Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.726/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_726/2012

Urteil vom 26. Februar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Andreas Abegg
und Dr. Andrea Taormina,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Entsiegelung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 26. Oktober 2012 des Obergerichts des
Kantons Zürich, Zwangsmassnahmengericht.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt gegen X.________ eine
Strafuntersuchung wegen Nötigung (Art. 181 StGB). Sie wirft ihm vor, als
Geschäftsführer des "Restaurants A.______" in Zürich seine ehemalige
Mitarbeiterin B.________ mehrmals zur Leistung von Blankounterschriften auf
Arbeitszeitkontrollblättern aufgefordert und angedroht zu haben, ansonsten den
ihr zustehenden Lohn nicht zu zahlen. Am 19. Juni 2012 wurde am Wohnort und am
Arbeitsort von X.________ eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Dabei wurden
diverse Geschäftsunterlagen und zwei PCs sichergestellt und versiegelt. Mit
Eingabe vom 4. Juli 2012 stellte die Staatsanwaltschaft ein Gesuch um
Entsiegelung und Durchsuchung. Mit Verfügung vom 26. Oktober 2012 hiess das
Zwangsmassnahmengericht am Obergericht des Kantons Zürich das
Entsiegelungsgesuch gut und überliess die Durchsuchung den
Strafverfolgungsbehörden.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 29. November 2012 beantragt
X.________, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts sei aufzuheben und die
Gegenstände seien ihm unverzüglich und versiegelt zurückzugeben.

Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft
hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Gegen Entsiegelungsentscheide ist die Beschwerde in Strafsachen das zutreffende
Rechtsmittel (Art. 78 ff. BGG). Die angefochtene Verfügung schliesst das
Strafverfahren nicht ab (Art. 90 f. BGG); es liegt ein selbstständig eröffneter
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG vor. Die Entsiegelung der
sichergestellten Unterlagen kann für den Beschwerdeführer einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zur Folge haben.
Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat ein
rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids
(Art. 81 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Gemäss Art. 197 Abs. 1 StPO können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn
sie gesetzlich vorgesehen sind, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, die
damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können
und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt. Die
Hausdurchsuchung ohne Einwilligung der berechtigten Person und die Durchsuchung
von Aufzeichnungen ist zulässig, wenn zu vermuten ist, dass zu beschlagnahmende
Gegenstände bzw. Informationen vorhanden sind (Art. 244 Abs. 2 lit. b und Art.
246 StGB). Der Beschlagnahme unterliegen Gegenstände und Informationen
insbesondere dann, wenn sie als Beweismittel gebraucht werden (Art. 263 Abs. 1
lit. a StGB).

3.
Das Zwangsmassnahmengericht führte zur Begründung seines Entscheids im
Wesentlichen aus, es bestehe der Verdacht, dass sich der Beschwerdeführer der
Nötigung schuldig gemacht habe. Die Aussage der Geschädigten, sie sei vom
Beschwerdeführer gezwungen worden, Blankounterschriften auf
Arbeitszeitkontrollblättern zu leisten, sei glaubhaft. Es treffe zwar zu, dass
sie Lohnforderungen geltend mache, doch falle auch auf, dass es ihr bei ihren
Aussagen gegenüber der Polizei gar nicht so sehr darum gegangen sei. Vor allem
habe sie sich nämlich zum drohenden und impulsiven Verhalten des
Beschwerdeführers geäussert. Zudem habe ein weiterer Mitarbeiter des
Beschwerdeführers ebenfalls angegeben, von diesem unter der Drohung des
Lohnentzugs zur Leistung von Blankounterschriften genötigt worden zu sein. An
der Glaubhaftigkeit von dessen Aussagen sei nicht zu zweifeln, habe er doch
gemäss Polizeirapport seine Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Drohung,
Tätlichkeiten und Nötigung zurückgezogen. Es sei mithin kein Grund ersichtlich,
weshalb er den Beschwerdeführer fälschlicherweise belasten sollte. Es treffe
zu, dass sich die Einvernahme dieses Mitarbeiters nicht bei den Akten befinde,
sondern lediglich im Polizeirapport zusammengefasst sei. Das reiche jedoch im
Rahmen der Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts aus.

