Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.410/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_410/2012

Urteil 3. Oktober 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger,
Bundesrichter Chaix,
Gerichtsschreiber Haag.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,

Strafgerichtspräsidium des Kantons Basel-Landschaft.

Gegenstand
Strafverfahren; Wechsel der amtlichen Verteidigung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Juni 2012 des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 12. März 2012 wurde
X.________ unter anderem wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt.
Dagegen legte er Berufung ein. Als amtliche Verteidigerin in diesem
Strafverfahren ist Advokatin Y.________ eingesetzt.
Am 12. April 2012 wies der Präsident des Strafgerichts ein Gesuch von
X.________ um Wechsel der Verteidigung ab. Eine gegen diesen Entscheid erhobene
Beschwerde wies das Kantonsgericht mit Beschluss vom 12. Juni 2012 ab.

B.
Mit Beschwerde vom 9. Juli 2012 verlangt X.________ die Einsetzung eines neuen
amtlichen Verteidigers, da das Vertrauen gegenüber seiner bisherigen
Verteidigerin nicht mehr gewährleistet sei.
Das Strafgericht und das Kantonsgericht beantragen im Wesentlichen die
Abweisung der Beschwerde. Die amtliche Verteidigerin stellt den Antrag, auf die
Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Zwischenentscheid in Strafsachen (Art. 78, 80 und 93 BGG).
Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerdeführung berechtigt (Art. 81 BGG).

1.1 Gegen Vor- und Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den
Ausstand betreffen (vgl. Art. 92 BGG), ist die Beschwerde ans Bundesgericht
gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können (lit. a) oder - was hier von vornherein ausser
Betracht fällt - wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Von einem nicht wieder
gutzumachenden Nachteil wird gesprochen, wenn dieser auch durch ein
nachfolgendes günstiges Urteil nicht oder nicht mehr vollständig behoben werden
kann (BGE 131 I 57 E. 1 S. 59). Dabei obliegt es dem Beschwerdeführer
detailliert darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind,
soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich ist (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 136 IV
92 E. 4 und 4.2 S. 95 f.; 134 III 426 E. 1.2 S. 429; 133 III 629 E. 2.3.1 S.
632). Ein Zwischenentscheid, der nach Art. 93 Abs. 1 und 2 BGG nicht
angefochten werden kann oder trotz Anfechtungsmöglichkeit nicht beanstandet
wurde, ist durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit er sich
auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG).
Der blosse Umstand, dass es sich beim aktuellen Offizialverteidiger nicht (oder
nicht mehr) um den Wunsch- bzw. Vertrauensanwalt eines Beschuldigten handelt,
schliesst eine wirksame und ausreichende Verteidigung nicht aus. Die Ablehnung
eines Gesuchs des Beschuldigten um Auswechslung des amtlichen Verteidigers
begründet daher grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil
im Sinne des Gesetzes. Anders kann der Fall liegen, wenn der amtliche
Verteidiger seine Pflichten erheblich vernachlässigt, wenn die
Strafjustizbehörden gegen den Willen des Beschuldigten und seines
Offizialverteidigers dessen Abberufung anordnen oder wenn sie dem Beschuldigten
verweigern, sich (zusätzlich zur Offizialverteidigung) auch noch durch einen
Privatverteidiger vertreten zu lassen (zum Ganzen: BGE 135 I 261 E. 1.2-1.4 S.
264 f.; Urteile 1B_197/2011 vom 14. Juli 2011 E. 1; 1B_357/2010 vom 7. Januar
2011 E. 1; je mit Hinweisen).

1.2 Nach der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 29 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 BV
hat der amtlich verteidigte Beschuldigte einen grundrechtlichen Anspruch auf
sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen (BGE
126 I 194 E. 3d S. 198). Ein Begehren um Auswechslung des amtlichen
Verteidigers ist zu bewilligen, wenn aus objektiven Gründen eine sachgemässe
Vertretung der Interessen des Beschuldigten durch den bisherigen Rechtsanwalt
nicht mehr gewährleistet ist (BGE 116 Ia 102 E. 4b/aa S. 105 mit Hinweisen).
Dass der Beschuldigte ihm lediglich aus subjektiven Motiven das Vertrauen
abspricht, reicht für einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Auswechslung
des Offizialverteidigers nicht aus (BGE 114 Ia 101 E. 3 S. 104 mit Hinweis).
Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der amtliche Verteidiger seine
anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Nachteil des Beschuldigten in
schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der von
Verfassung und EMRK gewährleisteten Verteidigungsrechte liegen (BGE 126 I 194
E. 3d S. 198 f. mit Hinweisen). Nach der Bestimmung in Art. 134 Abs. 2 StPO,
welche hier zur Anwendung gelangt (Art. 454 Abs. 1 StPO), überträgt die
Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person, wenn das
Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen
Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen
Gründen nicht mehr gewährleistet ist.
Die Regelung in der Schweizerischen Strafprozessordnung geht damit über die
bisherige Praxis hinaus. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass eine engagierte
und effiziente Verteidigung nicht nur bei objektiver Pflichtverletzung der
Verteidigung, sondern bereits bei erheblich gestörtem Vertrauensverhältnis
beeinträchtigt sein kann. Dahinter steht die Idee, dass eine amtliche
Verteidigung in jenen Fällen auszuwechseln ist, "in denen auch eine privat
verteidigte beschuldigte Person einen Wechsel der Verteidigung vornehmen würde"
(Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBl 2006 1180 Ziff. 2.3.4.2; BGE 6B_770/2011 vom 12. Juli 2012 E. 2.4).
Wird die subjektive Sichtweise des Beschuldigten in den Vordergrund gestellt,
bedeutet dies aber nicht, dass allein dessen Empfinden für einen Wechsel der
Verteidigung ausreicht. Vielmehr muss diese Störung mit konkreten Hinweisen,
die in nachvollziehbarer Weise für ein fehlendes Vertrauensverhältnis sprechen,
belegt und objektiviert werden (NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 8 zu Art. 134 StPO; NIKLAUS
SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung: Praxiskommentar, 2009, N. 2 zu Art.
134 StPO). Der blosse Wunsch des Beschuldigten, nicht mehr durch den ihm
beigegebenen Verteidiger vertreten zu werden, reicht für einen Wechsel nicht
aus. Zudem ist der amtliche Verteidiger nicht bloss das unkritische Sprachrohr
seines Mandanten (BGE 126 I 194 E. 3d S. 199; Urteil 1B_645/2011 vom 14. März
2012 E. 2.3; je mit Hinweisen). Für einen Verteidigerwechsel genügt deshalb
nicht, wenn die Verteidigung eine problematische, aber von der beschuldigten
Person gewünschte und verlangte Verteidigungsstrategie nicht übernimmt oder
wenn sie nicht bedingungslos glaubt, was die beschuldigte Person zum Delikt
sagt, und das nicht ungefiltert gegenüber den Behörden vertritt (RUCKSTUHL,
a.a.O., N. 8 zu Art. 134 StPO; SCHMID, a.a.O., N. 2 zu Art. 134 StPO). Gleiches
gilt betreffend die Weigerung, aussichtslose Prozesshandlungen vorzunehmen
(WALTER HAEFELIN, Die amtliche Verteidigung im schweizerischen Strafprozess,
2010, S. 286 f.). Hingegen erscheint der Anspruch auf eine wirksame
Verteidigung verletzt, wenn die Verteidigung einer nicht geständigen
beschuldigten Person andeutet, sie halte ihren Mandanten für schuldig (VIKTOR
LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 21 zu
Art. 134 StPO; BGE 6B_770/2011 vom 12. Juli 2012 E. 2.4).

1.3 In der vorliegenden Angelegenheit liegen keine Umstände vor, die im Lichte
der genannten Rechtsprechung einen Wechsel der amtlichen Verteidigung erfordern
würden. Der Beschwerdeführer wirft der amtlichen Verteidigerin Überforderung
vor, weil sie sich dahin geäussert haben soll, dass sie den Entscheid des
Strafgerichts für richtig halte. Zudem habe sie ihm Akten vorenthalten und
Differenzen über die Verteidigungsstrategie nicht ausgeräumt.
Die amtliche Verteidigerin belegt, dass sie ihrem Mandanten die fraglichen
Akten zukommen liess und er genügend Zeit hatte, diese zu studieren. Die
Berufungsanmeldung und -erklärung sowie die Beweisanträge für das
zweitinstanzliche Verfahren reichte sie bei den zuständigen Justizbehörden
fristgerecht ein. Sie legt zudem dar, dass sie die möglichen Ansatzpunkte und
die Taktik im Hinblick auf das Berufungsverfahren mit dem Beschwerdeführer habe
erörtern wollen und dieser sie mit diffusen Vorwürfen überhäuft habe, worauf
sie ihm erklärt habe, sie komme wieder, wenn er zu einer konstruktiven
Zusammenarbeit bereit sei.
Aus den Stellungnahmen der kantonalen Gerichte ergibt sich, dass die amtliche
Verteidigerin ihr Mandat umsichtig und pflichtbewusst führt und keine Anzeichen
für eine Überforderung vorliegen. Es bestehen keine Hinweise, dass das Vorgehen
der amtlichen Verteidigerin objektiv gegen die Interessen des Beschwerdeführers
verstossen würde. Die allgemeinen Beanstandungen des Beschwerdeführers an der
Mandatsführung sind keineswegs geeignet, eine Pflichtvernachlässigung
nachzuweisen. Eine wirksame Verteidigung erscheint vor diesem Hintergrund nach
wie vor gegeben (vgl. E. 1.1 hiervor). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art.
93 Abs. 1 lit. a BGG sind in dieser Hinsicht nicht erfüllt, weshalb auf die
Beschwerde nicht einzutreten ist.

2.
Der Beschwerdeführer stellt für das bundesgerichtliche Verfahren sinngemäss ein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Nach Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das
Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt,
auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten, sofern ihr Rechtsbegehren
nicht aussichtslos erscheint (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 133 III 614 E.
5 S. 616; je mit Hinweisen). Die vorliegende Beschwerde muss als aussichtslos
bezeichnet werden, da hier offensichtlich keine gewichtigen Gründe für einen
Verteidigerwechsel bestehen. Infolge Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels
entfällt deshalb der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 Abs.
1 BGG.
Der Beschwerdeführer trägt somit die Gerichtskosten für das Verfahren (Art. 66
Abs. 1 BGG). Er hat zudem keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68
Abs. 2 BGG).
Die amtliche Verteidigerin macht grundsätzlich zu Recht Aufwendungen im
Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren geltend. Mit Blick auf die
Verfahrensumstände erscheint es jedoch nicht gerechtfertigt, im Zusammenhang
mit dem vorliegenden Zwischenverfahren eine gesonderte Entschädigung für das
Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht festzusetzen. Die Berufungsinstanz
wird dem diesbezüglichen Verfahrensaufwand im Rahmen der Festsetzung der
Entschädigung der amtlichen Verteidigerin gestützt auf Art. 135 Abs. 2 StPO
Rechnung zu tragen haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Strafgerichtspräsidium des Kantons
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Oktober 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Haag