Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.555/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_555/2012

Urteil vom 6. Dezember 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Büro für amtliche Mandate,
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich.

Gegenstand
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. Juli 2012 des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:
Mit Strafbefehl vom 13. Februar 2012 verurteilte die Staatsanwaltschaft
Zürich-Limmat X.________ wegen Vergehens gegen das Ausländergesetz im Sinne von
Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG (SR 142.20) zu einer bedingten Geldstrafe in der
Höhe von 150 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 800.--. Gleichzeitig wurde
eine mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland vom 15. Mai
2009 bedingt ausgesprochene Geldstrafe in der Höhe von 10 Tagessätzen
widerrufen und für vollziehbar erklärt. X.________ erhob gegen den Strafbefehl
Einsprache und ersuchte um Bewilligung der amtlichen Verteidigung. Die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich wies das Gesuch um Bewilligung der
amtlichen Verteidigung am 15. März 2012 ab. Eine von X.________ gegen die
Verweigerung der amtlichen Verteidigung erhobene Beschwerde wies das
Obergericht des Kantons Zürich am 26. Juli 2012 ab.
Gegen den Entscheid des Obergerichts hat X.________ am 21. September 2012
Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihm für das Strafverfahren ein
amtlicher Verteidiger zu bestellen. Die Gerichtskosten des kantonalen
Verfahrens seien dem Kanton Zürich aufzuerlegen und der Kanton Zürich sei zu
verpflichten, ihm für das kantonale Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen. Für die Festlegung der Höhe der Entschädigung
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft, die
Oberstaatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid betrifft eine Strafsache im Sinne von Art. 78 Abs. 1
BGG und wurde von einer letzten kantonalen Instanz gefällt (Art. 80 Abs. 1 und
2 BGG). Es handelt sich um einen das Strafverfahren nicht abschliessenden
Zwischenentscheid, der grundsätzlich geeignet ist, einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken. Mit
Schreiben vom 29. November 2012 hat die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass das
Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer mit Datum vom 15. November 2012 als
erledigt abgeschrieben worden sei, nachdem die Einsprache gegen den Strafbefehl
vom 13. Februar 2012 zurückgezogen worden sei. Unter diesen Umständen erscheint
fraglich, ob der angefochtene Entscheid (noch) geeignet ist, einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil zu bewirken. Wie es sich damit verhält und ob sämtliche
Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind, kann indessen offen bleiben, da die
Beschwerde - wie nachfolgend aufzuzeigen ist - ohnehin abzuweisen ist.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art.
132 Abs. 1 lit. b StPO (SR 312.0).

2.1 Liegt kein Fall notwendiger Verteidigung gemäss Art. 130 StPO vor, ordnet
die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte
Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur
Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung
der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich
geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und (kumulativ) der
Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet,
denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2
StPO). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine
Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten, eine Geldstrafe von mehr als 120
Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden zu erwarten ist
(Art. 132 Abs. 3 StPO). Nach dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 2 StPO, wonach die
amtliche Verteidigung zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person
"namentlich" unter den Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO geboten
ist, ist nicht ausgeschlossen, dass die Gewährung der amtlichen Verteidigung
zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person aus anderen als den in
dieser Bestimmung genannten Gründen geboten sein kann (Urteil 1B_477/2011 vom
4. Januar 2012 E. 2.2 mit Hinweisen).

2.2 Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO entsprechen weitgehend der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zur unentgeltlichen Verteidigung gemäss Art. 29 Abs. 3 BV und
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (Urteile 1B_477/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2.2 sowie
1B_195/2011 vom 28. Juni 2011 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 137 IV 215). Demnach
hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre
Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug
eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Falls das in Frage stehende
Verfahren besonders stark in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift, ist
die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten.
Dies trifft insbesondere im Strafprozess zu, wenn dem Beschuldigten eine
schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder eine Strafe droht, deren
Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst. Droht zwar eine
erhebliche, nicht aber eine besonders schwere Freiheitsbeschränkung, müssen zur
relativen Schwere des Eingriffs besondere tatsächliche oder rechtliche
Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Betroffene - auf sich allein gestellt -
nicht gewachsen wäre. Als besondere Schwierigkeiten, die eine Verbeiständung
rechtfertigen können, fallen auch Gründe in der Person des Gesuchstellers in
Betracht, insbesondere dessen Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden. Bei
offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine
geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint das Bundesgericht einen
unmittelbaren verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche
Rechtsverbeiständung (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232 mit Hinweisen).

3.
3.1 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 132 Abs. 1
lit. b StPO bedürftig ist und dass es sich angesichts der zu erwartenden Strafe
nicht um einen Bagatellfall im Sinne von Art. 132 Abs. 2 StPO handelt. Die
Vorinstanz ist im angefochtenen Entscheid indessen zum Schluss gekommen, die
amtliche Verteidigung sei zur Wahrung der Interessen des Beschwerdeführers
nicht geboten, weil der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
keine Schwierigkeiten biete, denen der Beschwerdeführer allein nicht gewachsen
wäre. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er sei kamerunischer
Staatsangehöriger und der deutschen Sprache zu wenig mächtig, um einer
Einvernahme in dieser Sprache zu folgen. Entsprechend sei er nicht in der Lage,
die Akten ohne Übersetzung zu verstehen und eine Eingabe in deutscher Sprache
an das Gericht zu verfassen. Er sei juristischer Laie und mit dem
schweizerischen Rechtssystem nicht vertraut.

3.2 Dem Beschwerdeführer wurde von der Staatsanwaltschaft Folgendes zur Last
gelegt: Nachdem sein Asylgesuch mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.
November 2010 definitiv abgewiesen worden und er mit Schreiben des Bundesamts
für Migration vom 15. November 2010 aufgefordert worden sei, die Schweiz bis
spätestens zum 10. Dezember 2010 zu verlassen, habe er sich ab dem 11. Dezember
2010 in Kenntnis der abgelaufenen Ausreisefrist sowie des fehlenden
Aufenthaltsrechts willentlich und wissentlich unrechtmässig in der Schweiz
aufgehalten.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Straffall in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten bieten soll. Der Sachverhallt
ist klar und grundsätzlich nicht umstritten. Wenn der Beschwerdeführer - wie er
sinngemäss vorbringt - im Strafverfahren hätte dartun wollen, er sei nicht in
der Lage gewesen, die für eine legale Ausreise notwendigen Papiere zu
beschaffen, wäre dies nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden gewesen.
Bei der Anwendung von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG auf den vorliegenden
Sachverhalt stellen sich keine komplizierten rechtlichen Fragen. Besondere
Schwierigkeiten bietet der Straffall auch nicht hinsichtlich der möglichen Art
oder Höhe der strafrechtlichen Sanktion. Keine besonderen rechtlichen
Schwierigkeiten ergeben sich schliesslich daraus, dass die Staatsanwaltschaft
eine bedingt ausgesprochene frühere Geldstrafe in der Höhe von 10 Tagessätzen
widerrufen und für vollziehbar erklärt hat.
Zwar sind die Schwierigkeiten eines Straffalls an den Fähigkeiten der
beschuldigten Person zu messen. Allein die Umstände, dass der Beschwerdeführer
der Verhandlungssprache offenbar nicht genügend mächtig und juristischer Laie
bzw. mit dem schweizerischen Rechtssystem wenig vertraut ist, führen aber
vorliegend nicht zum Schluss, er sei auf sich allein gestellt den
Schwierigkeiten des Falls nicht gewachsen, sodass er sich ohne Verteidigung im
Strafverfahren nicht zurechtfinde. Dies zumal der Beschwerdeführer bereits im
November 2007 in die Schweiz eingereist ist und die Sprachprobleme mit dem
Beizug eines Dolmetschers überwunden werden können.

3.3 Dass die Gewährung der amtlichen Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen
aus anderen als den in Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO genannten Gründen geboten
wäre, bringt der Beschwerdeführer nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände erweist sich die Gewährung der
amtlichen Verteidigung des Beschwerdeführers für das Strafverfahren zur Wahrung
seiner Interessen nicht als im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO geboten.
Ein Anspruch auf amtliche Verteidigung ergibt sich auch nicht aus Art. 29 Abs.
3 BV oder Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK.

4.
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz habe eine Beschwerde gegen die
Abweisung eines Gesuchs um Bestellung einer amtlichen Verteidigung in einem
ähnlich gelagerten Fall gutgeheissen. Soweit er damit sinngemäss rügen wollte,
der vorinstanzliche Entscheid stelle eine im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 bzw.
Art. 9 BV unzulässige Praxisänderung dar, vermag er nicht durchzudringen, zumal
die Voraussetzungen für eine amtliche Verteidigung jeweils anhand der konkreten
Umstände im Einzelfall zu prüfen sind und nicht dargetan ist, dass die
Vorinstanz mit dem angefochtenen Entscheid von einer eingelebten ständigen
Praxis abgewichen wäre.

5.
Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz mit dem
angefochtenen Entscheid die Verweigerung der amtlichen Verteidigung bestätigt
hat. Der Beschwerdeführer beantragt, die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens
seien dem Kanton Zürich aufzuerlegen und ihm sei für das vorinstanzliche
Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Er begründet aber
nicht, weshalb ihm für das vorinstanzliche Verfahren trotz Unterliegens keine
Kosten hätten auferlegt werden dürfen und eine Parteientschädigung hätte
zugesprochen werden müssen. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht indes um
unentgeltliche Rechtspflege. Da die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Peter Nideröst wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 1'000.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Dezember 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Mattle