Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.464/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_464/2012

Urteil vom 7. März 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. Y.________ GmbH,
3. Z.________ AG,
Beschwerdeführer, alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt,
Spisergasse 15, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Siegelung, vorsorgliche Massnahme,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 11. Juli 2012 des Präsidenten der
Anklagekammer des Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A.
Am 18. Mai 2011 stellte die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch
das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Strafantrag gegen die
Verantwortlichen der Y.________ GmbH wegen des Verdachts von Widerhandlungen
gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). In der Folge
eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine Strafuntersuchung
gegen X.________ wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Betruges und von
Widerhandlungen gegen das UWG.

B.
Gestützt auf ein Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft edierte eine Bank
in Liechtenstein am 15. Juni 2012 diverse Bankunterlagen der Y.________ GmbH
und der Z.________ AG.

C.
Am 21. Juni 2012 stellten der Beschuldigte und die genannten Firmen
(nachfolgend: Gesuchsteller) bei der Staatsanwaltschaft das Gesuch um Siegelung
der edierten Bankunterlagen. Mit Entscheid vom 22. Juni 2012 wies die
Staatsanwaltschaft das Siegelungsgesuch ab.

D.
Gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft vom 22. Juni 2012 erhoben die
Gesuchsteller am 3. Juli 2012 Beschwerde bei der Anklagekammer des Kantons St.
Gallen. Gleichzeitig stellten sie den Antrag um vorsorgliche Massnahmen bzw.
einstweilige Siegelung der Bankunterlagen für die Dauer des kantonalen
Beschwerdeverfahrens. Mit prozessleitender Verfügung vom 11. Juli 2012 wies der
Präsident der Anklagekammer den Antrag ab.

E.
Am 27. Juli 2012 erhoben die Gesuchsteller beim Staatsgerichtshof des
Fürstentums Liechtenstein Beschwerde gegen die rechtshilfeweise Edition der
Bankakten. Mit prozessleitender Verfügung vom 10. August 2012 gab der Präsident
des liechtensteinischen Staatsgerichtshofs (im Sinne einer vorsorglichen
Massnahme) folgenden Auftrag an das liechtensteinische Fürstliche Landgericht:
Binnen einer Woche habe das Landgericht bei der Staatsanwaltschaft des Kantons
St. Gallen (als ersuchender Behörde im Rechtshilfeverfahren) "die schriftliche
Zusicherung einzuholen", dass sie die rechtshilfeweise erhobenen
Originalunterlagen bis zur Erledigung des Beschwerdeverfahrens vor dem
Staatsgerichtshof "in keiner wie immer gearteten Weise verwenden und verwerten
wird".

F.
Gegen die prozessleitende Verfügung vom 11. Juli 2012 der Verfahrensleitung der
Anklagekammer gelangten die Gesuchsteller mit Beschwerde vom 13. August 2012 an
das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
Die Vorinstanz habe die Staatsanwaltschaft für die Dauer des hängigen
kantonalen Beschwerdeverfahrens (im Rahmen einer vorsorglichen Massnahme)
anzuweisen, alle rechtshilfeweise edierten Bankakten zu siegeln.
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Präsident
der Anklagekammer liess sich ebenfalls im abschlägigen Sinne vernehmen. Der
Beschwerdeführer replizierte am 2. Oktober 2012. Mit prozessleitender Verfügung
6. September 2012 bewilligte das Bundesgericht das Gesuch des Beschwerdeführers
um vorsorgliche Massnahmen; es wies die Staatsanwaltschaft an, die
rechtshilfeweise edierten Bankunterlagen für die Dauer des bundesgerichtlichen
Verfahrens zu siegeln.
Mit Schreiben vom 3. September 2012 ersuchte das liechtensteinische Fürstliche
Landgericht die Staatsanwaltschaft um schriftliche Bestätigung, dass sie die
rechtshilfeweise edierten Originalunterlagen bis zur Erledigung des
Beschwerdeverfahrens vor dem Staatsgerichtshof "in keiner wie immer gearteten
Weise verwenden und verwerten" werde. Am 7. September 2012 antwortete die
Staatsanwaltschaft dem Landgericht, dass sie über die gewünschte Bestätigung
nach Eingang des Urteils des Bundesgerichtes in der Sache entscheiden werde.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein prozessleitender Zwischenentscheid in einem kantonalen
Beschwerdeverfahren gegen die verweigerte Siegelung von sichergestellten
(rechtshilfeweise edierten) Bankunterlagen. Streitgegenstand des noch hängigen
kantonalen Beschwerdeverfahrens ist kein Entsiegelungsentscheid des
Zwangsmassnahmengerichtes (nach erfolgter Siegelung und erfolgtem
Entsiegelungsgesuch), sondern eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, wonach dem
Siegelungsantrag der Beschwerdeführer keine Folge geleistet werde. Vor
Bundesgericht angefochten ist eine prozessleitende Verfügung der
Verfahrensleitung der kantonalen Beschwerdeinstanz, wonach im hängigen
Beschwerdeverfahren (in Anwendung von Art. 388 Abs. 1 StPO) kein vorsorglicher
Rechtsschutz gewährt, d.h. keine vorläufige Siegelung verfügt werde.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt. Insbesondere
droht den Beschwerdeführern die Verweigerung des Rechts- und Geheimnisschutzes
und damit ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Macht die Inhaberin oder der Inhaber von vorläufig sichergestellten oder
edierten Aufzeichnungen und Gegenständen geltend, eine Beschlagnahme sei wegen
eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht
zulässig, so gehen die Strafbehörden nach den Vorschriften über die Siegelung
vor (Art. 264 Abs. 3 i.V.m. Art. 265 StPO). Aufzeichnungen und Gegenstände, die
nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder
Zeugnisverweigerungsrechts (oder aus anderen Gründen) nicht durchsucht oder
beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den
Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Art. 248 Abs. 1 StPO).
Stellt die Strafbehörde innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, hat (im
Vorverfahren) das Zwangsmassnahmengericht über das Bestehen von
Entsiegelungshindernissen zu entscheiden (Art. 248 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 lit. a
StPO). Zu prüfen ist im richterlichen Entsiegelungsverfahren namentlich, ob die
Geheimnisinteressen, welche von berechtigten Personen angerufen werden, einer
Durchsuchung und weiteren strafprozessualen Verwendung der sichergestellten
Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft entgegen stehen (BGE 137 IV 189 E. 4 S.
194 f.; 132 IV 63 E. 4.1-4.6 S. 65 ff.; zur amtlichen Publikation bestimmtes
Urteil 1B_397/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 4 und E. 6.1). Die Verweigerung der
Siegelung durch die Staatsanwaltschaft (und damit der faktische Ausschluss des
richterlichen Entsiegelungsverfahrens) kann mit StPO-Beschwerde angefochten
werden (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Die Verfahrensleitung der kantonalen
Beschwerdeinstanz trifft die notwendigen und unaufschiebbaren
verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen (Art. 388 Abs. 1 StPO).

