Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.690/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_690/2012

Urteil vom 8. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Derungs,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, I. Abteilung, An der Aa 4, Postfach 1356,
6301 Zug,
Strafgericht des Kantons Zug, Zwangsmassnahmengericht, Aabachstrasse 3,
Postfach 760, 6301 Zug.

Gegenstand
Strafuntersuchung; Pass- und Schriftensperre,

Beschwerde gegen das Urteil vom 4. Oktober 2012 des Obergerichts des Kantons
Zug, I. Beschwerdeabteilung.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug eröffnete gegen X.________ eine
Strafuntersuchung wegen des Verdachts des mehrfachen Betrugs, der mehrfachen
Urkundenfälschung und der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Alters-
und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10).

B.
Am 2. März 2011 verfügte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Zug auf Antrag
der Staatsanwaltschaft gegen X.________ als Ersatzmassnahmen anstelle von
Untersuchungshaft eine Ausweis- und Schriftensperre sowie eine wöchentliche
Meldepflicht.
Am 25. Mai 2011 setzte es die Meldepflicht neu auf alle zwei Wochen fest.
Mit Entscheid vom 19. September 2011 wies es das Gesuch von X.________ um
Aufhebung der Ersatzmassnahmen ab.
Am 31. Mai 2012 hob es die Meldepflicht auf und hielt die Ausweis- und
Schriftensperre aufrecht.
Es wies das Gesuch von X.________ um Aufhebung der Ausweis- und Schriftensperre
mit Entscheid vom 30. Juli 2012 ab.
Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Zug am 4. Oktober 2012 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sowie die Ausweis- und Schriftensperre seien aufzuheben.
Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
sei. Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Zwangsmassnahmengericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. X.________ hat
eine Replik eingereicht.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG ist zulässig. Die
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde ist einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Haftgrund der Fluchtgefahr
zu Unrecht bejaht.

2.1 Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind unter anderem dann zulässig, wenn
die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt
wird und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem
Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Art. 221 Abs. 1 lit.
a StPO; SR 312.0).
Gemäss Art. 237 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs-
oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den
gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Abs. 1). Eine mögliche Ersatzmassnahme
ist die Ausweis- und Schriftensperre (Abs. 2 lit. b). Diese Massnahme soll im
Rahmen der Verhältnismässigkeit einer gewissen Fluchtneigung des
Angeschuldigten vorbeugen (BGE 130 I 234 E. 2.2 S. 236).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt für die Annahme von
Fluchtgefahr die Höhe der dem Angeschuldigten drohenden Freiheitsstrafe für
sich allein nicht. Fluchtgefahr darf nicht schon angenommen werden, wenn die
Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr sind konkrete
Gründe darzutun, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als
wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der drohenden Freiheitsstrafe kann
immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen
werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen).
Bei blossen Ersatzmassnahmen ist grundsätzlich ein weniger strenger Massstab an
die Wahrscheinlichkeit der Flucht anzulegen als bei Untersuchungshaft, denn
erstere stellt eine deutlich mildere Zwangsmassnahme dar als letztere (BGE 133
I 27 E. 3.3 S. 31; Urteil 1B_217/2011 vom 7. Juni 2011 E. 5.3).

2.2 Der Beschwerdeführer ist Schweizer. Seine Lebenspartnerin, Kinder, Eltern
und Geschwister leben in der Schweiz. Er hat hier seinen Lebensmittelpunkt.
Diese Bindung zur Schweiz hielt ihn aber nicht davon ab, zwischenzeitlich nach
Spanien auszuwandern, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Dieser
Aufenthalt liegt zwar einige Jahre zurück. Er fällt jedoch in jene Zeit, in
welcher der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegten Straftaten verübt haben
soll. Zu berücksichtigen ist sodann, dass er seine Meldepflicht mehrmals
missachtete und die Staatsanwaltschaft über seinen letzten Wohnsitzwechsel
nicht rechtzeitig benachrichtigte. Es bestehen somit Anhaltspunkte dafür, dass
der Beschwerdeführer sich der Strafverfolgung entziehen könnte.
Der Tatverdacht hat sich im Laufe des Strafverfahrens erhärtet, sodass die
Staatsanwaltschaft inzwischen Anklage erhoben hat und in absehbarer Zeit mit
einem Strafurteil zu rechnen ist. Ohne dem Urteil des Sachrichters vorgreifen
zu wollen, erhöht insbesondere die drohende Schuldenlast aus möglichen
Ersatzforderungen die Fluchtgefahr. Insoweit zog die Staatsanwaltschaft in
ihrer Vernehmlassung vor der Vorinstanz als Ersatz für die Ausweis- und
Schriftensperre eine Sicherheitsleistung von über Fr. 30'000.-- in Betracht;
darauf reagierte der Beschwerdeführer jedoch nicht.
Das Hauptvorbringen des Beschwerdeführers, er arbeite mittlerweile bei einem
Dienstleistungsunternehmen und lebe seit einiger Zeit in geregelten
Wohnverhältnissen, verringern die Fluchtgefahr nicht entscheidend. Dieselbe
Sachlage lag bereits der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 31. Mai
2012 zugrunde. Der Beschwerdeführer liess den Entscheid unangefochten, obschon
dieser die Ausweis- und Schriftensperre aufrecht erhielt. Neue Umstände seit
der letzten rechtskräftigen Überprüfung der Ersatzmassnahme vermag er damit
nicht ins Recht zu legen.
Würdigt man diese Gesichtspunkte gesamthaft, ist eine gewisse Fluchtgefahr
nicht von der Hand zu weisen. Die diesbezüglichen Anhaltspunkte genügten zwar
nicht zur Anordnung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. Hingegen ist es im
Lichte der dargelegten Rechtsprechung im Ergebnis vertretbar, wenn die
Vorinstanz die Anordnung der Ausweis- und Schriftensperre als begründet
erachtet.
Aus Sicht der Verhältnismässigkeit bleibt dabei zu berücksichtigen, dass diese
Zwangsmassnahme nicht besonders stark in die Freiheit des Beschwerdeführers
eingreift. Zwar darf er nicht aus der Schweiz ausreisen. Innerhalb der
Landesgrenzen kann er sich aber frei bewegen. Eine Meldepflicht besteht nicht
mehr. Dass der Beschwerdeführer auf Auslandreisen, insbesondere aus beruflichen
Gründen, angewiesen wäre, macht er nicht geltend. Er begründet sein Bedürfnis,
ins Ausland zu reisen, lediglich mit Ferienplänen. Dass er bis zum absehbaren
Abschluss des Strafverfahrens die Schweiz nicht verlassen darf, schränkt ihn
somit nicht übermässig ein.
Der angefochtene Entscheid verletzt daher kein Bundesrecht.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1, Art. 65 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zug, I. Abteilung, dem Strafgericht des Kantons Zug, Zwangsmassnahmengericht,
und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Januar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser