, indem es
dem Beschwerdeführer das Recht auf amtliche Verteidigung absprach. Die
betreffende Kritik ist unbegründet. Ebenfalls unbegründet ist die Rüge der
Verletzung von Art. 33 Abs. 2 VStrR. Nach dem Gesagten ist diese Bestimmung
vorliegend nicht anwendbar.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung. Gemäss
Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten,
sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Begehren als aussichtslos anzusehen,
bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel
verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde.
Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht
führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE
129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 133 III 614 E. 5 S. 616; je mit Hinweisen). Ob
eine Beschwerde aussichtsreich ist, erschliesst sich aus den Begehren und ihrer
Begründung durch den Beschwerdeführer (Urteil 6B_588/2007 vom 11. April 2008 E.
6.2, in: Pra 2008 Nr. 123 S. 766). Wie sich aus den vorangehenden Erwägungen
ergibt, sind vorliegend die Begehren offensichtlich unbegründet. Infolge
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels entfällt deshalb der Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 Abs. 1 BGG. Der Beschwerdeführer trägt
somit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zudem keinen Anspruch auf
eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Zürich,
III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. März 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Dold