Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.569/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_569/2012

Urteil vom 31. Oktober 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Marco S. Marty,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Abteilung Wirtschaftsdelikte,
Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Stadt, Schützenmattstrasse 20, 4003
Basel.

Gegenstand
Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum 5. Oktober 2012.

Beschwerde gegen den Entscheid vom 17. August 2012 des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsidentin.

Sachverhalt:

A.
Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Stadt führen gegen X.________
eine Strafuntersuchung wegen Betrugs, Geldwäscherei und weiterer Delikte. Sie
verdächtigen ihn, als Mitglied einer international tätigen Bande an
betrügerischen Handlungen in einem Deliktsbetrag von mehreren Hunderttausend
Dollar zu Lasten mehrerer Personen und Firmen in der Schweiz, den USA, der
Slowakei, Armenien sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten beteiligt gewesen
zu sein. Jay-Jay Kalu wurde am 24. Januar 2012 festgenommen und am 27. Januar
2012 vom Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Stadt in Untersuchungshaft
versetzt.
Am 12. Juli 2012 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft
gegen X.________ um 12 Wochen bis zum 5. Oktober 2012.
Am 17. August 2012 wies die Appellationsgerichtspräsidentin des Kantons
Basel-Stadt die Beschwerde von X.________ gegen die Haftverlängerung ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 27. September 2012 beantragt X.________,
diesen Entscheid der Appellationsgerichtspräsidentin aufzuheben und ihn sofort
aus der Untersuchungshaft zu entlassen, ihn eventuell unter Anordnung von
geeigneten Ersatzmassnahmen nach Art. 237 StPO aus der Haft zu entlassen oder
subeventuell die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

C.
Die Appellationsgerichtspräsidentin verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt
unter Verweis auf ihren Entscheid, die Beschwerde abzuweisen. X.________
bekräftigt mit einer persönlich verfassten Eingabe seinen Standpunkt. Die
Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid der
Appellationsgerichtspräsidentin. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach
den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und Haftentlassung ist zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Der
Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt,
zumal das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft zwischenzeitlich bis
zum 31. Dezember 2012 verlängert hat (Art. 81 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 1B_424/
2011 vom 14. September 2011). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend,
was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten
werden kann.

2.
Untersuchungshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender
Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Flucht-,
Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO).

2.1 Für die Appellationsgerichtspräsidentin ist der Beschwerdeführer dringend
verdächtig, sich über Jahre hinweg an umfangreichen, gewerbsmässigen
Betrügereien - offenbar u.a. mit fingierten Bestellungen von Bürostühlen für
das nigerianische Bildungsministerium und Wasseraufbereitungsanlagen für Afrika
- beteiligt und in grossem Stil Geld gewaschen zu haben, zum Teil über die
Konten seiner Y.________ GmbH, aber auch weiterer, noch unbekannter
ausländischer Firmen. Der Tatverdacht bezieht sich damit auf gewerbsmässigen
Betrug im Sinn von Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB und Geldwäscherei im Sinn von
Art. 305bis Abs. 1 und 2 StGB, d.h. auf Verbrechen im Sinn von Art. 10 StGB.
Der Beschwerdeführer ist teilweise geständig; er wendet vor allem ein, seine
Tatbeiträge seien wesentlich geringer als von den Strafverfolgungsbehörden
angenommen, und er habe an den kriminellen Handlungen nur teilgenommen, weil er
dazu von Z.________ gezwungen worden sei. Diese Einwände sind nicht geeignet,
den dringenden Tatverdacht aus der Welt zu schaffen. Der Beschwerdeführer geht
denn auch selber zu Recht davon aus, dass ein solcher besteht (vgl. etwa seine
Sachverhaltsdarstellung in Ziff. 1.1 S. 5 der Beschwerdeschrift). Der
allgemeine Haftgrund ist gegeben.

2.2 Für die Annahme von Fluchtgefahr genügt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein
nicht. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der
Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan
werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich
erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur
neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE
125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6).
2.2.1 In Bezug auf die Fluchtgefahr hat die Appellationsgerichtspräsidentin
erwogen, angesichts der für den Fall einer Verurteilung zu erwartenden
empfindlichen Freiheitsstrafe habe der Beschwerdeführer ein erhebliches
Interesse, sich der weiteren Strafverfolgung durch Flucht zu entziehen. Seine
Bindungen an die Schweiz seien schwach: er sei als erwachsener Asylbewerber ins
Land gekommen, spreche kaum deutsch und habe sich beruflich nicht etabliert.
Zwar lebe seine italienische Ehefrau mit drei gemeinsamen Kindern in der
Schweiz; er habe sich indessen von dieser getrennt und sie auch zu keinem
Zeitpunkt finanziell unterstützt. Dagegen habe er eine intakte Bindung zu
seiner Heimat Nigeria, wo er sich teilweise monatelang aufgehalten habe,
zuletzt von November 2011 bis zu seiner Festnahme am 26. Januar 2012. Er habe
gute Beziehungen zu seiner Mutter und seinen Geschwistern sowie zu seiner
Freundin und ihrem gemeinsamen, 2010 geborenen Kind. Er habe regelmässig Geld
nach Nigeria überwiesen, was zeige, dass er sich seiner dortigen
Verwandtschaft, im Gegensatz zu seiner in der Schweiz lebenden Familie, auch
finanziell verpflichtet fühle. Die Staatsanwaltschaft weist in ihrer
Vernehmlassung zudem darauf hin, dass es in den Akten verschiedene Hinweise
darauf gebe, dass der Beschwerdeführer in Lagos mehrere Häuser gebaut habe und
dort in guten finanziellen Verhältnissen lebe. In Bezug auf die Behauptung des
Beschwerdeführers, seine in der Schweiz lebende Ehefrau sei ihm "im Herzen
nahe", sei darauf hinzuweisen, dass diese eine einzige Besuchsbewilligung
beantragt habe, um ihm mitzuteilen, dass sie keine weiteren Briefe von ihm mehr
wünsche und ihn auch nicht mehr besuchen werde, schon gar nicht mit den
Kindern.
2.2.2 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, er sei in Kenntnis des gegen ihn
hängigen Strafverfahrens freiwillig in die Schweiz eingereist und verhalte sich
im Strafverfahren kooperativ. Er hänge an seiner in der Schweiz lebenden
Familie und werde die Beziehung zu ihr nicht durch eine Flucht aufs Spiel
setzen.
2.2.3 Aus welchem Grund der Beschwerdeführer in die Schweiz einreiste, ist
nicht bekannt. Er hat sich den Behörden allerdings nicht freiwillig gestellt,
sondern wurde verhaftet. Sein Verhalten im Strafverfahren wird von der
Staatsanwaltschaft keineswegs als besonders kooperativ beurteilt, und er selber
führt dazu aus, dass er sich den Einvernahmen der Staatsanwaltschaft aus
verständlicher Frustration nach und nach verweigert habe. Wie es sich damit
verhält, kann offen bleiben. Diese Einwände sprechen jedenfalls nicht gegen das
Vorliegen von Fluchtgefahr, ebensowenig wie der weitere vom Beschwerdeführer
vorgebrachte Umstand, dass er seiner Ehefrau am 10. Oktober 2008 einmal Fr.
5'470.-- überwiesen habe.
Die Appellationsgerichtspräsidentin hat Fluchtgefahr offensichtlich zu Recht
bejaht. Es ist schlechterdings nicht ersichtlich, was den Beschwerdeführer
daran hindern könnte, sich der weiteren Strafverfolgung durch Flucht nach
Nigeria zu entziehen, wo er für die Schweizer Strafverfolgungsbehörden wohl nur
schwer greifbar wäre. Dies umso mehr, als seine Beziehung zu seiner in der
Schweiz lebenden Ehefrau zumindest gespannt ist, nachdem 2010 in Nigeria ein
aussereheliches Kind von ihm zur Welt kam, und er für den Fall einer
Verurteilung seine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz wohl ohnehin
verlieren würde.

3.
Besteht Fluchtgefahr, kann offen bleiben ob noch weitere besondere Haftgründe -
hier Kollusionsgefahr - bestehen. Unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismässigkeit ist die Fortführung der Haft nicht zu beanstanden, da sie
(auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich verfügten Haftverlängerung
bis Ende 2012) noch nicht in grosse Nähe der zu erwartenden Strafe kommt, keine
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Strafuntersuchung nicht mit der
gebotenen Beschleunigung vorangetrieben wird und mildere Ersatzmassnahmen den
Beschwerdeführer nicht wirksam an einer Flucht hindern könnten. Die Beschwerde
ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde der
Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen
ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, das
gutzuheissen ist. Zwar sind seine Vermögensverhältnisse undurchsichtig. Er
verfügt aber offenbar in der Schweiz weder über Einkommen noch Vermögen für die
Bestreitung der Verfahrens- und Vertretungskosten, und die Beschwerde war nicht
von vornherein aussichtslos (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Marco Marty, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 2'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft, Abteilung
Wirtschaftsdelikte, dem Zwangsmassnahmengericht und dem Appellationsgericht,
Appellationsgerichtspräsidentin, des Kantons Basel-Stadt, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 31. Oktober 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi