Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.533/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_533/2012

Urteil vom 22. November 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied, Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Joachim Breining,
Beschwerdeführer,

gegen

B.X.________,
Beschwerdegegnerin.

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200
Schaffhausen.

Gegenstand
Strafverfahren; Einstellung.

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Schaffhausen vom 10. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Kantonsgericht Schaffhausen stellte im Eheschutzverfahren der Eheleute
B.X.________ und A.X.________ am 1. April 2004 den gemeinsamen Sohn
C.X.________, geb. xx. April 2004, unter die Obhut von B.X.________. Im
Scheidungsverfahren beschloss es am 23. Oktober 2007 im Rahmen vorsorglicher
Massnahmen, A.X.________ sei u.a. berechtigt, C.X.________ in ungeraden Jahren
an Ostern und in geraden Jahren an Pfingsten zu sich zu nehmen.

Ostern 2008 verbrachte C.X.________ im Einverständnis der Mutter beim Vater. Am
8. Mai 2008 verfügte die Einzelrichterin am Kantonsgericht, B.X.________ habe
C.X.________ am 9. Mai 2008, um 18 Uhr, an ihrer Wohnadresse seinem Vater zur
Ausübung des Besuchsrechts bis Pfingstmontag zu übergeben. Für den Säumnisfall
wies sie B.X.________ auf die Strafdrohung von Art. 292 StGB hin.

B.X.________ verreiste über Pfingsten 2008 mit C.X.________ nach München.

B.
Am 19. Mai 2008 erstattete A.X.________ Strafanzeige gegen seine Ehefrau wegen
Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung und Entziehens von Unmündigen mit der
Begründung, sie habe ihm C.X.________ über Pfingsten nicht herausgegeben,
sodass er sein Besuchsrecht nicht habe ausüben können.

Das Untersuchungsrichteramt erliess am 18. Dezember 2008 und am 5. Mai 2009
Einstellungsverfügungen, welche beide im Rechtsmittelverfahren aufgehoben
wurden.

Am 12. August 2011 stellte die nunmehr zuständige Staatsanwaltschaft des
Kantons Schaffhausen das Strafverfahren gegen B.X.________ erneut ein.

Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die Beschwerde von A.X.________
gegen diese Einstellungsverfügung am 10. August 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.X.________, diesen Entscheid des
Obergerichts aufzuheben, B.X.________ der Entziehung von Unmündigen schuldig zu
sprechen und angemessen zu bestrafen, sie zu verpflichten, ihm Fr. 887.-- zu
bezahlen oder eventuell das Verfahren ans Obergericht zurückzuweisen.

D.
Das Obergericht teilt in seiner Vernehmlassung mit, dass es an seinem Entscheid
festhalte. B.X.________ beantragt sinngemäss, die Beschwerde abzuweisen.

A.X.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid bestätigt, dass das vom Beschwerdeführer angestrebte
Strafverfahren eingestellt bleibt. Er schliesst damit das Verfahren ab. Es
handelt sich um den Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer
Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs.
1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Der Beschwerdeführer war als
Strafantragsteller Privatkläger (Art. 118 Abs. 2 StPO) und als solcher am
kantonalen Verfahren beteiligt. Er hat dabei Schadenersatzansprüche erhoben,
die er aus dem angeblich strafbaren Verhalten der Beschwerdegegnerin ableitet.
Der angefochtene Entscheid kann sich daher auf die Beurteilung der
Zivilansprüche auswirken, womit der Beschwerdeführer zur Beschwerde befugt ist
(Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 5 BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist.

2.
Ein Strafverfahren ist u.a. dann einzustellen, wenn kein Tatverdacht mehr
besteht, der eine Anklage rechtfertigen könnte, kein Straftatbestand erfüllt
ist oder ein Prozesshindernis besteht (Art. 319 Abs. 1 lit. a, b und d StPO).

Der bereits altrechtlich unter der Herrschaft der kantonalen Prozessordnungen
in Kraft stehende Grundsatz "in dubio pro duriore" (z.B. Urteil 6B_879/2010 vom
24. März 2011) fliesst aus dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 2
Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO; BGE 138 IV 86 E.
4.2). Er bedeutet, dass eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft
grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden
Prozessvoraussetzungen angeordnet werden darf. Bei der Beurteilung dieser Frage
verfügen die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz über einen gewissen
Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft. Hingegen ist
(sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt) Anklage zu
erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch
(vorerwähntes Urteil 1B_687/2011 vom 27. März 2012 E. 4.1.1; BGE 137 IV 219 E.
7.1-7.2 S. 226 f.). Falls sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruches oder
einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel,
insbesondere bei schweren Delikten, ebenfalls eine Anklageerhebung auf (BGE 138
IV 86 E. 4.1.2).

3.
3.1 Unbestritten ist, dass das Verfahren in Bezug auf Ungehorsam gegen amtliche
Verfügungen im Sinn von Art. 292 StGB zu Recht eingestellt wurde. Diese
Übertretung, die an Pfingsten 2008 verübt worden sein soll, ist drei Jahre
später verjährt (Art. 109 StGB), womit seit Pfingsten 2011 ein dauerhaftes
Prozesshindernis besteht.

3.2 Des Entziehens von Unmündigen nach Art. 220 StGB macht sich strafbar, wer
eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen
Gewalt entzieht oder sich weigert, sie ihm zurückzugeben.
3.2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein Elternteil den
objektiven Tatbestand von Art. 220 StGB erfüllen, der die gerichtlich
festgesetzte Besuchsrechtsregelung verletzt (BGE 136 III 353 E. 3.4; 128 IV 154
E. 3.2). Das Obergericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die
Beschwerdegegnerin den Tatbestand in objektiver Hinsicht erfüllt haben könnte,
indem sie ihren Sohn am 9. Mai 2008, um 18 Uhr, dem zur Ausübung des
Besuchsrechts berechtigten Vater nicht übergab.

Diese Rechtsauffassung des Bundesgerichts wird zwar in der Literatur kontrovers
diskutiert (Zusammenstellung in BGE 136 III 353 E. 3.4 S. 360), und die
Staatsanwaltschaft beruft sich für ihre abweichende Auffassung auf den
Entscheid eines kantonalen Obergerichts. Selbst wenn aber beachtliche Argumente
dafür sprechen sollten, dass die Vereitelung des Besuchsrechts durch den
obhutsberechtigten Elternteil den objektiven Tatbestand von Art. 220 StGB nicht
erfüllt, so ist die Frage jedenfalls umstritten. Die Staatsanwaltschaft war
damit, wie das Obergericht zu Recht erkannt hat (angefochtener Entscheid E. 2 b
S. 5 ff.), nicht befugt, das Verfahren mit der Begründung einzustellen, das
umstrittene Verhalten der Beschwerdegegnerin erfülle den objektiven Tatbestand
von vornherein nicht.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt
der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
4.1.1 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich. Für das Obergericht
(angefochtener Entscheid E. 2 c S. 7 f.) ist er offensichtlich nicht erfüllt.
Es sei unklar, ob die Eltern nicht stillschweigend oder ausdrücklich
übereingekommen seien, dass der Vater 2008 seinen Sohn über Ostern anstatt über
Pfingsten zu sich nehmen könne. Es erscheine zudem ausgeschlossen, dass der
Beschwerdegegnerin nachgewiesen werden könne, dass sie vom richterlichen
Befehl, ihren Sohn am 9. Mai 2008, um 18 Uhr, ihrem Mann zu übergeben, vor
ihrer Rückkehr aus den Pfingstferien Kenntnis erhalten habe.

