Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.548/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_548/2012

Urteil vom 7. Dezember 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alain Joset,

gegen

Y.________, Strafgerichtspräsidentin, Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel,
Beschwerdegegnerin,

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel.

Gegenstand
Strafverfahren, Ausstand,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 23. Juli 2012
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Appellationsgerichtspräsident.

Sachverhalt:

A.
Am 10. August 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt beim Strafgericht
des Kantons Basel-Stadt Anklage gegen X.________ wegen verschiedener
Gewaltdelikte zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin.
Gestützt auf ein Gesuch der Strafgerichtspräsidentin Y.________ vom 11. Januar
2012 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Sicherheitshaft gegen
X.________ am 23. Januar 2012 bis zum 27. April 2012. Das Bundesgericht
schützte diese Haftverlängerung mit Urteil 1B_188/2012 vom 19. April 2012.
Dabei verwarf es ausdrücklich auch den Einwand, die Strafgerichtspräsidentin
sei nicht befugt, Sicherheitshaft zu beantragen, da sie sonst wegen
Vorbefassung nicht mehr am erstinstanzlichen Strafurteil mitwirken könne
(a.a.O. E. 2.3).
Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 23. April 2012 beantragte X.________, die
Strafgerichtspräsidentin Y.________ habe wegen Vorbefassung in den Ausstand zu
treten, da sie die Verlängerung der Sicherheitshaft gegen ihn beantragt habe.
Die Strafgerichtspräsidentin widersetzte sich dem Ausstandsbegehren - u.a. mit
Verweis auf den oben erwähnten Bundesgerichtsentscheid - und leitete es ans
Appellationsgericht weiter. Das Strafgericht setzte die Hauptverhandlung fort
und verurteilte X.________ am 8. Mai 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren
und einer Busse von Fr. 1'000.--.
Am 23. Juli 2012 trat der Appellationsgerichtspräsident auf das Ausstandsgesuch
wegen Verspätung nicht ein.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid des
Appellationsgerichtspräsidenten aufzuheben und die Sache zur materiellen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für den Fall eines Unterliegens
ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

C.
Y.________ beantragt in ihrer Vernehmlassung sinngemäss, die Beschwerde
abzuweisen. Der Appellationsgerichtspräsident beantragt, die Beschwerde
abzuweisen. Der Staatsanwalt beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten
oder sie eventuell abzuweisen.
Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es
handelt sich um einen selbständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in
Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Angeklagter und
inzwischen erstinstanzlich Verurteilter ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde
berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten wäre, wenn sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen
genügen würde. Das ist nicht der Fall:
Beruht der angefochtene Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, die je
für sich den Ausgang des Verfahrens besiegeln, muss der Beschwerdeführer sich
mit beiden auseinandersetzen und darlegen, dass jede von ihnen Bundesrecht
verletzt. Genügt die Beschwerde diesen Anforderungen nicht, ist darauf nicht
einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 136 III 534 E. 2.2; 133 IV 119 E. 6). Der
Appellationsgerichtspräsident ist im angefochtenen Entscheid auf das
Ausstandsgesuch nicht eingetreten mit der Begründung, eine Partei, die von
einem Ausstandsgrund Kenntnis erhalte, müsse das Ausstandsgesuch unverzüglich
stellen. Dem Beschwerdeführer sei seit Januar 2012 bekannt gewesen, dass
Y.________ die Verlängerung der Sicherheitshaft gegen ihn beantragt habe und
als Mitglied des Strafgerichts an der Hauptverhandlung gegen ihn mitwirken
würde. Das rund drei Monate später an der Hauptverhandlung gestellte
Ausstandsbegehren sei verspätet, weshalb darauf nicht einzutreten sei
(angefochtener Entscheid E. 1.2 S. 3 f.). Weiter führte er an, das
Ausstandsgesuch sei auch materiell unbegründet, was sich aus E. 2.3 des ersten
in dieser Sache ergangenen Entscheids des Bundesgerichts 1B_188/2012 vom 19.
April 2012 zweifelsfrei ergebe (angefochtener Entscheid E. 2 S. 4).
Der Beschwerdeführer setzt sich in der Beschwerde unter Verletzung von Art. 42
Abs. 2 BGG nur mit einer dieser beiden Begründungen auseinander, indem er
bestreitet, dass sein Ausstandsgesuch verspätet gewesen sei. Auf die Beschwerde
ist nicht einzutreten.

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt,
welches indessen abzulehnen ist. Die Beschwerde war von vornherein aussichtslos
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG), weil sie nicht nur den formellen Anforderungen
nicht genügt, sondern auch materiell klarerweise unbegründet wäre:
Das Einreichen eines Ausstandsgesuchs rund drei Monate nach Bekanntwerden des
(vermeintlichen) Ausstandsgrunds entspricht der gesetzlichen Forderung nach
einem Handeln "ohne Verzug" im Sinn von Art. 58 Abs. 1 StPO offensichtlich
nicht, und das Bundesgericht hat die vom Beschwerdeführer vertretene
Auffassung, die Strafgerichtspräsidentin müsse wegen Vorbefassung in den
Ausstand treten, weil sie die Verlängerung der Sicherheitshaft gegen ihn
beantragt habe, im Entscheid 1B_188/2012 vom 19. April 2012 klar
zurückgewiesen. Beschwerde zu führen, ohne sich mit der bundesgerichtlichen
Urteilsbegründung auseinanderzusetzen, ist unter diesen Umständen von
vornherein nicht erfolgversprechend.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt
und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt,
Appellationsgerichtspräsident, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Dezember 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi