Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.591/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_591/2012

Urteil vom 16. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Stohner.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,

gegen

A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Walter
Fellmann,

Staatsanwaltschaft Luzern, Abteilung 1, Eichwilstrasse 2, 6011 Kriens,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern.

Gegenstand
Strafverfahren; Einstellungsverfügung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 7. August 2012 des Obergerichts des Kantons
Luzern, 2. Abteilung.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde vom Kantonsspital Luzern (Frauenspital) auf den 5. März 2008
zur operativen Entfernung einer Zyste am Eierstock aufgeboten und konnte das
Spital nach durchgeführter Operation gleichentags wieder verlassen. Am Abend
traten bei X.________ Komplikationen im Bauchraum auf, sodass sie erneut ins
Kantonsspital eingeliefert und notfallmässig am Darm operiert werden musste.

Am 18. März 2008 erhob X.________ Strafklage gegen das Kantonsspital (gegen
unbekannte Täterschaft) wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Sie
machte geltend, über das Risiko einer möglichen schweren Darmverletzung infolge
der Operation vom 5. März 2008 nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein, und
warf dem operierenden Arzt grobe Fahrlässigkeit vor. Aus den sichergestellten
Krankenakten konnte Dr. med. A.________, damaliger Co-Chefarzt am
Kantonsspital, als operierender Arzt ermittelt werden.

Nach durchgeführter Untersuchung kam die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern
zum Schluss, es liege keine strafbare Handlung vor. Mit Verfügung vom 24.
November 2011 stellte die Staatsanwaltschaft deshalb die gegen A.________ wegen
fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 StGB) und wegen Aussetzung (Art. 127
StGB) geführte Strafuntersuchung in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. a und b
StPO (SR 312.0) ein. Der Entscheid wurde am 12. Dezember 2011 von der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern genehmigt.

B.
X.________ focht die Verfahrenseinstellung mit Beschwerde beim Obergericht des
Kantons Luzern an.

Mit Beschluss vom 7. August 2012 hiess das Obergericht die Beschwerde teilweise
gut, hob die Einstellungsverfügung teilweise auf und wies die Strafsache zur
Ergänzung der Strafuntersuchung betreffend den Tatbestand der fahrlässigen
Körperverletzung "bei der Operationserweiterung aufgrund ungenügender
Patienteneinwilligung" an die Staatsanwaltschaft zurück. Bezüglich der geltend
gemachten fahrlässigen Körperverletzung aufgrund einer Lebensgefährdung und
einer psychischen Schädigung sowie betreffend die behauptete Aussetzung wies
das Obergericht die Beschwerde ab. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr.
1'000.-- auferlegte das Obergericht dem Kanton; Parteientschädigungen sprach es
keine zu.

C.
Mit Eingabe vom 8. Oktober 2012 führt X.________ Beschwerde in Strafsachen ans
Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die
Vorinstanzen seien anzuweisen, gegen A.________ wegen fahrlässiger
Körperverletzung Anklage zu erheben, und das Obergericht sei anzuweisen, ihr
eine Parteientschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei das Obergericht
anzuweisen, über ihren psychischen Gesundheitszustand ein Gutachten erstellen
zu lassen.

Das Obergericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne. Die Oberstaatsanwaltschaft stellt Antrag auf
Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde sei
nicht einzutreten; eventualiter sei diese abzuweisen. Die Beschwerdeführerin
hält in ihrer Replik an ihrem Standpunkt und an ihren Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm erhobenen Beschwerden von
Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 135 II 30 E. 1 S.
31).

1.1 Der angefochtene Beschluss der Vorinstanz, mit welchem diese die
Einstellungsverfügung teilweise aufgehoben und die Sache zur Ergänzung der
Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen hat, ist ein
Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2
BGG). Ob es sich dabei um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG oder um
einen Zwischenentscheid handelt, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 93
Abs. 1 BGG anfechtbar ist, kann offen bleiben, da auf die Beschwerde ohnehin
nicht eingetreten werden kann.

1.2 Als Geschädigte bzw. Opfer ist die Beschwerdeführerin zur Beschwerdeführung
befugt, sofern sich der angefochtene Entscheid auf ihre Zivilansprüche
auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Gemäss § 7 Abs. 1 des Spitalgesetzes des
Kantons Luzern vom 11. September 2006 (SRL Nr. 800a) werden die kantonalen
Spitäler unter der Bezeichnung "Luzerner Kantonsspital" und "Luzerner
Psychiatrie" in zwei öffentlich-rechtlichen Anstalten mit eigener
Rechtspersönlichkeit (im Folgenden Unternehmen genannt) zusammengefasst. § 33
Abs. 1 des Spitalgesetzes bestimmt, dass sich die Haftung der Unternehmen und
ihres Personals nach dem Haftungsgesetz des Kantons Luzern vom 13. September
1988 (SRL Nr. 23) richtet. Gemäss § 4 des Haftungsgesetzes mit dem Randtitel
"Widerrechtliche Schädigung Dritter" haftet das Gemeinwesen für den vollen
Schaden, den ein Angestellter einem Dritten in Ausübung amtlicher Verrichtungen
widerrechtlich zufügt, sofern es nicht nachweist, dass dem Angestellten kein
Verschulden zur Last fällt (vgl. Abs. 1). Der Dritte hat gegen den Angestellten
keinen Anspruch (Abs. 4).

Der Beschwerdegegner als damaliger Co-Chefarzt am Kantonsspital hat der
Beschwerdeführerin den Schaden durch die Operation (respektive durch die
angeblich mangelnde Aufklärung bzw. die zu früh erfolgte Spitalentlassung) und
damit in Ausübung amtlicher Verrichtungen zugefügt. Da Patientinnen und
Patienten als Dritte gemäss § 4 Abs. 4 des Haftungsgesetzes keine Ansprüche
gegen Angestellte geltend machen können, kann sich der angefochtene Entscheid
nicht auf allfällige Zivilforderungen der Beschwerdeführerin auswirken (vgl.
auch Urteile 1B_491/2012 vom 30. November 2012 E. 2 und 1B_330/2011 vom 24.
Oktober 2011 E. 1.1).

1.3 Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache kann die Geschädigte
die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen. Das nach Art. 81 Abs. 1
lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich in diesem
Fall aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist die
Beschwerdeführerin - wie vorliegend - nach kantonalem Recht Partei, kann sie
die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihr nach dem kantonalen
Verfahrensrecht, der BV oder der EMRK zustehen und deren Missachtung eine
formelle Rechtsverweigerung bedeutet. Zulässig sind dabei Rügen, die formeller
Natur sind und von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören
sind dagegen Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des
angefochtenen Entscheids abzielen. Eine in der Sache nicht legitimierte
Beschwerdeführerin kann deshalb weder die Beweiswürdigung kritisieren, noch
kann sie geltend machen, die Begründung sei materiell unzutreffend
("Star-Praxis"; BGE 136 IV 41 E. 1.4 S. 44).

Die Beschwerdeführerin macht keine Verletzung von Verfahrensrechten geltend,
sondern kritisiert den Entscheid in der Sache, wozu sie nach der dargelegten
"Star-Praxis" nicht befugt ist.

2.
Auf die Beschwerde ist damit mangels Legitimation der Beschwerdeführerin nicht
einzutreten. Diese hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und
dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Luzern, Abteilung 1,
der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern und dem Obergericht des Kantons
Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Stohner