Das Zwangsmassnahmengericht legte weiter dar, es sei zu vermuten, dass sich in
den sichergestellten Unterlagen und auf den PCs Informationen über
Arbeitszeiten von Mitarbeitern befinden, welche die belastenden Aussagen
dokumentieren können. Auch sei wahrscheinlich, dass man auf
Blankounterschriften stosse. Die Durchsuchung sei zudem verhältnismässig, zumal
es sich bei der Nötigung um ein Delikt handle, dass mit bis zu drei Jahren
Freiheitsstrafe bedroht sei.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Zwangsmassnahmengericht habe den
Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Es sei willkürlich, die
Glaubwürdigkeit des zweiten ihn belastenden Mitarbeiters daraus herzuleiten,
dass dieser seine Anzeige nachträglich zurückgezogen habe. Es sei im Gegenteil
zu vermuten, dass die Aussage gerade deshalb nicht wahr sei, zumal auch kein
Vergleich geschlossen worden sei, der den Rückzug hätte motivieren können. Zu
rügen sei auch, dass die betreffende Einvernahme nicht bei den Akten sei. Zudem
sei der Rückzug der Anzeige offenbar schriftlich erfolgt. Es müsse vermutet
werden, dass sich im betreffenden Schriftstück entlastende Angaben befinden.
Dies verletze das rechtliche Gehör. Sämtliche Akten, auf die sich ein
Entsiegelungsgesuch stütze, müssten ins Recht gelegt werden. Dazu komme, dass
die Aussagen der Geschädigten widersprüchlich seien und vor dem Hintergrund der
zivilrechtlichen Streitigkeit zu würdigen seien. Ein hinreichender Tatverdacht
lasse sich deshalb nicht begründen.

4.2 Es trifft zu, dass der Rückzug einer Anzeige nicht in jedem Fall für die
Glaubwürdigkeit des Anzeigers spricht. Es kommt entscheidend auf die Begründung
für den Rückzug an. Aus dem in den Akten befindlichen Rapport der Stadtpolizei
Zürich vom 7. Mai 2012 ergibt sich, dass der fragliche Mitarbeiter angegeben
hatte, seine Anzeige zurückgezogen zu haben, weil er selbst keine Probleme
wolle. Dies ist für einen Angestellten, der seinen Vorgesetzten angezeigt hat,
eine nachvollziehbare Begründung. Die Glaubhaftigkeit der zuvor gemachten
Aussagen wird dadurch nicht beeinträchtigt. Die Feststellung der Vorinstanz, an
der Glaubhaftigkeit der Aussage sei nicht zu zweifeln, ist deshalb nicht
willkürlich (Art. 97 Abs. 1 BGG).

4.3 Die Staatsanwaltschaft stützte sich in ihrem Entsiegelungsgesuch zur
Begründung des Tatverdachts primär auf die Aussagen der Geschädigten, während
das Zwangsmassnahmengericht zusätzlich auf die Aussage des erwähnten
Mitarbeiters hinwies. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal sich aus dem
Polizeirapport, der jene Aussage zusammenfassend wiedergibt, keine Hinweise auf
den Beschwerdeführer entlastende Momente ergeben. Mithin ist nicht ersichtlich,
dass die Staatsanwaltschaft Aktenstücke, welche zur Beurteilung des
hinreichenden Tatverdachts notwendig gewesen wären, ihrem Gesuch nicht
beigelegt hätte. Zudem behauptet der Beschwerdeführer auch nicht, dass ein
Gesuch um Akteneinsicht abgelehnt worden sei oder auch nur, dass er ein solches
gestellt habe (Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO). Unter diesen Umständen ist eine
Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) zu
verneinen.

4.4 Inwiefern die Aussagen der Geschädigten widersprüchlich sein sollten, legt
der Beschwerdeführer nicht dar. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2
BGG).

5.
5.1 Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung von Art. 241 Abs. 1 i.V.m.
Art. 80 Abs. 2 StPO. Der Hausdurchsuchungsbefehl sei nicht hinreichend
begründet gewesen, weil er nicht Ausführungen zu allen Tatbestandselementen
enthalten habe. Angaben zum ernstlichen Nachteil im Sinne von Art. 181 StGB
fehlten. Zudem treffe nicht zu, dass an die Begründung von Befehlen zur
Hausdurchsuchung und an solche zur Durchsuchung von Aufzeichnungen
unterschiedliche Anforderungen zu stellen seien, wie dies das
Zwangsmassnahmengericht behaupte. Diese Auffassung verletze Art. 197 Abs. 1
StPO, weil sie keine gesetzliche Grundlage habe.

5.2 Gemäss Art. 241 Abs. 2 StPO bezeichnet der Befehl, mit welchem eine
Durchsuchung angeordnet wird, die zu durchsuchenden Personen, Räumlichkeiten,
Gegenstände oder Aufzeichnungen (lit. a), den Zweck der Massnahme (lit. b) und
die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen (lit. c). Die
Notwendigkeit inhaltlicher Mindestangaben erlaubt es, den Umfang der
Zwangsmassnahme zu definieren. Sie bezweckt, eine Beweisausforschung
(sogenannte "fishing expedition") zu verhindern, wo ohne hinreichenden
Tatverdacht nach Beweisen für strafbares Verhalten gesucht wird (vgl. DIEGO R.
GFELLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 8
f. zu Art. 241 StPO; CATHERINE CHIRAZI, in: Commentaire Romand, Code de
procédure pénale suisse, 2011, N. 18 zu Art. 241 StPO; BGE 137 I 218 E. 2.3.2
S. 222 mit Hinweisen). Gemäss Art. 241 Abs. 2 lit. b ist deshalb insbesondere
der Zweck der Massnahme anzugeben, was neben dem eigentlichen Legalzweck
(Festnahme einer verdächtigten Person, Beweismittelbeschlagnahme,
Einziehungsbeschlagnahme etc.) auch die Bezeichnung der verfolgten Straftat
umfasst (GFELLER, a.a.O., N. 13-27 zu Art. 241 StPO). Der erforderliche
Detaillierungsgrad der Angaben definiert sich nach der beschriebenen
Begrenzungsfunktion und muss eine nachträgliche Überprüfung der Zwangsmassnahme
erlauben. Er variiert von Fall zu Fall (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische
Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 4 zu Art. 241 StPO; vgl. auch
das Beispiel bei GFELLER, a.a.O., N. 23 zu Art. 241 StPO).

5.3 Im beanstandeten Durchsuchungsbefehl vom 11. Juni 2012 führte die
Staatsanwaltschaft aus, es sei zu vermuten, dass der Beschuldigte seine
ehemalige Angestellte B.________ genötigt habe, auf arbeitsrechtliche
Forderungen zu verzichten. Weiter sei zu vermuten, dass in den zu
durchsuchenden Räumen Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände oder
Vermögenswerte vorhanden seien und dass sich in den zu durchsuchenden
Schriftstücken, Aufzeichnungen, Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von
Informationen sowie Datenträgern Informationen befinden, welche ebenfalls der
Beschlagnahme unterliegen. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete die zu
durchsuchenden Örtlichkeiten und ordnete an, es sei dort nach
Arbeitszeitkontrollblättern, Quittungen, Kassenabrechnungen und weiteren
sachdienlichen Hinweisen zu suchen. Zudem wies sie ausdrücklich auf den
Tatbestand der Nötigung (Art. 181 StGB) hin.

Diese Angaben sind hinreichend detailliert. Entgegen der Kritik des
Beschwerdeführers trifft nicht zu, dass der ernstliche Nachteil nicht
umschrieben worden ist. Nach dem Gesagten wurde im Durchsuchungsbefehl
diesbezüglich der Verzicht auf arbeitsrechtliche Forderungen genannt. Das
Vorenthalten einer obligationenrechtlich geschuldeten Leistung kann durchaus
den Tatbestand der Nötigung erfüllen (vgl. etwa BGE 115 IV 207 E. 2a S. 211 mit
Hinweisen). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen
Tatbestandsmerkmalen ist im Durchsuchungsbefehl angesichts von dessen Zweck
(vgl. E. 5.2 hiervor) nicht notwendig. Die Rüge des Beschwerdeführers ist
deshalb unbegründet. Offen bleiben kann, inwiefern zwischen Hausdurchsuchungen
und Durchsuchungen von Aufzeichnungen ein Unterschied zu machen ist. Dies ist
vorliegend nicht entscheidrelevant.

6.
6.1 Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, der angefochtene Entscheid
verletze das Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO.
Wenn überhaupt, so liege nur ein geringfügiger Gesetzesverstoss vor. Er
kritisiert zudem, dass das Zwangsmassnahmengericht zur Beurteilung der
Verhältnismässigkeit auf den abstrakten Strafrahmen abstellte.

6.2 Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO verlangt, dass die Bedeutung der Straftat die
Zwangsmassnahme rechtfertigt. Es ist abzuwägen zwischen den
Strafverfolgungsinteressen und den Grundrechtseinschränkungen, die der
Betroffene durch die Zwangsmassnahme erfährt. Der abstrakte Strafrahmen ist in
dieser Hinsicht wesentlich zur Bestimmung der Schwere des Delikts, aus welcher
sich das Interesse an der Strafverfolgung ergibt (vgl. etwa die Urteile 1P.519/
2006 vom 19. Dezember 2006 E. 3.3.4 und 1P.501/2002 vom 17. Dezember 2002 E.
2.3). Zu Recht hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, dass Nötigung mit
Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft wird und es sich somit nicht um
ein leichtes Delikt handelt. Das Interesse an dessen Verfolgung lässt die
Hausdurchsuchung wie auch die Durchsuchung der versiegelten Aufzeichnungen
vorliegend als zumutbar erscheinen, insbesondere auch da der Beschwerdeführer
nicht geltend macht, unter den sichergestellten Aufzeichnungen befänden sich
solche höchstpersönlicher Natur. Die Rüge ist unbegründet.

7.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht
zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und
dem Obergericht des Kantons Zürich, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. Februar 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Der Gerichtsschreiber: Dold