3.
Die hier angefochtene Verweigerung des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die
Ablehnung eines Siegelungsbegehrens würde bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft
die nicht versiegelten edierten Unterlagen (trotz Geltendmachung von
Geheimnisschutzinteressen durch die Beschwerdeführer) bereits während des
hängigen kantonalen Beschwerdeverfahrens durchsuchen könnte. Damit wäre der
richterliche Rechtsschutz sowohl im kantonalen Beschwerdeverfahren als auch im
allfälligen Entsiegelungsverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht obsolet.
Eine Verweigerung des vorsorglichen Rechtsschutzes kann nur in Ausnahmefällen
zulässig sein, wenn bereits vor dem materiellen Entscheid der Beschwerdeinstanz
und vor dem allfälligen richterlichen Entsiegelungsentscheid liquide erstellt
ist, dass schutzwürdige Geheimnisinteressen (oder andere
Entsiegelungshindernisse) offensichtlich fehlen. Wenn der betroffene Inhaber
von sichergestellten Aufzeichnungen Geheimnisschutzrechte anruft, hat nach der
oben dargelegten gesetzlichen Regelung grundsätzlich das
Zwangsmassnahmengericht (auf entsprechendes Entsiegelungsgesuch der
Staatsanwaltschaft hin) über das Vorliegen schutzwürdiger Geheimnisinteressen
zu entscheiden. Eine Siegelung ist anzuordnen, wenn "nach Angaben" der
betroffenen Inhaber Geheimnisschutzinteressen bzw. Entsiegelungshindernisse
bestehen (Art. 248 Abs. 1 StPO). Ob solche Hindernisse bestehen (und dem
Strafverfolgungsinteresse vorgehen) oder nicht, hat im Vorverfahren das
Zwangsmassnahmengericht zu entscheiden, nicht die Staatsanwaltschaft oder die
Verfahrensleitung der kantonalen Beschwerdeinstanz (Art. 248 Abs. 3 lit. a
StPO). Ausnahmen können nur in liquiden Fällen in Frage kommen, etwa wenn das
Siegelungsbegehren offensichtlich unbegründet bzw. rechtsmissbräuchlich erhoben
erscheint und ein förmliches Entsiegelungsverfahren vor dem
Zwangsmassnahmengericht geradezu einem Prozessleerlauf gleichkäme.

4.
Die Vorinstanz begründet die Verweigerung des vorsorglichen Rechtsschutzes wie
folgt: Allfällige Siegelungsansprüche bzw. Einwände gegen die rechtshilfeweise
erfolgte Edition hätten im Rahmen des Beweiserhebungs- bzw.
Rechtshilfeverfahrens vor den liechtensteinischen Behörden geltend gemacht
werden müssen. Eine Siegelung von rechtshilfeweise zugestellten Akten aus dem
Ausland "dürfte weder zulässig noch möglich sein". "Vielmehr dürfte Art. 248
StPO nur auf Zwangsmassnahmen, welche in der Schweiz erfolgten," anwendbar
sein. Die Frage, ob die Beschwerdeführer überhaupt legitimiert wären, eine
Siegelung zu verlangen, könne offen bleiben. Da eine Siegelung nach Art. 248
StPO "nicht möglich sein dürfte", sei die Beschwerde "als aussichtslos
einzustufen" und der vorsorgliche Rechtsschutz zu verweigern (angefochtener
Entscheid, S. 3 f., E. 4c).

5.
Die Beschwerdeführer rügen unter anderem eine Verletzung von Art. 248 StPO und
Art. 13 BV.

6.
Zu prüfen ist, ob das streitige Siegelungsbegehren offensichtlich unbegründet
(bzw. rechtsmissbräuchlich erhoben) erscheint und den Beschwerdeführern deshalb
der vorsorgliche Rechtsschutz im kantonalen Beschwerdeverfahren verweigert
werden darf.

6.1 Die Beschwerdeführerinnen 2 und 3 sind unbestrittenermassen Inhaberinnen
der betroffenen Bankverbindungen. Der Beschwerdeführer 1 ist laut angefochtenem
Entscheid einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der Beschwerdeführerin 2
bzw. Organ mit Einzelunterschrift der Beschwerdeführerin 3. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes können (aus Gründen des Rechtsschutzes)
grundsätzlich auch indirekt Betroffene, namentlich Inhaber von Bankkonten, die
erst nachträglich von Editionen von Bankunterlagen erfahren, als
Siegelungsberechtigte in Frage kommen (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_567/
2012 vom 26. Februar 2013 E. 1.1). Damit konnte die vorinstanzliche
Prozessleitung nicht liquide davon ausgehen, dass der Entsiegelungsrichter
schutzwürdige Geheimnisinteressen der Beschwerdeführer zum Vornherein verneinen
würde.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz lässt auch der Umstand, dass die
Bankunterlagen rechtshilfeweise ediert worden sind, den Anspruch der
Beschwerdeführer auf vorsorglichen Rechtsschutz hier nicht ohne Weiteres
dahinfallen. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer
gegen die rechtshilfeweise Edition der Bankunterlagen auch noch eine Beschwerde
beim liechtensteinischen Staatsgerichtshof eingereicht haben. Sie machen
geltend, sie hätten erst nachträglich ihre Rechte gegenüber der erfolgten
Edition wahrnehmen können. Die Unterlagen befänden sich (seit Bekanntgabe der
Rechtshilfemassnahme an die Beschwerdeführer) in den Händen der kantonalen
Staatsanwaltschaft und seien deshalb nach schweizerischem Recht zu siegeln.
Gemäss den vorliegenden Akten hat sich auch der (mit der nachträglichen Prüfung
der Rechtshilfemassnahme befasste) liechtensteinische Staatsgerichtshof im
Rahmen einer vorsorglichen Massnahme um eine Zusicherung der kantonalen
Staatsanwaltschaft bemüht, wonach diese (bis zum Entscheid des
Staatsgerichtshofes in der Sache) keine Durchsuchung oder andere Verwendung der
edierten Bankunterlagen vornehme. Die Staatsanwaltschaft hat dem
Staatsgerichtshof geantwortet, dass über eine solche allfällige Zusicherung
erst nach Eingang des (vorliegenden) Urteils des Bundesgerichtes entschieden
werde. Zur Frage, ob eine Anwendbarkeit von Art. 248 StPO in der vorliegenden
Konstellation zum Vornherein ausser Betracht falle oder nicht, äussert sich der
angefochtene Entscheid im Übrigen nur knapp und ausweichend.

6.2 Nach dem Gesagten kann weder liquide davon ausgegangen werden, dass die
rechtshilfeweise Edition der Bankakten rechtmässig erfolgte, noch, dass ein
Siegelungsanspruch der Beschwerdeführer offensichtlich zu verneinen ist. Diese
Fragen sind vielmehr von der Anklagekammer im hängigen kantonalen
Beschwerdeverfahren (bzw. von der mit der Rechtshilfesache befassten
liechtensteinischen Justiz) materiell zu prüfen. Da das Siegelungsbegehren
nicht zum Vornherein offensichtlich unbegründet (oder gar rechtsmissbräuchlich
erhoben) erscheint, ist der vorsorgliche Rechtsschutz im kantonalen
Beschwerdeverfahren zu gewährleisten. Die angefochtene prozessleitende
Verfügung erweist sich als bundesrechtswidrig.

7.
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die angefochtene prozessleitende Verfügung
aufzuheben.

Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Den anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführern ist eine angemessene Parteientschädigung
(pauschal, inkl. MWST) zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid vom 11. Juli 2012 des
Präsidenten der Anklagekammer des Kantons St. Gallen wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführern eine Parteientschädigung von
Fr. 2'500.-- (pauschal, inkl. MWST) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Präsidium der
Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. März 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Der Gerichtsschreiber: Forster