Der Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin sind zerstritten und führen
eine Kampfscheidung, mit der sich das Bundesgericht schon wiederholt
beschäftigen musste (Urteile 5A_357/2011, 5D_169/2009, 5A_469/2008, 5A_718/
2007). Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass die Beschwerdegegnerin ihren
Sohn dem Beschwerdeführer 2008 nicht für ein zusätzliches verlängertes
Wochenende überlassen wollte, sondern dass sich die Parteien auf einen Abtausch
von Ostern und Pfingsten verständigten. Dass der Beschwerdeführer nach den
Osterferien gegenüber der Beschwerdegegnerin den Standpunkt vertrat, er sei
berechtigt, seinen Sohn auch über Pfingsten zu sich zu nehmen, beweist
keineswegs, dass sich die Parteien nicht zuvor auf einen Abtausch verständigt
haben. Da abgesehen von den entgegengesetzten Aussagen der beiden Elternteile
keine weiteren Beweismittel bekannt sind, kann mit dem Obergericht
ausgeschlossen werden, dass die Frage abschliessend geklärt werden kann. Ist
der Beschwerdegegnerin aber nicht nachzuweisen, dass sie wusste, dass sie
C.X.________ auch über Pfingsten seinem Vater übergeben musste, scheitert eine
Verurteilung wegen Entzugs von Unmündigen an der Erfüllung des subjektiven
Tatbestands.

Geklärt wurde die Rechtslage allerdings mit dem richterlichen Befehl vom 8. Mai
2008 an die Beschwerdegegnerin, C.X.________ am 9. Mai 2008, um 18 Uhr, ihrem
Vater zu übergeben. Sie behauptet indessen, von diesem richterlichen Befehl
erst nach ihrer Rückkehr aus den Pfingstferien Kenntnis erhalten zu haben. Der
Beschwerdeführer hält dem zwar entgegen, er habe die Beschwerdegegnerin am 9.
Mai 2008, kurz nach 17 Uhr, telefonisch vom richterlichen Befehl in Kenntnis
gesetzt, zu einem Zeitpunkt, indem sie ihre Fahrt nach München noch hätte
abbrechen und den Sohn zurückbringen können (polizeiliche Einvernahme des
Beschwerdeführers vom 15. Juli 2011, S. 4 oben). Es steht damit Aussage gegen
Aussage, und es kann ausgeschlossen werden, dass heute - rund 4 ½ Jahre nach
dem Telefonat - die Aussage des Beschwerdeführers soweit verifiziert werden
kann, dass darauf zu Lasten der Beschwerdegegnerin abgestellt werden könnte. Es
wäre zudem mehr als fraglich, ob die Beschwerdegegnerin auf die blosse
Behauptung der Gegenpartei am Telefon, es sei ein entsprechender richterlicher
Befehl an sie ergangen, sofort hätte umkehren müssen. Dem Beschwerdeführer war
nach eigenen Angaben bereits längere Zeit vor dem 6. Mai 2008, als er sein
Vollstreckungsbegehren stellte, bekannt, dass seine Frau der Auffassung war,
sie könne C.X.________ über Pfingsten bei sich behalten. Er hat es daher selber
zu vertreten, dass der richterliche Befehl zu spät erging bzw. zugestellt
wurde, um eine reguläre Übergabe des Kindes an ihn sicherzustellen. Aus dem
Umstand, dass sich die Beschwerdegegnerin vor ihrer Abreise nicht aktiv nach
dem Stand des Vollstreckungsverfahrens erkundigte, kann entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden, sie habe sich
eventualvorsätzlich über den ihr (noch) nicht eröffneten Vollstreckungsbefehl
hinweggesetzt. Unbestritten ist, dass dieser dem Vertreter der
Beschwerdegegnerin am 9. Mai 2008, um 16:10 Uhr, zugestellt wurde. Wann
Rechtsanwalt Tanner seiner Klientin den Befehl zur Kenntnis brachte, ist
unbekannt und auch nicht weiterer Abklärung zugänglich, da er dazu unter
Berufung auf das Anwaltsgeheimnis keine Angaben macht.

Insgesamt erweist sich die Beurteilung des Obergerichts, eine vorsätzliche
Verletzung des Besuchsrechts sei der Beschwerdegegnerin nicht nachzuweisen, und
daran könne auch eine Fortführung des Strafverfahrens nichts ändern, als
vertretbar. Es hat daher kein Bundesrecht verletzt, indem es die
Verfahrenseinstellung schützte, zumal die zur Diskussion stehende (angebliche)
Straftat der Beschwerdegegnerin zwar nicht gerade Bagatellcharakter hat, aber
doch eher leicht wiegt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. November 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Störi